Das Bekenntnis des Petrus und die Verheißung an ihn

Predigt über Matthäus 16,13-19 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 9. Juni 2003, Pfingstmontag


Der Predigttext für heute steht bei Matthäus im 16. Kapitel ab Vers 13 (bis 19). Ich nenne Ihnen vorweg zwei Worte Jesu an Simon Petrus, die uns nur durch Matthäus überliefert sind. Beide Aussagen zeichnen den Apostel Petrus aus, heben ihn hervor. Der Apostel hieß ursprünglich Simon. Er hatte schon vor diesem Wort Jesu den Beinamen Petrus, das heißt Felsen oder eher Stein.

Jesus sagt zu Simon: Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich meine Gemeinde bauen.

Und weiter: Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Bei dieser Bibelstelle denkt - hier in Deutschland - wohl jeder Christ sofort an die römisch-katholische Kirche. Denn für sie sind diese zwei Worte an Petrus die Begründung für das Papstamt und für die Machtfülle dieses Amtes, nämlich kirchliche Gesetzgebung, Durchsetzung und Rechtsprechung in einem.

Jede Konfession muss wissen, worauf sie sich und ihre Besonderheit gründet und worin sie sich von anderen Konfessionen unterscheidet. Deshalb muss ich auf diesen Aspekt des Textes heute eingehen. Aber das Konfessionelle ist nur ein Aspekt des Glaubens. Ich will danach das Gemeinsame betonen.

Ich lese aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 16.

Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, daß der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, daß ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Wenn man dieses Stück aus dem Matthäus-Evangelium wörtlich nimmt, dann kann man in der Tat einen Vorrang des Petrus daraus ableiten. Auch bei den Berichten von der Berufung der Jünger in allen vier Evangelien wird Petrus als erster berufen. Er ging als erster ins Grab Jesu. Petrus hat offensichtlich eine herausragende Stellung in den vier Evangelien. Aber ganz überzeugend finde ich die Begründung für sein besonderes Amt nicht im Neuen Testament. Ich nenne drei Beispiele.

(1) Hier in Matthäus 16 bekommt nur Petrus die Vollmacht zum Binden und Lösen. Aber Matthäus selbst berichtet zwei Kapitel später, Jesus habe allen seinen Jüngern dieselbe Vollmacht gegeben, und anscheinend nicht nur den Zwölf. Demnach bekam Petrus nur als erster das, was alle anderen, die Christus bekennen, auch bekamen und bekommen.

(2) Die Sache mit dem Felsen ist sprachlich nicht schlüssig: Das Wort für den Beinamen des Petrus bezeichnet im Urtext niemals einen Felsen, sondern einen runden Stein, den man in der Hand halten kann, auch einen Edelstein, aber keinen Baugrund. Das Bild vom Felsen als Fundament ist also selbst nicht gut fundiert.

(3) Paulus, der seine Briefe lange vor Matthäus schrieb, kennt keinen Vorrang des Petrus. Im Gegenteil: Er nennt Petrus erst nach Jakobus und berichtet, wie sich Petrus gegenüber Jakobus verstellt, wie vor einem Vorgesetzten.

Es ist noch mehr unsicher am Petrusamt. Was auf dem Gestein gebaut werden soll, heißt im biblischen Urtext "ekklesia". Das Wort bezeichnet zunächst eine Versammlung, die einen Anfang und ein Ende hat. Es wird im Neuen Testament auch für die Gemeinde benutzt, die sich an einem Ort versammelt. Aber nichts spricht dafür, dass dieses Wort für eine organisierte Weltkirche gelten sollte.

So richtig hieb- und stichfest wie eine präzise ausgearbeitete Stiftungsurkunde sind die Bibelstellen nicht. Wie Jesus selbst erzählen die Evangelisten hier eher, um zum Glauben zu führen.

Dieser vorgeschlagene Matthäus-Text hat mich veranlasst, Kritisches über die römische Kirche zu sagen. Dazu muss ich der Gerechtigkeit halber sagen: Auch wir Evangelischen sind in unserer Tradition verfangen. Auch die Reformatoren haben sich ihre liebsten Schriftstellen herausgesucht, und sie haben von diesen Schriftstellen her das Neue Testament ausgelegt. Ich nenne vor allem die Rechtfertigung allein aus Glauben, ohne des Gesetzes Werke. Das führte dazu, dass Luther den Jakobusbrief tüchtig geschmäht hat. Er hat in seiner Ausgabe des Neuen Testaments ganz weit nach hinten gestellt, wo er - nur in den Lutherbibeln - heute noch steht.

Lange vor der Reformation, schon im Neuen Testament nämlich, haben ganz verschiedene Theologen ganz verschiedene Theologien entwickelt. Zum Glück gibt es etwas Gemeinsames in allen Schriften des Neuen Testaments, und dieses Gemeinsame ist allen Verfassern das Wichtigste. Alle wollen Jesus aus Nazareth als den Retter verkündigen und preisen.

Das wird auch in unserem Text heute sehr deutlich, und zwar im ersten Teil. Bisher habe ich nur über die Zusagen Jesu an Petrus gesprochen. Davor steht, ganz dramatisch, das große Bekenntnis des Petrus zu Jesus: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

Matthäus führt uns auf diesen Höhepunkt zu. Erst macht Jesus eine Art Meinungsumfrage: Wer sagen die Leute, daß der Menschensohn sei? Die Leute halten ihn für einen wiedergekehrten Gottesmann oder sonst einen Propheten. Da Jesus mit Vollmacht redet und heilt, liegt solche Antwort nahe.

Jesu Frage regt an zu der Überlegung, wer Jesus für "die Leute" heute ist. Da mag das Urteil kommen "Ein Spinner, der Unmögliches verlangte und versprach", und ich kann mir noch schlimmere Urteile denken. Da kann ein ganzes Spektrum von Aussagen kommen: Ein Idealist, ein weiser und gescheiter Mann, ein Lehrer, ein Vorbild und vieles andere mehr, natürlich auch christliche Antworten, etwa die eines jungen Menschen auf dem Kirchentag: "Jesus? Find ich total cool."

Das Drama bei Matthäus geht weiter. Jesus fragt die Jünger: "Wer sagt denn ihr, daß ich sei?"

Das fordert uns heraus, zu prüfen, wer Jesus für uns ist. Können wir so antworten wie Petrus? Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

Was Petrus da bekennt, ist so groß, dass Jesus dem Petrus antwortet: Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Allein können wir nicht darauf kommen, dafür brauchen wir den Geist Gottes, Heiligen Geist. Jetzt ist auch klar, warum unsere evangelische Kirche diesen Text für Pfingsten ausgesucht hat.

Die Aussage "Jesus ist der, auf den es ankommt" erscheint im Neuen Testament in ganz verschiedenen Bildern. Das Lob für Jesus wird vielfältig ausgeführt, in Beispielen, Einzelheiten, Erzählungen, Lehrgesprächen, theologischen Höhenflügen auch, schon in der Bibel. Das Lob für Jesus ist der Cantus firmus, die melodieführende Stimme. Die Ausgestaltung obliegt dann den Konfessionen, und hier kommt es auf die Harmonie an.

Von Holzlar weiß ich, dass sich die evangelischen und die katholischen Pfarrer hier immer sofort gut verstanden haben. Der Grund: Für beide war und ist das Bekenntnis zum Auferstandenen die Mitte ihres Lebens und Wirkens. In der kleinen Ökumene am Ort scheint es keine Probleme zu geben, auch wenn nicht alle Wünsche erfüllbar sind.

Erlauben Sie mir einen Abstecher in die aktuelle Lage der ökumenischen Zusammenarbeit am Ort. Im Jahr der Bibel wird der - sonst nur evangelische - Bibelabend von beiden Gemeinden abwechselnd gestaltet. Er ist gut besucht, ebenso die Vortragsabende. Aber die Teilnahme am ökumenischen Gottesdienst ist deutlich geringer als vor zehn Jahren, immer weniger Teilnehmer kommen zum Ökumenischen Arbeitskreis und auch zu seinen Ausflügen. Man kann das als ein Zeichen nehmen, dass die kleine Ökumene am Ort zu den Selbstverständlichkeiten gehört und keine Unterstützung mehr braucht. Es kann aber auch heißen, dass wir ermüden.

Lassen wir uns am Pfingstfest ermuntern, die gemeinsamen Veranstaltungen beider Gemeinden zu stärken. Darum möchte ich mit der Bitte schließen: Herr Jesus, zieh uns zu dir und zu deiner Kirche, die in den Konfessionen sichtbar wird, und hilf uns, Verantwortung für deine Gemeinde zu übernehmen.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten