Von Ehe und Ehescheidung

Predigt über Markus 10,2-9 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 12. Oktober 1997, 20. Sonntag nach Trinitatis


Liebe Gemeinde: Der für heute vorgeschlagene Predigttext ist in unseren Bibeln überschrieben "Von der Ehescheidung". Auf den ersten Blick scheint es wirklich um die Scheidung zu gehen. Wenn man genauer hinsieht, geht es um viel mehr. Ich lese aus Markus 10 (2–9).

Da kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen? Damit wollten sie ihm eine Falle stellen.
Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben?
Sie sagten: Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und (die Frau) aus der Ehe zu entlassen.
Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.

Im Text haben wir eine Art doppelte Verneinung: Scheidung beendet eine Ehe, und Jesus lehnt die Scheidung ab. In der Schule habe ich gelernt: Doppelte Verneinung ist verstärkte Bejahung. Also verteidigt Jesus hier die Ehe, etwas genauer: die schon bestehende Ehe. Es ist eine gute Übung, eine doppelte Verneinung umzuwandeln in eine klare Aussage dessen, was da bejaht werden soll. Das will ich in dieser Predigt versuchen. Und wenn es gelingt, können wir nachher dem Text auch eine andere Überschrift geben.

Machen wir uns erst einmal mit der Lage vertraut. Pharisäer fragen Jesus, ob ein Mann seine Frau wegschicken dürfe. Sie versuchen ihn damit, das heißt, sie stellen ihm eine Falle. Sie wissen genau: Mose hat erlaubt, daß ein Mann seine Frau wegschickt. Sie wissen aber auch: Jesus kann dieses Wegschicken nicht billigen. Denn Jesus tritt immer auf die Seite der Schwachen, und eine geschiedene Ehefrau war rechtlich und wirtschaftlich schwach. Sagt Jesus also "Scheidung ist nicht erlaubt", dann widerspricht er dem Gesetz, und das Gesetz des Mose galt als göttliches Gesetz. Sagt er "Scheidung ist erlaubt", so verleugnet er sich selbst und seine Botschaft.

Eine Ehe war damals etwas völlig anderes als heute. Man heiratete in der Regel aus wirtschaftlichen Gründen. Wenn ein Mann seine erste Frau nahm, dann gründete er das, was in der Bibel ein Haus heißt, also eine Wirtschaftsgemeinschaft mit Äckern und Vieh, Sklaven, Knechten und Mägden. Wenn er eine weitere Frau dazunahm, dann vergrößerte er die Zahl seiner Arbeitskräfte, seinen Reichtum, die Zahl seiner Kinder und damit seine Altersversorgung. Die hebräische Bibel spricht ganz unbefangen davon, daß ein Mann mehrere Frauen hat. Wenn später Paulus von den Gemeindeleitern verlangt, daß sie nur eine Frau haben, dann hat es vermutlich noch in christlichen Gemeinden hier oder da einen Mann mit mehreren Ehefrauen gegeben.

Die Frage war also, ob ein Mann eine seiner Frauen aus so einer Wirtschaftsgemeinschaft wegschicken durfte, manchmal ins Nichts. Jesus sprach hier zu Pharisäern, also nur zu Männern.

Jesus antwortet in drei Schritten. Erst gibt er der Erlaubnis aus dem 5. Buch Mose eine neue Deutung, indem er sie als Zugeständnis an die Herzenshärte der Männer erklärt. Dann stellt er zwei Worte aus dem 1. Buch Mose daneben, die Gottes ursprünglichen Willen in dieser Frage aussprechen. Zuletzt gibt er eine eigene Entscheidung der Frage.

Erster Schritt: Jesus gesteht den Pharisäern zu, daß Mose die Ehescheidung erlaubt habe. Er läßt auch die Autorität des Mose als Gesetzgeber stehen, läßt das Gesetz gelten. Aber Jesus stellt klar: Die Erlaubnis zur Scheidung ist nicht Gottes gute Wegweisung, sondern eine Art Notlösung wegen der Herzenshärte der Männer. Scheidungen kamen im Volk Israel vor, und Mose hat diesen Vorgang dadurch geregelt, daß er einen Grund dafür verlangte und der Frau das Recht auf einen Scheidebrief zusprach. Mose hat also einen Schutz für die Schwächeren eingeführt, nicht etwa die Scheidung für gut befunden.

Im zweiten Schritt beschreibt Jesus den Willen Gottes. Nach dem Schöpfungsbericht in 1. Mose 1 hat Gott die Menschen als Mann und Frau geschaffen. Dieser Bericht ist in eine Welt hinein gesprochen, in der Männer darüber debattierten, ob eine Frau mehr oder weniger wert war als ein Kamel. In dieser männerbeherrschten Gesellschaft war es eine Herausforderung, eine Provokation, daß der Schöpfungsbericht Mann und Frau in einem Atemzug nennt.

Nach dem anderen Schöpfungsbericht in 1. Mose 2 hat Gott eine starke Bindung zwischen Mann und Frau geschaffen, so stark, daß ein Mann (ebenso wie eine Frau) Vater und Mutter dafür verläßt. Jesus deutet auch diese Stelle dahin, daß Gott hier eine dauerhafte Bindung gewollt hat. Er stellt diesen Willen Gottes als ursprünglich heraus gegenüber der späteren Regelung der Ehescheidung. Wenn die Männer ihre Frauen so liebten, wie Gott das bei der Schöpfung vorgesehen hat, kämen sie nicht auf den Gedanken, sie wegzuschicken.

Die Pharisäer argumentieren formal mit dem Gesetz, Jesus argumentiert inhaltlich mit der Beschaffenheit der Schöpfung.

Der dritte Schritt ist Jesu eigene Aussage: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Das klingt klar und einfach, ähnlich einem der Zehn Gebote, etwa Du sollst nicht ehebrechen. Trotzdem: Wer diesen Satz nur als Verschärfung des mosaischen Gesetzes ansieht oder wer ihn heute als weltliches oder kirchliches Gesetz aufrichtet und allen seinen Mitmenschen bedingungslos auferlegt, der macht es sich zu einfach.

Wenn Jesus seinen Hörern eine sittliche Forderung sagt, dann heißt das nicht, daß einer von uns sie dem anderen um die Ohren schlagen soll. Jeder soll solche Forderung an sich selbst richten, nicht sie anderen Menschen auferlegen. Wo immer rigorose Menschen anderen zuviel auferlegt haben, ist das schiefgegangen. Christliche Regierungen haben versucht, die Ehe unauflöslich zu machen, aber das heißt doch, Herzensgüte gesetzlich vorzuschreiben. Selbst Irland mit seiner betont katholischen Regierung hat das aufgegeben, und im August 1997 hat Malta als letzter europäischer Staat die Ehescheidung eingeführt.

Ich kenne Frauen, die haben die Scheidung eingereicht, weil der Mann gleich nach der Hochzeit fremdging oder immer wieder große Schulden machte oder gar die Kinder an die Wand warf. Ich wage nicht, da den Besserwisser zu spielen. In evangelischen Eheberatungsstellen kommt es vor, daß eine Beraterin oder ein Berater keinen anderen Ausweg vorschlagen kann als eine Scheidung.

Wir müssen also sittliche Forderungen an uns selbst sorgfältig unterscheiden von Forderungen, die einer für den anderen aufstellt. Wir sollen von uns selbst mehr fordern als von anderen. Gewiß dürfen und sollen wir auch einmal einen Freund ermahnen, wenn das nötig ist. Aber die Allgemeinheit braucht vermutlich mildere Vorschriften, braucht Gesetzgeber, wie Mose in Sachen Ehescheidung einer war.

Die Forderungen Jesu, die wir an uns selbst richten sollen, wollen uns nicht einschränken, erst recht nicht seelisch verkrüppeln, an der Selbstverwirklichung hindern, sondern wollen Wegweisung sein, wie Leben gelingt, Leben mit Gott und das Zusammenleben der Menschen. Wer den Willen Gottes erfüllt, ist weit über das Gesetz hinaus, tut viel mehr, als das Gesetz verlangt. Deshalb braucht er es kaum noch. So setzt Jesus seine eigenen Aussagen dem Gesetz entgegen, ohne das Gesetz aufzuheben. Den Weg weisen, der zum Leben in Fülle führt, ist besser, als Verbote aufzurichten und zu diskutieren. Diese Aussage ist der dritte und letzte Teil seiner Antwort an die Pharisäer.

Bevor eine Ehe geschieden wird, ist sie eine unglückliche Ehe, das heißt, die zwei Menschen sind unglücklich. Was macht Menschen glücklich, und was macht sie unglücklich?

Einer, der die Menschen gut beobachtet und verstanden hat, war Theodor Fontane. Er sagt: Vielleicht kann man glücklich sein, wenn man glücklich sein will, und ich habe einmal gelesen, man könnte das Glück auch lernen. – Ich denke, bei Dichtern und Schriftstellern kann man eine Menge lernen für das Glücklichsein. Ich nenne zuerst die Lehrbücher oder Bücher der Lehrweisheit in der Bibel. In der Zürcher Bibel heißen sie "die poetischen Bücher". Diese Tradition hat sich natürlich nach dem Abschluß der biblischen Schriften fortgesetzt. Hier eine solcher Aussagen.

Zu einem Rabbi kommt ein junger Mann und fragt, ob er heiraten solle oder besser nicht. Der Rabbi antwortet: Wie immer du entscheidest, du wirst es bereuen. – Nun, ich versichere Ihnen, das gilt nicht immer. Aber diese Antwort durchzumeditieren kann manchem helfen, sich mit seiner Lage zu versöhnen und das Gute in ihr zu sehen.

Wer es im Alter bereut, geheiratet zu haben, dem sagt Kurt Tucholsky:
Gebt Ruhe, ihr Guten. Haltet still.
Jahre binden, auch wenn man nicht will.
Das ist schwer, ein Leben zu zwein,
Nur eins ist noch schwerer: Einsam sein.

Wir alten Eheleute können also dankbar sein, daß wir nicht einsam leben müssen.

Während der Verlobungszeit haben meine Frau und ich an einem kirchlichen Brautkurs teilgenommen. Der alte Priester – vielleicht war er gar nicht älter als ich heute – sagte uns: Mann und Frau sind so verschieden, denken und fühlen so verschieden und reagieren so verschieden, daß man es als junger Mensch nicht für möglich hält. Ich kann das nur bestätigen. Das ist schön, schwer und faszinierend zugleich. Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer, drückt es so aus: Es ist eine andere Nation, die da Röcke tragen. (Buch von Johannes Gillhoff.) Freuen wir uns also erst einmal an der Verschiedenheit, und lassen wir uns gern faszinieren. Vielfalt ist eine Eigenschaft der Schöpfung.

Max Frisch hat einmal ungefähr geschrieben (aus dem Gedächtnis zitiert): Das Geschlecht hat viele Provinzen. Unser Partner hat Zutritt zu Provinzen, in die wir ihm nicht folgen können, und umgekehrt. – Hier liegt gewiß ein Grund für viele Scheidungen. Mancher vermißt etwas bei seinem Ehepartner und holt es sich woanders.

Das Buch der Sprüche in der Bibel, damals nur für Männer geschrieben, sagt dazu: Die Lippen der fremden Frau triefen von Honig, glatter als Öl ist ihr Mund. Doch zuletzt ist sie bitter wie Wermut, scharf wie ein zweischneidiges Schwert. ... Halte deinen Weg von ihr fern, komm ihrer Haustür nicht nahe. ... Trink Wasser aus deiner eigenen Zisterne, Wasser, das aus deinem Brunnen quillt. ... Eine Hure bringt einen nur ums Brot, aber eines anderen Ehefrau ums kostbare Leben. Trägt man denn Feuer in seinem Gewand, ohne daß die Kleider in Brand geraten? Kann man über glühende Kohlen schreiten, ohne sich die Füße zu verbrennen? So ist es mit dem, der zur Frau des Nächsten geht. ... Wer Ehebruch treibt, ist ohne Verstand, nur wer sich selbst vernichten will, läßt sich darauf ein. (Aus Sprüche 5–6, Einheitsübersetzung, 6, 26 nach Luther)

Mehr muß ich über Untreue wohl nicht sagen.

Als Mann darf ich mehr über die Fehler von Männern sprechen, die zum Scheitern mancher Ehe führen. Mancher Mann macht es sich bequem mit einem bekannten Wort aus dem zweiten, dem älteren Schöpfungsbericht: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Gehilfin schaffen, die um ihn sei. Nur der Mann sei Mensch, meinen sie, die Frau sei Gehilfin. Aber damit ist dieser Satz falsch verstanden, wie die Fortsetzung zeigt: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.

Jesu Hinweis auf den Beginn der Schöpfung will die Frau dem Mann gleichstellen. Das wird noch deutlicher, wenn man die Verse unmittelbar hinter unserem Predigttext bei Markus liest. Diese behandeln den Fall, daß eine Frau sich von ihrem Mann scheidet – das war bei den Juden damals undenkbar.

Jesus hat in seinem Alltag Frauen als Partnerinnen behandelt, ganz gegen das, was sich damals gehörte. Er sieht erst recht die Ehe als Partnerschaft. Schwierigkeiten sind gemeinsam zu überwinden, nicht durch Aufkündigen der Partnerschaft. Nicht umsonst sprechen wir von Ehepartnern. Auch eheähnliche Lebensgemeinschaften, die auf Ausschließlichkeit und Dauer angelegt sind, verstehen sich als Partnerschaften.

Jesus sagt: Vor Gott steht die Frau anders da als vor dem Gesetz des Mose. Nicht das Gutdünken des Mannes oder die Deutung der Gesetzeslehrer soll über das Schicksal der Lebensgemeinschaft entscheiden, sondern das Wohlwollen Gottes soll die Würde der Frau schützen. Das ist ein Fortschritt für Kultur und Religion.

Und nun die versprochene neue Überschrift zu unserem Abschnitt bei Markus, gefunden in einem Kleinkommentar zum Markusevangelium: Ehe als Partnerschaft. Diese neue Überschrift kann Programm für Ehepaare sein, aus der Bibel für den Alltag.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten