Die Verheißung des Neuen Bundes

Predigt zu Jeremia 31,31-34 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 4. Juni 2000, Exaudi


Der Preußenkönig Friedrich der Große hatte den Philosophen Voltaire für einige Monate zu Gast in Potsdam-Sanssouci. Dem König kamen Klagen über Voltaire zu Ohren. Da schrieb er seinem Gast eine Mahnung: Ich hoffe, dass Sie keinen Streit mehr haben werden, weder mit dem Alten noch mit dem Neuen Testament; derartige Händel sind entehrend. (Rudolf K. Goldschmit-Jentner: Die Begegnung mit dem Genius.)

Streit mit dem Alten Testament oder mit dem Neuen Testament? Das sind für uns Teile der Bibel, und mit denen kann man sich kaum streiten. Was war passiert? Voltaire hatte schmutzige Geldgeschäfte mit Christen und Juden versucht, und der Alte Fritz meinte mit dem Alten Testament die Juden und mit dem Neuen Testament die Christen.

Was bedeutet "Testament" nun wirklich, einen Teil der Bibel oder ein Volk? Im Alltagsdeutsch bezeichnet "Testament" nur den letzten Willen eines Menschen. Auch im vorchristlichen Latein ist das so, "testamentum" ist nur der letzte Wille.

Warum nennen wir dann die zwei Teile unserer Bibel das Alte und das Neue Testament? Das kommt leider von einer vierten Bedeutung des Wortes "Testament". Im kirchlichen Sprachgebrauch steht das Wort meistens für einen Bund Gottes mit seinem Volk. Das hat sich leider schon eingeschlichen, als das Neue Testament aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt wurde. In der Lutherbibel stand das auch so bis zur jüngsten Revision im Jahre 1984. Jetzt steht dort "Bund". Darum müssen wir uns einfach merken: In der Kirche heißt "Testament" meistens dasselbe wie "Bund" im Sinne von Bündnis oder Vertrag.

Gott hat erst einen Bund mit Noah und seinen Nachkommen geschlossen, dann einen mit Abraham und seinen Nachkommen, dann einen mit Mose und dem wandernden Gottesvolk, bei dem Mose auf dem Sinai die Gesetzestafeln empfangen hat. Das alles zusammen nennen wir Christen den Alten Bund. Wir tun das, weil beim Propheten Jeremia und an gewichtigen Stellen des Neuen Testaments vom Neuen Bund die Rede ist.

Das Alte Testament als Teil der Bibel besteht aus den Büchern des Alten Bundes, und das Neue Testament besteht aus den Büchern des Neuen Bundes. Der Alte Fritz meinte natürlich nicht die Bücher, sondern das Volk des Alten Bundes und das Volk des Neuen Bundes.

Warum erkläre ich das so ausführlich? Der Predigttext für heute ist die Ansage des Neuen Bundes für das Volk Israel, das Volk des Alten Bundes. Ich lese aus dem Buch des Propheten Jeremia (31,31-34).
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: "Erkenne den HERRN", sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Gott will, so schreibt der Prophet Jeremia, mit seinem Volk einen neuen Bund schließen. Gott spricht den früheren Bund an, einen Bund, den sie nicht gehalten haben. Das ist der Bund, bei dem Mose auf dem Berg Sinai die zwei Tafeln mit den zehn Geboten empfing. Gott fragte das Volk, ob es diese Gebote halten wolle, und das Volk stimmte zu.

Aber kaum war Mose wieder für ein Weilchen fortgegangen auf den Berg Sinai, da sammelte das Volk seinen Goldschmuck ein und goss sich das Goldene Kalb als einen Götzen, entgegen den ersten und wichtigsten Geboten. Das Volk hat also den Bund nicht gehalten. Es hat ihn auch in der Folgezeit immer wieder gebrochen, wenn es sich mehr auf politische Bündnisse mit anderen Völkern verließ als auf den Bund mit Gott.

Und nun kündigt Gott einen neuen Bund an. Gott setzt seine Treue gegen die Untreue seines Volkes. Er gibt senem Volk einen neuen Anfang. Wie soll das gehen?

Jeremia schreibt, Gott wolle seinem Volk das Gesetz ins Herz geben und in den Sinn schreiben. Dann hätte jeder das Gesetz in sich, und keiner bräuchte mehr den anderen zu belehren. Dann wäre die Weisung Gottes den Menschen vertraut, und sie würden nach dem Willen Gottes handeln.

Ist diese Ankündigung Jeremias, diese Zusage Gottes inzwischen erfüllt? Nein, offensichtlich nicht. Alle haben das Gesetz Gottes im Herzen? Das wäre schön. Die täglichen Nachrichten über Verbrechen und politischen Gruppenegoismus beweisen das Gegenteil. So wie der Prophet Jeremia den Neuen Bund ansagt, ist er ganz offensichtlich noch nicht gekommen, nicht in der Welt, nicht bei den Christen und nicht bei den Juden.

Wenn diese Verheißung im Buch Jeremia aber nicht erfüllt ist, warum schlägt unsere Kirche diese Stelle als Predigttext vor? Eine erste Antwort ist die: Ein "Neuer Bund" kommt auch bei drei Autoren des Neuen Testaments vor, und zwei von ihnen behandeln ihn ausführlich, mit recht gewichtigen Aussagen an mehreren Stellen. Der Neue Bund ist so wichtig, dass wir die urchristlichen Schriften nach ihm das "Neue Testament" nennen.

Der Apostel Paulus, der Evangelist Lukas und jener Theologe, der den Brief an die Hebräer geschrieben hat, diese drei Verfasser setzen den Neuen Bund als gültig voraus, besiegelt durch den Opfertod Jesu.

Ich betrachte aus dem Neuen Testament nur drei Sätze über den Neuen Bund, einen bei Paulus, einen aus den Einsetzungworten bei Paulus und Lukas und einen über das Verhältnis von einem Alten Bund zum Neuen Bund im Hebräerbrief. Da im Alten Testament das Wort vom Neuen Bund nur bei Jeremia und nur an dieser einen Stelle vorkommt, und da der Prophet Jeremia den Autoren des Neuen Testaments geläufig war, dürfen wir annehmen, dass sie sich auf Jeremia beziehen. Sie wussten sich ganz selbstverständlich in der Kontinuität mit dem Volk des Alten Bundes und mit den alten Verheißungen.

Fangen wir mit dem Neuen Bund bei Paulus an. Er schreibt den Korinthern: Gott hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. (2.Kor 3,6)

Der Neue Bund, das heißt für Paulus, den Willen Gottes aus dem Herzen tun und nicht nach dem Buchstaben. Das passt zu der Ankündigung Gottes bei Jeremia: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben. Gott will dafür sorgen, dass wir sein Gesetz oder, wie Juden das Wort Tora übersetzen, seine Weisung nicht nur auf Steintafeln haben wie im Sinai-Bund, sondern im Herzen.

Soll das heißen, dass wir nun automatisch, also ganz von selbst das Gesetz erfüllen könnten oder zwangsweise müssten? Nein, das soll uns befreien und beleben, damit wir auf Gottes Weisung achten und das tun können, was in jeder Lage nötig ist. Wer das Gesetz im Herzen hat, kann mitwirken an Gottes guter Schöpfung.

Paulus versteht also den Alten und den Neuen Bund als gegensätzlich. Paulus erkennt die alte Heilsordnung mit dem Sinai-Gesetz als gültig an, sieht sie aber als eine vorläufige. Charakteristisch für den Alten Bund ist der Gesetzesbuchstabe, für den Neuen Bund der göttliche Geist, der Leben schafft. Dieser göttliche Geist ist für Paulus natürlich der Geist Christi. Wer diesen Geist hat, der braucht keine Lehrer mehr, ganz wie Jeremia es sagt. Er trägt das Gesetz Christi in seinem Herzen.

Wenn wir uns von diesem Geist leiten lassen, brauchen unsere Fehler uns nicht nachträglich zu beschweren. Jeremia schreibt: Sie sollen mich alle erkennen (...), spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Der zweite Satz über den Neuen Bund, den ich betrachte, steht in den Einsetzungsworten zum Abendmahl nach Paulus und Lukas. Beide Autoren zitieren Jesus: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. Was heißt das, "dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut"?

Der Neue Bund ist die neue Heilsordnung: Gott sucht bei uns die Erfüllung der Gebote nicht mehr dem Buchstaben nach, sondern im Geiste Jesu, in der Nachfolge Jesu. Sie haben es sicherlich noch im Ohr: Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.

Warum ist der Neue Bund im Blut Jesu? Der Alte Bund wurde durch das Blut von Schlachttieren besiegelt. Der Neue Bund ist durch den blutigen Opfertod Jesu besiegelt. Deshalb kommt hier das Blut Jesu vor. Jesus hat sich aufgeopfert. Das ist das einzige Opfer, das wir feiern. Der verheißene Neue Bund ist also doch gekommen, obwohl wir das Gesetz Gottes noch nicht so richtig im Herzen haben und obwohl noch einer den anderen belehrt, entgegen der Verheißung bei Jeremia. Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. (Röm 8,24) Wir sind in einer Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung. In dieser Spannung bleiben wir unser Leben lang.

Jeremia hat angekündigt, dass Gott seine Weisung in die Herzen der Menschen geben will, und Jesus hat das getan. Jesus hat anschauliche Gleichnisse erzählt, die für alle Menschen verständlich sind. Er hat seine Treue zu Gott und seine Liebe zu den Menschen bis in seinen gewaltsamen Tod durchgehalten. In den Worten beim letzten Abendmahl nimmt er den gewaltsamen Tod an. Geht er damit nicht weit hinaus über das, was Jeremia sich unter dem Leben eines Gerechten vorgestellt haben mag? Jeremia, dieser große Prophet, musste selbst wegen seiner Botschaft viel leiden. Vielleicht ahnte er, dass ein Neuer Bund, eine tiefe Wandlung menschlicher Herzen nur zu haben wäre, wenn ein Gerechter sein Leben hingäbe.

Was ist aus dem Alten Bund geworden? Der Hebräerbrief zitiert ausführlich unsere Jeremia-Stelle und sagt dann: Indem Gott sagt: "einen neuen Bund will ich schließen", erklärt er den ersten für veraltet. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist seinem Ende nahe. (Hebr 8,13) Diese Nebenbedeutung von "alt" klingt noch mit, wenn wir vom Alten Testament oder vom Alten Bund sprechen. Wir sollten besser vom Ersten Testament sprechen statt vom Alten Testament, denn Gott schloss damals einen ewigen Bund mit seinem Volk. Jedenfalls haben wir kein Recht, vom Bund zwischen Gott und dem jüdischen Volk das Geringste wegzunehmen. Wir wollen uns freuen, dass Jesus Christus uns in diese Heilstaten Gottes mit hineingenommen hat.

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht. (Phil 2,5) Das ist für Paulus die Folge aus der Tatsache, dass Jesus kurz vor seinem Tode den Neuen Bund stiftete, oder sagen wir besser: den ersten Bund Gottes mit seinem Volk erneuerte.

Ich hoffe, Sie haben die Ansage des Neuen Bundes bei Jeremia, diese Liebeserklärung Gottes für sein Volk, jetzt so lieb gewonnen, dass Sie den Text als Abschluss gerne noch einmal hören. <Predigttext>


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten