Vom Sämann

Predigt über Lukas 8,4-8 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 23. Februar 2003, Sexagesimä


Der Predigttext für heute steht bei Lukas im 8. Kapitel.

4 Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:
5 Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf.
6 Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.
7 Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's.
8 Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Es war eine große Menge beieinander, so beginnt Lukas seinen Bericht von der Rede Jesu. Eine große Menge Menschen war versammelt und wollte Jesus hören. Viele Menschen suchten Wegweisung für ihr Leben, hatten Gutes von Jesus gehört oder kannten ihn schon und waren angerührt und gebannt von seinem Wort.

Jesus erzählte ein Gleichnis. Ein Gleichnis ruft förmlich nach einer Deutung. Jesus überließ die Deutung den Zuhörern. Warum sagt er nicht direkt, worauf es ankommt? Die Hörer sollen mitdenken. Was man ohne eigene Denkarbeit hört, ist schnell wieder vergessen. Wenn man erst selber auf den springenden Punkt kommen muss, hinterlässt das tiefere Spuren, kann mehr wirken im späteren Leben. Jesus verlangt von den Zuhörern, dass sie sich etwas Mühe machen. Wir sollen also das Gleichnis deuten.

-- Eine mögliche Deutung steht bei Lukas im Anschluss an das Gleichnis. Der Same ist hier ein Bild für das Wort Gottes, und jede der vier Arten von Böden steht für eine Art und Weise, das Wort Gottes aufzunehmen.

Ich möchte hierin nicht vier festgelegte Typen von Menschen sehen. Schon gar nicht möchte ich manche von ihnen verurteilen. Eher schon sehe ich die Ackerböden für vier Zustände, in denen jemand gerade sein kann. Beim Menschen ändert sich die Aufnahmefähigkeit schneller als beim Acker. Jeder von uns ist mal aufnahmefähig und mal nicht.

Manche nennen dieses Gleichnis sogar das Gleichnis vom vierfachen Acker. Aber das ist nicht die einzige sinnvolle Deutung und Bedeutung des Gleichnisses.

Schon die Redakteure unserer Bibeln haben eine andere Überschrift gewählt, trotz der Deutung, die darin steht. Das Gleichnis heißt dort gerade nicht "Vom vierfachen Acker", sondern "Vom Sämann". Den Redakteuren war also der Sämann wichtiger als der Acker.

-- Der Sämann sät nicht nur, er betrachtet nachher auch sein Feld und denkt an die gewünschte Ernte. Was sieht dieser Landmann, den Jesus uns vorstellt?

Da sind nicht nur schlechte Stellen nebeneinander in seinem guten Acker. Da ist im Gleichnis auch eine zeitliche Folge, auf die wir achten sollten. Was im Gleichnis abläuft, dauert Stunden, Tage, Wochen und Monate. Schon in den ersten Stunden picken Vögel die Körner vom Wege, einige Tage später versengt die Sonne die Pflänzchen auf felsigem Boden, die Dornen und Disteln kommen nach Wochen, und erst nach Monaten werden die Ähren reif zur Ernte.

Die vier Beobachtungen sind genau in der Reihenfolge zu machen, wie sie hier im Gleichnis stehen. Ich möchte heute mehr auf diese zeitliche Abfolge achten als auf das Nebeneinander der Flächen im Ackerland.

Der Sämann sieht einen Misserfolg nach dem anderen. Aber das nimmt er in Kauf. Er weiß: Im Samen steckt gute Kraft, und er kann deshalb auf eine gute Ernte hoffen. Die Ausdauer bei der Arbeit begründet seine Zuversicht nach getaner Arbeit.

-- Die Ernte steht in der Bibel oft für die Endzeit, für die Ankunft des Gottesreiches. Wer sät hier das Reich Gottes? Jesus selber. Ich will einmal das Gleichnis so deuten, dass Jesus Christus der Sämann ist und das, was hier wachsen soll, das Reich Gottes.

Der Sämann sät großzügig guten Samen auch auf die schlechten Stellen des Ackers. Für einen Landmann wäre das unwirtschaftlich, aber für das Reich Gottes sieht es anders aus. Überall soll das Reich Gottes wachsen. Alle Menschen sind eingeladen, es anzunehmen und in sich wachsen zu lassen.

-- Was ist das Reich Gottes? Paulus beschreibt es so (Röm 14,17): Das Reich Gottes ist [...] Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.

Hier ist mir wieder die Reihenfolge wichtig. Gerechtigkeit und Friede zuerst, die Freude kommt dann von selbst. Mir tut es jedesmal etwas weh, wenn jemand die ersten zwei Wörter vertauscht und den Frieden vor der Gerechtigkeit nennt. Der Grund ist ein kurzes Wort eines Propheten.

Jesaja schreibt (32,17): Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein. Zuerst ist die Gerechtigkeit da, nur aus ihr wächst der Friede, wenn es ein gerechter Friede sein soll, Gottes Schalom.

Im Gleichnis wächst Korn, in der Deutung wächst Gottes Friede. Beides nährt die Menschen. Ein Sprichwort sagt: Friede ernährt, Unfriede verzehrt.

Frieden kann sonst auch eine Art Friedhofsruhe sein, wie die römischen Kaiser sie erzwungen haben in Israel und anderswo, ein Siegfriede. Das war kein gerechter Friede.

Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein. Gerechtigkeit hat in der Bibel immer die Nebenbedeutung von Barmherzigkeit. Man gibt dem anderen nicht nur, was ihm zusteht, sondern auch das, was er braucht. Nach göttlichem Recht steht ihm das sogar zu. Also erst die großzügige Gerechtigkeit, dann der Friede.

Das bringt mich zu den Demonstrationen gegen den angesagten Angriff auf den Irak. Die Abwägung, wie lange man einen Verbrecher wirken lässt und wann man Gewalt gegen ihn einsetzt, ist schwierig, und es gibt Situationen, da wird man so oder so schuldig, ob man abwartet oder handelt.

Die USA und wir haben allen Grund, weiteren Terror zu fürchten. Es gibt keine Rechtfertigung für Terror, aber es gibt Ursachen des Terrors. Eine von ihnen ist globale Ungerechtigkeit. Ich denke, vor dem Zuschlagen sind wir verpflichtet, mit aller Kraft gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen. Das kostet Opfer an Bequemlichkeit und Wohlstand.

Die Welt gerechter machen, das ist mühsame Arbeit im Kleinen und im Großen, viel mühsamer, als nur Samenkörner auszustreuen. Das Gute wächst immer langsam. Der Sämann braucht zuerst Ausdauer beim Säen. Nachher, wenn die Saat wächst, muss er warten können, braucht er Geduld. Nur Zerstören kann schnell gehen, Aufbauen und Wachsen brauchen immer ihre Zeit.

Das Reich Gottes wurde einmal als irdische Herrschaft verstanden, auch als politische Macht. Nach jüdischem Verständnis ist das "Reich Gottes" Gottes gerechte Herrschaft auf der Erde, sein Kommen das Ende aller Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit. Dieses Reich steht noch aus. Unterdrückende und ausbeutende Strukturen sind geblieben. Statt des römischen Kaiserreichs haben wir eine gute Demokratie. Aber ausbeuterischen Strukturen haben wir immer noch, und zwar im Wirtschaftsleben. Damit einige Menschen viel mehr bekommen, als sie brauchen, müssen andere die Erzeugnisse ihrer Arbeit weit unter Wert verkaufen. Deutschland ist auf der Seite der Nutznießer.

Viele Anstrengungen, die Ungerechtigkeit zu mindern, haben bisher kaum etwas gebessert. Eine neue Bewegung will die ganze Globalisierung stoppen und zurückdrehen, ich nenne ATTAC. Was wir brauchen, ist Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen den Völkern. Als im Jahre 1973 der Ölpreis schnell stieg, sagten manche, wir müssten jetzt den Gürtel enger schnallen. Bundespräsident Heinemann widersprach ihnen: Nein, wir brauchen nur etwas bescheidener zu sein. Daran fehlt es bis heute, dreißig Jahre später.

Wir können das Reich Gottes nicht machen, so wenig wie der Sämann das Wachsen des Korns. Aber wir können eine Menge tun für Gerechtigkeit und gerechten Frieden, auch wenn ein Misserfolg nach dem anderen zu sehen ist. Erfolg auf Erden ist uns zwar nicht garantiert. Wir sehen sogar viel Misserfolg, wie der Sämann. Aber dieses Gleichnis kann uns lehren, zuversichtlich und geduldig zu sein, trotz anfänglicher Misserfolge weiter zu arbeiten und zu beten und zu hoffen. Das Reich Gottes kommt - trotz Leerlauf, Fruchtlosigkeit und Enttäuschungen - zum Ziel.

Wir hatten, und vielleicht haben wir noch, weltweit den Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Er hat viele gute und wichtige Gedanken produziert und Bewusstsein geweckt. Trotzdem scheint auch unser Land seine Zusage für die Verringerung der Treibhausgase nicht erfüllen zu können.

Ein zweites Beispiel: In unserer Gemeinde gab es mal eine Umweltgruppe. Sie ist eingeschlafen. Aber die Anstrengungen gehen weiter. Mit dem Bauausschuss und mit der Solaranlage im Kindergarten bemühen sich viele in unserer Gemeinde, die Schöpfung möglichst zu bewahren. Wir machen weiter, auch wenn wir Disteln wuchern sehen.

Das Gleichnis nennt zwar drei schlechte Ackerstellen und nur eine gute, es lenkt aber unseren Blick deutlich auf die reiche, überreiche Ernte am Ende.

-- Jesus wollte allen seinen Zuhörern Mut machen. Eine große Menge hörte Jesus zu, als er dieses Gleichnis erzählte. Unter dem Kreuz standen dann nur noch wenige bei ihm. Aber von Ostern an erschien er den Frauen und Männern, die ihm nachgefolgt waren. Daraus wuchs dann die große Bewegung, die bis heute Menschen ermutigt.

Ich schließe mit einem Wort aus dem 1. Korintherbrief (15,58). Hier sagt Paulus etwas, was sich für mich aus dem Gleichnis ergibt: Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wißt, daß eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.

(Predigtlied: Es mag sein, dass alles fällt; EG 378)


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten