Jesu Gehorsam und Heilswerk

Predigt über Hebräer 5,7-9 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 29.3.1998, Judika
(geringfügig gekürzt für Königswinter-Oberpleis am 17.3.2001, Judika)


Der Predigttext für heute steht im Brief an die Hebräer. Wir haben ihn vorhin als Lesung gehört. Es ist ein kurzer, aber recht schwieriger Text. Deshalb werde ich ihn noch einmal lesen und Stücke daraus wiederholen.

Der Hebräerbrief ist einer der späten Briefe im Neuen Testament. Er entstand wahrscheinlich zwischen 80 und 90 nach Christi Geburt. Der Verfasser ist unbekannt; da gibt es nur Vermutungen und keine guten Gründe. Paulus war es jedenfalls nicht. Der Brief selbst nennt weder den Verfasser noch den Empfänger.

Schon ums Jahr 200 nannte man diesen Brief den Brief an die Hebräer, also an die Juden oder wenigstens an die Judenchristen überall in der Welt. Der Inhalt des Briefes spricht aber dafür, daß der Brief an eine bestimmte Gemeinde gerichtet war, und zwar an eine Gemeinde, in der es auch Heidenchristen gab. Man weiß aber nicht, an welche Gemeinde. Es war anscheinend eine Gemeinde, die in der Gefahr war, zu erlahmen oder abzufallen.

Der Hebräerbrief enthält Stücke urchristlicher Predigt. Er bezeichnet sich selbst als ein Wort der Ermahnung (13,22). Er war dazu bestimmt, in der Gemeinde vorgelesen zu werden, wie die anderen Briefe auch. Lehrhafte Stücke, also Unterweisungen, wechseln mit Ermahnungen zum Festhalten am Glauben. Der Verfasser will der Gemeinde helfen, im Glauben fest zu bleiben.

Der kleine Ausschnitt für heute ist eine Reihe von Aussagen über Christus. Es ist ein liedhafter, ein feierlicher Text, fast ein Hymnus. Er will den Leser auf das Thema des ganzen Briefes vorbereiten.

Der belehrende Teil des Briefes lautet zusammengefaßt etwa so: Jesus Christus ist der wahre Hohepriester; er erfüllt die Voraussetzungen für dieses Amt besser als alle, die vor ihm dieses Amt innehatten. Jesus Christus ist nämlich leidensfähig und von Gott eingesetzt. Sein Opfergang macht alle vorher üblichen Opfer unnütz. Damit ist das Priestertum mit Schlachtopfern erledigt.

Luther bezeichnet den Hebräerbrief als eine ausbündig feine Epistel, die vom Priestertum Christi meisterlich und von der Schrift her redet. Der heutige Predigttext will dieses Priestertum begründen.

Ich lese aus Kapitel 5 die Verse 7 bis 9.
Und er, Christus, hat in den Tagen seines irdischen Lebens / Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen / dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; / und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden,

Der Anfang beschreibt ein ganz dringendes Beten: Bitten und Flehen, lautes Schreien und Tränen. Dort steht nicht, was Jesus erbat und erflehte. Dort steht aber: Jesus flehte zu dem, der ihn vom Tod erretten konnte. Wir dürfen also annehmen, Jesus flehte zu Gott darum, daß er ihn vom Tod errette. Das wird in den letzten Lebenstagen Jesu in Jerusalem gewesen sein.

Ein Gebet Jesu um Rettung ist uns überliefert aus dem Garten Gethsemane (Mt 26,36-39), kurz bevor Jesus gefangen genommen wird. Dort spricht er: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod. Dann fällt er auf sein Angesicht und betet: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber, doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!

Das war ein verzweifeltes Gebet, bei dem die Jünger weiterschliefen. Wann hat Jesus mit lautem Schreien und mit Tränen gebetet? Die vier Evangelisten berichten nichts von Schreien und Tränen.

Das Schreien weist eher darauf hin, daß Jesus schon am Kreuz hing, als er um Errettung vom Tod flehte.

Es war Gott, der Jesus vor dem frühen Tod und vor qualvollem Sterben erretten konnte. Jesus wußte das und hat Gott um genau diese Rettung gebeten. Jesus hat so große Angst vor dem Sterben gehabt, daß er geweint und laut geschrien hat.

Nach menschlichem Ermessen müssen wir alle sterben. Ob Gott einem Menschen das Sterben ersparen kann, halte ich für eine müßige Frage: Nach aller Erfahrung tut er es nicht.

Jesus war ganz Mensch und mußte deshalb auch früher oder später den leiblichen Tod sterben. In diesem "früher oder später" liegt ein erster großer Unterschied, und Jesus war ja noch keineswegs "alt und lebenssatt" wie Abraham. Ein zweiter liegt in der Qual: Manche Menschen werden von Krankheiten furchtbar gequält. Wie die Berichte von Folteropfern zeigen, muß es noch schlimmer sein, von Menschen gequält zu werden als von Krankheiten. Jesus war nun in einer Lage, daß Menschen sich anschickten, ihn zu Tode zu foltern. Er flehte zu Gott, ihn davor zu erretten.

Unser Text sagt nun: Jesus ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. Jesus hat Gott gebeten, ihn vom Tod zu erretten. Wir wissen ebenso wie der Verfasser damals: Jesus ist nicht erhört worden, er ist in den Tagen seines irdischen Lebens nicht vom Tod errettet worden, sondern er ist einen grausamen Foltertod gestorben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Jesus das als Erhörung seiner Bitte ansah. Er hat schließlich geschrien: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Unser Text aber sagt: Jesus ist erhört worden. Was will der Hebräerbrief sagen?

Jesus ist anders erhört worden, als er erbeten hat. Die Glaubenszeugen im Neuen Testament sagen uns: Gott hat Jesus erhört, indem er ihn auferweckt und erhöht hat. Gott hat Jesus als seinen Zeugen autorisiert. Ein bißchen in den Alltag heruntergeholt: Die Botschaft, die er uns Menschen überbracht hat von Gott, ist lebendig geblieben. Immer wieder werden Menschen davon ergriffen. Mehr noch: Sie hat sich als gültig erwiesen. Sie trägt in Schuld und Leid. Die gute Botschaft befreit immer wieder Menschen aus ihrer Enge und zeigt ihnen das Leben in Fülle. Man kann das auch so sagen: Jesus lebt. Er ist also vom Tod errettet worden.

Unser Text sagt weiter: Jesus hat an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Andere Übersetzungen sagen: "Jesus hat durch Leiden den Gehorsam gelernt" (Einheitsübersetzung) oder sprechen vom "Lernen in der Schule des Leidens" (Ulrich Wilckens). Was da steht, ist also klar. Hier wird betont, daß Jesus den Gehorsam erst gelernt hat, und zwar durch Leiden.

Nur lesen wir sonst im Neuen Testament das Umgekehrte: Jesus war gehorsam und hat deshalb das Leiden auf sich genommen, wie auch sein Gebet im Garten Gethsemane zeigt: nicht wie ich will, sondern wie du willst. Ebenso bekannt ist der Hymnus im Philipperbrief. Paulus schreibt dort (2,8): Er,Christus Jesus, erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Jesus war gehorsam und hat deswegen gelitten.

Was soll das also heißen im Hebräerbrief, Jesus hat durch Leiden den Gehorsam gelernt? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es darauf eine klare Antwort gibt, die zu den Berichten der Evangelisten und zum Philipperbrief paßt.

Jesus hat durch Leiden Gehorsam gelernt -- diese Aussage ist wohl nicht als Bericht gemeint, sondern mahnend: Der Hebräerbrief will uns aufrufen, im Leiden nicht zu verzweifeln und nicht zu rebellieren, sondern Gehorsam zu lernen. Wir sollen dann, wenn wir leiden, Gehorsam gegenüber Gott und Vertrauen zu Gott lernen. Er ist uns nahe und trägt uns, auch wenn er wegzuschauen scheint.

Der letzte Vers unseres Stückes sagt: Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden. Das ist eine kühne theologische Behauptung, und alle christlichen Prediger der Welt versuchen Sonntag für Sonntag, ein wenig davon für den Alltag auszuteilen. Dieser Vers verspricht denen, die Christus gehorchen, das ewige Heil. Es geht also um alles.

Heil ist im Neuen Testament dasselbe wie Erlösung. Auch die Rettung aus Gefahren und die Befreiung von bedrängenden Feinden gehören dazu, die Heilung von Krankheiten und das Wohlergehen, der Freispruch vor Gericht. Das ewige Heil, das endgültige Heil, mit der Jugend heute kann man auch sagen "das ultimative Heil" -- dafür muß es lohnen, sich anzustrengen. Was ist also gefordert? Sollen wir die Ärmel aufkrempeln und zupacken?

Nein, so geht es natürlich nicht. Unsere christliche Religion ist keine Moral, die man nur befolgen muß, um sich den Himmel zu verdienen. Beachten Sie, wie Jesus hinter allen moralischen Vorschriften den Vorrang der Liebe aufzeigt und wie sparsam er mit Aussagen über die Zustände im Himmelreich ist. Wir Christen glauben nicht an eine Moral oder an eine Theorie des ewigen Lebens, sonden wir glauben unserem Herrn Jesus Christus und wir vertrauen auf ihn und sein Vorbild und sein Wort.

Ihm gehorsam sein, das heißt zuerst, auf ihn hören, ihm zuhören. Jesus hat uns genauer gesagt, was Gott von uns will und was er uns zusagt und worauf es ankommt. Gott zu gehorchen ist durch Jesus nicht leichter geworden, aber ganz anders. Wahrscheinlich führt das oft ins Leiden und durch das Leiden hindurch jedenfalls zum endgültigen Heil.

Ich fasse zusammen, was ich aus dem Predigttext für heute herauslese.

Jesus hat in Todesangst geweint und laut zu Gott geschrien, daß er ihn vom Tod errette. Uns allen steht das Sterben noch bevor. Natürlich dürfen auch wir weinen und zu Gott schreien; er ist die richtige Adresse. Wir dürfen auch dann weinen und zu Gott schreien, wenn andere Menschen das mitbekommen.

Gott hat Jesus errettet, aber er hat ihn nicht so errettet, wie Jesus das erfleht hat. Jesus hat Gott geehrt, und deshalb hat Gott ihn errettet. Vielleicht ist es schon ein großes Stück der Rettung selbst, Gott zu ehren. Wer Gott die Ehre gibt -- und nicht so sehr auf sich selber baut --, der liegt schon weitgehend richtig.

Der Hebräerbrief ermahnt uns, auch im Leiden gehorsam zu sein. In guten Tagen fällt es schwer, ans Leiden zu denken. Aber die Passionszeit im Kirchenjahr hat schon ihren Sinn. Viele Menschen berichten, daß es ihnen in großem Schmerz eine Hilfe ist, das Leiden Jesu zu bedenken -- eine Hilfe, schweres Leiden, das sich nicht ändern läßt, anzunehmen.

Der Hebräerbrief verspricht allen, die Christus gehorchen, das ewige Heil. In Jesus Christus ist uns Gott ganz nahe gekommen. Alle, die Christus und seinem Wort gehorchen, sind schon durch diesen Gehorsam ein Stück weit heil. Lassen Sie uns darauf vertrauen, daß am Ende Gott uns richten wird, uns richtig machen wird.

Ich schließe mit einem Wunsch, der am Ende des Hebräerbriefes steht. Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. (Hebr 13,20-21)


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten