Von Ehe und Ehescheidung

Predigt über Markus 10,2-9 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 2. November 2003, 20. Sonntag nach Trinitatis


Wenn ein junger Mann und eine junge Frau sich finden und sich einig sind, auf die Dauer zusammenzubleiben, dann ist das eine ganz große Sache, etwas Außergewöhnliches, Begeisterndes. Verwandte und Freunde freuen sich mit, und die beiden sind ihnen ein Fest schuldig. Die Hochzeit, die hohe Zeit des Lebens, wird gebührend gefeiert.

Wo es Hohes gibt, Herausragendes, da muss es auch das Alltägliche geben, aus dem es hervorragt. Nach den Flitterwochen kommt bald der Alltag.

Der Alltag in der Ehe stellt zumindest dieselben Anforderungen wie der Alltag im Umgang mit Menschen sonst, und noch ein paar dazu. Und ebenso, wie die Ehe zum höchsten Glück führen kann, zur Fülle des Lebens und Erlebens, kann sie auch scheitern. Das war schon zur Zeit des Mose so, als das gesellschaftliche Verhältnis zwischen Mann und Frau ganz anders war. Schon damals gab es Scheidungen. Auch zur Zeit Jesu durfte ein Mann -- aus einem mehr oder weniger triftigen Grunde -- seine Frau wegschicken.

-- Hören wir, was der Evangelist Markus dazu berichtet. Ich lese aus Kapitel 10 ab Vers 2.

Da kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen? Damit wollten sie ihm eine Falle stellen.

Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben?

Sie sagten: Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und (die Frau) aus der Ehe zu entlassen.

Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.

Pharisäer fragen Jesus. Jesus fragt als erstes zurück: Was hat euch Mose vorgeschrieben?

Das überrascht mich. Jesus verweist nur weiter, auf das Gesetz. An anderer Stelle sagt er doch: Der Sabbat, das Sabbatgesetz, ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat, für den Buchstaben des Gesetzes. Sonst kennen wir Jesus doch als einen, der das Leben fördert, das Leben mit Gott, das Leben in Fülle. Das Gesetz hat dem Leben mit Gott zu dienen. Laut Evangelium des Johannes hat Jesus der Ehebrecherin ein neues Leben geschenkt statt der tödlichen Steinigung, die im Gesetz steht, bei Mose.

Das ist gerade die Falle der Pharisäer für Jesus. Sie wissen: Jesus kann die Ehescheidung nicht gut finden. Das Gesetz des Mose erwähnt aber die Scheidung als Möglichkeit. Wenn Jesus gegen die Scheidung spricht, dann spricht er gegen das Gesetz des Mose. Das aber darf er als Rabbi nicht.

Jesus verweist zunächst die fragenden Pharisäer auf das Gesetz. Dann scheint er wieder einmal das Gesetz zu verschärfen, wie er es anderswo tut mit den Worten "Euch ist gesagt -- ich aber sage euch". Zugleich stellt er den Geist des Gesetzes dar: Das Gesetz soll den Menschen helfen, gar nicht erst in die Nähe eines Verstoßes zu kommen. Das ist jüdische Tradition.

Wie Jesus die Unauflöslichkeit der Ehe festschreibt, das klingt sehr ernst. Wir sehen heutzutage Gott eher als den liebenden Vater. So hat Jesus ihn auch geschildert. Aber darüber dürfen wir den Ernst des Wortes nicht vergessen.

-- Jesus ermahnt und fordert nicht nur, er weist mit zwei Zitaten aus dem ersten Buch Mose zweimal auf das Gute und Schöne, auf das Ursprüngliche der Schöpfung, auf das Göttliche der Ehe hin, das uns geschenkt ist. Hören wir genauer hin.

Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Hier ist die Hebräische Bibel ihrer Zeit weit voraus. Damals galten nur Männer und Söhne etwas. Aber der Mann alleine ist nicht schon der Mensch, hat nur eine Sicht der Dinge, ist auf die ganz andere Sicht der Frauen angewiesen, sonst verfehlt er viele Möglichkeiten des Lebens, und zwar die schöneren, die tieferen. Die Fülle des Lebens, das Glück der Ganzheit kann der Mann alleine nicht haben, ohne lebendige Beziehung mit der Frau, ohne den weiblichen Aspekt des Lebens zu kennen.

Ich hoffe, umgekehrt gilt das auch ein bisschen. Ich hoffe, die Frauen brauchen uns Männer auch ein bisschen, entgegen dem Sponti-Spruch "Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad". Der erste Schöpfungsbericht, den Jesus hier zitiert, macht mir Mut.

-- Jesus zitiert auch aus dem zweiten Schöpfungsbericht: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.

Die Faszination durch das andere Geschlecht ist stärker als die Geborgenheit bei den Eltern. "Fleisch" steht für das Menschsein als Ganzes, mit dem Aspekt der Körperlichkeit. "Ein Fleisch sein" bedeutet nicht nur die geschlechtliche Vereinigung, sondern die umfassende persönliche Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist so eng, dass jemand sagen konnte: In der Ehe ist man zu zweit allein, erst zu dritt ist man in Gesellschaft.

-- Nun zum letzten Satz, den Jesus hier zitiert. Er klingt wieder wie ein Gesetz: Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.

Hat Gott bei jeder Ehe diesen Mann und diese Frau miteinander verbunden? Daran darf man zweifeln. Manches Paar stürzt sich Hals über Kopf in die Ehe, ohne ein paar Monate Verlobungszeit als Bedenkzeit. Mündig bin ich nur, wenn ich meine Entscheidung für einen Partner als meine eigene Entscheidung begreife.

Gott hat den Menschen als Mann und Frau für das Zusammenleben geschaffen, aber sich füreinander entscheiden müssen sie selber -- und miteinander leben auch. Es gibt eine ausgiebige Ratgeber-Literatur. Aus christlicher Sicht kommt das Buch "EHE der Zoff uns scheidet" des Ehepaars Lehnert. Der zentrale Ratschlag darin lautet: Dem anderen die eigene Wünsche mitteilen und die vom anderen geäußerten Wünsche erfüllen. So einfach ist das. Und so schwierig!

Diese Übung ist übrigens das genaue Gegenteil von Egoismus. Die Ehe ist kein Geschäft auf Gegenseitigkeit, für beide nützlich. Wer in der Beziehung zwischen Mann und Frau vor allem etwas für sich sucht, der steht seinem Glück im Weg.

-- Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Schon die frühen Christen zur Zeit des Evangelisten Matthäus haben das als Gesetz verstanden (Mt 19,9; 5,32). In manchen katholischen Ländern hat man dieses Gebot zu einem staatlichen Gesetz gemacht. Das hat nicht die Zerrüttung von Ehen verhindert, hat aber viel Leid verursacht.

Das Gesetz als Weisung, als Wegweisung, hilft zum Leben. Manchem Ehepaar in der Krise kann der Gedanke der Unauflöslichkeit der Ehe ein rettender Anker sein, der Auslöser zu neuen und erfolgreichen Bemühungen. Als Christen sollten wir die gute Weisung selbst befolgen, auch anderen empfehlen, aber nicht anderen vorschreiben.

Der katholische Theologe Joseph Ratzinger hat das so begründet: "Da Jesus hinter die Ebene des Gesetzes zurückgreift auf den Ursprung, darf sein Wort selbst nicht wieder unmittelbar und ohne weiteres als Gesetz angesehen werden."

Als Gesetz für andere kann das sogar Schaden stiften: Bei manchem Paar leidet einer so sehr unter dem anderen, dass selbst die evangelischen Lebens- und Eheberater nicht mehr von einer Scheidung abraten.

-- In der Hebräischen Bibel steht die Ehe als Bild für die Beziehung Gottes zu seinem Volk. Auch das wertet die Ehe auf. Bei Jesaja (62,4f) spricht Gott zu Jerusalem: Man soll dich nicht mehr nennen "Verlassene" und dein Land nicht mehr "Einsame", sondern du sollst heißen "Meine Lust" und dein Land "Liebes Weib"; denn der HERR hat Lust an dir, und dein Land hat einen lieben Mann. Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau freit, so wird dich dein Erbauer freien, und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.

Was ist das Gemeinsame? Die Wichtigkeit der Partner füreinander, die Dauer oder Unauflöslichkeit, und als Drittes die Ausschließlichkeit: Israel hat nur einen Gott, und Gott hat nur ein Volk erwählt. Mit solchem Bildwort bei Jesaja wertet Gott die menschliche Ehe auf, und die Ehe bleibt nicht Privatsache, sondern ist Teil der göttlichen Ordnung.

Ich sehe auch eine praktische Gemeinsamkeit: Ein Mensch, der Gott oder seinen Ehepartner für eigene Zwecke einspannen will, wer gezielt Nutzen für sich selber will, der macht seine Gottesbeziehung ebenso kaputt wie seine Ehe. Paulus schreibt: Die Liebe sucht nicht das Ihre.

Das wichtigste Gemeinsame zwischen der Beziehung zu Gott und der zum Ehepartner kommt im Predigttext gar nicht vor: die Liebe. Beide Beziehungen leben von der Liebe.

Hier ist eine größere Liebe gemeint als die Nächstenliebe. Die Nächstenliebe sind wir allen schuldig, die Menschenantlitz tragen. Diese Liebe hier, die Liebe zum Ehepartner und die Liebe zu Gott und seiner Weisung, ist ihrer Natur nach viel größer, da kann es keine gleichartige Liebe zu einem Dritten geben, keine anderen Götter und kein Fremdgehen.

Bei diesem großen Lob für die Ehe wollen wir wenigstens mit Respekt, besser mit Liebe an all diejenigen denken, die nicht oder nicht mehr in einer glücklichen Ehe leben. Da sind viele, die einen Partner suchen und keinen finden. Darunter sind Gesunde ebenso wie Kranke und Behinderte, die auch nach Erfüllung in der Liebe suchen. Dann gibt es Menschen, die um einer Berufung willen auf Partnerschaft und Ehe verzichten; manchen von ihnen wird das nachher sehr schwer. In jeder Kultur gibt es Menschen mit starker Neigung zum gleichen Geschlecht, die erst allmählich von der Kirche beachtet und geachtet werden. Manche Eheleute kämpfen um den Erhalt ihrer gefährdeten Ehe. Kinder leiden unter Streit ihrer Eltern. Ehen scheitern, Ehepartner laufen weg oder verhalten sich so, dass der andere wegläuft. Unter uns leben Frauen, die im Zweiten Weltkrieg ihren Geliebten, Verlobten oder Ehemann verloren haben oder die wegen den Todes so vieler Männer ihrer Generation keinen Partner finden konnten. Und es leben viele weitere Witwen und Witwer unter uns. Nachher beim Abendmahl werden wir in Gemeinschaft mit ihnen feiern. Lassen Sie uns in der Stille für sie alle beten, dass sie ihren Weg finden und den Weg zu Gott.

-- Ich fasse zusammen. Die Antworten Jesu sind ein großes Lob der Ehe. Die dauerhafte und ausschließliche Beziehung zwischen Mann und Frau, die Ehe ist eine der schönsten Erfindungen Gottes. Wenn wir sie würdig leben, wie der Schöpfer sie gedacht hat, dann brauchen wir die Vorschriften des Mose für das Beenden einer Ehe nicht. Dann kann die Ehe ein irdisches Bild für die Beziehung eines Menschen zu Gott sein.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten