Der Auferstandene am See Tiberias

Predigt über Joh 21,1-14
in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 3. April 2005, Quasimodogeniti


Das Passa-Fest in Jerusalem ist vorüber. Der Auferstandene war der Maria von Magdala und den Jüngern erschienen. Die Jünger sind von Jerusalem in ihre Heimat zurückgekehrt, nach Galiläa, zum See Gennesaret, an ihre Arbeit. Statt als Menschenfischer arbeiten sie wieder als gewöhnliche Fischer, um sich und ihre Familien zu ernähren. Nun folgt eine seltsame Geschichte: Der Auferstandene verhilft den Fischern zu einem unerwartet reichen Fischzug.

Inzwischen / ist Ostern fast zweitausend Jahre her. Unsere Feier des Osterfestes ist auch vorüber, ist eine Woche her, alles ist schon gesagt. Die Ferien sind zu Ende. Da kommt als Nachtrag zu Ostern diese seltsame Geschichte vom reichen Fischzug als Predigttext in unseren Gottesdienst.

Seltsam ist in dieser Erzählung nicht nur der plötzliche reiche Fang zur falschen Tageszeit. Es gibt auch Unstimmigkeiten und Widersprüche. Die Jünger erkennen Jesus nicht, während sie mit ihm sprechen, aber später aus der Ferne erkennen sie ihn. Petrus zieht sich erst noch das Obergewand an, bevor er ins Wasser springt. Die Jünger haben nichts zu essen, aber als sie an Land kommen, ist plötzlich ein zubereitetes Essen da. Trotz zubereiteter Fische läßt Jesus auch noch einige frisch gefangene Fische herbeibringen. Mehrere Jünger gemeinsam können das Netz im Wasser nicht ziehen, aber nachher zieht Petrus es alleine an Land.

Lassen Sie sich jetzt von dieser bunten Erzählung gefangennehmen. Ich lese aus Johannes 21 ab Vers 1.

1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
2 Es waren beieinander Simon Petrus / und Thomas, der / Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa / und die Söhne des Zebedäus / und zwei andere seiner Jünger.
3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wußten nicht, daß es Jesus war.
5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
7 Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, daß es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser.
8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.
10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!
11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriß doch das Netz nicht.
12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wußten, daß es der Herr war.
13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische.
14 Das ist nun das dritte Mal, daß Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Hier sind zwei Ereignisse ineinander erzählt, die auch schon von Jesus vor dem Karfreitag berichtet werden, ein Speisungswunder und ein reicher Fischfang.

Doch ist hier nicht nur ein Speisungswunder, sondern hier sind gleich zwei: erst der reiche Fischfang, dann, als sie ans Land steigen, wie aus dem Nichts ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.

Beim reichen Fischzug vor Karfreitag fingen die Netze an zu reißen. Jetzt, beim Auferstandenen, bleiben die Netze heil.

Hier erzählt Johannes die Fortsetzung der Jesusgeschichte nach der Auferstehung. Vieles ist ähnlich wie beim Gang nach Emmaus, den die anderen Evangelisten als Fortsetzung erzählen: Wie auf dem Weg nach Emmaus erkennen die Jünger ihren Meister nicht sofort, und wie in Emmaus feiert er dann ein Mahl mit ihnen.

Beide Geschichten sagen: Das Leben Jesu ist mit der Kreuzigung nicht zuende. Jesus wirkt weiter über seinen Tod hinaus, zur Zeit der Jünger, in der übernächsten Generation in der Johannes-Gemeinde, und ebenso bei den späteren Lesern des Johannes-Evangeliums.

Die beiden Speisungswunder heben die Wirkkraft des Auferstandenen hervor. Wie Jesus zu Lebzeiten, konnte -- und kann -- auch der Auferstandene Menschen begeistern, befähigen und bewegen. Das berichteten die Jünger und die biblischen Autoren, und das berichten auch heute immer wieder Menschen.

Was die Jünger tröstlich erfahren haben, das will uns die Erzählung weitersagen. Sie will uns aufmerksam machen, Jesus auch da zu erkennen, wo die Jünger ihn nicht sofort erkannt haben. /

Ich möchte heute ausführlich auf eine Stelle eingehen, die eher am Rande der Erzählung steht. Jesus sagt zu den Fischern: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Hätten die Jünger zur Linken keine Fische gefangen?

Eine vernünftige Erklärung dafür kann ich mir nicht vorstellen. Aber für mich zeigt sich in diesem Satz des Evangelisten Johannes eine Realität des Lebens. Die meisten Menschen, die ich kenne, haben trotz aller Aufklärung oft ganz irrationale Gedanken. Ich nehme mich dabei nicht aus.

Solch magisches Denken gibt es nicht nur bei Völkern ohne Schriftkultur. Das steckt sehr tief in uns allen, das ist in unserer Natur. Ich halte das für ein Erbe der Evolution, das auch in uns / fortwirkt, ob wir wollen oder nicht.

Reste von magischem Denken kommen unvermeidlich in jedem von uns immer wieder hoch, aber sie sollten keine Macht über uns gewinnen. Hier ist wache Selbstkritik notwendig.

Ähnlich sehe ich den Aberglauben. Wenn ich Christen dabei sehe, wie sie Horoskope lesen, sagen sie meist entschuldigend etwas wie "das interessiert mich ja nur, ich nehme das nicht ernst". So gespalten war schon der König Saul, der erst alle Geisterbeschwörer und Zeichendeuter ausgerottet hat im Lande und dann doch -- zur Unkenntlichkeit verkleidet -- die zufällig verschonte Totenbeschwörerin in En-Dor befragte. Das ist nur menschlich, und wir haben zu lernen, mit Aberglauben und mit magischen Gedanken umzugehen, wenn sie in uns auftauchen.

Eine listige Warnung hat der Mathematiker Raymond Smullyan ausgesprochen: Aberglaube bringt Unglück. / Das klingt zwar auf den ersten Blick selbst wie Aberglaube. Aber wer ungeprüft glaubt, rennt wirklich leicht in sein Unglück.

Das beste Kriterium fürs Annehmen oder Ablehnen für mich -- auch von Deutungen aus der Bibel -- scheint mir zu sein: Wird so das menschliche Leben gefördert? Alle Worte und Taten, die von Jesus überliefert sind, fördern menschliches Leben.

Daß wir prüfen sollen, paßt zu der Aussage, daß die Jünger den Auferstandenen nicht gleich erkannten. Nicht überall, wo Jesus draufsteht, ist Jesus drin.

Haben wir mit den Berichten vom Auferstandenen unhaltbare, aus der Luft gegriffene Konstrukte vor uns? Es gibt ernsthafte, gut informierte Menschen, die das behaupten. In dem Buch "Der gefälschte Glaube" von Karlheinz Deschner werden viele Unstimmigkeiten aufgezählt. Er hat sie anscheinenend von theologischen Forschern abgeschrieben. Alle seine Einwände werden in gutem Religionsunterricht und im Theologiestudium auch behandelt, um zu einem mündigen Glauben zu führen.

Solide Christentumskritik müssen wir ernst nehmen. Sie erfordert viel Nachdenken über die Weise, wie Menschen Bilder zu Hilfe nehmen, um mit gewöhnlichen Worten etwas auszudrücken, was neu und ungewöhnlich ist und nicht wie ein historisches Ereignis neutral und mehr oder weniger objektiv berichtet werden kann.

Unser Text sagt, der Auferstandene ist auch dann bei uns, wenn wir ihn nicht erkennen. Zwar zaubert er keine Fische herbei und erzeugt keine fertige Mahlzeit aus dem Nichts. Aber das innerliche Mitgehen mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen, das Gespräch mit dem Auferstandenen im Gebet, gibt uns Kraft und Ideen, die Aufgaben des Lebens zu meistern und als Gemeinde im Glauben zu wachsen.


Eberhard Wegner Dank; weitere Predigten