Der Knecht Gottes -- das Heil Israels und das Licht der Heiden

Predigt zu Jesaja 49,1-6 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 15. Oktober 2000, 17. Sonntag nach Trinitatis


Der Predigttext für heute ist das zweite Lied vom Gottesknecht. Es ist im Buch Jesaja überliefert aus der Zeit, als das Volk Israel oder zumindest seine Führungsschicht in Babylon gefangen war. In der Luther-Übersetzung trägt das Lied die Überschrift "Der Knecht Gottes das Heil Israels und das Licht der Heiden".

Der Text beschreibt, wie Gott seinen Knecht für seinen Dienst an Israel und den Heidenvölkern zurüstet und was der Knecht tun soll. Der hier spricht, ist der Gottesknecht selber.

Der Gottesknecht spricht alle Völker an, also auch uns. Von allen Texten des Alten Testaments ist dies derjenige, der sich am deutlichsten an die Völker außerhalb Israels wendet. Wir Christen haben also allen Grund, uns gerade mit diesem Text zu befassen.

Man nennt diesen Text ein Lied, und dafür gibt es gute Gründe. Bitte achten Sie beim Hören auf die Vergleiche und die Bilder und die Symbole und Metaphern, die er benutzt. Ich lese den Anfang von Jesaja 49 (1-6).

Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist. Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, -- darum bin ich vor dem HERRN wertgeachtet, und mein Gott ist meine Stärke --, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

Am Anfang des Textes steht "Hört mir zu, ... ihr Völker", am Ende steht "ich habe dich ... zum Licht der Heiden gemacht". Die Völker und die Heiden, beides sind die Nichtjuden. In der Verbannung hatte Israel genug eigene Sorgen. Ich finde es beachtlich, dass ein Prophet sich da noch für die anderen Völker einsetzt.

Wer ist dieser Gottesknecht? Wir hören nur von seinem Auftrag und von seinem Schicksal, aber nichts über seine Herkunft. Vorgestellt wird er im ersten Lied; ich lese einen Auszug: Siehe, das ist mein Knecht ... und mein Auserwählter... Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. ... Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. ... Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

Durch unsere christliche Tradition denken wir bei diesen Worten sofort an Jesus. Aber der Prophet, der da schrieb, über 500 Jahre vor Christi Geburt, kann von Jesus nichts gewusst haben. Der Bezug auf Jesus kann nur eine spätere Deutung sein.

So sehr spät ist diese Deutung freilich nicht: Schon Paulus hat dieses zweite Lied vom Gottesknecht auf Jesus bezogen bei seiner großen Verkündigung in Antiochia (Apg 13,47). Natürlich wusste auch Paulus, dass der Prophet Jesaja noch nicht an Jesus gedacht haben kann. Aber Jesaja beschrieb, wie Gott in der Welt wirkt, und so wirkte Gott auch in Jesus. Deshalb ist solche Ähnlichkeit kein Zufall, und es ist zumindest in diesem Sinne berechtigt, die alten Lieder auf Jesus zu deuten. Das wird hier öfter anklingen, auch ohne dass ich es sage.

Noch einmal: Wer ist dieser Gottesknecht, der das Licht der Heiden sein soll? Schauen wir einmal genauer an, was der Gottesknecht über sich sagt.

Zuerst fällt mir sein Gottvertrauen auf, er fühlt sich ganz in Gott geborgen. Das sagt er gleich viermal.

So ein Gottvertrauen möchte ich auch haben! Aber genau dafür schildert uns die Bibel Menschen mit Gottvertrauen, damit wir an ihnen maßnehmen und damit wir Mut fassen. Die Bibel ist ein Mutmachbuch.

Solches Gottvertrauen braucht jemand, der einen so großen Auftrag hat. Das erinnert mich an Paulus, der auch ganz sicher war, bei Gott gerechtfertigt und gerettet zu sein, und der auch den Menschen harte Worte sagte.

Als nächstes springt ins Auge, wie der Gottesknecht seine Fähigkeiten beschreibt. Er sagt: Gott hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht. ... Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Als einziges Mittel oder Werkzeug hat er das Wort, aber dieses wirkt wie eine scharfe Waffe. Das heißt, was er zu sagen hat, ist wichtig und wirksam, auch wenn es schmerzhaft ist. Sein Wort kann Menschen durchdringen. Manchmal genügt es, auf die Möglichkeiten hinzuweisen, die der andere ergreifen oder verfehlen kann, auf das Schöpferische in uns.

Wer lässt sich schon gern schmerzende, einschneidende Wahrheiten sagen, damals wie heute. Wer so deutlich oder gar scharf spricht, riskiert immer Freundschaften, seinen guten Ruf, gar sein Leben. Das gilt nicht nur für Menschen, die in der großen Politik mitmischen oder ihr in die Quere kommen wie Bonhoeffer oder der frühe Gandhi. Das gilt auch im Alltag.

Natürlich stößt ein Mund wie ein scharfes Schwert auf Widerstand. Der Gottesknecht berichtet: Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. Hier klingt die Ablehnung durch, die dieser Knecht erlebte. Er klagt, dass seine Arbeit erfolglos blieb, dass ihn die Exilierten ablehnten.

Vielleicht sollte er das ganze Volk Israel zum Herrn zurückzubringen aus der Gefangenschaft in Babylon. Das wäre dann weit mehr als ein gewöhnliches Prophetenamt gewesen. Das brauchte schon einen ganz Großen wie Mose, der das Volk aus Ägypten führte. Dann hätte er der Retter sein müssen, der Heiland, der Messias. Auch hier sehen wir, warum schon die junge Kirche den Gottesknecht auf Jesus hin gedeutet hat.

Der Gottesknecht war erfolglos: So sah es vordergründig aus. Das Volk musste noch in Babylon bleiben. Nach menschlichen Maßstäben sah sein Werk vergeblich aus. Aber schon als er berichtet, weiß er es besser; er schreibt: Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich... Er hatte eben nur gedacht.

Statt Vorwürfen bekommt er eine neue, größere, umfassende Aufgabe. Gott spricht zu ihm: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

Was hat der Prophet aus dem Volke Israel denn den anderen Völkern Besonderes anzubieten? Da ist das Gesetz des Mose, also die Weisung zu rechtem Leben, mit dem Schutz der Armen und auch der Fremden. Und weit über die Gesetzeslehre hinaus: Israel kennt Jahwe. Der Prophet Jeremia schreibt (9,22f): So spricht der HERR: ... Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich kenne, daß ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden. Jahwe ist nicht ein selbstgeschnitzer Gott, wie ihn Nachbarvölker haben, sondern ein Gott, der Gerechtigkeit schafft, und zwar eine menschenfreundliche Gerechtigkeit.

Die Ausdehnung der Wohltaten Gottes auf die Heiden klang schon vorhin im Evangelium an, wo Jesus erst seinen Auftrag auf die Juden beschränkte und dann doch die Tochter der heidnischen Frau aus Kanaan heilte.

Was folgt für uns heute? Menschen, welche die nötige Wahrheit öffentlich oder dem Betroffenen sagen, werden zu jeder Zeit gebraucht, auch wenn man sie heute nicht mehr Propheten nennt. Heute ist uns allen das Wort Gottes anvertraut, jedem von uns Christen, und den Juden natürlich auch. Wir sollen es weitersagen den Mitmenschen draußen und in der Kirche. So wirkt Gott durch uns.

Umgekehrt wird manchmal ein Mitmensch für uns zum Gottesknecht, auch dann, wenn wir es nicht erwarten, und wohl auch gerade dann, wenn seine Botschaft uns nicht angenehm ist. Solche Botschaften können die beste Frucht bringen.

Propheten und Lehrer mühen sich oft umsonst, damals wie heute. Dann brauchen wir Gottes gute Kräfte. Wir dürfen darauf vertrauen, die Einsicht und Kraft zu bekommen, die wir für diesen Tag brauchen, und wir sollen dafür beten, wie wir das auch das Brot für diesen Tagerbitten sollen.

Außer uns kleinen Gottesknechten gibt es auch heute große Gottesknechte, die mitreißende prophetische Lieder schreiben können wie Jesaja damals, prophetisch in dem Sinne, dass sie die nötige Wahrheit öffentlich sagen. Mir fallen zuerst der Pfarrer Kurt Marti in der Schweiz und der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch am Niederrhein ein.

Wir dürfen die Großen von Amos und Micha über Jesaja bis heute als Ansporn nehmen, und natürlich Jesus, wie er aus scheinbar ausweglosen Situationen durch das Wort Gutes gemacht hat. Wenn wir in unserer kleinen Umgebung unsere kleinen Kräfte einsetzen, dann wachsen sie -- in dem Maße, in dem wir sie benutzen und benötigen und erbitten.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten