Nicht Frieden, sondern das Schwert

Predigt in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 16. Oktober 2005, 21. Sonntag nach Trinitatis, Matthäus 10,34-39


Der Predigttext für heute steht bei Matthäus im 10. Kapitel, Verse 34 bis 39.

Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.

Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

– Das sind harte Worte, sehr harte Worte. Sie passen so gar nicht zu unserem Bild von Jesus. In der Bergpredigt preist er die Friedfertigen selig, die Friedensmacher, "denn sie werden Gottes Kinder heißen". Im Evangelium für heute verlangt Jesus sogar, die Feinde zu lieben. Und hier dies: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Jesus erläutert das: Innerhalb der engsten Familie gibt es Streit seinetwegen. Es gibt Streit, weil da einer mehr zu Jesus hält als zu Vater und Mutter. Das Schwert steht hier für die Trennung, die Zwietracht.

Jesus verlangt viel. Er verlangt unbedingte Liebe, er verlangt absoluten Vorrang. Mehr noch: Er verlangt, für ihn Leiden auf sich zu nehmen, schwerste Leiden, körperliche Qualen bis hin zum Foltertod. Wer da meint, den Sinn seines Lebens ohne ihn gefunden zu haben, ist auf einem Irrweg: Der wird sein Leben verlieren.

Jesus fordert und droht, so sieht es aus. Erst am Schluß des Textes steht – ganz klein – eine große Zusage Jesu, ein Ausgleich für den verlangten Verlust: Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. Der vorangehende Text klingt nur wie Drohung und Forderung, ja, wie eine große Überforderung. Wie stellt Jesus sich vor, was man tun soll?

– Seine Jünger hatten alles verlassen und zogen durchs Land, um das Reich Gottes zu verkünden. Sie hatten den Schatz im Acker oder die kostbare Perle gefunden, nämlich ihren geliebten Meister. Familie und Beruf war zur Nebensache geworden. Sie hatten ihre Fischerboote und Frau und Kinder verlassen und zogen mit Jesus durchs Land, um das Reich Gottes zu verkündigen.

Sollen wir das etwa auch so machen, Frau und Kinder im Stich lassen, die Arbeit hinwerfen und, wie die Jünger, nur noch für Jesus missionieren gehen?

Schauen wir doch mal, wie Menschen heute versuchen, für Jesus zu werben. Manche stehen an belebten Straßenecken und halten für die Vorübergehenden ihre Zeitschriften hoch. Diese Menschen nehmen Jesus ernst, zumindest auf ihre eigene, eigenwillige und andere ausschließende Weise. Sie nehmen das Neue Testament, die Botschaft von Jesus, so ernst, daß sie in Kauf nehmen, mitleidig belächelt zu werden. Unser Text heute sagt: Nehmt das in Kauf. Sogar wenn wir uns die nächsten Angehörigen zu Feinden machen, sollen wir Jesus über alles lieben und das für ihn auf uns nehmen.

Es gibt natürlich auch Werbeaktionen, die gesellschaftlich akzeptiert sind.

1.      Dies Büchlein hier, Neues Testament und Psalmen, wird von der christlichen Gruppe der Gideons in Hotels ausgelegt und von Mensch zu Mensch verschenkt.

2.      Dies Taschenbuch hier, Das Beste für Bonn, Auszüge aus der Bibel, wird in diesen Wochen von der Evangelischen Allianz Bonn auf der Straße ausgeteilt. Immerhin, die Kreuzkirchengemeinde macht dort mit, das ist seriös, auch wenn manche die Evangelische Allianz als evangelikal oder übereifrig beiseite lassen.

3.      Milde belächelt wurde dieses Buch hier, Kraft zum Leben, das vor wenigen Jahren in rauhen Mengen per Post versandt wurde – mit Begleitbriefen, die behaupteten, daß man das Buch angefordert hätte. Vermutlich wurde vor allem der Eifer belächelt, mit dem sich Menschen für Jesus einsetzten.

Aber genau solchen Eifer fordert unser Predigttext aus Matthäus 10. Auch die Gleichnisse vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle sagen genau das. Wer einmal von der Botschaft Jesu und vom Reich Gottes ergriffen ist, dem wird alles andere unwichtig, der nimmt auch Anfeindungen in Kauf von Leuten, die das nicht begriffen haben, und seien es die eigenen Eltern oder Kinder.

Und doch brauchen wir etwas Distanz zum Text. Er steht in der Aussendungsrede, und die richtet sich zunächst an die Jünger. Die starken Worte galten wenigen begnadeten Wanderpredigern in einem Land, das von Ackerbau, Viehzucht und Fischfang lebte, wo man zwar warme Kleidung für die Nacht brauchte, aber keine Heizung. Die Weisungen sollten sowieso nur für ganz kurze Zeit sein, weil Jesus das Reich Gottes auf Erden sehr bald erwartete, eher in wenigen Jahren als in Jahrzehnten, jedenfalls nicht in Jahrhunderten. Da mochten so radikale Forderungen Sinn haben, aber doch nicht etwa hier und heute.

Allerdings, so billig kommen wir nicht davon. Zum einen kann es Situationen geben, wo einer, auch Familienangehörigen gegenüber, durchaus Zeugnis geben soll von dem, was sein Leben trägt. Dann können die Angehörigen durchaus mal sagen, er sei verrückt. Das haben Jesu Angehörige auch von Jesus gesagt. Die Forderung in unserem Text hat ihre Situation, in der sie gilt, und solche Situation kann auch heute noch vorkommen.

Vorgestern beim ökumenischen Bibelabend im Pfarrheim Christ König kam der Gedanke auf, daß der Text nicht nur hart ist, sondern auch tröstlich. Wer solche Trennung oder gar Verachtung erleidet von Verwandten und Freunden, weil er Jesus und seine Botschaft ernst nimmt, kann sich damit trösten, daß Jesus die Folgen vorausgesagt hat.

Der Text will uns also ermuntern, klar und eindeutig zu Jesus zu stehen. Er will uns helfen, nicht etwa – um des lieben Friedens willen – faule Kompromisse zu schließen oder Mißstände hinzunehmen, gar Ungerechtigkeiten zu Lasten anderer. Für die Gerechtigkeit, für die Rechte der Bedürftigen sollen wir uns durchaus auch mal unbeliebt machen.

Bevor ich im Predigttext weitergehe, nennen ich Ihnen zwei aktuelle Ungerechtigkeiten, um die sich meines Wissens niemand kümmert, eine bundesweit und eine in Nordrhein-Westfalen.

Im vergangenen Winter gab es eine Auseinandersetzung um die Gebühren für Hörfunk und Fernsehen. Die Rundfunkanstalten verlangten eine kräftige Erhöhung. Aber die Politiker wollten das den Bürgern nicht zumuten, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Es gab also nur eine geringere Erhöhung. Aber gleichzeitig wurde die Befreiung von der Rundfunkgebühr eingeschränkt auf einen sehr viel kleineren Kreis von Personen. So hat man sich das gewünschte Geld einfach von den Armen genommen statt von der breiten Masse. Monat für Monat fallen nun Geringverdiener aus der Befreiung heraus. Ich lese eine überregionale und eine Bonner Tageszeitung, in beiden habe ich das nicht erwähnt gefunden. Die Hörfunk- und Fernsehmacher haben ihre Mehreinnahmen auf Kosten der Armen natürlich nicht an die große Glocke gehängt.

Zweite Ungerechtigkeit: Auch Sozialwohnungen müssen Pkw-Stellplätze haben, das Baurecht will es so. Die Kosten dafür werden in der Miete gesondert ausgewiesen. Mit der Hilfe zum Lebensunterhalt wird auch die Miete gezahlt. Bis vor einigen Jahren hat die Stadt Bonn auch den Anteil für den Stellplatz gezahlt, wenn die Empfänger nachwiesen, daß sie vergeblich versucht hatten, die Stellplätze zu vermieten. Damit ist jetzt Schluß. Die Sozialhilfeempfänger müssen jetzt die Stellplatzmiete von dem Geld für die Lebenshaltung abknapsen. Mit diesem Geld kann man ohnehin nur auskommen, wenn man gesund und geschickt ist, billige Angebote finden und viel selber reparieren kann. Natürlich ist im Warenkorb für Sozialhilfeempfänger kein Auto vorgesehen. Das Land Nordrhein-Westfalen schreibt aber die Stellplätze vor. Darum sollte es sie auch über die Sozialhilfeträger bezahlen. Die Wohlhabenden sind die Ursache für diese Belastung der Armen, denn die Vorschrift, Stellplätze zu schaffen, kommt davon, daß immer mehr Leute Auto fahren und dadurch der Platz knapp wird. So verstärken die einen durch ihren Wohlstand die Armut der anderen. Die meisten von uns sind also ursächlich mitschuldig an dieser Ungerechtigkeit.

Wie kann man gegen die beiden genannten Ungerechtigkeiten vorgehen, die eine in ganz Deutschland, die andere in Nordrhein-Westfalen? Und wer hilft mit? Beide Ungerechtigkeiten vergrößern die Schere zwischen Arm und Reich. Die klafft auch in Holzlar zwischen wohlhabenden Menschen hier und den Witwen dort, die wenig über der Sozialhilfe liegen und deshalb neuerdings die Rundfunkgebühr bezahlen müssen. Solche Ungerechtigkeiten haben sehr viel mit Jesu Rede vom Reich Gottes zu tun.

Jesus und das Reich Gottes, das er bringt, wichtiger nehmen als die engsten Verwandten, ihm nachfolgen, dieser Vorrang wird stark betont im ersten Teil des Predigttextes. Dann kommt gleich die nächste harte, schwer zu ertragende Aussage: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Sein Kreuz auf sich nehmen, das ist sprichwörtlich geworden, an diese Redewendung hat man sich gewöhnt. Aber wenn man genauer hinschaut, dann ist das, was Jesus fordert, sehr hart. Schwerste Leiden, verursacht durch Menschen, Folter über die Grenze des Erträglichen hinaus, den Foltertod sollen wir in Kauf nehmen, um ihm nachzufolgen. Zum Glück leben wir im Frieden, und so Schweres, kaum Menschenmögliches ist von uns nicht gefordert.

"Unglücklich das Land, das keine Helden hat", so spricht bei Bertolt Brecht ein Knabe zu Galilei. Dieser antwortet: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." Es gibt zu viele Länder, in denen Journalisten und Anwälte, die nur ihre Pflicht tun, Angeklagte verteidigen oder Korruption aufdecken, deshalb eingesperrt oder umgebracht werden. Auch wenn wir in Deutschland jetzt kaum Helden brauchen: Vor gut 60 Jahren brauchten wir Deutschen viele mutige, selbstlose, opferbereite Menschen aus dem Ausland, um die nationalsozialistische Herrschaft loszuwerden, und heute gibt es Länder genug, die ebenso unsere Hilfe brauchen. Schon die Mitarbeit hier in Organisationen wie Amnesty International hilft, nicht alle müssen gleich Helden in Uniform werden. Jesus sagt, laut Johannesevangelium (15,13): Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde.

Verwandt damit ist die letzte Aussage des Predigttextes: Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. Sein Leben finden: Das erinnert mich an eine Bemerkung des damaligen Pfarrers Nienaber aus Niederholtorf. Ein Motorradfahrer braust vorbei, viel schneller als erlaubt. Sagt Pfarrer Nienaber: Wieder einer, der den Sinn seines Lebens gefunden hat. Das war natürlich ironisch gemeint. Ebenso wie der Satz Jesu warnt dieser Spott davor, sich mit Zweitwichtigem zufriedenzugeben. Jesus verlangt, unseren Anteil zum Reich Gottes beizutragen, uns für Gerechtigkeit einzusetzen, ohne viel Rücksicht auf Verluste und Gefahren. Im Schiller-Jahr bietet sich als Variation zum Thema das Dichterwort an: Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein. In unserem Rechtsstaat kann uns bei solchem Einsatz nicht viel passieren. Umsomehr können wir tun, uns einsetzen, hier für unsere Benachteiligten und von hier aus für die Länder, die es bitter nötig haben.

Jesus fordert uns ganz. Jede Forderung hat ihre Situation. Beten wir, daß wir erkennen, was Jesus hier und jetzt von uns fordert, und daß wir ihm folgen, auch wenn er viel fordert.

 


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten