Die Hingabe als vernünftiger Gottesdienst

Predigt über Römer 12,1-8 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 11. Januar 2004, 1. Sonntag nach Epiphanias


Als Hinführung zum heutigen Predigttext lese ich ein kleines Stück aus dem Buch "Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna".

Die kleine Anna hatte viele Warum-, Weshalb-, Wieso-Fragen. Wie viele Probleme gab es? Nur die Sache mit Mister Gott war kein Problem. Das hatte Anna längst gelöst. Hässlichkeit war dazu geschaffen, dass man sie in Schönheit verwandelte; traurige Leute gehörten glücklich gemacht, und bei alle dem hatte man Mister Gott als verlässlichen Partner. Seine Aufgabe war es, überall mitzumachen.

Die Bibel beispielsweise brauchte man dazu überhaupt nicht. Die Botschaft war einfach, und jeder Halbidiot konnte den Inhalt der Bibel in bestenfalls dreißig Minuten kapieren. Religion war dazu da, dass man etwas tat, und nicht, um darüber zu lesen, was man tun könnte. Die Bibel war höchstens was für Kleinkinder in der ersten Klasse. Anna war über dieses infantile Stadium längst hinaus.

Unser Pfarrer fragte sie einmal: "Glaubst du an Gott, Anna?" "Ja."

"Weißt du, was Gott bedeutet?" "Ja."

"Was bedeutet er also?" "Na eben, dass er Mister Gott ist."

"Gehst du in die Kirche?" "Nein."

"Warum nicht?" "Weil ich schon alles weiß."

"Und was weißt du alles?" "Ich weiß, dass ich Mister Gott lieb habe und Leute und Katzen und Hunde und Spinnen und Blumen und Bäume ... und überhaupt alles; ich allein mit meiner ganzen Figur." [...]

-- Auf den ersten Blick könnte man denken, der komplizierte Predigttext für heute ließe sich so einfach sagen. Aber Paulus sagt erheblich mehr. Ich lese aus Römer 12 erst einmal nur die Verse 1 bis 3.

Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.

Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Das sind, vordergründig gesehen, nur Ermahnungen. Aber die vorangehenden elf Kapitel des Römerbriefs schildern die Güte Gottes, seine Barmherzigkeit und seine Taten für die Menschen. Paulus möchte zu einer dankbaren Reaktion darauf einladen. Darum ermahnt oder ermuntert er dazu, das Empfangene anzunehmen und einzusetzen, damit das Leben gelingt, das eigene und das der Mitmenschen, das Leben in der Gemeinschaft.

-- Ich will versuchen, den Inhalt der drei Verse mit anderen Worten zu sagen.

Erstens: Seid nicht ein bisschen Christ, sondern seid ganz und gar Christ. Gebt euch ganz Gott hin, weil Gott barmherzig ist. So dient ihr Gott richtig. Bei Anna heißt das: "Ich weiß, dass ich Mister Gott lieb habe [...]; ich allein mit meiner ganzen Figur."

Zweitens: Tut nicht alles, was die Welt von euch fordert, sondern ändert euren Sinn und prüft, was Gottes Wille ist.

Drittens: Niemand überschätze sich selbst, sondern jeder halte so viel von sich, wie Gott ihm an Glauben zugeteilt hat.

-- Die dann folgenden Verse enthalten sozusagen die Ausführungsbestimmungen dazu.

Hier ist nun der ganze Predigttext, der Anfang von Römer 12 (1-8).

Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.

Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.

Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

-- Wir sollen unsre Leiber, also unser Leben als Opfer hingeben? Paulus hat den Auferstandenen erlebt, so machtvoll, dass er für Tage erblindete. Erst nach diesem Erlebnis konnte er sein ganzes Leben für Christus einsetzen. Und er war mit viel Geist begabt, das erkennt man an seinen Briefen.

Aber wir gewöhnlichen Christen, ohne solche göttliche Erscheinung und ohne so große Geistesgaben wie Paulus, wie können wir das schaffen?

Paulus ermahnt uns, unser Leben hinzugeben als ein Opfer. Dabei hat er wohl das Opfer Jesu vor Augen gehabt, sein Leben und Sterben. Wie hat Jesus Leib und Leben hingegeben? Er hat auf Gott gehört und das für die Menschen Nötige getan. Dabei hat er wissentlich sein Leben eingesetzt, hat es riskiert und verloren.

Jesus hat damit seine frohe Botschaft beglaubigt. Er hat uns vorgelebt, was nötig ist. Gott hat sich am menschlichen Maß orientiert, als er auf die Erde kam in unser Fleisch. Für unsere kleineren Gaben gilt, was ich aus der Gemeinschaft von Taizé in Burgund hörte: Auch wenn du noch so wenig vom Evangelium verstanden hast -- das wenige tue.

Das mag klingen wie „ein bisschen Christ sein", so halb oder größtenteils. Die Forderung ist grenzenlos, theoretisch kann man nur ganz und gar Christ sein, aber praktisch sind wir es alle nur unvollkommen, Paulus auch, nach seinem eigenen klagenden Bekenntnis. Gott will das Vollkommene, aber wir Menschen leben, glauben und handeln im Vorletzten, im Unvollkommenen und Fragmentarischen. Wir müssen damit leben, dass die Welt und wir Menschen unvollkommen sind, noch auf die Erlösung warten, die uns zugesagt ist.

Angenehm kann für Gott so ein Opfer, eine Hingabe des eigenen Lebens nur sein, wenn es freiwillig kommt. Das ist keine Überforderung, weil wir nur das einzusetzen brauchen, was wir empfangen haben. Aus der Gabe folgt die Aufgabe. Indem wir uns Gott überlassen, werden wir andere Menschen, wir verändern uns.

So soll Luther gesagt haben: Der Glaube ist eine Veränderung und Erneuerung der ganzen Natur, also, dass Augen, Ohren und das Herz selbst ganz und gar anders hören, sehen und fühlen, denn andere Leute.

-- Der zweite Schritt, im zweiten Vers: Kehrt um, erneuert euren Sinn, stellt euch nicht dieser Welt gleich.

Wir müssen allerlei für uns selber tun, sonst können wir nicht überleben oder belasten andere, die dann für uns sorgen müssten. Die Logik der Welt ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Deshalb zieht es unseren Sinn immer wieder zu den Dingen dieser Welt, unnötiger Konsum eingeschlossen, und deshalb konnte Luther als erste seiner 95 Thesen schreiben: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: "Tut Buße" usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.

Die Buße war für Luther eine freudige Sache. Das Gegenteil von Routine ist angesagt, also immer bereit sein, neu zu denken, besonnen zu prüfen, was gut und nötig ist. Dabei sollen wir uns an der Gestalt Jesu ausrichten, wie sie uns im Evangelium begegnet.

-- Der dritte Schritt: Niemand halte mehr von sich, als sich's gebührt zu halten, und ein jeder halte maßvoll von sich, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Wer sich über seine Mitchristen erhebt, verliert mit hochfliegenden Gedanken den Bezug zur realen Gemeinde. Wer mehr Gaben bekam, hat dadurch keinen Vorrang, sondern wir alle sind aufeinander angewiesen. Die Kirche weiß seit frühester Zeit, dass die Benachteiligten ihr Schatz sind. An den Benachteiligten müssen und können wir uns immer wieder erden, wenn wir nicht zu hoch fliegen wollen.

Der Wille Gottes ist nicht im Himmel und weit weg, sondern ganz irdisch und nahe. Er wird laut Paulus in der Gemeinschaft der Christen erkennbar, in der Gemeinde und in der Kirche. Ich denke an Gespräche unter uns, an Bibelabende und Predigtnachgespräche, und auch an Gemeindeversammlungen, Presbyterien und Synoden.

Das Leben in christlicher Freiheit kann sich aus diesem Bezug zur Gemeinde nicht herauslösen, weil es die Ausrichtung der Freiheit an der Erkenntnis anderer braucht. Wie schon im alten Israel, ist "guter Lebenswandel" eher derjenige der Gemeinschaft als eine Leistung einzelner. Der Gottesdienst in der Kirche hat die Aufgabe, die Christen zum Gottesdienst im Alltag zu ermutigen, zum wortgemäßen oder "vernünftigen" Gottesdienst, wie Luther übersetzt. Das Opfer Jesu, also die Hingabe an Gott im Leben bis zum Tod, ist das Urbild des vernünftigen Gottesdienstes.

Die Gemeinschaft ist auch notwendig, um die eigenen Gaben richtig einzuschätzen und einzusetzen. Ich bin auf die anderen angewiesen, aber die anderen sind auch auf mich angewiesen. Ich muss mein Maß finden. Jeder ist begabt, aber jeder ist auch beschränkt. Deshalb die Mahnung gerade an die Begabten, nicht überheblich zu sein.

Umgekehrt verbergen sich manche und halten weniger von sich, als ihnen nach ihren Gaben zukäme. Auch das ist für die Gemeinschaft nicht gut. Solche Menschen muss man ermuntern, ihre Gaben zu nutzen. Hierzu gehört auch das Lob, das die meisten Menschen brauchen, nicht nur die Kinder.

So viel zu den drei Schritten. Ich komme zum Schluss. Die kleine Anna aus dem eingangs zitierten Buch sagte ganz kurz: Liebe Gott und deinen Nächsten mit deiner ganzen Figur; und dann tue all das, was daraus folgt. Sie hielt Kirche für unnötig. Paulus allerdings zeigt, dass wir sie nötig haben, um den Willen Gottes zu hören und gemeinsam zu tun. Immerhin liebte Anna Gott und ihre Mitmenschen mit ihrem ganzen Leben, oder, wie sie sagt, mit ihrer ganzen Figur, und sie sagt das heiter, weil es aus großem Vertrauen zu Gott entspringt. Das kommt der Forderung des Paulus schon sehr nahe: Gebt eure Leiber hin als ein Opfer.

Vielleicht könnte sich Anna der Sicht des Paulus anschließen, dass die Liebe zu Gott immer auch die Gemeinschaft der Mitglaubenden braucht, zum gemeinsamen Hören, Beten und Tun.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten