Ströme lebendigen Wassers

Predigt in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 16. März 1999, Exaudi (Joh 7,37-39)


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Jesus Christus spricht: Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.

Dieser Satz stand vor knapp einem Jahr als große Überschrift vorn auf unserem Gemeindebrief. Er steht in Johannes 7, Vers 38.

-- Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Der Satz erinnert mich zuerst an einige Christen, denen ich viel verdanke. Ich kann sagen, von ihnen floss lebendiges Wasser in Strömen.

Wo ich bekümmert war, lenkten sie meine Gedanken auf neue Wege, die ich allein nicht sah. Sie sind ausgeglichen, offen für den Mitmenschen und für das, was ihn bewegt. Solche Menschen können so trösten, dass es weiterhilft. Sie können begeistern und anstecken. Die meisten von uns sind wohl durch solche Menschen Christen geworden.

Wenn wir uns solche Menschen vor Augen stellen, uns an ihnen freuen können, vielleicht gar so werden möchten wie sie, dann hat der Predigttext schon eine wichtige Tat an uns getan.

-- Die Luther-Bibel verweist bei diesem Vers auf eine Stelle beim Propheten Jesaja (58,11): Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Die Übersetzung meint also gar nicht "glauben, wie die Schrift sagt", obwohl das dort so steht. Wenn man zum Luther-Text den erläuternden Verweis auf Jesaja hinzunimmt, dann lautet unser Vers: Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen, wie die Schrift sagt.

-- Der Predigttext für heute besteht aus drei Versen mit diesem Vers in der Mitte. Bei diesem Text weichen die geläufigen Übersetzungen besonders stark voneinander ab. Ich werde den Text nach der Einheitsübersetzung lesen. Der Luther-Vers, über den ich bis gerade eben gepredigt habe, ist darin freilich nicht wiederzuerkennen.

Das siebte Kapitel des Johannes-Evangeliums beschreibt die Selbstoffenbarung Jesu beim Laubhüttenfest in Jerusalem. Die Laubhütte erinnert an Israels Wanderung durch die Wüste, wo Wasser besonders knapp ist.

Das Laubhüttenfest war das schönste und fröhlichste Fest der Juden und wird auch heute noch gefeiert. Es dauerte acht Tage und war ein Erntedankfest. Die Israeliten beteten um eine gute Regenzeit. Am letzten Tag des Laubhüttenfestes gab es im Tempel einen feierlichen Wassersegen: Priester zogen mit Wasser aus der Quelle Shiloah um den Altar. Auf diesen Wassersegen bezieht sich der Text.

Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.

-- Der Evangelist deutet das lebendige Wasser als den Geist, den Geist Gottes, den heiligen Geist. Diesen übertragenen Sinn hat wohl jeder von uns gleich für selbstverständlich genommen, als ich den einen Vers las. Dieser Sinn leuchtet schon im Buch Jeremia (2,13) auf. Dort spricht Gott: Mein Volk hat doppeltes Unrecht verübt: Mich hat es verlassen, den Quell des lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten.

Bisher habe ich gesagt: Das lebendige Wasser fließt aus dem Menschen, der Jesus Christus glaubt. In diesem Vers des Propheten Jeremia aber bezeichnet Gott sich selbst als den Quell lebendigen Wassers. Man kann die Aussage Jesu in unserem Predigttext auch so verstehen, dass das Wasser zuerst aus Jesus selbst fließt. Das passt gut zusammen mit anderen Aussagen Jesu im Johannes-Evangelium.

Dort sagt Jesus von sich: Ich bin das Brot des Lebens (6,35.51), ich bin das Licht der Welt (8,12), ich bin die Tür zu den Schafen (10,7), ich bin der gute Hirte (10,11), ich bin die Auferstehung und das Leben (11,25), ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6) und ich bin der wahre Weinstock (15,1).

Zu diesen sieben "Ich-bin"-Worten ist es eine natürliche Ergänzung, wenn Jesus hier sinngemäß sagt: Ich bin die Quelle lebendigen Wassers, ich gebe das Wasser des Lebens. Ganz ähnlich sagt Jesus zu der samaritischen Frau am Jakobsbrunnen, die dort Wasser schöpft (4,14): Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm geben werde, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.

Wir dürfen also beide Bedeutungen des Leitverses nebeneinander gelten lassen: Jesus Christus ist die Quelle lebendigen Wassers, und wer an ihn glaubt, von dessen Leib werden auch Ströme lebendigen Wassers fließen. Das ist eine starke Zusage an uns, ähnlich der Zusage im Matthäus-Evangelium (5,13-14): Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt.

-- Noch ein Wort im Prediggtext ist mir wichtig: das Wort "dürsten". Was hilft uns lebendiges Wasser, wenn wir es nicht trinken? Viel lebendiges Wasser fließt an vielen Menschen vorbei, an jedem von uns, wenn wir nicht merken, dass uns Flüssigkeit fehlt.

Ich betone jetzt den ersten Satz Jesu im Predigttext: Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wen da dürstet -- erst einmal muss man Durst haben, aber Durst genügt auch. Dann dürfen wir vertrauen, dass unser Durst gestillt wird. Sind wir durstig?

Durst ist hier Lebensdurst, die Suche nach gelingendem Leben, nach Lebenssinn. Junge Menschen suchen heftig, man denke nur daran, wie der verlorene Sohn im Gleichnis sein Glück sucht. Wir Älteren gewöhnen uns an vieles, finden uns ab und suchen weniger und weniger. Hier ist ein Punkt, wo wir Alten die Jugend brauchen. Manche älteren Menschen trocknen aus, bildlich und auch körperlich, weil sie nicht genug Durst haben.

Nicht zufällig ist unser Wort Humor das lateinische Wort für Flüssigkeit und Saft. Wem der Humor abhanden kommt, der hat vielleicht auch den Saft verloren. Auch dann gilt das Wort Jesu: Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt.

-- Wir können nicht von uns aus lebendiges Wasser verströmen. Heiliger Geist geht von selbst von dem aus, der ihm, Christus, vertraut und sich Einsicht schenken lässt. Aus der Erfahrung gestillten Lebensdurstes fließt der gelassene, verändernde Umgang mit der Welt.

Wie erfahre ich am eigenen Leib diese Ströme lebendigen Wassers?
- Mein altes Leiden bleibt, aber gleichzeitig beginne ich zu gesunden, merke, wie Verletzungen heilen, wie Lebensfreude wächst.
- Nicht auf außergewöhnliche Erfahrungen warten, sondern das Alltägliche neu begreifen.
- Gelassen feiern.
- Behutsam mit Verletzlichkeit umgehen, mit fremder und eigener.
- Sich bereichern lassen.
- Einladungen und Geschenke annehmen können, ohne sich jedesmal zu revanchieren.
- Sympathie und Einfühlungsvermögen in sich entdecken.
- Nicht versuchen, aus sich einen besseren Christen zu machen.
- Die empfangene Fülle weitergeben.

-- Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Wahrheit, die mit Jesus verbunden ist, steht und fällt mit seiner Person. Wir finden Zugang zum lebendigen Wasser durch ihn, der das Wasser des Lebens ist. Wir müssen nur das, was er gesagt und getan hat, auf uns wirken lassen und für uns gelten lassen. Wer ihm vertraut, trägt die Botschaft weiter im Geist der Liebe und der Besonnenheit, des Friedens und der Wahrheit, der Güte und des Verstehens.

Wir können uns das lebendige Wasser nur schenken lassen wie eine Brunnenschale, die das Wasser von der Schale über ihr empfängt und die dann überläuft und mit ihrem Überfluss andere Schalen füllt.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten