Zieht den neuen Menschen an

Predigt über Epheser 4, 22-32
in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn-Holzlar am 17. Oktober 2004 (19. Sonntag nach Trinitatis)


Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen. Mit diesem Spruch aus dem Buch Jeremia habe ich Sie am Anfang des Gottesdienstes begrüßt. Der Wochenspruch und das Evangelium für den Sonntag prägen den Gottesdienst und bestimmen sein Thema. Heute, am 19. Sonntag nach Trinitatis, handeln beide vom Heil, von der Heilung.

Wer genau hinsieht, erkennt: Es geht um die Heilung des ganzen Menschen an Leib und Seele. Auch beim Predigttext heute aus dem Epheserbrief lohnt es sich, genau hinzuschauen.

Vordergründig ist der Text für heute eine lange Liste moralischer Ermahnungen. Aber vor den Ermahnungen steht die Begründung dafür, der Sinn und Grund hinter den Einzelheiten. Wer sich von Jesus ergriffen weiß, sündigt nicht mehr, zumindest nicht mit Wissen und Absicht. In der Taufe geht der alte, fehlerhafte Mensch unter, und der Mensch wird als Christ neu geboren. Paulus schreibt wohl an eine Gemeinde, die anfängt zu ermüden, und er will sie ermuntern und aufbauen

Ich lese aus dem Epheserbrief, Kapitel 4, ab Vers 22.

22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.
26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; laßt die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen,
27 und gebt nicht Raum dem Teufel.
28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
29 Laßt kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.
30 Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.
32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

So weit Paulus -- oder einer seiner Schüler -- im Epheserbrief.

Das ist, wie gesagt, eine lange List von Ermahnungen. Aber es geht um viel mehr.

Wir sollen diese Gebote hier nicht nur aus Gehorsam erfüllen. Wer zu Christus gehört, getauft ist, erfüllt sie gern. Die Freude dabei kommt aus dem Glauben, aus Liebe, Einsicht und Verständnis. Diese Verhaltensweisen gehören wesentlich zu den Merkmalen eines Christenmenschen. Daran erkennt man ihn.

Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Quält euch nicht mit Geboten, sondern tut einfach freudig das Richtige, alles, was Leben fördert.

Als Gebote, als Forderung wären diese Weisungen die totale Überforderung. Sie sind aber eher Angebot zur Selbstprüfung, sind Anleitung für das neue Leben. Natürlich gelingt nicht jedem alles. Dann dürfen wir auf Vergebung vertrauen, wie auch unser Predigttext sagt --; und ebenso der Eingangspsalm (32).

Ähnlich wie die Juden das Gesetz des Mose als Geschenk Gottes verstehen und einen "Tag der Gesetzesfreude" feiern, kommt bei uns Christen zuerst die Erlösung und Befreiung, dann erst aus Dank dafür das Tun des Guten.

Der Epheserbrief spricht vom alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Es sieht zwar so aus, daß die vielen Menschen mit ihren Begierden ganz gut leben und viel Vergnügen haben. Es ist ja auch verführerisch, was es alles gibt und was man alles haben kann.

Aber was man für sich begehrt und dann bekommt, kann niemals die tiefste Erfüllung bringen. Nur in der Gemeinschaft kann Leben gelingen. Martin Buber sagt das so: Alles Wesentliche ist Begegnung. Man kann für sich selber gar nicht so viel bekommen, daß es eine gelingende Begegnung aufwiegen könnte.

Wer den neuen Menschen angezogen hat, dem macht es Freude, etwas für andere zu tun. Der braucht nicht mehr viel für sich selber zu tun. Nur in der Begegnung ist gelingendes Leben zu haben.

Die wichtigste Begegnung, die uns gelingen sollte, ist die Begegnung mit Jesus, zum einen in der Schrift und zum anderen in der Gemeinde, im Mitmenschen. Die Gemeinschaft gehört seit der Urgemeinde zu den wichtigsten Dingen des Christenlebens. Alles, was ich für mich selber tun kann, ist erst dann vollkommen, wenn es auch anderen zugute kommt, die Gemeinschaft aufbaut. Wenn ich mir selber etwas Gutes getan habe -- was manchmal nötig ist, damit ich nicht sauer werde --, dann sollte das wenigstens die eine Folge haben, die unser Predigttext so beschreibt: Redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.

Ein anderer, sehr deutlicher Vers in unserem Text lautet: Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Betrifft uns das überhaupt? Sind wir etwa Diebe?

Bertolt Brecht sagt, die Armen sparen für die Reichen mit. Nehmen also die Reichen den Armen etwas weg?

Die Güter der Erde genügen für alle, wenn sie gerecht verteilt werden und niemand übermäßig viel verbraucht. Sind wir etwa ungerecht, oder verbrauchen wir übermäßig viel? Wir sind durch unser Geld einfach so mächtig, daß wir den Armen das Essen wegkaufen können.

Sicher ist: Wenn die ganze Weltbevölkerung so viele Rohstoffe und Energiestoffe pro Kopf verbraucht wie wir Deutschen, dann reicht es nicht für alle, dann kann man das Erdöl kaum schnell genug aus der Erde holen. Wenn alle so viel Fleisch essen wie wir und dafür das Getreide an Mastvieh verfüttern, dann reicht das Getreide nicht für alle. Wenn alle so viele Schadstoffe in die Atmosphäre entlassen wie wir Deutschen, dann verschwinden bald manche Staaten der Erde unter dem ansteigenden Meeresspiegel. Dabei ist es keine Entschuldigung, daß andere Länder ähnlich handeln.

Im Jahre 1973 ist schon einmal der Preis des Erdöls sehr schnell gestiegen, wie auch in diesem Sommer. Wir Deutschen mußten plötzlich viele Milliarden Mark mehr pro Jahr an die Ölstaaten zahlen, die natürlich anderswo fehlten. Manche Politiker sagten, wir müßten nun den Gürtel enger schnallen. Bundespräsident Heinemann widersprach: "Ein bißchen Bescheidenheit", sagte er. Das war mir aus dem Herzen gesprochen.

Wenn die Reichen etwas abgeben, wie unser Predigttext sagt, können alle gut leben. Und Abgeben macht Spaß, mehr als Annehmenmüssen, gehört jedenfalls zum erfüllten Leben, das Jesus für uns alle will.

Christen schaffen mit eigenen Händen das Nötige, sagt unser Text. Aber mit aller unserer Arbeit allein können wir es nicht schaffen. Dazu ist noch jemand nötig, wie wir am Erntedankfest gesungen haben: "... doch Wachstum und Gedeihen / steht in des Himmels Hand".

Ebenso werden wir auch, trotz allen Bemühens, immer wieder schuldig und brauchen die Vergebung der anderen. Deshalb sagt unser Text: Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Manchen Menschen ist von anderen Menschen so Schlimmes angetan worden, daß sie unter den Folgen ihr Leben lang leiden. Da ist es sicher schwer, den Tätern zu vergeben, besonders dann, wenn sie absichtlich gehandelt haben. Aber in unserem kleinen Alltag sollten wir das schaffen. Sonst können wir selber auch nicht frei sein, das Nötige zu tun.

Das Richtige auch noch fröhlich zu tun, aus verständigem Glauben, das kennzeichnet einen Christenmenschen. Dabei sollen wir gewiß sein: Solche Nachfolge im Wort Jesu hat Verheißung, bringt erfülltes Leben, ist stärker als alle todbringenden Kräfte in den menschlichen Begierden. Ich weiß keine Weise zu leben, die besser sein könnte.

Lassen Sie mich schließen mit einem kurzen Gedicht von Lothar Zenetti. Es heißt "Verheißung".

Menschen / die aus der Hoffnung leben / sehen weiter /
Menschen / die aus der Liebe leben / sehen tiefer /
Menschen / die aus dem Glauben leben / sehen alles /
in einem anderen Licht.


Eberhard Wegner / Dank; weitere Predigten