Das Wasser des Lebens

Predigt über Offb 22,12-17
in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar und in der Christuskirche Hangelar
am 5. September 2004 (13. Sonntag nach Trinitatis)
in der Predigtreihe Das Wasser


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

So steht es am Anfang der Offenbarung des Johannes, und so hören wir es als Kanzelgruß am Beginn einer Predigt. So begrüßt Johannes die sieben Gemeinden in Kleinasien / und alle christlichen Leser / und auch die Hörer im Gottesdienst, wenn sein Rundbrief vorgelesen wurde.

Johannes sagt den Christen den Beistand Jesu zu. Er will die bedrängten Gemeinden stärken und trösten. Er versichert ihnen: Jesus kommt jetzt schon in die Gemeinden und nicht erst in ferner Zukunft. Johannes betont dabei: An Jesus entscheidet sich alles, es kommt darauf an, ganz zu ihm zu stehen.

Ich lese aus der Offenbarung des Johannes, aus dem letzten Kapitel, ganz am Ende der Bibel. Hier spricht Jesus folgende Worte:

12 Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, einem jeden zu geben, wie seine Werke sind.

13 Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.

14 Selig sind, die ihre Kleider waschen, daß sie teilhaben an dem Baum des Lebens und zu den Toren hineingehen in die Stadt.

15 Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Unzüchtigen und die Mörder und die Götzendiener und alle, die die Lüge lieben und tun.

16 Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch dies zu bezeugen für die Gemeinden. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern.

Es folgt bei Johannes eine Antwort der hörenden Gemeinde, hier als Braut bezeichnet, und des prophetischen Geistes, der die Gemeinde erfüllt:

17 Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.

Wegen dieser Aufforderung, das Wasser des Lebens zu nehmen, kam der Text in unsere sommerliche Predigtreihe mit dem Thema „Das Wasser". Die Gemeinde ruft Jesus zu sich und lädt immer wieder Menschen ein, die nach Leben dürsten.

Wir sollen das Wasser des Lebens umsonst nehmen, es ist für uns da. Die frühen Christen haben die erfrischende, belebende Wirkung der Botschaft im eigenen Leben erfahren, wie frisches Wasser, wenn man Durst hat, aber auch wie das Wasser der Taufe, in das sie getaucht worden waren. Die Bibel ist voller Zeugnisse von Menschen, die von diesem frischen Wasser begeistert waren und andere Menschen in ihre Freude hineinnehmen wollten.

Heute erscheint das Evangelium vielen als abgestandenes Wasser. Viele erwarten davon nichts. Da nutzt es gar nichts, daß auch wir Prediger im Gottesdienst das Wasser des Lebens umsonst anbieten.

Wie kommt das? Allzu oft bieten wir Wasser des Lebens, und in trockenen armen Ländern fehlt es an Trinkwasser. Wir reden von der Überwindung des Todes durch Christus, aber die Hospizplätze für menschenwürdiges Sterben sind knapp. Unsere Sprache klingt oft überhöht und fremd, und vielleicht hören viele nicht mehr darauf, weil sie das christliche Tun vermissen.

Andere haben keinen Durst, sind mit sich und der Welt zufrieden. Sie gleichen dem reichen Kornbauern, der sich begnügen wollte mit seinem Wohlstand. Er hatte keine Fragen, war zufrieden, war fertig. Such mit den Fertigen ein Ziel.

Rainer Maria Rilke in seinen Briefen an einen jungen Dichter betont, wie viel wichtiger die Fragen sind als die Antworten. Die besten Antworten nützen nichts, wenn der andere seine Frage noch nicht weiß, seinen Mangel noch nicht bemerkt hat, oder im Bilde des Sehers Johannes: seinen Mangel an Wasser noch nicht als Durst spürt.

Wen dürstet, der komme. Viele Menschen nehmen zuwenig Flüssigkeit auf, weil sie zuwenig Durst haben. Mit dem innerlichen Leben, dem geistlichen Leben, kann das ähnlich sein. Es kommt darauf an, zu bemerken, wo uns etwas fehlt, also den Durst zu spüren und zu beachten.

Mit dramatischen Worten versucht der Seher Johannes, den Gemeinden in Kleinasien anschaulich zu machen, wie wichtig Jesus für sie ist.

Manche seiner sprachlichen Bilder sind uns inzwischen geläufig. Jesus ist für ihn, wie er sagt, das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Das A und das O, den Anfang und das Ende des griechischen Alphabets, haben wir auf der Osterkerze hier im Kirchraum. Den Nachkommen Davids und den hellen Morgenstern als Zeichen für den Messias besingen wir in manchen Liedern, besonders im Advent.

Aber wir brauchen gar nicht alle Bilder zu verstehen, schon gar nicht die ganze Bibel. Es genügt, wenn wir das tun, was wir von Jesus und vom Evangelium verstanden haben. Nur einen Vers will ich noch erwähnen, weil er im heutigen Predigttext vorkommt und vom Wasser handelt: Selig sind, die ihre Kleider waschen. Das heißt, selig sind, die gerecht handeln, also dem anderen gerecht werden und barmherzig sind.

Damals, als der Seher Johannes predigte, war die große Gefahr für die Gemeinden der Druck der Umwelt, den römischen Kaiser anzubeten. Wer das tat, war angesehen, blieb unbehelligt und hatte ein angenehmes Leben. Johannes aber wollte die Gemeinden stärken, damit sie bei Christus blieben.

Heute sehe ich statt so einer großen Gefahr viele kleine und mittelgroße Verführungen. Das sind auch Götter im Sinne Luthers, der sagte: Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.

Mir fallen sofort ganz viele Götter ein, die heute verehrt werden. Sie sind aber nicht neu. Sie werden schon in der Bibel enttarnt. Nennen will ich nur einige. Besonders mächtige Götter heißen Geld und Macht, Ansehen und Anerkennung, Mode und was "man" gerade haben muß, Bequemlichkeit und Wohlbefinden, Unterhaltung und Zerstreuung. Wir amüsieren uns zu Tode, meinte Neil Postman angesichts des Fernsehkonsums. Statt das Wasser des Lebens zu suchen, fischen wir oft im trüben.

Geld, Anerkennung durch andere und angenehmes Leben sind zweitwichtige Dinge. Die große Gefahr ist, sich mit der Erfüllung vorletzter Wünsche zufrieden zu geben und dafür den Sinn unseres Daseins zu versäumen.

Was meint Johannes nun mit dem Wasser des Lebens? Er sagt: Es ist Jesus Christus selbst.

Dies ist also eine der vielen -- und vielerlei -- Bibelstellen mit der Aussage "Christus ist das Wichtigste für unser Leben". Aufkleber wie "Auch du brauchst Jesus" erzeugen aber nur ein müdes Lächeln. Das Wasser sieht für viele Menschen heute nur abgestanden aus. Um Ihnen hier im Gottesdienst Geschmack am Wasser des Lebens zu machen, erinnere ich an drei Gruppen biblischer Aussagen.

Am einfachsten zu verstehen sind die Anleitungen zum Tun: Sich nicht um sich selber sorgen, nicht allen Zwängen der Umgebung nachgeben, sondern frei sein für die Begegnung mit anderen und mit dem Unerwarteten, auch mit Gott. Das weniger Wichtige beiseite lassen, dafür lieber den Schatz im Acker und die kostbarste Perle der Welt suchen. Die Not des Nächsten sehen und Leben fördern. Frieden stiften.

Davon steht nichts im Predigttext? Doch, selig sind, die ihre Kleider waschen, das heißt, selig sind jetzt schon alle, die gerecht und barmherzig handeln.

Zweitens: Nicht an den eigenen Fehlern verzweifeln, sondern der Zusage trauen: Gott vergibt uns. Luther sagt: So viel Vergebung, wie du glaubst, so viel Vergebung hast du. Wir sind befreit, wenn wir es nur wollen. Diese Vergebung der Schuld annehmen und, vom Wasser des Lebens gestärkt, mutig neu anfangen. Aus dieser Erfahrung von eigener Schuld und Gottes Vergebung heraus können wir auch anderen vergeben, statt auch noch ihre kleinsten Schwächen zu kommentieren.

Zum Schluß nenne ich eine dritte erfrischende Wirkung des Wassers des Lebens. Das ist die Zuversicht auf das, was bleibt und über den Tod hinaus Bestand hat. Petrus hat das erlebt, als er zu Jesus sagte: "Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens."

Mit gleicher Überzeugung und im Widerstand gegen die nationalsozialistische Bedrängnis schrieben evangelische Kirchenführer in die Barmer Theologische Erklärung: "Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt ist, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben." Der Seher Johannes sagt dasselbe mit anderen Worten.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten