Viele Gaben -- ein Geist

Predigt über 1. Kor 12,4-11 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 31. Mai 2004 (Pfingstmontag)


Kürzlich machte mir jemand eine Art Kompliment. Er sagte: Kein Mensch ist nutzlos -- er kann immer noch als abschreckendes Beispiel dienen.

Ich höre daraus: Jeder Mensch sollte anderen Menschen nutzen, ihnen helfen. Auch der Apostel Paulus sagt das in seinem ersten Brief nach Korinth an die Christengemeinde dort.

Manche Christen in Korinth waren anscheinend sehr stolz auf ihre Fähigkeiten. Paulus sagt ihnen, woher sie ihre Fähigkeiten haben, nämlich von Gott. Und er sagt, wofür sie ihre Gaben und Ämter und Kräfte haben, nämlich zum Nutzen aller. Paulus schreibt im 1. Korintherbrief, Kapitel 12:

4 Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
5 Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
6 Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.
7 In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller;
8 dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist;
9 einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist;
10 einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.
11 Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

-- Paulus führt hier viele gute Fähigkeiten auf. Für die Bedeutung und das Ansehen eines Menschen ist es anscheinend sehr wichtig, was er kann. Auch in Korinth war das so. Paulus widerspricht dem nicht, aber er benennt klar den Geist Gottes als den Ursprung der vielen Gaben, Ämter und Kräfte in der Gemeinde.

Die Christen in Korinth können viel, sind sehr begabt. Paulus nennt ganz verschiedene Gaben. Ich teile sie in drei Gruppen ein:
-- Da sind erst einmal vier Fähigkeiten, die wir uns selber gern zuschreiben: Weisheit, Erkenntnis, Glaube und die Gabe, die Geister zu unterscheiden.
-- Für zwei Gaben habe wir heute Fachleute. Die Gabe, gesund zu machen, erwarten wir vom Arzt. Für prophetische Rede, also anzusagen, was faul ist und was nötig ist, sind geistlich die Pfarrer zuständig und weltlich der Bundespräsident.
-- Aber Paulus nennt auch drei Gaben, die ich noch nicht so richtig erlebt habe: Wunder zu tun und die Zungenrede, also Rede in Trance, und dazu bei anderen die Gabe, solche Rede zu deuten.

Was hat es damit auf sich? Paulus sagt nicht, dass jeder Mensch alle diese Fähigkeiten bekommt. Das wäre auch an unseren täglichen Erfahrungen vorbei gesprochen. Die einen können dies, die anderen das. Die einen können mehr, die anderen weniger. Auch wer behindert oder krank oder verwirrt ist und gar nichts mehr kann, bleibt ein Ebenbild Gottes.

Keiner braucht gar alles zu können. So wie ein Facharzt in der Regel nicht außerhalb seines Faches tätig werden soll, darf jeder von uns die Grenzen seiner Fähigkeiten akzeptieren.

-- Wenn wir von einem Menschen sagen, er sei begabt, dann denken wir allenfalls noch an Gaben. Aber wer denkt schon an den Geber? Paulus nennt hier den Geber, das ist der Geist, der Geist Gottes, der Heilige Geist.

Schon der Prophet Jesaja nennt drei Paar Gaben, die der Geist Gottes dem kommenden Messias schenkt: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. (11,1f)

Paulus wusste, dass für die Zeit des Messias die Ausschüttung des Gottesgeistes angekündigt war. Er erkennt deshalb die vielen Gaben, Kräfte und Ämter in der Gemeinde als Geschenk des Heiligen Geistes.

Darum lobt er in den ersten drei Versen unseres Textes die Dreifaltigkeit. Die Personen stehen hier in umgekehrter Reihenfolge: erst der Heilige Geist, dann der Herr, das ist bei Paulus immer Christus, und zuletzt der Vater. Die drei Verse sind auch ganz gleichartig aufgebaut. Hier sind sie noch einmal:
4 Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
5 Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
6 Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.

Der Schlüssel zum Text steht dann im nächsten Vers:
7 In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.

Also: Ich habe meine Gaben nicht bekommen, um möglichst viel für mich damit zu machen. Es ist gut, wenn ich mich daran freue, und noch besser ist es, wenn ich meine Freude daran habe, meine Gaben für andere einzusetzen. An anderer Stelle sagt Paulus, wie gut eine Gabe sei, hänge davon ab, ob sie zum Aufbau der Gemeinde, der Gemeinschaft beitrage. (z.B. Röm 14,19; 1 Kor 14,26)

Die Gaben und Ämter und Kräfte der Christen dienen also zum Nutzen aller. Und das ist nicht etwa eine moralische Forderung, sondern so geht es für einen und für alle am besten in der Welt. Wer nur etwas für sich tut, für sein eigenes Wohlbefinden und seine Karriere, der tut sich selber etwas Schlechtes an, der verfehlt sein Leben. Man findet diese Überzeugung auch in manchen Psalmen: Den Egoisten geht es vordergründig gut, aber das wichtigste verfehlen sie.

Es ist paradox: Wer uneigennützig handelt, bekommt umgekehrt von der Gemeinschaft den größten Nutzen. Für sich allein kann niemand den Himmel haben. So schön es ist, viele große Erfolge zu erleben, davon allein kann man nicht glücklich werden. Um glücklich zu werden, braucht man andere Menschen. Erfülltes Leben ist Nehmen und Geben, Weitergeben der eigenen Gaben und Empfangen von den Gaben der anderen.

-- Wie sieht es in unserer Gemeinde Holzlar mit den Gnadengaben aus? Es sind viele gute Gaben zu sehen. In den ganz neuen mitteilungen ist nicht nur die Liste der Veranstaltungen wie immer, sondern diesmal, nach der Presbyteriumswahl, auch die Liste aller weiteren Aufgaben mit den Namen der vielen Menschen, die sie erfüllen. Da sehen Sie vor allem die Gaben der ersten Kategorie: Weisheit, Erkenntnis, Glaube und die Gabe, die Geister zu unterscheiden.

Spaltungen gibt es in unserer Gemeinde nicht. Die Gaben, Ämter und Kräfte wirken zusammen zum Wohl der Gemeinschaft. Für die meisten Aufgaben, ehrenamtlich oder bezahlt, finden wir schnell Menschen. Allerdings: Für die Straßensammlung der Diakonie jedes Jahr im Juni fehlen uns seit Jahren viele Freiwillige. Vielleicht schlummert da bei einigen von Ihnen noch eine Begabung? Das Sammeln stärkt die Gemeinschaft und hilft mittelbar Menschen in Not.

Die Nachbarschaftshilfe ist in unserer Holzlarer Gemeinde besser als in manchen anderen Gemeinden, von denen ich höre. Unter Christen sollte sie selbstverständlich vorbildlich sein.

-- Wie ich eingangs sagte: Kein Mensch ist nutzlos. Aber der Grund ist ein anderer: Wir können am anderen Menschen und mit ihm üben, die Gaben zu entdecken, die er bekommen hat, und wir können den einen Geist hinter den Gaben erkennen. Wir können in den Schwächen und Fehlern der anderen unsere eigenen Schwächen und Fehler gespiegelt sehen und besser verstehen. In solchem Umgang mit Fähigkeiten und Schwächen zeigt sich der Geist, dessen Kommen wir an Pfingsten feiern.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten