Frauen in Haft

Ein Besuch in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta

Der Gedanke hinter den Kulissen eines Frauengefängnisses zu gucken, entstand nach einer Vernissage, die ich vor Kurzem mit meiner Partnerin dort besucht hatte. Es war eine flüchtige Begegnung mit den Insassinnen auf dem Innenhof und in den Fluren, wo die Bilder hangen. Es waren die scheuen, von langjährigem Drogenkonsum gekennzeichneten Gesichter, die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen. Auf jeden Fall wollte ich diese Frauen näher kennen lernen, es fragte sich nur wie, bis mir die Idee mit dem Interview kam. Es waren einige Telefonate erforderlich, bis ich von dem zuständigen Referenten im Justizministerium in Hannover die schriftliche Genehmigung vorliegen hatte. Ich stimmte dann mit dem Anstaltsleiter meinen Besuchstermin, so wie die einzelnen Modalitäten ab.

Es war der 01.08.2000 und ich war trotz meiner Vorbereitungen auf diese Begegnung sehr nervös. Nach kurzer orientierungsloser Fahrt fand ich die Anstalt inmitten von Vechta wieder, denn ich hatte keinen Stadtplan und mein Orientierungssinn ist katastrophal. Die Haftanstalt ist umgeben von Amtsgericht, Krankenhaus, Mädchengymnasium und einer Kirche. Ein friedlicher Ort, zu friedlich für ein Gefängnis dachte ich, denn die Medien bringen doch fast tagtäglich irgendwelche Horrormeldungen von Gefangenenausbrüchen und deren Folgen. Haben die Anrainer eigentlich keine Angst vor diesen Frauen? Anscheinend ja nicht und während ich das dachte, ging ich auf den Eingang zu. Der Einlockungsprozess war mir schon von der Vernissage vertraut gewesen. Der Pförtner verlangte mir mein Handy und meinen Personalausweis ab, erst danach öffneten sich zwei gesicherte Türen und ich konnte den Innenbereich des Rotklinkerneubaues betreten. In dem angrenzenden Flur wartete ich dann auf den Anstaltsleiter. Der Flur war schlicht und zweckmäßig eingerichtet, nichts wohnliches nahm mein Auge wahr, außer die helle Tischdecke. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in der Aufregung heute morgen meine Kamera zu Hause vergessen hatte. Es lies sich nicht mehr ändern, dann muss es auch ohne Fotos gehen. Nach kurzer Zeit begrüßte mich ein großgewachsener, schlanker Mann mit graumelierten Haaren. Es war ein vertrauenserweckendes Lächeln auf seinem Gesicht, als er mir die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte. Wenn die ersten vier Sekunden über Sympathie und Antipathie entscheiden, dann war die Begegnung geglückt und ich folgte ihm zufrieden. Wir überquerten den großen Innenhof, der mir schon von der Vernissage her bekannt war und wo ich damals die flüchtigen Begegnungen mit einigen inhaftierten Frauen gemacht hatte. Es befinden sich hier ein großer Volleyballbereich, ein Kinderspielplatz und eine Ecke zum Abhängen. Wir betraten den Altbau und in den Fluren hangen immer noch die mir vertrauten Bilder von der Ausstellung. Er führte mich in sein Büro, wo wir kurz über den Zeitplan und über die Frauen sprachen, welche sich für das Interview gemeldet hatten. Es hatte sich ein langjähriges Lesbenpärchen und eine transsexuelle Frau zur Verfügung gestellt, das war mehr als ich erwartet hatte und seine aufgeschlossene, vorurteillose Art machte es mir leicht, mich als transsexuelle Frau bei ihm zu outen. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über das Thema Transsexualität, denn er hatte ja schließlich eine Transsexuelle Gefangene zu betreuen und alles was zum besseren Verständnis dieser Frau beitragen konnte, war ihm willkommen.

Es war schon gegen 12:00 Uhr und er führte mich in die Kantine zum gemeinsamen Mittagessen. Es gibt hier verschiedene Gerichte zur Auswahl, die hier von der Lehrküche selber hergestellt werden. Hier kann Frau, wenn sie denn will, eine Ausbildung mit zertifiziertem IHK-Abschluß zur Köchin machen. Ich nehme mir ein paniertes Hähnchen mit Pommes, Salatbeilage aus eigener Gärtnerei und einem fantastischen Nachtisch, alles gezaubert von einer Meisterköchin. Vielen Dank, es hat mir sehr gut geschmeckt!

Anschließend zeigte er mir die einzelnen Wohnflure des geschlossenen Strafvollzuges. Die Zellentüren sind hier tagsüber bis 19:00 Uhr geöffnet, so das die Frauen, die meistens zu zweit auf einer penibel sauber gehaltenen 8 qm Einzelzelle wohnen, den beengten Raum jederzeit verlassen können und in den wohnlichen Fluren, so wie der Pantry oder den anderen Zellen miteinander kommunizieren können. Diese Überbelegung ist leider unvermeidlich, da Vechta die einzige Justizvollzugsanstalt für Frauen in Niedersachsen ist und mit zur Zeit ca. 200 Inhaftierten (3 - 4 % aller Inhaftierten sind nur Frauen) zu 1/4 überbelegt ist. Darüber hinaus existiert eine Sozialtherapeutische Teilanstalt für Frauen in Alfeld, die hier 12 Monate vor Haftentlassung mit besonderen therapeutischen und pädagogischen Maßnahmen auf das Leben "draußen" vorbereitet werden. Als dritte Einrichtung gibt es da noch die Frauenabteilung bei der JVA in Hannover, die vornehmlich Untersuchungsgefangene und Abschiebehaftflüchtlinge aufnimmt.

Ich sehe in die fragenden Gesichter der Frauen die sich auf den Fluren befinden und wenn sich unsere Blicke treffen, frage ich mich, wie würden wir wohl miteinander zurechtkommen, wenn ich hier inhaftiert wäre. Er stellt mich kurz den beiden Lesben vor mit denen ich später ein Interview führen werde. Sie begegnen mir mit etwas scheu und schüchtern, denn sie haben ja nicht alle Tage die Presse für ein Interview im Haus. Wir gehen weiter und kommen in einen Flur, in dem die Langzeit inhaftierten Frauen untergebracht sind. Diese Wohngruppen bestehen aus 10 bis 11 Frauen die überhaupt keinen Einschluss haben und hier völlig frei miteinander kommunizieren können. Diese Freiheiten haben sie sich erst verdienen müssen, bevor ihnen dieses Privileg zuteil wurde. Wenn Frauen schwere Straftaten begehen, sind es überwiegend Konflikttaten, Folgen einer aus der Sicht der Frau ausweglosen Situation. Nach oft vielen Jahren von Unterdrückung, Gewalt und Erniedrigung haben sie z. B. Mann oder Vater umgebracht. Oder sie haben ihre Kinder vernachlässigt oder gar misshandelt, weil sie finanziell und sozial benachteiligt mit ihnen alleine überfordert waren. Für die Allgemeinheit sind diese Frauen in der Regel keine Gefahr.

Wir verlassen die Flure der Langzeit Inhaftierten und gehen in einen Trakt im Erdgeschoss, der gerade durch die Insassinnen selber renoviert wird. Einmal um Kosten zu sparen und auch um die Frauen an handwerkliche Arbeiten heranzuführen, die draußen meistens von Männern verrichtet werden. Hier treffen wir auch auf die transsexuelle Frau für mein erstes Interview. Der Anstaltsleiter spricht mit ihr kurz ihren Zeitplan durch und dann führt er mich in einen kleinen Innenhof, in dem gerade eine Künstlerin mit einigen freiwilligen Insassinnen einen Kreativworkshop mit dem Titel "Kollektion Gefängniskleidung" abhält. Ich werde kurz vorgestellt und dann lässt der Anstaltsleiter mich mit den Frauen alleine. Da die Künstlerin gerade mit dem Fotografen beschäftigt ist, der die Kollektion in Zusammenarbeit mit den einzelnen Frauen ablichtet, gehe ich zurück in den Hof und suche den persönlichen Kontakt mit den Frauen. Es dauert nicht lange und das erste Gespräch ist hergestellt. Sie ist in meinem Alter und lebt sehr zurückgezogen und isoliert in dieser Anstalt. Wir unterhalten uns über die jungen Mädchen die auf dem Rasen herumrollen, über lesbisch sein in der Anstalt und über ihr Stück Kleidung, das sie aus einer in dünnen Streifen geschnittenen Anstaltswolldecke herstellt. Einige der Frauen arbeiten geduldig an den Nähmaschinen und andere wiederum sitzen einfach nur in der Sonne um sie zu genießen. Da viele der inhaftierten Frauen arbeitsungewohnt und ohne Durchhaltevermögen sind, so sollen sie durch diese Beschäftigungen Schritt für Schritt auf die normale Arbeitstätigkeit im Gefängnis oder auf eine evtl. berufliche Ausbildung hier vorbereitet werden. Gerade am Anfang haben sie es sehr schwer, sich hier einzuleben. Für die ersten zwei Wochen werden alle jugendlichen und erwachsenen Strafgefangenen in einer sogenannten Aufnahmeabteilung untergebracht. Sie werden hier rund um die Uhr von erfahrenem Personal betreut und begleitet, bis sie dann den einzelnen Abteilungen des geschlossenen Vollzugs übergeben werden. Häufig treten in dieser schwierigen Phase Hauterkrankungen, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und andere psychosomatische Störungen auf.

Es ist kurz vor 14:00 Uhr und meine erste Interviewpartnerin erscheint auf dem Innenhof. Sie kommt zu mir herüber und wir suchen uns gemeinsam eine Bank auf der wir ungestört unser Gespräch führen können.

Angelika ist 41 Jahre, Transsexuell und sitzt seit dem 03 März 2000 zum 2. Mal eine Strafe ab. Aufgewachsen ist sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr bei ihren Großeltern. Als die Oma starb musste sie wieder zurück zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater. Einige Zeit später ist dann auch ihr Großvater gestorben und so zog sie mit ihrer Familie in das Haus der Großeltern ein, welches sie geerbt hatte. Mit 15 Jahren war sie dann auf sich allein gestellt, da sich ihre Mutter wegen eines neuen Freundes von ihrem Stiefvater hatte scheiden lassen und fortan bei ihm lebte. Angelika bekam die ersten Probleme in der Schule und schaffte ihren Schulabschluss nicht, so dass sie jetzt nur ein Abgangszeugnis hat. Sie begann eine Lehre als Fahrradmechaniker, die sie dann aber abgebrochen hat, weil sie sich zu sehr bevormundet fühlte. Ab dieser Zeit hat sie sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Dazu kam dann noch ihr innerer Konflikt mit der männlichen Rolle, den sie seit ihrer Pubertät verspürte. An der Bundeswehr hat sie sich vorbei gemogelt, in dem sie den Leuten vom Kreiswehrersatzamt Theater vorgespielt hat. Das sie Transsexuell ist, konnte sie damals noch nicht so definieren und schwul war sie ja auch nicht. Sie wurde zum ersten Mal für drei Jahre inhaftiert als Mann, weil sie sich einer Rockergang angeschlossen hatte und sich in diesem Rahmen als "Mann" strafbar gemacht hatte. Es sollte niemand mitbekommen, das sie eine weibliche Seele besaß, die immer nur dann zum Vorschein kam, wenn sie sich heimlich betrunken hatte. Angelika hat nie viel Aufhebens um ihre weibliche Kleidung gemacht, ein bisschen Make-Up, Kajalstift und Maskara zu einer Jeans. Wie jedes andere Mädchen auch. Nur hin und wieder trug sie dann ihre sündhaft kurzen Röcke zur Schau. Sie bereut es heute, dass sie nicht schon vor 15 oder 20 Jahren ihren Weg zur Frau gegangen ist, dann, so weiß sie heute, wären ihr die drei Jahre Männerknast erspart geblieben. Heute Sie wieder hier wegen Verstoß gegen das BTMG (Betäubungsmittelgesetz), konkret Heroin zum Eigenbedarf. Durch ihren Freund ist sie, den sie bis vor kurzem noch hatte, erst im Alter von 38 Jahren an das Heroin rangekommen. Zur Zeit ist Sie clean, denn die Preise sind hier für Heroin ca. 4 mal so hoch wie draußen. Das ist bei einem Tageslohn von 7 - 11,00 DM unmöglich zu finanzieren. Sie war mit ihrem Freund 5 Jahre zusammen und die Beziehung ist jetzt durch die Inhaftierung auseinander gegangen, als sie erkannte, dass er sie nur ausgenutzt hat und er ihr nicht einmal Zigaretten oder ein bisschen Geld schicken konnte, als sie es so dringend gebraucht hat. Sie hatte ihre geschlechtsangleichende Operation vor 5 Jahren und wird hier von den Frauen als ihresgleichen akzeptiert. Sie übernimmt hier die Pflege des Gartens, d. h. Rasen mähen, Rosen schneiden und Beete sauber halten. Zusätzlich macht sie bei der Renovierung der Zellen mit und repariert die hauseigenen Fahrräder. Eine 35 Stunden-Woche bringt ihr dann ca. 150,00 DM Lohn, der Rest, der einbehalten wird, kommt auf ein Rücklagenkonto. Dieses Geld bekommt sie bei der Entlassung ausgezahlt und es dient als Startkapital ins neue Leben. Für die 150,00 DM kann sie sich dann Luxusartikel wie Kosmetika, Kaffee, Zucker, Gewürze oder Tabak kaufen. Arbeitet sie mal nicht aus irgendeinem Grund, so hat sie auch für den Monat kein Geld zur Verfügung. Sie hofft, das, wenn alles so läuft wie sie es sich vorstellt, sie zu Weihnachten dieses Jahres entlassen wird. Dann steht sie mit 1940,00 DM Überbrückungsgeld vor dem Gefängnistor und muss wieder neu anfangen. Das heißt, zum Sozialamt gehen eine Wohnung, Renovierungs- und Einrichtungsgeld beantragen. Die Altschulden tilgen, alleine 70.000,00 DM für Unterhaltszahlungen, die das Jugendamt in 18 Jahren vorgestreckt hat. Keine Aussicht auf Arbeit, Transsexuell, keine abgeschlossene Berufsausbildung und dann noch aus dem Knast kommend, das war`s dann. Die einzige Möglichkeit sieht sie darin sich selbständig zu machen, aber dafür hat sie kein Geld. Da sie schon Erfahrung im Kneipenservice oder als Putzfrau in einer Kolonne hat, will sie es dort wieder probieren. Ich wünsche ihr für ihren Neuanfang alles Glück dieser Erde und einen Arbeitgeber, der ihr eine Chance gibt.

Es ist mittlerweile 15:40 Uhr geworden und die Künstlerin signalisierte mir, dass sie jetzt Zeit für mich hat. Sie zeigt mir ihre lebensgroßen rollbahren Puppen aus Terrakotta und Keramik, welche sie für diese Zwecke hergestellt hat. Die eine Puppe hat zwei Augäpfel, die bis an die Knöchel ranreichen. Es ist meine Interpretation der Kreation, denn die inhaftierte Frau, die dieses Werk geschaffen hatte, wollte mir die wahre Bedeutung nicht verraten. Eine zweite Puppe wurde komplett mit weißem Klettband eingefasst, hinten mit einer Art Klettreißverschluss zum Aufziehen versehen. Es sollte wohl bedeuten, ich würde gerne meine Haut abziehen und mir eine neue Überstülpen können. Wie gesagt, das ist frei von mir interpretiert. Ich setze mich auf einen Stuhl im Hof und warte auf den Anstaltsleiter, der mich zu den nächsten beiden Interviewpartnerinnen bringen soll.

Die Jüngste der Frauen, sie war wohl so um die 15 Jahre alt, fragte mich mit abschätzendem Blick, ob ich früher ein Mann gewesen sei? Ich war entschlossen Rede und Antwort zu stehen und antwortete mit ihr mit "Ja". Es dauerte nicht lange, bis die anderen Frauen hellhörig wurden, und bei der Diskussion heftig mitmischten. Die Kleine, ich nenne sie so, weil ich ihren Namen nicht weiß, projizierte wohl ihre Verlustängste ihrem Vater gegenüber voll auf mich, da ich ihrer Ansicht nach meine Kinder grundlos verlassen habe, nur um meinen egoistischen Weg zur Frau zu gehen. Die anderen droschen auf mich ein, nur weil ich aus ihrer Sicht ein Klischeeurteil über die Männer abgegeben hatte. Es kamen Einwände wie, das kannst du doch nicht pauschalisieren, man müsse das doch differenzieren, denn nicht alle Männer seien so. Gleichzeitig haben sie auch ihre Schubladen aufgemacht, als sie mir nicht meine Androgynität zugestanden. Ihrer Meinung nach gibt es nur Mann und Frau, nur Schwarz und Weiß und ich hätte mich gefälligst dort einzuordnen, denn das dazwischen gibt es für sie nicht. Irgendwann erlöste mich der Anstaltleiter von diesem Tribunal und er brachte mich zu dem Lesbenpärchen. Wir gingen nach draußen in den großen Innenhof und setzten uns auf eine Bank auf die noch das Sonnenlicht fiel.

Andrea ist 34 Jahre alt, sie kommt aus der Nähe von Lüneburg und hat einen 15-jährigen Sohn. Sie lebt seit 8 Jahren mit einer Frau zusammen, die mit ihr auf eine Zelle wohnt. Ihr Vater war Alkoholiker, der heute trocken ist. Sie hat ihren Schulabschluss nicht geschafft und nach nur 1 1/2 Monaten die Lehre zur Fleischereifachverkäuferin geschmissen. Dann wurde sie mit Anfang 18 schwanger. Ihr Freund hat sie mit dem Kind sitzen gelassen und sie musste sich mit wechselnden Jobs den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind verdienen. 1992, sie war da schon Drogenabhängig, ist sie wegen Beschaffungskriminalität zum ersten Mal in den Knast gekommen. Hier wurde sie auf Metadon umgestellt und nach einiger Zeit wieder entlassen. Es gab Kompetenzschwierigkeiten zwischen dem Sozialamt und dem Arbeitsamt, so dass sie ohne Geld dastand und sie wieder auf die Schiene der Beschaffungskriminalität zurückgefallen ist. Aus diesem Grund ist sie jetzt auch wieder hier. Sie hat 5 Jahre Haft bekommen, von denen sie jetzt schon drei Jahre abgesessen hat. Genauso lange ist sie wieder auf Metadon umgestellt und hofft, dass sie es jetzt endlich schafft, die Finger von den Drogen zu lassen. Zur Zeit arbeitet sie im Callcenter und 12 Monate vor ihrer Entlassung will sie dann einen Computerkurs belegen um evtl. mit den Kenntnissen einen Job zu bekommen. Räumlich will sie sich verändern, das heißt an einem anderen Ort neu anfangen, am besten hier in der Nähe, denn ihre große Liebe wird leider vor ihr entlassen werden und so ist gewährleistet, dass sie sie regelmäßig besuchen kann. Wenn da nicht die Anstaltsinterne Regelung wäre, dass zwei, die nach dem BTMG (Betäubungsmittelgesetz) verurteilt wurden, sich nicht gegenseitig besuchen dürfen. Sie hofft auf eine Ausnahmeregelung von Seiten der Anstaltsleitung, die weiß, wie lange sie schon zusammen sind und zwei Jahre keine Besuche, das hält Selbst die stärkste Liebe nicht aus. Außerdem ist es diskriminierend zu wissen, dass, wenn sie einen männlichen Partner hätte, der gegen das BTMG verstoßen hätte, dieser sie besuchen dürfte. Dies ist eindeutig eine Ungleichbehandlung gegenüber heterosexuellen Paaren. Vielleicht kommt ja bald der Gesetzesentwurf für die Homosexuellen-Ehe durch, damit sie ihre Partnerin heiraten kann, und somit die Besuchsregelung neu überdacht werden muss.

Ihre Partnerin und Zellengenossin heißt Sabine, sie ist 32 Jahre alt und ist in der 10 Klasse von der Schule abgegangen. Danach hat sie eine Ausbildung als Fachgehilfin im Gastgewerbe begonnen und nach einem halben Jahr abgebrochen. Um nicht ohne einen Abschluss dazustehen, hat sie dann eine Handelschule für Wirtschaft besucht, die sie nach 1 1/2 Jahren wieder ohne Abschluss verließ. Damals war das mit Freunden rumhängen für sie viel wichtiger, als ein schulischer Abschluss. Sie hat danach ein bisschen gejobbt, an ABM-Maßnahmen teilgenommen und ist nun schon seit 1992 arbeitslos. Sie war auf Heroin und ist wegen Erwerb von Drogen und Drogenhandel das erste Mal hier eingeflogen. Sie wurde auf Metadon umgestellt und 1994 wieder entlassen. Nach einem Rückfall draußen, wurde sie wieder wegen des gleichen Deliktes verurteilt und ist erneut auf Metadon eingestellt. Sie macht hier jetzt eine einjährige Ausbildung und hilft zusätzlich bei der Renovierung der Zellen als Malerin. In eines der Zellen würde sie gerne mit ihrer Partnerin einziehen. Für die Zukunft hat sie sich vorgenommen auf jeden Fall auf Metadon zu bleiben und sich nach der Entlassung möglichst in Vechta eine Wohnung zu nehmen, damit sie ihre Partnerin regelmäßig besuchen kann. Sie will versuchen als Malerhelferin einen Job zu finden, damit sie ihren kleinen Traum leben kann. Leider führt nach der Entlassung kein Weg am Arbeitsamt vorbei und es muss hier die Bescheinigung von der JVA abgegeben werden, sonst gibt es keine Arbeitsvermittlung und kein Geld. Dieses Zwangsouting lässt dich gleich wieder in eine bestimmte Schublade fallen und die Chancen in Vechta einen Job zu bekommen, sind gleich Null. Verdammte Wiederholung!

Mittlerweile ist der Anstaltsleiter wieder eingetroffen, um mit mir in den offenen Vollzug zu gehen. Wir verlassen das Gebäude und locken uns aus, denn dieser Bereich des Strafvollzuges ist außerhalb unter gebracht. Auf dem Gelände des offenen Strafvollzuges sucht man eine Mauer vergebens. Sorry, da steht doch eine, die den Friedhof vom Strafvollzug trennt. Ich werde in eines der langen roten Klinkerhäusern geführt, wo Mutter und Kind dran steht. Hier sind 10 bis 11 Mütter mit ihren Kleinkindern bis 3 Jahre untergebracht, die vormittags innerhalb der Anstalt oder außerhalb in externen Betrieben arbeiten. Sie erhalten meist eine tarifliche Bezahlung, von der dann die Kosten für die Unterkunft abgezogen werden. Der Nachmittag steht ihnen zur freien Verfügung für gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern. Es werden auch Betätigungen mit den Kindern außerhalb der Anstalt angeboten, wie schwimmen gehen, oder gemeinsame Spielplatzbesuche. Das Motto lautet: "Die Kinder dürfen nicht für die Taten der Mütter bestraft werden". Im gleichen Haus wohnen noch 4 Seniorinnen, die den Müttern bei der Kinderbetreuung behilflich sind und die Funktion der Oma übernehmen. In den beiden Nachbarhäusern wohnen die Freigängerinnen, die durch die Vollzugs-Lockerungen, wie z. B. feste monatliche Besuchsausgänge, die Möglichkeit zur Teilnahme am Leben außerhalb haben und die gleichzeitig eine Vorbereitungsmaßnahme auf das Leben "draußen" sein sollen. Aber ob es auch eine Freiheit für immer bleibt, ist nach den Lebensläufen der Frauen eine reine Glücksache, denn die Mauern aus Vorurteilen gegenüber straffällig gewordenen Menschen in unserer Gesellschaft, sind leider immer noch sehr hoch.

Der Anstaltsleiter führt mich noch ins Freigelände, um mir den Gartenbaubereich zu zeigen, der demnächst soweit umgebaut wird, dass auch hier ausgebildet werden kann. Auf dem angrenzenden Platz drehen zwei Frauen friedlich ihre Runden, um sich fit zu halten. Ich verabschiede mich von ihm, ohne Angst im Herzen, dass mir diese Frauen draußen jemals gefährlich werden könnten.

Als ich in mein Auto steige, habe ich das Gefühl, als ob ich irgendetwas vergessen hätte zu fragen, ich weiß nur nicht was. Am späten Abend schaue ich noch kurz in die Broschüre vom Niedersächsischen Justizministerium und da finde ich die Antwort auf meine vergessene Frage.

Wie ist es eigentlich im Knast zu sein?

Eine Gefangene aus der JVA für Frauen in Vechta schreibt:

"Was antworte ich auf diese Frage? Wie soll ich versuchen, dieses Gefühl, diesen zustand zu beschreiben? Nicht die erste Zeit de Verzweifelung, der Anflüge von Selbstmitleid, von Angst und Hass, auch auf mich selbst, sondern die Zeit danach, die Zeit der Gewöhnung, das ankämpfen gegen die Resignation, gegen das Abstumpfen.

Ganz oberflächlich fehlt mir ja nichts. Ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe genug zu essen, ja, ich muss sogar aufpassen, dass ich nicht fett werde. Ich habe eine Arbeit, ich gehe zum Arzt, wenn ich krank bin, ich bin nicht allein.

Was also ist daran die Strafe? "Freiheitsentzug" heißt das Wort. Das sind die verschlossenen Türen, die Mauern, der viereckige Himmel. Bewegung nur im Kreis. Warten vor verschlossenen Türen. Das ist nicht nur äußerlich. Die Welt endet an den Mauern. Das Drinnen und das Draußen. Dazwischen Briefe, Telefongespräche, gelegentliche Besuche. Das Denken bewegt sich in diesen Mauern. Hier ist mein Leben. Das muss ich begreifen, akzeptieren, schließlich WOLLEN, wenn ich nicht meine Kraft sinnlos vergeuden will mit dem Anrennen gegen diese Mauern. Die Kraft, die ich brauche, zum Leben, nicht zum Überleben. Die Kraft, die ich brauche, um auch hier zu wachsen, zu lernen, trotzdem. Diese Kraft kann nur von mir selbst kommen, aus mir selbst heraus. Und das ist so schwierig daran. Denn auch und gerade hier gibt es Egoismus, gibt es Eigennutz, gibt es Hass, der sich gegen die Schwächsten richtet, gibt es Verantwortungslosigkeit, versinken im Sumpf der Alltäglichkeit, wie draußen so auch hier. Hier gibt es Demütigung, Gedankenlosigkeit, Ungerechtigkeit, Ausgeliefertsein. Hier drin aber kannst du dich nicht entziehen, hier steckst du mitten drin. Du kannst nicht weglaufen, es gibt keine wirkliche Erleichterung, kein befreiendes Lachen. Um dich herum eine solche Fülle von Leben, von Niederlagen, Sehnsüchten, Ängsten, Verzweifelung. Es kann dich mitreißen, in einen Strudel hineinziehen, der dich zerstören kann. Und mit der Länge der Zeit wächst die Angst vor der Welt da draußen, leben wie unter einer Glasglocke, geschützt und doch schutzlos, wenn sich die Türen öffnen sollten".

Geben wir IHNEN alle eine Chance, damit sie hierhin nie mehr zurückkehren müssen!

Ina-Nora Teetzen