Die Ankunft am Sinai, Worte an Mose

Predigt über 2. Mose 19,1-8
in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 31. Juli 2005, 10. Sonntag nach Trinitatis


Der Predigttext für heute steht im 2. Buch Mose, dem Buch Exodus. Dieses Buch hat zwei Hauptthemen, die Herausführung der Israeliten aus Ägypten und den Bundesschluß am Sinai. Beide gehören zu den wichtigsten Themen aller fünf Bücher Mose. So kurz der Text für heute auch ist, er spricht doch beide Themen an.

Das 2. Buch Mose berichtet zuerst von der Bedrückung der Israeliten in Ägypten. Die Israeliten, das sind die Nachkommen des Patriarchen Jakob mit dem Beinamen Israel, also das Volk Israel, die Juden.

Dann wird Mose geboren und aus dem Körbchen im Schilf gerettet. Ihm erscheint Gott im brennenden Dornbusch und nennt seinen Namen: Ich werde dasein, als der ich dasein werde, anders übersetzt,  Der "Ich bin da" für euch.

Ein neuer Pharao meint, die Israeliten seien zu viele geworden und zu stark. Er bedrückt sie mit schwerer Arbeit, will sie nicht ziehen lassen. Deshalb verhängt Gott die zehn großen Plagen über Ägypten. Erst nach der zehnten Plage ruft der Pharao Mose und Aaron zu sich und schickt sie und alle Israeliten aus dem Lande. Nach dem Zug durch das Rote Meer, nach der Speisung mit Manna und Wachteln und nach einem Sieg im Kampf gegen das Heer unter König Amalek setzt unser Text ein.

Wo im Urtext der Eigenname Gottes steht, schreibt Luther in der Übersetzung "der HERR". Ich lese aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 19, ab Vers 1 (bis 8).

Am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. Denn sie waren ausgezogen von Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.

Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

Mose kam und berief die Ältesten des Volks und legte ihnen alle diese Worte vor, die ihm der HERR geboten hatte. Und alles Volk antwortete einmütig und sprach: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun. Und Mose sagte die Worte des Volks dem HERRN wieder.

Hier wird berichtet: Der Gott Israels hat in früherer Zeit zu Mose gesprochen, ihm Aufträge gegeben für die Israeliten. Der Gott Israels wirbt um die Israeliten, er liebt sie und befreit sie und beschützt sie, er wünscht ihren Gehorsam, ist ihnen treu.

Als Leser heute stelle ich fest: Wir sind keine Israeliten, wir verstehen uns nicht als Nachkommen des nahöstlichen Patriarchen Jakob. Die Worte aus alter Zeit, aus dem Nahen Osten, um historisch kaum noch festmachbare Gestalten wie Jakob und Mose, und dagegen unsere Lage heute hier, das sind die beiden Enden, zwischen denen ich die Verbindung herstellen soll. Das gilt zwar für jede Predigt über eine Bibelstelle. Aber hier ist besonders dringend zu fragen: Was kann der alte Text des jüdischen Volkes uns heute sagen, was kann er uns bedeuten?

Die Verbindung von den alten Texten zu uns ist der Jude Jesus. Wer Jesus verstehen will und sein Wort, muß diese Schriften beachten und achten, die schon er achtete.

Ich will nun wichtige Stücke im heutigen Predigttext betrachten.

-- Gott spricht zu Mose. Er gibt sich dem Menschen Mose zu erkennen, redet ihn an, er sagt ihm, was er den Israeliten weitersagen soll.

Das klingt anschaulich, als wären damals wirklich Schallwellen geflogen von Mund zu Ohr, Worte in althebräischer Sprache. Aber die Gestalt des Mose ist historisch kaum zu verankern, die Berichte über ihn haben eher Züge einer Legende. Mehr noch: So wörtliche Rede Gottes steht nur in alten Texten, aber aus jüngerer Zeit ist kein solcher Vorgang gesichert. Was sollen wir davon halten?

Die Menschen, die uns diese Texte über die Jahrtausende hinweg überliefert haben, waren nicht etwa allesamt leichtgläubig oder nicht kritisch genug. Sie waren fähig zum Erzählen und hatten ein besseres Verständnis für den Sinn von Erzählungen als viele von uns. Wir heute haben den Kopf voll mit Handlungswissen, mit instrumentellem Wissen. Gescheite Menschen damals konnten mit Erzählungen Wahrheiten ausdrücken, die wir mit unserer begrifflichen Sprache gar nicht mehr erfassen können, Wahrheiten, die kaum noch in unseren Kopf hineingehen und noch schwerer in unser Herz. Ihre Erzählungen klingen für uns oft wie Tatsachenberichte, aber die Trennung von Nachricht, Meinung und Deutung war noch nicht geläufig.

Gott spricht zu Mose. Aufmerksame Menschen können sehr genau wahrnehmen, was hilft und was befreit und was gut ist. Mystiker wie Meister Eckhard im Mittelalter oder Willigis Jäger heute versuchen, uns ihre Erfahrungen mit Gott mit ihren Worten verständlich zu machen. Die Verfasser der Mose-Bücher haben die erzählerischen Mittel benutzt, die man damals verstand. Sie haben fürs Weitersagen die damals üblichen Attribute für göttliche Erscheinungen gewählt. So haben sie gekennzeichnet, was ihnen wichtig war, wichtiger als alles andere in der Welt.

-- Gott sagt Mose, was er den Israeliten weitersagen soll. Er beginnt: Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.  Hier erscheint Gott als Anführer und Beschützer seines Volkes.

Die Befreiung aus der Sklaverei wird auch am Anfang der Zehn Gebote genannt, in der Selbstvorstellung Gottes: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Martin Luther hat die Befreiung aus dem ersten Gebot weggelassen: Ich bin der HERR, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Luther meinte zumindest zeitweise, die Befreiung der alten Israeliten ginge uns nichts mehr an. Inzwischen haben christliche Theologen genauer herausgearbeitet, welche Bedeutung die fünf Bücher Mose für uns Christen haben, die Taten Gottes für das Volk Israel.

Befreiung ist ein wichtiges Thema im Alten wie im Neuen Testament. Wir sind befreit vom Dienst an den Götzen: Reichtum, Macht, Ansehen bei den Menschen, von der Fixierung auf die Sorge um uns selbst.

Gott sagt, er habe sein Volk auf Adlerflügeln getragen: Hier möchte ich eine Gleichniserzählung wiedergeben, die bei Martin Buber steht.

In seinem geschichtlichen Verhältnis zu Israel ist JHWH mit einem Adler zu vergleichen. Der Adler schwebt über seinem Nest hin und her, um seine Jungen das Fliegen zu lehren. Die Jungen des Adlers sind die Völker, denen JHWH ihre Gebiete zugeteilt und deren Grenzen er festgesetzt hat. Der Adler breitet seine Flügel über alle seine Jungen aus. Eines von ihnen, ein schüchternes oder ermattetes, nimmt er auf und trägt es auf seinen Schwingen, bis dieses selber den Flug wagen und dem Vater folgen kann. Dieses schwache Junge ist das Volk Israel. --

Die Befreiung aus der Sklaverei und die Starthilfe auf Adlerflügeln, beides macht Mut, verspricht aber keinen Schutz vor allem und jedem Leid. Viele Juden haben schwer gelitten, schon vor der Hiob-Erzählung und auch nach dem Dritten Reich. Wir Christen haben keinen Anspruch darauf, daß es uns besser ergehe als dem auserwählten Volk oder besser als unserem Herrn Jesus Christus. Und doch vertrauen wir darauf, bei Gott geborgen zu sein, über den Tod hinaus. Dies Wort von Gott an Mose will uns darin bestärken.

-- Weiter spricht Gott in unserem Predigttext: Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.

Das klingt wie eine Bedingung: Nur wenn ihr meinen Bund haltet, also die Gebote, seid ihr mein Volk. Aber vorher war die Befreiung aus der Sklaverei, vorher war die Erwählung. Diese Reihenfolge geht durch die ganze Bibel: Erst bekommen wir viel geschenkt, dann wird etwas von uns gefordert. Und die Gebote, die wie Forderungen klingen, sind Weisung für gelingendes Leben, nicht Vorbedingung oder geforderte Gegenleistung.

Die Juden sind auserwähltes Volk Gottes dadurch, daß Gott ihnen den Bund gewährt hat. Die Nachkommen Jakobs waren eines der kleineren Völker damals, lebten zwischen großen und militärisch mächtigen Völkern, hatten Mühe, sich zu behaupten. Die Erwählung war nie Grund zu Überheblichkeit, war immer Verpflichtung gegenüber Gott und gegenüber den anderen Völkern. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein, dieser Satz ist Zusage, Zuspruch und Verheißung:

-- Weiter spricht Gott in unserem Text: Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Ihr sollt ein Königreich sein, das heißt: Ihr sollt einen eigenen Staat haben wie die Völker um euch herum. Im 20. Jahrhundert haben die Juden sich wieder einen eigenen Staat erkämpft.

Ihr sollt Priester und ein heiliges Volk sein: Ihr sollt, wie die Priester, ein enges Verhältnis zu Gott haben, ihr sollt seinen Namen kennen, direkt zu ihm sprechen und auf ihn hören. Und das Volk Israel soll für alle Welt den Gottes-Dienst tun, die Verbindung zu Gott fördern.

Jesus sagte zu seinen Schülern, sie sollten Gott mit "Papa" anreden. Damit hat auch er das enge Verhältnis des Gottesvolkes zu Gott betont. Die Anrede "Vater unser" hat mit diesem Satz zu tun, den Gott zu Mose spricht: Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.  Das Vaterunser ist ein ganz und gar jüdisches Gebet.

-- Auf diese Worte Gottes antwortet das Volk Israel durch Mose: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun. Die Hebräische Bibel berichtet danach immer wieder, wie ein König oder das Volk davon abfiel und Gott sie dann strafte. Ich verstehe das so: Die Weisung im Alten und im Neuen Testament verhilft zu gelingendem Leben, zum Leben in Fülle, hilft uns zu dem, was über den Tod hinaus gilt, und ein Abweichen davon hat Folgen in sich selbst, braucht nicht einmal eine Strafaktion Gottes.

-- Unser christlicher Glaube ist ganz und gar im Judentum verwurzelt. Wir vertrauen auf Jesus Christus, den Auferstandenen, und Jesus war Jude und lebte ganz und gar in und mit dem jüdischen Volke und dem jüdischen Glauben. Jesus Christus will uns in das Heil mit hineinnehmen, das Gott seinem Volk versprochen hat. Lassen Sie uns auf ihn hören, ihm vertrauen und ihm nachfolgen.


Eberhard Wegner / mehr in http://www.israelsonntag.de / Dank; weitere Predigten