Die Last des Prophetenamts

Predigt zu Jeremia 20,7-13 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 18. März 2001, Okuli


Der Predigttext für heute ist wieder von einem der großen Propheten im Alten Testament, schon wieder. Warum sollen wir uns in diesem Jahr immer wieder mit Jesaja, Jeremia und Ezechiel befassen? Sollten wir nicht lieber die frohe Botschaft Jesu hören?

Die Botschaft Jesu ist nicht aus heiterem Himmel gekommen, sie hatte ihre Vorläufer. Jesus selbst verweist immer wieder auf die fünf Bücher Mose und auf die Propheten. Umgekehrt haben schon die ersten Gemeinden viele Aussagen der Propheten auf Jesus hin gedeutet. Die Schriften des Neuen Testaments erläutern Worte und Taten Jesu mit Stellen aus dem Alten Testament. Unsere heilige Schrift hat zwei Teile. Altes und Neues Testament gehören zusammen, und wir brauchen beide Teile der Bibel.

Der Predigttext für heute aus Jeremia ist wichtig wegen mancher Ähnlichkeit zwischen Jeremia und Jesus,
-- Ähnlichkeit beim Auftrag, die Menschen auf den rechten Weg zu leiten,
-- Ähnlichkeit beim Schicksal, nämlich Leiden als Folge des Auftrags,
-- Ähnlichkeit beim Gebet.

Jeremia will von Anfang an nicht Prophet werden, aber Gott beruft ihn trotz seines Sträubens. Jeremia spricht im Auftrag Gottes zu den Mächtigen in Jerusalem und sagt der Stadt Unheil an, weil die Menschen Gottes Wort nicht hören wollen. Sie passten sich dem Glauben ihrer Umgebung an, verehrten den Baal, und das heißt auch, sie brachten ihre Kinder dem Baal zum Brandopfer dar. Dagegen musste Jeremia ganz hart auftreten, ob er wollte oder nicht, und die unangenehme Wahrheit benennen: Gott würde solche Gräuel hart bestrafen.

Auf solche Ankündigung reagiert der Priester Paschhur, der Vorsteher im Tempel, sehr verärgert. Er läßt Jeremia schlagen und in den Block legen.

Am nächsten Morgen löst Paschhur den Block. Sofort setzt Jeremia seine ungeliebte Predigt fort und sagt dem Paschhur die folgende Drohung Gottes: Ich liefere die Bewohner von ganz Juda an den König von Babylonien aus. [...] Auch du, Paschhur, wirst mit deiner ganzen Familie nach Babylonien verschleppt. Dort wirst du sterben und begraben werden, zusammen mit deinen Freunden, die du mit deinen falschen Weisungen ins Verderben geführt hast.

Jeremia hatte also den Paschhur einmal gewarnt, wurde dafür eingekerkert, und am nächsten Morgen, noch im Kerker, warnte er unbeirrt weiter. Das war für ihn lebensgefährlich, denn der Empfänger einer schlechten Nachricht konnte damals den Überbringer für diese Nachricht haftbar machen und ihn sogar dafür töten lassen. Noch heute macht man sich ja mit unerbetenen Warnungen schnell unbeliebt. Und Jeremia hat sich das sogar beim höchsten Geistlichen Jerusalems geleistet. Kein Wunder, dass er dafür schwer leiden musste.

An diesen Bericht schließt Jeremia eine Klage an über die Last seines Prophetenamtes und über sein Leiden an Gott, sein Leiden für Gott. Er klagt Gott an, weil Gott ihn ganz in den Dienst genommen hat, er klagt über sein Schicksal, das daraus folgt, er klagt über seine Mitmenschen. Er hadert mit Gott, klagt heftig, aber am Schluss kommt er zu einer ganz unerwarteten Aussage, die ich hier nicht vorwegnehmen will.

Diese Klage ist der Predigttext für heute. Jeremia hat sie ums Jahr 587 vor Christus aufgeschrieben. Ich lese aus dem Buch des Propheten Jeremia, Kapitel 20 (7-11a).

Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. Ja, sooft ich rede, muß ich schreien, «Gewalt und Unterdrückung!» muß ich rufen. Denn das Wort des Herrn bringt mir den ganzen Tag nur Spott und Hohn. Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern. Ich quälte mich, es auszuhalten, und konnte nicht; hörte ich doch das Flüstern der Vielen: "Grauen ringsum! Zeigt ihn an! Wir wollen ihn anzeigen." -- Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, daß ich stürze: "Vielleicht läßt er sich betören, daß wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen." Doch der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held.

Jeremia kommt von Gott nicht los. Wenn er versucht, nicht an Gott zu denken, brennt es wie Feuer in ihm, er quält sich, das Feuer in seinem Herzen auszuhalten, aber er kannt es nicht. Der Versuch, den Auftrag Gottes zu überhören, sich Gott zu entziehen, gelingt nicht, sondern bringt Jeremia nur Leid.

Kann es das geben, dass Gott jemanden gegen dessen Willen packt und überwältigt und zu so extremem Leiden beruft, sogar zum Untergang? Bei Jeremia scheint Gott das getan zu haben.

Was ist das für ein Gott, der seinen Knecht so grausam behandelt, bis zur Zerreißprobe beansprucht, gar überfordert? Warum muss Jeremia leiden, was er nicht leiden will? Für Jeremia ist Gott erst einmal der Übermächtige, der ihn packt und dem er nicht entgehen kann.

Jeremia kann Gottes Stimme offenbar hören. Er vertraut auf den, der da spricht, erkennt ihn als Gott. Er erkennt das Gehörte als gültig, für ihn verbindlich, als einen Auftrag, den er unbedingt erfüllen muss, obwohl er sich dagegen sträubt.

Jeremia hört Gott sprechen und spricht direkt zu Gott. Ebenso unmittelbar, wie er mit Gott umgeht, schreibt er seine Gespräche mit Gott auf, sein Erleben und Erleiden. Er lässt seine Leser an seinem lebenslangen Martyrium teilnehmen.

Ebenso fest ist in Jeremia der Glaube, dass Gott für alle, die ihn ernst nehmen, am Ende alles zum Besten wenden wird. Jeremia sieht Gott nicht nur als den Übermachtigen, er breitet vor Gott alles aus, was ihn schmerzt und quält. Er sagt ihm sogar, dass er versucht habe, nicht mehr an ihn zu denken.

Leid kann ganz verschiedene Ursachen haben, kann von eigenen Fehlern kommen, von anderen Menschen oder von Krankheiten. Bei Jeremia ist Gott die Ursache des Leides! Jeremia gibt Gott die Schuld für sein Leiden. Es sind zwar Menschen, die dem Jeremia Übles antun, aber sie tun das, weil Jeremia ihnen harte Worte gesagt hat und Gott den Auftrag dazu gegeben hat.

Jeremia klagt Gott heftig an: Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich.

Er schildert weiter, wie die Menschen um ihn herum ihn bedrohen. Aber er bleibt nicht in der Klage stecken. Hinter dieser Klage steht die Hoffnung, mehr noch, die Zuversicht, die Gewissheit. Jeremia sagt: Der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held. Diese Gewissheit und die Klage gehören zusammen.

Der jüdische Theologe Martin Buber schildert die Erfahrung des klagenden Beters so: Der große Beter ist nicht fromm und duldsam, aber auch seine Empörung erweist sich als Gebet, und das, was ihm danach zuteil wird, [erweist sich] als eben das, um das er eigentlich gebetet hat, ohne es zu wissen.

So viel zu Jeremia, zu seinem Leiden an Gott und zu seiner Zuversicht. Warum legt uns die Kirche uns diesen Text zum Betrachten vor?

Sicherlich will sie uns hinweisen auf Jesu Leiden, das in den Leiden des Jeremia wie vorgebildet erscheint. Bei vielem, was Jeremia schildert, kann man Jesus gleich mit denken, seine unmittelbare Beziehung zu Gott und sein Gottvertrauen, sein Leiden, die Mitmenschen als Ursache seines Leidens. Jesu Schicksal gleicht dem des Jeremia.

Im Garten Gethsemane betete Jesus: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. (Mt 26,39) Wie Jeremia musste auch Jesus leiden, was er nicht leiden wollte. Für beide war der Wille Gottes unmittelbar erkennbar, aber ganz schwer anzunehmen. Gehorsam führte in schweres Leiden.

Jeremia musste leiden, um das Volk Israel damals zu Gott zurück zu führen. Jesus hat das Leiden auf sich genommen, um uns Menschen für Gott zu gewinnen, damit wir Gott und die Menschen lieben und aus dieser Liebe das Rechte tun. In diesem Sinne hat Jesus für uns gelitten.

Ich sehe zwischen Jeremia und Jesus einen Unterschied im Gottesbild: Jeremia erlebt Gott als übermächtig und quälend, und der Versuch, sich seinem Willen zu entziehen, bringt ihm nur Leid. Jesus verehrt Gott vor allem als liebenden Vater. Aber auch daraus ergibt sich für ihn bittere Notwendigkeit, kein leicht einsehbares Schicksal.

Jeremia wußte Gott nahe als starken Helden, der aus irdischer Not rettet. Wie es weiterging, wissen wir nicht; Jeremias Spur verliert sich. Jesus vertraute auf Gott, wie nur ein Mensch vertrauen kann, wurde aber nicht bewahrt vor dem unvorstellbar qualvollen Tod am Kreuz. Gott hat ihn aber, so glauben wir, durch die Auferstehung erhöht und ins Recht gesetzt, Gott hat das Wirken Jesu autorisiert.

Jeremia und Jesus haben das getan, was sie als Gottes Willen erkannt hatten, ohne Rücksicht auf eigenes Leiden. Von beiden war sicherlich viel mehr gefordert als von den meisten von uns.

Manchmal ruft die Stimme Gottes einen Menschen ins Leiden, und nur um solches Leid geht es hier. Dafür will ich zum Schluss noch ein drittes Schicksal erwähnen, das Schicksal des Theologen Dietrich Bonhoeffer. Von den Nationalsozialisten verfolgt, war er nach Amerika entkommen. Dort angekommen, spürte er sofort mit innerer Gewissheit, dass er in Deutschland gebraucht werde. Wie Jeremia folgte er diesem inneren Ruf. Er kehrte nach Deutschland zurück und kam bald ins Gefängnis. Dort dichtete er, als er schon mit seiner bevorstehenden Ermordung rechnete (EG 65,3):

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Bonhoeffers Worte und Gebete unmittelbar vor seiner Hinrichtung zeugen von seiner Gewissheit, von Gott gehalten zu werden, wie Jeremia und Jesus.

Vielleicht kann uns das Betrachten solchen Leidens in der Passionszeit helfen, unser persönliches Leid anzunehmen und Gott zu vertrauen, auch wenn wir ihn oft nicht verstehen. Lassen Sie uns nun zu ihm beten, indem wir das alte Lied singen: Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten