Der Sündenfall

Predigt in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 21. Februar 1999, Invokavit (1. Mose 3, 1-24)


1) Der Predigttext für heute ist eine Erzählung aus dem ersten Buch Mose. Sie ist so bekannt wie ein Stück Volksgut. Deshalb hat sich allerlei um sie herumgerankt, was gar nicht darin steht und auch nicht alles dazu gehört. Ich fasse die Geschichte in fünf Sätze zusammen und benutze dabei fünf Hauptwörter, die wir im Zusammenhang mit dieser Erzählung gewohnt sind, die aber gar nicht in die Erzählung gehören. Ob Ihnen diese fünf Wörter auffallen? Damit Sie es ganz leicht haben am Sonntagmorgen, steckt in jedem Satz genau eins der Wörter.

Adam und Eva leben noch im Paradies. Der Teufel erscheint Eva in Gestalt einer Schlange. Er verführt Eva, einen verbotenen Apfel zu essen, und Eva gibt Adam auch davon. Wegen dieser Sünde vertreibt Gott Adam und Eva aus dem Garten Eden und legt ihnen und allen ihren Nachkommen Schmerzen und Mühsal auf bis heute. Das war die Erbsünde.

Ich will das kleine Rätsel sofort auflösen. Die fünf Wörter sind Paradies, Teufel, Apfel, Sünde und gar Erbsünde. Drei davon sind ganz harmlos. Paradies ist eine spätere Benennung für den Garten Eden. Von einem Apfel ist nicht die Rede. Sünde ist eine gültige Benennung für den Ungehorsam gegen Gott, auch wenn das Wort nicht vorkommt.

Etwas irreführend ist das Wort Erbsünde. Seit Entdeckung der Vererbungslehre heißt das wieder Ursprungssünde oder Ursünde, wie schon vor der Reformation.

Ganz, ganz falsch ist nur die Verknüpfung der Schlange mit dem Teufel. Gewiss war die Schlange schon zur Zeit des Erzählers, vielleicht 950 Jahre vor Christus, den Menschen nicht geheuer, und sie forderte viel mehr Todesopfer als heute. Die Rolle des Teufels bekommt sie jedoch erst im Neuen Testament. In der Erzählung hier hat sie nur eine listige Nebenrolle.

2) Ich spreche hier von einer Erzählung. In den Vereinigten Staaten von Amerika ziehen immer wieder Christen vor Gericht, damit die Lehrer in den Schulen des Landes die unmittelbare Schöpfung eines einzigen Menschenpaares durch Gott gleichberechtigt mit der Entstehung der Arten nach Charles Darwin lehren müssen. Wenn ich in diesem alten Streit Partei ergreife, muss ich das ein wenig begründen.

Im Alten Testament sind Texte ganz verschieder Art versammelt, genau wie im Neuen Testament. Manche davon sind in strengen, ausgefeilten Worten geschrieben wie der erste Schöpfungsbericht mit der Schöpfung des Menschen nach allen anderen Lebewesen. Andere Texte sind humorvoll und tiefgründig und lehrreich erzählt wie der zweite Schöpfungsbericht mit der Erschaffung des Menschen vor allen anderen Lebewesen und die Fortsetzung über den Sündenfall und Noah bis zum Turmbau zu Babel. Da muss man unterscheiden.

Wer einen erzählenden Text als Folge einmaliger historischer Ereignisse liest, dem entgeht viel. Wer dann auch noch von sich oder anderen verlangt, das als buchstäblich wahr zu glauben, der verlangt wohl etwas Nutzloses. Ich wüßte gar nicht, was so ein Für-wahr-Halten von längst Vergangenem zu meinem Vertrauen auf Gott beitragen könnte. Diese Texte sind viel tiefer und aussagekräftiger und hilfreicher als bloße Tatsachenberichte.

3) Ich lese aus dem 1. Buch Mose das dritte Kapitel, die Geschichte vom ersten Ungehorsam. Versuchen wir einmal, die Erzählung ganz neu zu hören.

"Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HErr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?
Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!
Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: An dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
-- Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß.
Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
Und sie hörten Gott den HErrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HErrn unter den Bäumen im Garten.
Und Gott der HErr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
Und er [Adam] sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt; darum versteckte ich mich.
Und er [Gott] sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.
Da sprach Gott der HErr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so dass ich aß.
-- Da sprach Gott der HErr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen: Der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihm in die Ferse stechen.
-- Und zum Weibe sprache er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.
-- Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen --, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.
-- Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.
Und Gott der HErr machte Adam und seinem Weib Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.
Und Gott der HErr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und ese und lebe ewiglich!
Da wies ihn Gott der HErr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens."

4) Die Schlange war listiger als alle Tiere. Sie ist hier trotzdem nur ein Tier. Sie gibt uns ein Lehrstück in der Redekunst, das uns helfen kann, solche Tricks zu erkennen, statt darauf hereinzufallen.

Die Schlange will Eva verführen. Sie schafft das, ohne etwas vorzuschlagen, und erst recht, ohne zu einer Tat aufzufordern. Sie nennt nicht einmal den Baum der Erkenntnis, auf den sie zielt; sie überlässt es der Frau, die Rede auf ihn zu bringen.

Die Schlange unterstellt Gott etwas, was er gar nicht gesagt hat: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen. Sie überzieht wohl mit Absicht. Auch wenn Eva sofort widerspricht -- sie widerspricht dem Gedanken, Gott könnte unnötig etwas verboten haben. Aber damit ist dieser Gedanke schon in ihrem Kopf. Und wenn Gott unnötig etwas verboten hat, dann muss man ja nicht gehorchen!

5) Die Schlange liefert aber mehr als Redekunst, sie weiß auch etwas, was Eva nicht weiß. Sie widerspricht Gott: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben. Das heißt mit anderen Worten: Was Gott dir da gesagt hat, stimmt gar nicht.

Jetzt ist Eva gefragt, wem sie mehr vertraut, Gott oder der Schlange. Sie wissen ja, wie es weitergeht. Eva vertraut der redegewandten Schlange.

Seltsamerweise behält die Schlange nachher Recht, sie straft Gottes Wort Lügen! Und so etwas steht in der Bibel! Das ist stark. Wie kann das sein? Sicher ist es kein Versehen, kein Abschreibefehler.
Eine mögliche Deutung liegt nahe: Gott will dem Menschen wohl. Er tut den Menschen lieber Gutes, als sie zu strafen. Es kommt ja noch öfter vor im Alten Testament, dass Gott Strafe androht und nachher Gnade vor Recht ergehen lässt. Gnade, das heißt Wohltat.

6) Die Schlange sagt weiter: sondern Gott weiß: An dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Das mit dem gut und böse stimmt mit Gottes Rede überein, aber die Lüge kommt nie als reine Lüge, sondern hat immer ein paar Wahrheiten dabei, damit sie glaubhaft wirkt. Dies noch zur Verführungskunst der Schlange. Damit endet die Rede der Schlange.

7) Jetzt denkt Eva für sich allein: Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und ... verlockend, weil er klug machte. Wer wäre nicht gern klug? Hat Gott uns nicht mit unserem Wissensdrang geschaffen? War das so völlig abwegig, was Eva und Adam da taten? Natürlich nicht; sonst wäre ja die Geschichte unglaubwürdig.

Die Wissbegier gehört zum Wesen des Menschen, auch das will unser Text bestätigen. Solche Rebellion gehört mit zur Schöpfung wie die menschliche Freiheit. Diese Erzählung ist weit davon entfernt, Evas und Adams Tat nur zu verurteilen. Gott selbst schenkt Adam und Eva Kleider und verheißt ihnen, dass ihr Nachkomme der Schlange den Kopf zertreten wird. Schon in der Urgeschichte mildert Gott seine Strafen jedesmal ab.

8) Ganz breit dargestellt wird die Not des menschlichen Lebens, und sie wird mit dem Ungehorsam begründet. Der Mensch will für alles einen Grund wissen. Das ist überhaupt ein Motiv hinter der biblischen Urgeschichte: Erzählen, woher manches Erstaunliche auf der Welt kommen könnte, wie es vielleicht zu verstehen ist, wie es hätte gewesen sein können.

Der Verfasser fragt, woher der Bruch im Leben des Menschen kommt. Unsere Existenz ist unbefriedigend. Wir sind auf Freude aus und erfahren doch Unheil oder richten gar welches an, werden schuldig und leiden darunter. Wir haben eine Vorstellung, wie wir sein sollten und auch sein möchten, und bleiben weit dahinter zurück. Wir arbeiten über unsere Kraft hinaus, und was wir schaffen, geht unter unseren Händen kaputt. Manchmal haben auch wir Grund zu denken, es sei alles eitel und Haschen nach Wind.

Und immer wieder merken wir: Wir werden schuldig trotz allen guten Willens. Ich zitiere: "Es geht nicht hauptsächlich darum, dass der Mensch gesündigt hat und nun verdorben ist, er sündigt und wird verdorben. Die Sünde Adams und Evas ist näher, als wir denken: [sie ist] in uns selbst." (Holl.Kat. 297)

9) Das zentrale Ereignis in der Erzählung ist der Ungehorsam gegen Gott. Zwischen damals und heute ist aber ein riesiger Unterschied. In der Erzählung wandelt Gott auf Erden und sagt Adam von Angesicht zu Angesicht, was er erlaubt und was er verbietet. Und schon da ist der Mensch ungehorsam. Heute erleben wir das andere Extrem, Gott ist nicht zu finden. Man hat es schon als die Hauptfrage unserer Gegenwart bezeichnet: Wo ist Gott?

Wir erfahren Gottes Willen vor allem indirekt, aus der Schrift und in ihrer Auslegung durch unsere Mitmenschen, und beide Quellen müssen wir eigenverantwortlich prüfen. Unser Beziehung zu Gott ist nicht so direkt und unbefangen wie in der Erzählung. Wenn Sünde dasselbe ist wie gestörte Beziehung zu Gott, dann sind wir alle Sünder. Das ist es ja, was uns die Erzählung von der Ursünde begründen will.

10) So viel zu dieser Erzählung selbst. Sie steht im Alten Testament völlig isoliert. Kein anderer Text des Alten Testaments nimmt irgendeinen Bezug darauf, keins der Geschichtsbücher, kein Prophet und keine der poetischen Schriften. Im Neuen Testament wird sie nur an einer Stelle herangezogen, bei Paulus in Römer 5, und das auch nur für einen Vergleich, als literarische Form, nicht als Botschaft.

Für Jesus und für die Verfasser des Neuen Testaments war diese Erzählung sicher keine Kernaussage, die sie berücksichtigen mussten und die man irgendwie für wahr halten musste. Wir dürfen die Erzählung vom Sündenfall als lehrreiche Dichtung lesen.

11) Zum Schluss die Frage: Was ist christlich an der Erzählung vom Sündenfall? Warum hat unsere Kirche diesen Text als Predigttext an den Anfang der Passionszeit gesetzt?

Einen Hinweis gibt uns das Evangelium, das wir gehört haben, die Versuchung Jesu. Um den Gehorsam und die Versuchung zum Ungehorsam geht es auch im Predigttext. Jesus wurde vor Beginn seines Wirkens versucht. Die Versuchung steht am Anfang des Leidens. Der Ungehorsam der Menschen gegen Gott war der Grund für Jesu Passion.

Die weitere Geschichte des Volkes Gottes im Alten und im Neuen Testament zeigt uns, dass die Wohltaten des Schöpfers größer sind als die Untaten der Menschen.

Ich lese als Schlusswort anderthalb Verse aus dem erwähnten Stück in Römer 5 über Adam und Christus. Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben. (...) Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger geworden.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

(Literatur: Gerhard von Rad, Genesis, NTD, Göttingen 1964. LThK "Paradies")


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten