Jesus und die bösen Dämonen

Predigt in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 7. November 1999, Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, über Lukas 11,14-20


1. Im Predigttext für heute ist immer wieder von Dämonen die Rede, auch von Beelzebul und Satan. Was fangen wir damit an? Gibt es für uns heute noch Dämonen, oder sind sie ausgestorben wie die Saurier? Von den Sauriern findet man wenigstens noch Knochen. Aber gab es jemals Dämonen? Gibt es heute noch welche?

Die katholische Kirche kennt noch das Austreiben von Dämonen durch speziell ausgebildete Priester. Exorzismus ist der Fachausdruck dafür. In Bayern kommt das noch vor. Einmal in zehn Jahren lese ich darüber etwas in der Zeitung. Ich spüre dann ein großes Unverständnis in mir, einen Widerstand.

Für viele von uns gibt es nur das, was man messen und nachweisen kann. Wir halten uns für aufgeklärte Menschen. Für viele von uns sind die Dämonen von damals reine Erfindungen, mit denen man vor allem Krankheiten erklärt hat. Wir kennen die Ursachen vieler Krankheiten, und für die anderen Krankheiten wird man die Ursachen nach und nach erforschen, da sind wir sicher.

Die Menschen damals, die solche Dämonen zur Erklärung von Krankheiten erdacht haben, waren nicht etwa dumm. Bis heute erdenken Forscher neue, tiefliegende Dinge, um rätselhafte Beobachtungen zu erklären. Manche bewähren sich, andere nicht. Solche Hypothesen können sehr fruchtbar sein fürs Weiterdenken, sogar dann, wenn sie falsch sind.

Und ganz unmöglich sind Dämonen wohl auch heute nicht. Als der Bürgerkrieg in Jugoslawien anfing, schrieb ein Nachrichtenmagazin, die Dämonen des Nationalismus seien wiedergekehrt. Jeder hat sofort verstanden, was gemeint war.

Solche Sprechweise ist ein Schlüssel für den Umgang mit dem heutigen Predigttext über Jesus und die Dämonen. Wir dürfen heute manches als Bilder verstehen, was frühere Generationen wörtlich genommen haben. Wenn einer heute sagt, wir wollen den Teufel nicht mit Beelzebub austreiben, dann versteht das auch jeder.

Diese Redensart stammt aus dem heutigen Predigttext: Die Leute werfen Jesus vor, er treibe Dämonen mit Hilfe Beelzebuls aus. Beelzebul ist im Zweiten Buch der Könige der Gott einer Stadt der Philister, in den Evangelien aber ein Anführer der Dämonen. Beel-zebub ist übrigens ein alter Spottname auf Beel-zebul.

Die Menschen zur Zeit Jesu verstanden die Dämonen nicht bildhaft, sondern als ganz handfeste Wirklichkeit. Krankheiten und das Leiden unter Krankheiten gibt es heute wie damals. Ich möchte die Rede von Dämonen gelten lassen als eine Weise, die menschliche Realität zu beschreiben, die damalige wie die heutige Realität. Ein Dämon, das ist ein Bild für etwas, was real ist und worunter Menschen leiden, etwas, das sie quasi überfällt und ihr Leben einschränkt.

Lukas war überzeugt von der großen Macht des Dämonischen. Diese Macht ist für ihn noch ungebrochen. Es ging ihm darum, richtig mit den Dämonen fertig zu werden. Er ist überzeugt: Allein die göttlichen Kräfte werden gegen sie aufkommen.

(2) Ich lese aus dem Lukasevangelium, Kapitel 11, ab Vers 14.
-- Jesus trieb einen Dämon aus, der stumm war. Als der Dämon den Stummen verlassen hatte, konnte der Mann reden. Alle Leute staunten.
-- Einige von ihnen aber sagten: Mit Hilfe von Beelzebul, dem Anführer der Dämonen, treibt er die Dämonen aus.
-- Andere wollten ihn auf die Probe stellen und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
-- Doch er wußte, was sie dachten, und sagte zu ihnen: Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden, und ein Haus ums andere stürzt ein.
-- Wenn also der Satan mit sich selbst im Streit liegt, wie kann sein Reich dann Bestand haben? Ihr sagt doch, daß ich die Dämonen mit Hilfe von Beelzebul austreibe.
-- Wenn ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben dann eure Anhänger sie aus? Sie selbst also sprechen euch das Urteil.
-- Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.

(3) Was ist passiert? Jesus hat einen stumm machenden Dämon ausgetrieben. Er hat einen Menschen frei gemacht zu sprechen, Kontakt aufzunehmen, sich zu äußern. Er hat ihn als voll gültiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt und aus seiner Isolierung befreit. Nun behaupten die Leute, Jesus habe das mit der Kraft des Teufels getan.

Man kann, damals wie heute, die Kraft des Teufels und die Kraft Gottes anscheinend nicht leicht unterscheiden, zumindest nicht an dem, was durch sie geschieht. Der Teufel tut ja auch Gutes, als Köder, damit man ihm folgt. Menschen, die Böses im Sinn haben, machen es ebenso.

In diesem Text geht es vor allem um zwei Themen: erstens das Kräftemessen zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Bösen und zweitens die Heraufführung des Gottesreiches durch Jesus. Es geht nur ganz am Rande um eine Heilung von der Sprachlosigkeit, denn der Geheilte kommt nicht weiter vor. Es geht dem Evangelisten Lukas gar nicht um ein Handeln gegen Naturgesetze, denn die Dämonen sind für ihn Teil der Natur. Es geht dem Lukas auch noch nicht um die geforderte Legitimierung Jesu durch Zeichen und Wunder; davon spricht er später im selben Kapitel (11,29-32). Noch einmal: Es geht um das Kräftemessen zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Bösen und um die Heraufführung des Gottesreiches durch Jesus.

Die Gegner klagen Jesus an, er treibe die Dämonen mit Hilfe Beelzebuls aus, den sie für einen Anführer der bösen Dämonen halten. Das hieße also, Jesus stünde im Dienst des Bösen, wäre gar vom Teufel besessen. Das ist eine lebensgefährliche Anklage. Jesus ist hier zu einer Erklärung herausgefordert.

Jesu Antwortrede bei Lukas ist offensichtlich aus überlieferten Stücken zusammengestellt. Jesus antwortet in drei Ansätzen:
* Erstens: Das Reich des Bösen ist nicht geteilt. Sonst ginge dieses Reich unter. Die Anklage ist in sich widersprüchlich.
* Zweitens: Jesus erinnert seine Zuhörer daran, dass ihre Anhänger auch Dämonen austreiben. Damit gibt er die Kritik erst einmal zurück.
* Drittens: Jesus sagt, dass er im Namen Gottes handele: Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.

(4) Gehen wir die drei Ansätze einmal durch.

(4a) In seiner ersten Antwort warnt Jesus: Das Reich des Bösen ist nicht geteilt. Daraus folgt: Das Böse ist nicht etwa schwach oder machtlos. Hätte Jesus die Macht über die bösen Dämonen von satanischen Kräften bekommen, dann könnte das Böse nicht bestehen.

Wir müssen also das Böse weiterhin ernst nehmen. Wer das Böse gering achtet, täuscht sich selbst, damals wie heute. Er unterschätzt die Kräfte der Zerstörung und des Hasses, der Zerrissenheit und Friedlosigkeit im Zusammenleben. Er übersieht, dass er selbst dem Bösen immer wieder nachgibt, denn auch das Unterlassen des Guten ist ja böse.

(4b) In seiner zweiten Antwort erinnert Jesus seine Kritiker daran, dass ihre Anhänger auch Dämonen austreiben. Wer sind seine Kritiker? Der Text sagt nur "Alle Leute staunten" oder nach Luther "Die Menge verwunderte sich".

Dahinter stehen vielleicht jüdische Angriffe auf die Heidenchristen um Lukas. Auch Juden trieben Dämonen aus, und jetzt werfen sie der jungen Christengemeinde eben dies vor. Lukas sagt: Gleiches Recht für alle. Die Christen erkennen den Wert der jüdischen Dämonenaustreibungen an. Sie verlangen aber, dass auch die Juden die Dämonenaustreibungen Jesu und seiner Nachfolger gelten lassen.

Die jüdischen Dämonenaustreibungen waren durchaus umstritten: Die Fünf Bücher Mose verbieten magische Anschauungen und Praktiken streng, weil Jahwe allein der Herr ist. (Ex 22,17; Lev 19,31; 20,6.27; Dtn 18,9-12; siehe auch 1 Sam 28,3-9; Ez 13,17-23)

Lukas musste nicht nur Jesus vom Vorwurf des Paktes mit dem Teufel befreien, sondern auch die missionierenden Christen. Die Christen um Lukas fühlten sich ganz selbstverständlich als Teil des Gottesvolkes. Das Gottesvolk steht seit der Zeit von Moses und Aaron auf der Seite des Glaubens, der über die Dämonen triumphiert.

Mir leuchtet das alttestamentliche Verbot magischer Anschauungen und Praktiken mit seiner Begründung völlig ein. Wer Gott vertraut und der Botschaft Jesu, hat keinen Platz mehr für Magie, nicht einmal in der milden Form der Horoskope.

(4c) Die dritte Antwort Jesu lautet: Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.

Der Finger Gottes ist ein Bild, das schon im Zweiten Buch Mose vorkommt. Wir dürfen den letzten Satz des Predigttextes auch so lesen: Ich, Jesus, treibe die Dämonen mit göttlicher Kraft aus. So ist Gottes Macht hier unter euch gegenwärtig, und Gott ist stärker als das Böse.

Diese Behauptung Jesu sprengt jede sachliche Diskussion. Mit bloßer Vernunft ist das nicht mehr nachzuvollziehen. Jesus beansprucht damit eine einzigartige Vollmacht. Das ist der Höhepunkt des Textes und zugleich hohe Theologie. Einfühlen kann man sich hier allenfalls, wenn man die vielen Gleichnisse im Herzen hat, die da anfangen: Mit dem Reich Gottes ist es wie mit ...

Lukas macht die Austreibung des Dämonen zu einem Zeichen für den Anbruch des Gottesreiches. Später bei Lukas sagt Jesus: Das Reich Gottes ist mitten unter euch (17,21b). Ich verstehe beide Aussagen so: Jesus brachte seinen Mitmenschen das Reich Gottes. Das Reich Gottes blieb bei den Menschen; es war nicht nur in der Person Jesu auf Erden. Sonst hätte Lukas schon für seine Zeitgenossen gar nicht mehr vom Reich Gottes zu schreiben brauchen. Was hat Jesus dauerhaft verändert durch seine Botschaft vom Reich Gottes auf Erden?

(5) Jesus hat uns das Reich Gottes verständlich gemacht für den Verstand und, wichtiger noch, vorgelebt und nachfühlbar gemacht für das Herz. Das Reich Gottes ist nicht messbar oder nachweisbar (Lk 17,20b), es wird nur von denen aufgenommen, die der Botschaft Jesu vertrauen und die Kräfte der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit, die Gott schickt, durch sich wirken lassen.

Die Kräfte, die man damals den Dämonen zugeschrieben hat, die wirken noch heute. Ich erwähnte vorhin die Dämonen des Nationalismus, das ist eine Form des Gruppenegoismus. Manche Menschen können Dämonen überwinden, Frieden stiften, haben heilende Kräfte, können mit Worten oder ermutigenden Zeichen Gutes tun. Das Reich Gottes braucht und schafft Vertrauen und Gemeinschaft.

Jesus hat die Macht des Bösen gebrochen, und doch lehrt er die Jünger -- und damit auch uns -- zu beten: Erlöse uns von dem Bösen. Auch ein besiegter Feind kann noch gefährlich werden. Wo könnte er heute sein? Ich möchte einige Beispiele nennen, wo das Böse versucht, Macht über uns zu bekommen:
-- wo Menschen meinen, alles machen zu können, sich zum Herrn des Lebens aufwerfen, geschöpfliche Grenzen überschreiten;
-- wo umgekehrt jemand vorgibt, man habe gar keine Wahl, man müsse sich wirtschaftlichen oder technischen Sachzwängen beugen, deshalb müssten zum Beispiel die Maschinen auch sonntags laufen;
-- wo Menschen meinen, die Zukunft zu kennen und vorhersagen zu können, wo sie damit gar Ängste schüren; mit dem befreienden Gott kann das für mich nichts zu tun haben;
-- wo man für einen guten Zweck schlechte Mittel einsetzt, wo jemand gar Menschen als Mittel gebraucht;
-- wo man das Leben aus seiner bunten, schillernden Vielfalt herausholen und eindeutig machen will, in geschlossene Systeme hineinpressen, kurz, überall dort, wo jemand fanatisch wird und damit auch noch Herr über andere sein will.

Für diese heute noch überlebenden Dämonen gilt das, was Martin Luther sagt: "Gott hat uns die Macht auf Erden gelassen, dass wir ohne Unterlass Teufel geistig und leiblich austreiben können, ja sollen und müssen."

So lädt uns das heutige Evangelium ein, auf die Kraft Gottes zu setzen, auf die Kraft des Guten, und so das Gute zu vermehren -- in uns und für andere.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten