Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. DIE GESCHICHTSKONZEPTION SALLUSTS IN DER REZEPTION DER ANTIKE UND MODERNE

3. VORÜBERLEGUNGEN: ANTIKE GESCHICHTSSCHREIBUNG UND DIE KONZEPTION DES TRAGISCHEN

3.1. FORMEN ANTIKER GESCHICHTSSCHREIBUNG
3.1.1. Formen griechischer Geschichtsschreibung
3.1.2. Formen römischer Geschichtsschreibung
3.1.2. Rhetorische, peripatetische und pragmatische Geschichtsschreibung
3.2. DIE ANTIKE TRAGÖDIE
3.2.1. Die klassische griechische Tragödie
3.2.2. Die Tragödien Senecas

4. DIE PROÖMIEN DES 'CATILINA' UND 'IUGURTHA'

4.1. DAS CATILINA-PROÖMIUM (CAT. 1-4)
4. 2. DAS IUGURTHA-PROÖMIUM (IUG. 1-4)

5. DIE HISTORISCHEN EXKURSE

5. 1. DIE ARCHÄOLOGIE DER CONIURATIO CATILINAE (CAT. 6-13)
5. 2. DIE POLITISCHE LAGE IN ROM ZUR ZEIT DER CATILINARISCHEN VERSCHWÖRUNG (CAT. 36,4-39,3)
5. 3. DER PARTEIENEXKURS DES BELLUM IUGURTHINUM (IUG. 41f.)

6. GESTALTUNGSMERKMALE SALLUSTS

6.1. DARSTELLUNGSPROBLEME: WAHRHEIT UND KUNST
6.2 ETHNOGRAPHISCHE UND GEOGRAPHISCHE SCHILDERUNGEN
6.3. GEWALTDARSTELLUNG
6.4. FORTUNA UND VIRTUS

7. DIE PERSONENKONZEPTIONEN

7.1. UNTERGEORDNETE CHARAKTERE

7.1.1. Sallusts eigene Anschauung historischer Ereignisse
7.1.2. Die Mitverschwörer und Anhänger Catilinas
7.1.3. Die Untertanen Iugurthas und die weniger bedeutenden Römer
7.1.4. Cicero

7.2. CAESAR UND CATO
7.2.1. Die Caesar-Rede (Cat. 51)
7.2.2. Die Cato-Rede (Cat. 52)
7.2.3. Die Synkrisis (Cat. 54)
7.3. METELLUS, MARIUS UND SULLA
7.3.1. Metellus
7.3.3. Marius
7.3.4. Sulla
7.3.5. Vergleich und Bedeutung der Charaktere

7.4. IUGURTHA
7.5. CATILINA

8. DIE GESCHICHTSKONZEPTION SALLUSTS

8.1. GESCHICHTSWAHRNEHMUNG UND BEWERTUNGSHINTERGRUND
8.2. TRAGIKER ODER HISTORIKER - SALLUST UND SEINE HISTORIOGRAPHISCHEN EINFLÜSSE

9. ZUSAMMENFASSUNG



1. EINLEITUNG

"Ceterum ex aliis negotiis quae ingenio exercentur in primis magno usui est memoria rerum gestarum."
"Im übrigen gereicht von allen Beschäftigungen, welche durch den Geist betrieben werden, vor allem die Geschichtsschreibung zu großem Nutzen."
Erst in seiner zweiten Monographie, dem bellum Iugurthinum, erklärt Sallust ganz explizit, daß für ihn mit dem Scheitern seiner politischen Tätigkeit im römischen Senat das politische Leben keinesfalls beendet ist. Infolge von Caesars Ermordung und dem damit verbundenen Ende aller politischen Möglichkeiten Sallusts hat dieser eine neue Aufgabe und ein für sich ideales Betätigungsfeld gefunden, seine persönliche Lebenserfahrung und politischen Einsichten zu verarbeiten und in ansprechender Form den Menschen der eigenen Zeit und der Nachwelt zu vermitteln. Seine Wahl der Geschichtsschreibung erscheint nach Abwägung anderer Betätigungsfelder nachvollziehbar und beinahe zwangsläufig zu erfolgen, denn er kann sich bei dieser Aufgabe auf eine jahrhundertealte literarische Tradition stützen.
Das Reflektieren über das menschliche Leben und Handeln ist so alt wie die Menschheit selbst. Geschichten und Geschichte haben heute wie damals vielschichtige Bedeutungen für alle Bereiche des menschlichen Lebens. Sie dienen in erster Linie der Selbstidentifikation eines Menschen, einer Gruppe, einer Nation oder Institution, haben also auch immer einen Gegenwartsbezug. Dieser äußert sich in der Intention und Funktion, aber auch in der Rezeption von Geschichte, indem sie Rechtfertigung oder Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse, Selbstverständigungsmöglichkeiten und Orientierungshilfen zu gegenwärtigen oder zukünftigen Lebensumständen oder Verhaltensalternativen, aber auch einfach Unterhaltung und Trost bieten kann.
Ausgehend von Geschichtssammlungen alter Religionen (Altes Testament) und Mythen (Homer, Hesiod) entwickelten sich in der griechischen und römischen Antike bei Thukydides, Polybios, Sallust und Livius bis hin zu Tacitus neue Darstellungsformen der Vergangenheit, welche es sich seit Thukydides zur Aufgabe gemacht haben, gesicherte Kenntnisse über ausgewählte Aspekte des vergangenen Geschehens wiederzugeben und zu erklären.
Weil Geschichtsdarstellungen nur eine subjektive, bewußt oder unbewußt wertende und auswählende Rekonstruktion der Vergangenheit leisten können, bieten alle diese Werke unzähligen Raum für Interpretationen und Wertungen über die inhaltlichen Zusammenhänge der berichteten Ereignisse, darüber hinaus aber auch besonders über die Intention und ethisch-moralische Einstellung des Autors. Sallust selbst deutet in seiner Monographie über die Verschwörung des Catilina schon auf die Schwierigkeiten der Geschichtsschreibung und auf mögliche Kritik gegen die Vorgehensweise des Historikers hin, obwohl er doch versuche, die Geschehnisse so wahrheitsgetreu wie möglich darzustellen.
Gerade Sallust hat infolge der besonderen Umstände seines Lebens als junger Mann im nachsullanischen, vom Parteienkampf gezeichneten Rom, in dem er seine politische Karriere begonnen hat, später als politischer Anhänger Caesars und nach dessen Tod als zurückgezogen lebender Privatmann nach der Veröffentlichung seiner Geschichtswerke, besonders aber seit Beginn der neuzeitlichen Literaturwissenschaft zahlreiche Interpretationen und Deutungen erfahren. Dabei wird Sallust als Tendenzschriftsteller , Politiker für Caesars Interessen , Feind der Nobilität , Historiker, der um das Wohl des römischen Staates besorgt ist , Senatsanhänger und Antimonarchist , Moralist sowie als Kritiker des Prinzipats und damit verbunden als Sympathisant des Antonius bezeichnet.
Abgesehen von diesen Interpretationen über die mögliche Intention Sallusts ist auch die Form seiner Geschichtsschreibung zum Thema geworden. Anton D. Leeman will in der Konzeption von Sallusts historischen Werken tragische Elemente erkennen und interpretiert die Monographien über Catilina und Iugurtha als Dramen. Anhand von Sallusts Personen- und Ereigniskonzeptionen und seiner Interpretation des menschlichen Daseins erarbeitet Leeman seine These von einer dramatischen Form in beiden Monographien. Es bleibt aber die Frage offen, inwieweit äußere Ähnlichkeiten in der Form wirklich die Annahme zulassen, daß Sallusts Rezeption, Konzeption und Darstellung historischer Ereignisse tragisch seien. Vielmehr muß hier nach dem wirklichen Sinn seines Schreibens gefragt werden.
Dabei gehen aber viele Forschungsansätze meines Erachtens über das Ziel hinaus. Durch die zahlreichen neuen Interpretationsansätze wird sicherlich zum einen eine vielschichtige Bewertung und Einordnung Sallusts und seiner Werke ermöglicht, zum anderen verliert man dabei die wichtige Frage nach Geschichtsrezeption, Geschichtskonzeption und Intention Sallusts aus dem Auge. Erst wenn man sich die historischen Zeit- und Lebensumstände Sallusts bewußt macht und davon ausgehend die Themenwahl und Konzeption seiner Werke als mit seinem Leben verknüpfte Elemente interpretiert, gewinnen die Monographien Sallusts einen über den bloßen historischen Informationsgehalt hinausgehenden Wert als Primär-quellen spätrepublikanischer römischer Lebenseinstellung und Geschichtswahrnehmung. Daraus wiederum können nicht zuletzt wertvolle psychologische Erklärungsgrundlagen zu Tage treten, welche auf die Hintergründe und Ursachen für das Phänomen der Etablierung des Prinzipats durch Octavian und dessen politische Neuordnung hindeuten.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine ausführliche Untersuchung der Geschichts- und Lebenswahrnehmung (Rezeption) Sallusts und deren Darstellung (Konzeption) in seinen historischen Monographien. Diese eignen sich von den Werken Sallusts am besten für eine Interpretation dieser Art, weil sie neben der gesicherten Vollständigkeit und Urheberschaft zahlreiche implizite und explizite persönliche Stellungnahmen des Autors enthalten, die man trotz ihrer gattungsbedingten Künstlichkeit und trotz ihres Erzähl- und Werkzusammenhanges für berechenbarer ansehen kann als die nur bruchstückhaften Passagen aus Sallusts Historien, die vermeintlich persönlichen Briefe an Caesar oder die pseudosallustische Invektive gegen Cicero, deren wissenschaftliche Bedeutung gerade im Zusammenhang dieser Arbeit aufgrund der immer noch unsicheren Echtheit und vor allem ihrer ta-
gespolitischen Gebundenheit angezweifelt werden muß.
Um sich der Geschichtsrezeption und -konzeption Sallusts zu nähern, soll sein historisches Werk zunächst in den Kontext der antiken Geschichtsschreibung und Tragödie eingeordnet werden, um von da aus Sallusts literarischen Hintergrund und andere aus dem zeitlichen Kontext ausgehende Einflüsse, die in den Werken ohne Zweifel vorhanden sind und mehrfach offen zu Tage treten, erhellen und verstehen zu können. Für die Einzelanalysen sind Textpassagen oder Gestaltungsmerkmale ausgewählt worden, die aufgrund ihrer Eigenheit dichter und aussagekräftiger zum Autor stehen als allgemeinere Darstellungsteile. Die Schwerpunkte liegen hier auf den Proömien und den historischen Exkursen sowie auf besonderen Gestaltungsmerkmalen in der Erzählung und den Personen-darstellungen.
Als hilfreiche Unterstützung für die Interpretation der genannten Stellen und deren Einordnung in die Geschichtsauffassung Sallusts sollen hier neben den bereits genannten Werken die Aufsätze und Monographien von Paul , Leeman , Neumeister , Glücklich und Drexler als exemplarischer Ausschnitt genannt sein. Der Rahmen für gattungsformale Vergleiche wird bezüglich der antiken Geschichtsschreibung durch Meister , Lendle und Luce , bezüglich der antiken Tragödie durch von Fritz , Harsh , Liebermann und Opelt gesetzt.


2. DIE GESCHICHTSKONZEPTION SALLUSTS IN DER REZEPTION DER ANTIKE UND MODERNE

Die modernen Interpretationen der Geschichtswerke Sallusts gehen von den antiken Rezeptionen aus, die bis in Sallusts eigene Lebenszeit zurückreichen. In die Deutung der historischen Monographien muß aber auch der zeitgenössische literarische Kontext Sallusts miteinbezogen werden, durch welchen der Inhalt und die Gestaltung von Sallusts Werken beeinflußt sein können.
Als Vorläufer, Ansatzpunkte und auch Quellen zumindest für den Catilina sind mit Sicherheit die catilinarischen Reden Ciceros und unter Vorbehalt der Existenz dessen angeblich posthum erschienene Rechtfertigungsschrift "de consiliis suis" anzuführen. Diese Zeugnisse eines unmittelbar Beteiligten müssen Sallusts eigene Wahrnehmung der Ereignisse im Nachhinein trotz oder gerade wegen möglicher politischer Vorbehalte ebenso stark beeinflußt haben wie die sprachlichen Vorarbeiten und Quellenforschungen eines Lucius Ateius Philologus, der für Sallust und später für Asinius Pollio altertümliche Wendungen gesucht haben soll. Inwieweit Sallust sich von diesen Umständen sowie von zeitgenössischen Ansichten und der politischen Situation in den späten vierziger Jahren in seiner Komposition und seinen Wertungen hat beeinflussen lassen, muß an einzelnen Textpassagen eingehender diskutiert werden.
In anderen antiken Historikerquellen finden sich jedenfalls Sallust widersprechende Darstellungen und Wertungen. Die bruchstückhaften, von Schwartz zum Teil aus Cassius Dio erschlossenen Fragmente des Livius bezüglich der catilinarischen Verschwörung deuten darauf hin, daß dieser weniger der Darstellung Sallusts als vielmehr der Tradition Ciceros folgt und am Ende optimistischer und eindeutiger als Sallust den Sieg des Staates feiert.
Noch weniger Anknüpfungspunkte an Sallust finden sich in den Biographien des Plutarch , welcher trotz einiger Ähnlichkeiten zu Sallust neben den detailreicheren Darstellungen Ciceros und Livius` in erster Linie auf Fenestella zurückgegriffen haben muß. Die romanhafte Darstellung des Appian schließlich geht in ihren inhaltlichen Wertungen und den Anordnungen der Geschehnisse besonders aufgrund der ähnlichen politischen Anschauung auf Sallust zurück.
Sallusts Darstellung der catilinarischen Verschwörung hat in Auseinandersetzung mit Ciceros Zeugnissen durchaus für einige antike Historiker nicht nur zu Tadel und Abgrenzung geführt, sondern auch als inhaltliche und stilistische Quelle oder sogar als Vorbild gedient. Dennoch setzt man sich in der Antike nicht nur mit seinen Stil und der vermeintlichen aemulatio des Thukydides oder des älteren Cato auseinander, sondern Sallust wird überwiegend wegen des vermeintlichen Widerspruches zwischen dem moralischen Anspruch seiner Schriften und seinem angeblich zügellosen Privatleben kompromittiert.
Daß Vorwürfe über ein angeblich unsittliches Privatleben benutzt werden, um politisch unbequeme Denker und damit auch ihre Schriften oder Programme zu diskreditieren, ist sicherlich keine Erfindung der Neuzeit. Ebenso aber wie etwa in der senatorisch-propagandistischen Überlieferung zu Caligula mischen sich auch in den Vorwürfen gegen Sallust Dichtung und Wahrheit. Wichtig ist aber, daß es für die Analyse von Sallusts Geschichtsrezeption und -konzeption nur von sekundärer Bedeutung sein kann, ob und inwieweit Sallust selbst in seinem politisch aktiven Leben seinen eigenen moralischen und politischen Anforderungen gefolgt ist. Bei einer Beurteilung müssen neben seiner persönlichen Herkunft auch die besonderen Zeitumstände der späten Republik miteinbezogen werden. Gerade weil Sallust in den Proömien freimütig seine Jugendfehler bekennt, läßt diese Aufrichtigkeit auch die üblichen Darstellungsschwerpunkte als begründete Wertungen erscheinen, so daß, wie noch zu zeigen sein wird, der Vorwurf der bewußten Geschichtsfälschung damit seine Grundlage verliert.
Die umfangreichste, in Schwerpunkte gegliederte Bibliographie über die moderne Sallustforschung findet sich noch immer bei Leeman . Darüber hinausgehend lassen sich ausführliche, meist kommentierte Forschungsübersichten aktuelleren Datums finden. In erster Linie können hier Becker mit einem Überblick bis 1970, Neumeister , der sich kommentierend auf die Jahre 1961-1981 konzentriert, und schließlich Ledworuski , deren umfangreicher Forschungsüberblick in eine allgemeine Übersicht zum Sallust-Bild und in einen spezielleren Teil zur Fehlerdiskussion in der Sallustforschung aufgegliedert ist, angeführt werden. Dazu gehört schließlich noch die sehr informative und fundierte Untersuchung über die antike Sallust-Rezeption von Schwartz , mit deren Hilfe die antiken Hintergründe der heutigen Sallustdiskussion hinterfragt werden können.
Die aktuelle Forschung über Geschichtsbild, Geschichtskonzeption und Philosophie Sallusts ist so umfangreich und vielschichtig wie noch nie zuvor. Aufgrund seiner besonderen Lebensumstände und Lebenszeit ebenso wie aufgrund seiner leidenschaftlichen und oft rücksichtslosen Stellungnahmen zum römischen Staatswesen und dessen politischer Eliten bietet Sallust seit der Antike unzählige Ansatzpunkte für literaturwissenschaftliche und historische Fragen an seine Person und seine Werke.
Als Begründer der neuzeitlichen Tendenz-Hypothese kann Mommsen verstanden werden, dessen Überlegungen von Schwartz 1897 weitergeführt und gedeutet werden. Schwartz und auch noch die ihm folgenden Alheit , Gebhardt und Patzer verstehen Sallust als leidenschaftlichen, politischen Tendenzschriftsteller, der mit den eigenen historischen Monographien seinen politischen Führer Caesar gegen die vermeintlichen Vorwürfe und Angriffe Ciceros verteidigen wolle. Diese These wird im folgenden von Drexler dahingehend modifiziert, daß er Sallust nicht mehr als Parteischriftsteller, sondern vielmehr als Historiker sieht, der um den römischen Staat im ganzen besorgt ist.
Weiterhin stehen vor allem die offensichtlichen und hintergründigen Fehler in Sallusts Monographien im Mittelpunkt der Diskussion. Während Büchner die Geschichtsschreibung Sallusts als eine große Leistung würdigt, weil dieser alle Bezüge des Entscheidens und Handelns in seiner Darstellung bewußt mache, versteht Wimmel die zeitlichen Ungenauigkeiten Sallusts als raffinierte Umgestaltungsmittel, mit denen er das reale Geschehen in sein Geschichtsbild einordnen wolle. Drexler wiederum vermutet gegen Wimmel die Ursache für die chronologischen Ungenauigkeiten Sallusts in der Nachlässigkeit des Autors bei seiner Quellenarbeit und Bringmann kann dazu nachweisen, daß weniger historische Nachlässigkeit, sondern vielmehr künstlerisch-literarische Gestaltungsabsichten als Ursachen für die chronologischen Probleme bei Sallust in Frage kämen. Ledworuski schließlich klassifiziert und interpretiert alle vorkommenden Arten und Ursachen der historischen Widersprüche bei Sallust. Obwohl sie Sallust bewußte und unbewußte Wertungen nachweist, erklärt sie diese aus dem psychosozialen und politischen Kontext und der literarischen Tradition heraus, ohne Sallust den Status als Historiker abzusprechen.
Im Zusammenhang mit der Frage nach literarischen Vorbildern Sallusts stehen auch Untersuchungen zu seinem Stil und seiner Sprache. In der Forschung wird Sallust als Nachahmer von Thukydides, Poseidonios, Polybios und des älteren Cato erkannt und verschiedentlich der moralischen, rhetorischen oder tragischen Geschichtsschreibung zugeordnet. Sprachlich werden sowohl Parallelen zu seinen historiographischen Vorbildern als auch zur Dichtung gefunden.
Des weiteren ordnen andere Gesamt- oder Teilinterpretationen die Geschichtsschreibung Sallusts in den politisch sozialen Kontext seiner Zeit und seiner persönlichen Lebenserfahrung ein. Die bedeutendsten Ansätze verstehen Sallust als Feind der Nobilität , eifersüchtigen Rivalen Ciceros , als einen Historiker, der um das Wohl des römischen Staates besorgt sei, als Senatsanhänger und Kritiker monarchistischer Bestrebungen , als Moralisten sowie als Sympathisanten des Antonius.

3. VORÜBERLEGUNGEN: ANTIKE GESCHICHTSSCHREIBUNG UND DIE KONZEPTION DES TRAGISCHEN

Sallust steht nicht außerhalb der literarischen Tradition. Nicht zu Unrecht wird ihm besonders inhaltliche und methodische Nähe zu Platon, Thukydides, Poseidonios, Polybios und Coelius Antipater zugeschrieben.
Im folgenden sollen die äußeren Beurteilungsraster kurz umrissen werden, vor deren Hintergrund die Einordnung und Bewertung der sallustischen Geschichtsauffassung erfolgen soll, um von da aus beurteilen zu können, ob und wie weit einzelne Aspekte seiner Geschichtsdarstellung auf tragische Konzepte zurückgeführt werden können, wie Leeman dies vorschlägt. Dafür werden in diesem Kapitel die Hauptrichtungen der antiken Geschichtsschreibung, insbesondere die tragische und rhetorische, und daran anschließend die Grundmuster der klassischen griechischen und senecaischen Tragödie kurz skizziert.

3.1. FORMEN ANTIKER GESCHICHTSSCHREIBUNG

Sallust steht mit seiner Geschichtswahrnehmung und -konzeption in der Tradition und im Einfluß der antiken historiographischen Theorien und Vorbilder. Um die Phänomene seiner Geschichtsschreibung umfassend interpretieren und einordnen zu können, wird im folgenden der theoretische Rahmen sowie die Ausprägungen der antiken Historiographie abgesteckt, die nach der Charakterisierung von Sallusts Monographien zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit seinem literarischen Schaffen beitragen können. Dafür werden zuerst die Theorien und Formen der antiken griechischen Geschichtsschreibung, dann die darauf beruhenden, zum Teil weiterentwickelten Ausprägungen der römischen Historiographie bis Sallust und schließlich die für eine Interpretation Sallusts besonders entscheidenden Formen der tragischen, moralischen und rhetorischen Geschichtsschreibung in der hellenistischen Zeit in ihren wichtigsten Punkten umrissen.

3.1.1. Formen griechischer Geschichtsschreibung

Als älteste Formen griechischer Vergangenheitserklärung dürfen die mythischen Epen von Homer und Hesiod aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. angesehen werden. Die Epen Homers sind dabei dem Kreis des sogenannten Kyklos, einem epischen Kranz weitgehend verlorener archaischer Epen zuzuordnen. Diese werden als unter ein bestimmtes Leitmotiv gestellte Ausschnitte der in der Antike von einzelnen Rhapsoden vorgetragenen Überlieferungstraditionen verstanden, welche die Erinnerungen der Griechen an die Auseinandersetzungen mit Troja aus der mykenischen Zeit mündlich tradieren. Hier vermengen sich reale historische Erinnerungen mit einem mythischen und statischen Welt- und Geschichtsbild, in dem die Götter und das Schicksal das Leben der Menschen gestalten und lenken. Obwohl historisches Bewußtsein und chronologische Wahrnehmung hier nur durch genealogische Verbindungen oder Augenzeugenberichte hergestellt werden können, treten dennoch bereits der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ebenso die in der griechischen Geschichtsschreibung typischen ethnographischen, geographischen und historischen Vorstellungen hervor. Diese Elemente der perivplou" und perihvgesi" stehen in enger Beziehung mit der im 8. Jahrhundert v. Chr. einsetzenden Kolonisation und den daraus erwachsenden Bedürfnissen nach detaillierten und informativen Erkundungen und Berichten über noch unbekannte mögliche Kolonisationsziele.
Im Gegensatz zu der eher gegenwärtig gedachten und über die Zuordnung zu einzelnen Heroen hergestellten Vergangenheitsvorstellung besteht Hesiods weitergehende Leistung darin, in seinen e[rga kai; hJmevrai die eigene Gegenwart in das Modell der aus dem Orient stammenden Weltzeitalter einzubinden und den Menschen dabei in der Geschichte zu verankern. Wie in seiner Theogonie ist dabei das Leben der Menschen mit den Göttern verwurzelt, die Menschheit wird aber schon als zusammenhängende Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Vergangenheit verstanden.
Nach den frühen historiographischen Ansätzen in den Werken der vorsokratischen Naturphilosophen aus Milet, Elea, Abdera und anderen Kolonien in Kleinasien oder Süditalien entwickelte sich daraus die Geschichtsschreibung als eigene explizite Literaturgattung. Zu den ältesten griechischen Historikern gehören Hekataios von Milet, Akusilaos von Argos, Ion von Chios und Antiachos von Syrakus. In den häufig äußerst bruchstückhaften Fragmenten finden sich neben genealogischen, geographischen und ethnographischen Elementen der perivplou" und Genealogien erstmals eigene Ansichten und Urteile der Autoren, die sich zwar noch weiterhin auf den Mythos berufen, die dort angegebenen Informationen aber durch eigene Erfahrungen oder kritische Überlegung hinterfragen. Die sich daraus entwickelnde Rationalisierung der Forschung und des Wissens bildet in Verbindung mit der Zerstörung des mythischen Weltbildes die Voraussetzung für die wegweisenden Leistungen der großen Geschichtsschreiber Herodot, Thukydides und Xenophon im Griechenland der klassischen Zeit.
Herodot (ca. 480-425 v. Chr.) wird nicht zu Unrecht als "Vater der Geschichtsschreibung" bezeichnet. Er verbindet in seinem neun Bücher umfassenden Geschichtswerk als erster belehrende und unterhaltende Elemente, die vor dem Hintergrund neuer philosophischer Überlegungen zum Wesen der Geschichte und zur Geschichtsschreibung stehen. Sein auf zahlreichen Fernreisen in Auseinandersetzung mit den Werken des Hekataios erworbenes geographisches und ethnographisches Wissen, die Einsicht in amtliche Dokumente sowie seine persönlichen Erfahrungen in den Perserkriegen dienen Herodot ebenso wie alte periegetische Quellen als Grundlage , die Ergebnisse seiner Forschungen über Taten, Geschehnisse und Werke von Griechen und Nichtgriechen darzustellen und damit diese vor dem Vergessen zu bewahren, nicht ohne auf mögliche Unzuverlässigkeit seiner vor allem mündlichen Quellen hinzuweisen.
Im Gegensatz zu den alten, genealogisch-relativen Datierungen, versucht Herodot erstmals, Quellen aus Kleinasien hinzuzuziehen und eine zeitliche Berechnung nach persischen, syrischen und medischen Königen sowie griechischen Herrscher- und Heroengenerationen durchzuführen. Solche Datierungen können aber ebenso wie das Zählen der Jahre nach bedeutsamen Ereignissen, welches Herodot für die jüngere Vergangenheit anwendet, nur äußerst ungefähre und manchmal auch widersprüchliche Erkenntnisse zu historischen Zusammenhängen liefern. Augenscheinlich legt Herodot in seiner gesamten Darstellung weniger Gewicht auf nachprüfbare, objektive historische Wahrheit und Authentizität, sondern vielmehr auf eine künstlerische, sorgfältig komponierte Darstellung, die mit affektiven und poetischen, also vordergründig vor allem der Unterhaltung dienenden Effekten, arbeitet und mit der Einbindung von Reden und Gesprächen seine tieferen Erkenntnisse über Wesen und Gesetzmäßigkeit der menschlichen, theonomisch geprägten Geschichte zum Ausdruck bringen soll und deshalb auch von dem sich ganz der objektiven Wahrheit verpflichtet fühlenden Thukydides später kritisiert wird.
Thukydides (ca. 455-395 v. Chr.) selbst setzt mit seinem Bericht über den Peloponnesischen Krieg (431-404) die Maßstäbe für die antike Geschichtsschreibung. Dies gilt nicht nur für seinen kritischen Umgang mit alten Quellen in seiner Archäologie der griechischen Vorgeschichte , sondern vor allem für seine methodische Darstellung mit der Einbettung von Reden, erklärenden Exkursen und auch für die sorgfältigen Datierungen und für die zugrundeliegende Geschichtsphilosophie. Auch wenn Thukydides in seinem Werk kaum explizit über seine Geschichtsphilosophie schreibt, wird dennoch seine absolute Verbundenheit mit dem logisch-rationalen Denken der zeitgenössischen Sophistik und Medizin mehrfach deutlich. Damit leugnet er das bei Herodot noch allgegenwärtige Verständnis von einer Geschichte, die als übermächtiges Schicksal von den Göttern gelenkt wird.
Thukydides stellt den Nutzen seiner Geschichtsschreibung, den der Leser aufgrund der möglichen Wiederholbarkeit der geschilderten Ereignisse aus ihr ziehen könne, deutlich über die einfache literarische Unterhaltung des Lesers. Es werden die politischen Ursachen für die Entstehung von Kriegen nachvollziehbar dargestellt , bedeutende, für die Geschichte wichtige historische Persönlichkeiten oder beteiligte Staaten in dialektischen Redenpaaren charakterisiert und miteinander vergleichend in Beziehung gesetzt , wobei Thukydides in der Konzeption der Reden das Einfühlen in das wahrscheinlich Gesagte über den eigentlichen Wortlaut der wirklich gehaltenen Reden stellt.
Obwohl sich der Stil des Thukydides als ein nüchterner, rationaler Bericht der vornehmlichen Ursachen und Ereignisse zeigt, in dem affektvolle Schilderungen von Schlachten und Greuel fehlen, wirken die schlichten Zusammenfassungen und Ergebnisse der kriegerischen Auseinandersetzung als Argumente gegen den Krieg. Das zeitlich und thematisch eingeschränkte Geschichtswerk des Thukydides wird ebenso wie sein historiographischer Stil mit dem Einsatz von Redenpaaren immer wieder als Vorbild für die Monographien Sallusts herangezogen. Dabei finden sich zahlreiche äußere und innere Gestaltungsähnlichkeiten, die zumindest darauf schließen lassen, daß Sallust das Werk des Thukydides gekannt haben und auch von ihm beeinflußt worden sein muß. Ob dieser Einfluß aber über äußere Gestaltungsmerkmale hinaus auch für das Geschichtsbild und die innere Einstellung des Autors zu seinem Werk besteht, wird sich erst bei den Einzelinterpretationen zu Sallusts Monographien untersuchen lassen.
Xenophon (ca. 430/425-355 v. Chr.) schließlich weicht am Ende der klassischen Zeit von der strengen Seriosität des Thukydides ab. Er schreibt vornehmlich aus eigener Erinnerung und eigener Anschauung heraus. Seine Werke Hellenika, Anabasis, Agesilaos und die Kyroupädie sind von seinen subjektiven Erlebnissen bei den Persern geprägt und stehen auch in ihrer literarischen Gestaltung schon auf der Schwelle zum Hellenismus. Während er in den ersten Büchern der Hellenika für die Aufarbeitung der Jahre 411-404 noch stilistisch und inhaltlich an Thukydides anknüpft, führt die Anabasis eine neue Gattung von Kriegserinnerungen ein, in denen Xenophon unverblümt seine eigenen Leistungen hervorhebt. Das Enkomion auf Agesilaos und die Kyroupädie schließlich sind nur bedingt als Geschichtsschreibung zu bezeichnen, weil im ersten die Taten des spartanischen Königs nicht im Sinne eines historischen Berichts realer Begebenheiten und deren Ursachen, sondern als Aspekte seines zu lobenden Charakters funktionalisiert werden, und weil im zweiten nicht die reale historische Erziehung Kyros II., sondern theoretische und philosophische Betrachtungen über die ideale Erziehung von zukünftigen Herrschern im Vordergrund des literarischen Interesses stehen.
Die Bedeutung Xenophons besteht weniger in einer großen literarischen Geschichtsschreibung, sondern vielmehr zum einen in der stilistischen und inhaltlichen Vielfalt seiner Werke sowie zum anderen in der Tatsache, daß er an allen von ihm geschilderten historischen Großereignissen beteiligt war und von daher aus eigener Erfahrung und eigenem subjektiven Empfinden heraus schreibt.
Für die hellenistische Zeit sind als bedeutende methodische Vorgänger Sallusts besonders Polybios und Poseidonios von Bedeutung, welche im Zusammenhang der verschiedenen historiographischen Gattungen und Methoden der hellenistischen Zeit stehen.
Polybios von Megalopolis (ca. 200-118 v. Chr.) spielte nicht nur eine bedeutende militärische Rolle als Hipparchos im Achaiischen Bund während des makedonischen Kampfes gegen die Römer, sondern lernte zwischen 167 und 150 v. Chr. als Geisel die Konstitution des römischen Staates und Kriegswesens aus eigener Anschauung kennen.
Die Ausbildung der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios liegt im Vergleich des Römischen Reiches mit den großen griechischen Reichen der Vergangenheit begründet, durch welchen er die Ursachen und Hintergründe der großen staatsbildenden Leistung der Römer herauszustellen versucht. Dabei führt Polybios den Erfolg des römischen imperium auf die typisch römischen Sitten und Institutionen zurück, nicht ohne die elementare Bedeutung der Tyche zu betonen. Er schreibt für ein griechisches Publikum und sieht sein Geschichtswerk in erster Linie als didaktische Unterweisung griechischer Staatsmänner, die aus der dargestellten römischen Geschichte lernen sollen. Gegenstand der historischen Darstellung ist in den Büchern 1 und 2 ein zusammenfassender Überblick über die Zeit vom Beginn des ersten Punischen Krieges 264 bis zum Jahr 220, in den Büchern 3-29 folgt eine Universalgeschichte des Mittelmeerraumes mit dem Schwerpunkt des römischen Aufstiegs zur Weltmacht an, die Bücher 30-40 schließen als Nachtrag die für Polybios zeitgeschichtlichen Jahre 168-145 ab, in der sich die römische Weltherrschaft mit der endgültigen Zerstörung Karthagos gefestigt habe. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf Übergängen zwischen verschiedenen politischen Verfassungen, unter denen sich die römische monarchistisch-demokratische Mischverfassung trotz zyklischer Krisen und Veränderungen als die stabilste und expansivste herausgestellt habe.
Obwohl auch Polybios auf die literarisch anschauliche Gestaltung seiner Historien durch Einbindung von Reden und Exkursen Wert legt, ist für ihn die geschichtliche Wahrheit und eigene Unparteilichkeit oberstes Ziel, so daß er manche seiner historiographischen Vorgänger wegen ihrer historischen Ungenauigkeit oder mangelhaften Sachkenntnis kritisiert , obwohl auch er selbst diesem Wahrheitsanspruch nicht immer gerecht werden kann. Seinen eigenen historischen Ansatz nennt er selbst politisch-militärisch, seine Form der Darstellung ist detailliert erklärend und will die Ursachen der Ereignisse verdeutlichen. Diese Erklärungen bleiben aber häufig einseitig und mechanisch, weil Polybios die Ereignisse in sein theoretisches Geschichtsbild hineinzwängt. Für seine historischen Bewertungen sind nicht moralische oder gar nationalistische Erwägungen von Bedeutung, sondern letztendlich nur der historische Erfolg einer politischen Gemeinschaft.
Poseidonios von Rhodos (ca. 135-51 v. Chr.) beschäftigt sich als Universalgelehrter mit Philosophie, Naturwissenschaften und mit der Geschichtsschreibung. Sein auf zahlreichen Reisen in den Orient und den römischen Westen erworbenes Wissen und die Gründung einer philosophischen Schule auf Rhodos verschafften ihm einen so bedeutenden Ruf, daß zahlreiche römische Politiker wie Lucullus, Varro, Cicero und Pompeius seine Bekanntschaft suchten. Cicero bat ihn sogar um eine historiographische Darstellung seines Konsulats von 63 v. Chr., durch das er seine eigenen Leistungen bei der Niederschlagung der catilinarischen Verschwörung verewigt sehen wollte. Obwohl von Poseidonius' zahlreichen Schriften nur wenige Fragmente erhalten sind, ist es dennoch sicher, daß er diesem Wunsch nicht nachgekommen ist.
Neben einer Monographie über Pompeius sind von Poseidonius geologische und ethnographische Betrachtungen sowie eine das Werk des Polybios fortsetzende universalhistorische Abfassung in 52 Büchern für die Zeit von 145 v. Chr. bis in die sullanische Zeit bekannt. Aufbauend auf seinen eigenen kulturhistorischen Forschungen und den Werken des Ephoros, Timaios, Agatharchides und des Polybios bildet das Geschichtswerk des Poseidonios ein universales Konglomerat verschiedener Disziplinen und Stile, die sich an die herodotische Themenvielfalt, an die scharfe Ursachenforschung des Thukydides und die peripatetischen Historiker anschließen. Bei Poseidonios finden sich deshalb bildhafte, mimetische Elemente, die den Leser das historische Geschehen wie auf einer Bühne miterleben lassen. Die rhetorisierende Darstellungsweise und vor allem die auf der stoischen Lehre eines alles durchdringenden Logos beruhende Dekadenztheorie hat die römische Geschichtsschreibung, besonders bei Sallust und Tacitus nachhaltig beeinflußt.

3.1.2. Formen römischer Geschichtsschreibung

Neben dem Einfluß der großen griechischen Historiker auf die sallustische Geschichtsschreibung ist auch die Bedeutung der vorangegangenen römischen Geschichtsschreibung für Sallusts literarisches Schaffen nicht gering einzuschätzen.. Da die römischen Formen der Geschichtsschreibung, soweit sie inhaltlich für das Verständnis von Sallust von Belang sind, auf die bereits bearbeiteten griechischen Historiker oder auf die im folgenden Kapitel einzeln dargestellten historischen Stile und Disziplinen zurückgehen , beschränkt sich dieses Kapitel auf einen kurzen Abriß der inhaltlichen Tradition und der sprachlichen Entwicklung.
Die Tradition der römischen Geschichtsschreibung geht auf die frühen, formlosen Aufzeichnungen der Pontifikalannalen zurück, in denen die römischen Oberpriester, nach Amtszeiten der Consuln datiert, die wichtigsten Ereignisse der einzelnen Jahre aufgezeichnet haben. Der knappe, schmucklose, aber durchaus präzise Stil dieser Annalistik hat die Form der folgenden römischen Historiographie nachhaltig geprägt.
Neben den grichisch-hellenistischen Einflüssen sind für die Ausbildung einer eigenen römischen Geschichtsschreibung das Geltungsbedürfnis römischer Aristokraten, die ihre Taten für den Staat schriftlich verewigt sehen wollten, die kulturellen Emanzipationsbestrebungen der Römer gegenüber der kulturell noch überlegenen griechischen Welt sowie auch die Einflüsse der bildenden Kunst und des frühen römischen Epos entscheidend. Die allgemeinen Hauptmerkmale der römischen Geschichtsschreibung bestehen aus ausgeprägtem Patriotismus und Moralismus, einer der römischen Lebenseinstellung entsprechenden Konzentration auf Rom und auf die freie Verantwortung des einzelnen Individuums. Zu den wesentlichen Ausprägungen dieser Gattung zählen die stilistisch eher anspruchslose Annalistik, die literarisch ausgefeilte historische Monographie und der amtlich-nüchterne commentarius.
Die Reihe der für Sallusts Stil und Geschichtsauffassung nicht unbedeutenden römischen Geschichtsschreiber zieht sich von Quintus Fabius Pictor (3. Jh. v. Chr.) über Marcus Porcius Cato (234-149 v. Chr.) und Lucius Coelius Antipater (2. Jh. v. Chr.) bis zu Lucius Cornelius Sisenna (119-67 v. Chr.).
Während Q. Fabius Pictor noch mit autobiographischen Erlebnissen angereicherte Annalen in griechischer Sprache als römischer Historiker für ein griechischsprachiges Publikum schreibt , bringt Cato die Geschichtsschreibung endgültig nach Rom. Neben zahlreichen Reden und Schriften über Militärwesen, Erziehung und Ackerbau stellt er in den fast vollständig verlorenen origines nicht nur die Frühgeschichte Roms, sondern auch die nähere Zeitgeschichte (bis 149 v. Chr.) dar. In scharfer Abgrenzung zur griechischen Welt weisen die Schriften Catos einen betont didaktisch-moralischen Charakter auf. Trotz stilistischer und inhaltlicher Anlehnung an die griechische Kultur mit geographischen und etymologischen Elementen schreibt er bewußt in römischer Alltagssprache und mischt rhythmisch längere und kurze Sentenzen, die den Stil Sallusts weitgehend beeinflußt haben.
Beginnt mit Cato eine lateinische, ganz auf ein römisches Publikum ausgerichtete Form didaktisch-moralischer Geschichtsschreibung, so wird Coelius Antipater als Begründer der historischen Monographie angesehen. Seine Geschichte des 2. Punischen Krieges in sieben Büchern lehnt sich an die hellenistische Historiographie an und verbindet ein umfangreiches Quellenstudium mit einem künstlerischen, rhetorisch fundierten Ausdruck, der sogar mit einigen dramatischen Elementen an die peripatetische Geschichtsschreibung heranreicht. Als stilistischer Vorgänger des Sallust hat Coelius Antipater seine Geschichtskonzeption des Sallust ebenso beeinflußt wie Cato und Cornelius Sisenna die Sprache.
Die Historien des Sisenna in 12 Büchern zeichnen sich besonders durch ihre reiche Ausstattung mit hellenistischen Darstellungsmitteln aus. Dazu zählen eine dramatische Erzählweise, Exkurse, Reden und inhaltlich eine sorgfältige Anordnung des Stoffes. Sallust setzt in seinen Historien nicht nur das Geschichtswerk des von ihm als Historiker bewunderten Sisenna fort, sondern er ähnelt ihm auch in der archaisierenden Sprache und der inhaltlichen Verbindung von pragmatischer und peripatetischer Geschichtsschreibung, obwohl Sisennas politischer Standpunkt für Sallust tadelnswert bleibt.
Neben den Annalen, der Universalgeschichte und der historischen Monographie ist für die römische Geschichtsschreibung noch der von der hellenistischen pragmatischen Geschichtsschreibung beeinflußte commentarius, ein formloser und sachlicher, dennoch aber literarisch und sprachlich ausgereifter Tatenbericht römischer Feldherren , von bereichernder Bedeutung.
Insgesamt betrachtet stellt sich die römische Geschichtsschreibung bis Sallust als eine in Methoden und Theorien vom hellenistischen Kulturkreis und verschiedenen Literaturgattungen beeinflußte , dennoch aber in Sprache, Stil und Inhalt eigenständige und vielschichtig ausgeprägte Literaturform dar, die das politische Bedürfnis besonders der römischen Oberschicht nach Erklärung der römischen Geschichte und Verewigung der eigenen Leistungen erfüllen soll, wodurch bedingt der Fokus der früheren römischen Geschichtsschreibung auf den großen und zentralen historischen Ereignissen liegt und nur die großen historischen Gestalten sich als Träger und Lenker der historischen Ereignisse erweisen.
Die Geschichtsschreibung bietet besonders ausgedienten oder frühzeitig politisch entmachteten römischen Politikern die Möglichkeit, ihr otium sinnvoll für ihr eigenes Andenken und als praktischen Nutzen für den Staat einzusetzen, aus welchem Grund es sich bei den Werken der älteren Geschichtsschreiber bis Livius fast ausnahmslos um Alterswerke römischer Politiker handelt. Diese utilitaristische Auffassung ist ebenso auffällig wie eine starke Konzentration auf die politische Geschichte in Rom und ihre tiefere Bedeutung unter Ausblendung anderer Kulturen und auf die individuelle Zeitgeschichte oder die Ursprungsgeschichte der unmittelbaren soziokulturellen Umgebung. Der Ton dieser Literatur ist grundsätzlich ernst und würdevoll und orientiert sich in didaktischer Absicht an den tradierten moralischen Normen und Werten, ohne durch kritische Quellenforschung die Vergangenheit nachempfinden oder in der Darstellung wiederaufleben lassen zu können.

3.1.2. Rhetorische, peripatetische und pragmatische Geschichtsschreibung

Nach näherer Betrachtung der stilistischen und sprachlichen Tradition der klassischen griechischen und römischen Geschichtsschreibung und deren möglichen Wirkung auf Sallust, ist es abschließend noch von elementarem Wert, drei einzelne historiographische Stilformen der hellenistischen Geschichtsschreibung miteinander zu vergleichen, um die Stellung von Sallusts eigener Geschichtskonzeption im Brennpunkt dieser verschiedenen Ansätze bestimmen zu können. In der Forschung werden für eine Einordnung Sallusts immer wieder Elemente der rhetorischen, pragmatischen und peripatetischen Geschichtsschreibung herangezogen. Deshalb stehen diese in hellenistischer Zeit entwickelten Stilrichtungen im Mittelpunkt dieses Kapitels.
Die rhetorische Geschichtsschreibung geht direkt zurück auf den großen Rhetor Isokrates von Athen (436-338 v. Chr.) und den Sophisten Gorgias von Leontinoi (ca. 480-380 v. Chr.), welche als Begründer der antiken Rhetorik die Diktion und den Stil der Rhetorik durch Anwendung rhetorischer Stilmittel prägen und damit rhetorische Schriften als eine ebenso bedeutende Form der Kunstprosa neben die Poesie und die Philosophie stellen.
Die zunehmende Bedeutung der Rhetorik im Staat und in der Gesellschaft Athens hat Ephoros von Kyme, einen Schüler des Isokrates, im 4. Jahrhundert v. Chr. beeinflußt, unter Verzicht auf die mythische Epoche eine griechische Universalgeschichte von der dorischen Wanderung an bis in das Jahr 356 v. Chr. zu schreiben. Aufgrund der deutlich rhetorisch geprägten stilistischen und sprachlichen Ausarbeitung seiner Werke, der Einbindung tropischer Figuren und ganzer Reden, durch welche die historische Darstellung an sich häufig auf Kosten der historischen Genauigkeit zu einem Kunstwerk gestaltet wurde, muß Ephoros als Begründer der rhetorischen Geschichtsschreibung angesehen werden, deren primäre Stilelemente auch bei Theopompos von Chios und Anaximenes von Lampsakos zu entdecken sind, deren Grundprinzipien aber die gesamte antike Geschichtsschreibung beeinflußt haben. Trotz der feinen und ausgefeilten Ausarbeitung seines Werkes gilt der Stil des Ephoros in der Antike als nüchtern und spannungslos, besonders weil dieser vornehmlich auf dramatische, schauererregende Szenen nach dem Muster gorgianischer Redefiguren verzichte.
Demgegenüber wird der Stil des Theopompos, eines anderen Schülers des Isokrates, als mächtig und schwungvoll gelobt, weil dieser das Schreckenerregende in seiner zeitgeschichtlichen Darstellung Philipps II. von Makedonien und in seiner JEllenikav geradezu suche und damit gestalterische Bezüge zur peripatetischen Geschichtsschreibung aufweise.
Die Entstehung der peripatetischen Geschichtsschreibung wird allgemein aus dem 9. Kapitel über die Poetik des Aristoteles abgeleitet, in welchem er die Geschichtsschreibung von der Dichtung abgrenzt. Während die Geschichtsschreibung ja nur das Spezifische des menschlichen Lebens, nämlich die konkreten, historisch gesicherten Fakten und Personen wiedergeben könne, sei die Dichtung in Form von Komödie, Tragödie und Fabel in der Lage, universale Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten faßbar zu machen. Die besondere Leistung der Tragödie bestehe darin, daß sie zwar teilweise mit historischen Gestalten arbeite, diese aber in neue, potentielle Zusammenhänge und Ereignisse stelle und damit neue Wahrscheinlichkeiten erzeuge. Aus diesen Gründen heraus bewertet Aristoteles die Dichtung höher als die Geschichtsschreibung, sie ist für ihn durch ihre differenzierten Möglichkeiten philosophischer und ernsthafter als die Historiographie.
Nach Ansicht der modernen Forschung soll diese Abwertung der Geschichtsschreibung für Theophrastos von Lesbos (370-287 v. Chr.), einen Schüler und Nachfolger von Aristoteles, die Ursache gewesen sein, die Prinzipien der Geschichtsschreibung der Tragödie anzunähern. Seine Schrift "peri; Jistoriva"" könnte das vermutete Gestaltungsprogramm der peripatetischen Geschichtsschreibung enthalten, auf welches die Werke des Duris von Samos (ca. 340-260 v. Chr.) und Phylarchos von Athen (2. Hälfte des 3. Jh. v. Chr.) zurückgeführt werden.
Obwohl Duris die rhetorischen Historiker Ephoros und Theopompos wegen ihrer mangelhaften Genauigkeit und Historizität kritisiert, selbst aber den Anspruch historischer Wahrheit erhebt, ist seine historische Darstellung selbst sehr stark auf die emotionale Wirkung und stilistische Gestaltung ausgelegt. Durch Verwendung zahlreicher literarischer Gestaltungsmittel, durch Einbettung direkter Reden und durch Erzeugung von Dramatik und Schrecken gelingt ihm eine stilistische Annäherung an die Tragödie, ohne jedoch die Inhalte der Geschichte zu einem tragischen Stoff zu machen. Meister schlägt als Bezeichnung für den Stil des Duris "mimetische ... Sensationshistorie" vor, um sie von den inhaltlichen Postulaten der echten Tragödie zu unterscheiden.
Die kritische Auseinandersetzung des Polybios von Megalopolis (ca. 200-120 v. Chr.) mit der Geschichtsschreibung des Phylarchos und die damit verbundene Ausarbeitung eines eigenen historiographischen Ansatzes hat zur Entwicklung der pragmatischen Geschichtsschreibung geführt. Polybios kritisiert an Phylarch besonders seine einseitige, parteiische Darstellung, die Überbeanspruchung grauenvoller, auf Affekte ausgerichteter Inhalte sowie die Erfindung und Darstellung von Reden, welche die historischen Personen nur möglicherweise in der dargestellten Form gehalten hätten. Polybios stellt seine eigenen Vorstellungen von den Aufgaben eines Historikers dagegen, mit denen er die Geschichtsschreibung wieder näher an Thukydides heranbringt. Polybios will durch Präsentation der realen historischen Fakten und Zusammenhänge sein Publikum von seinen historischen Einsichten überzeugen und für das zukünftige Leben belehren, während ein tragischer Dichter sein Publikum mit der Darstellung wahrscheinlicher Ereignisse fesseln und erschüttern wolle.
Insgesamt betrachtet stellt sich die antike Geschichtsschreibung als ein Konglomerat verschiedener, aufeinander aufbauender oder entgegengesetzter Stilrichtungen und Stilelemente dar, deren Grenzen häufig miteinander verschwimmen. Die Zuordnung eines Autors zu einem einzigen Stil ist oft fast unmöglich, da sich die Geschichtsschreibung in ständiger Auseinandersetzung mit anderen literarischen Disziplinen, wie etwa der Dichtung, Philosophie und Rhetorik, und sich ändernden sozialen und politischen Zusammenhängen ständig weiterentwickelt. Auch die römischen Geschichtsschreiber haben in Anlehnung an ihre griechischen Vorbilder griechische Konzeptionen vermischt und, mit römischen Vorstellungen verbunden, zu ganz neuen Formen weiterentwickelt.

3.2. DIE ANTIKE TRAGÖDIE

In Anlehnung an Leemans Zuordnung sallustischer Stilelemente zur antiken Tragödie und damit zur peripatetischen Geschichtsschreibung sollen im folgenden die wichtigsten Merkmale der klassischen griechischen Tragödie und der Tragödie Senecas präsentiert werden, um damit den Rahmen für die Einordnung Sallusts in die antike Literatur und Weltsicht zu vervollständigen.

3.2.1. Die klassische griechische Tragödie

Die klassische griechische Tragödie stellt ein in sich abgeschlossenes, ernstes Bühnenstück mit religiöser, moralischer oder politischer Bedeutung dar, in dem der Pessimismus des Menschen und die Vergänglichkeit des Lebens um den Kern der persönlichen Schuld thematisiert wird. Die Handlung wird auf der Bühne in Versform durch die Schauspieler und einen Chor vorgetragen und endet entweder in einer glücklichen Auflösung oder weitaus häufiger in der Wendung der Handlung zur Katastrophe. Der Stoff entstammt dabei weitgehend dem reichen Mythen- und Legendenfundus der Griechen, aus dem dann einzelne Aspekte ausgewählt und, auf nur eine Hauptperson und wenige Nebencharaktere bezogen, zu einer scharfen, gesteigerten Handlung vereint sind. Als Quellen dafür dienen in erster Linie die alten Epen, in denen Glück und Unglück noch in größeren Dimensionen gezeigt werden, während in den Tragödien das Leben des einzelnen Menschen und die Reflexionen des Dichters darüber in den Mittelpunkt rücken, um durch diesen fokussierten Blickwinkel höhere Betroffenheit beim Publikum, eine engere Verknüpfung mit dem eigenen Leben und davon ausgehend eine emotionale und ethische Reinigung zu erreichen. Die Darstellung historischer Ereignisse dagegen wurde trotz Beschränkung auf entferntere Zeiten und Orte in Griechenland nie so erfolgreich und populär wie die mythischen Tragödien.
Die Adaption der griechischen Götter- und Heldenmythen erlaubt das Einfügen übernatürlicher Ereignisse in die Handlung ebenso wie die erfolgreiche Wiederaufnahme bereits verwendeter Themen, weil die mythischen Gestalten durch ihre durchschnittliche Charaktermischung von Tugenden und Schwächen beim Publikum große Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft besitzen. Die Psychologie der Akteure ist dabei nicht so entscheidend wie der überwältigende, tragische Effekt der Katastrophe am Ende des Stückes, aus der sich die moralischen Ansichten des Autors und die finale Beurteilung des Stückes herauslesen lassen.
Trotz der großen Themen-, Handlungs- und Aufbauvariationen in den griechischen Tragödien lassen sich dennoch gemeinsame typische Vorstellungen und Vorgehensweisen im Aufbau der Dramen erkennen. Als feste Teile der Tragödie bestehen der Prolog mit Exposition des Themas und Gegenstandes und Beginn der Handlung, der Parodos mit Einzug des Chores und der damit verbundenen emotionalen Exposition, dann die einzelnen jeweils von dem Chor durch ein Stasimon unterbrochenen Episoden und schließlich die Exodos mit Botenbericht und deus ex machina.
Obwohl die Eröffnungssituation schon ominös gehalten ist und den späteren Fall andeutet, ist die Gesamtstimmung hier noch nicht völlig hoffnungslos und eher von geringer Emotionalität. Der Hauptcharakter wird vorgestellt und seine Verstrickung in eine tragische, unvermeidbare Situation vorbereitet. In den frühen Episoden wird er von den Nebencharakteren bedrängt, sich von seiner Bestimmung zu befreien und damit den unvermeidbaren tragischen Fall abzuwenden. In der emotionalen Klimax führt ihn dann ein Wort oder eine Tat in seine schicksalhafte, ausweglose Katastrophe, welche in der letzten Episode den bewußt herbeigeführten und erlebten Fall herbeiführt. Diese Katastrophe und das tragische Ende wird durch den Boten berichtet und emotionalisiert, während der deus ex machina das Problem lösen, häufiger aber spektakulär die Zukunft der Charaktere andeuten, Aktualität oder regionalen Bezug herstellen und die Handlung mit übernatürlichem Wissen interpretieren und bewerten kann. Die Episoden selbst, deren Anzahl um fünf variiert, stellen in sich abgeschlossene Phasen der Gesamthandlung dar und enden mit einer besonderen finalen Note, in der die vergangene Handlung oder eine Zukunftserwartung thematisiert wird.
Zu den wichtigsten dramatischen Methoden und Charakteristika gehören die Konzeption eines tragischen Subjekts oder Themas in einer Trilogie, also über drei vollständige Tragödien hinweg, die Einheit von Handlung, Zeit und Ort, Vorahnungen, doppelte Motivation, Vermeidung gewalttätiger Taten auf der Bühne und die Rollenökonomie.
Um die Einheit der Handlung zu gewährleisten, gilt die simple Handlungsentwicklung ohne Nebenhandlungen als wichtiges Gestaltungsmerkmal, wobei nichts hinzugefügt oder entfernt werden kann, und die von der Rollenökonomie geforderten wenigen Charaktere eng durch das Schicksal miteinander verbunden sind. In der Einheit von Zeit und Ort, die eine kurze, kompakte Handlung in tragischer Konzentration ermöglicht, sind dennoch Doppelchronologien und Berichte von anderen Orten durch Botenberichte, Plattformen und Fensterschauen erlaubt.
Trotz Vorahnungen des Publikums durch Kenntnis der mythischen Themen, aus denen die Tragödien meistens entstanden sind, bildet dieses Basiswissen nur den Rahmen für das Verständnis der äußeren Handlungsumstände, während die dramatische Entwicklung durch Variation oder ungewöhnliche Interpretation der Legenden oder mythischen Personen Interesse und Spannung hervorruft.
Die tragische Entscheidung des Hauptcharakters und damit die Katastrophe sind nicht nur durch das Wesen des Menschen, sondern häufig auch durch eine Gottheit motiviert. In dieser doppelten Motivation ersetzt oder erklärt das göttliche Motiv das menschliche. Gewalttätige Taten werden auf der Bühne nicht durchgeführt, sondern nur beschrieben oder auch durch ein Ergebnis, etwa eine Verwundung angedeutet.
In den Dramen der drei großen griechischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides stehen die Unausweichlichkeit der tragischen Weltordnung und die Unerbittlichkeit des Schicksals sowie dessen Strenge und Konsequenz im Vordergrund, indem der tragische Held in eine ausweglose Paradoxie geführt wird, die trotz moralisch lobenswerter Bemühung nur in die Katastrophe führen kann. Während die Hauptcharaktere bei Aischylos unter einer existentiellen Schuld leiden, die erst in der Katastrohe gelöst werden kann , kontrastiert Sophokles einander entgegenstehende Prinzipien und Gefühle und läßt den tragischen Helden trotz innerer und äußerer Zerstörung häufig moralisch gereinigt und erhöht aus der Katastrophe hervorgehen. Euripides wiederum fokussiert die Sinnkrise des fehlgehenden, tragischen Helden in einer Normenkollision. Der tragische Konflikt besteht dabei in der Wahl zwischen zwei miteinander konkurrierenden Pflichten.

3.2.2. Die Tragödien Senecas

Senecas Tragödien sind von einem düsteren, gewalttätigen Weltbild durchdrungen. In seinen neun nach griechischem Vorbild konzipierten Tragödien sind die menschlichen Affekte und das Schauerliche allgegenwärtig, atrocitas, gravitas, maiestas dominieren. Die Interpretation der alten Mythen und die Neubearbeitung griechischer Tragödien lassen politische und philosophisch-moralische Intentionen erkennen. Er zeigt den Determinismus der Gewalt, die wieder neue Gewalt hervorruft. Obwohl das Schreckliche nicht in der inneren Weltordnung verankert ist, deshalb vermieden werden kann und nur durch das menschliche Fehlverhalten hervorgerufen wird, kann der autonome Täter das Verbrechen und damit die Katastrophe mangels Handlungsalternativen nicht verhindern.
Das nefas des tragischen Helden hat verschiedene Bedeutungsschwerpunkte. Die Verletzung verwandtschaftlicher Bindungen oder der Verstoß gegen natürliche oder göttliche Rechte können sowohl absichtlich als auch gezwungenermaßen erfolgen. Für die Opfer gibt es nur Rettung in der stoischen Philosophie durch emotionale Ruhe und Ausgeglichenheit. Senecas Schicksals- und auch seine Leidenschaftsdramen wollen durch philosophische Gegenbilder zur Stoa belehren und auch herrschende politische Umstände kritisieren. Die Tragik wird weder problematisiert noch ist sie verbindlich, sie soll nur die negativen Wirkungen der Leidenschaften aufzeigen.
Bereits vom Prolog an herrscht bei Seneca Pessimismus, im zweiten Akt wird die Determinierung des Hauptcharakters und sein Verbrechensplan trotz guter Intentionen eines Nebencharakters zum Verbrechen hin verdeutlicht, im dritten Akt wird das Opfer und sein Unglück, im vierten und fünften Akt die Katastrophe dargestellt und illustriert. Es gibt hier keine emotionalen Kontraste, keinen scharf umrissenen tragischen Wendepunkt und auch keinen deus ex machina. Das sinnlose Verbrechen und das scheinbar selbstverständliche Leiden wird schematisch und funktional in statischem Nominalstil ohne Suche nach individueller Schuld abgespult. In einer Welt, in der sich alle positiven Werte wie virtus und dignitas verkehren, stellen Opfer und Täter als autonom handelnde philosophische Toren negative Beispiele dar, die das Publikum zu stoischen Philosophie führen sollen, in der die Tragödie ihre Tragik verliert.

4. DIE PROÖMIEN DES 'CATILINA' UND 'IUGURTHA'

Die Proömien zu historischen Werken, ebenso wie grundsätzlich alle Proömien, gelten in der Antike als eine eigenständige, besondere literarische Form und müssen deshalb vom Rest des Werkes getrennt betrachtet werden. Die Herkunft der Proömientopoi geht auf die antike Rhetorik zurück. Die Anfänge der Reden dienen dazu, das Wohlwollen, die Neugier und die Aufmerksamkeit des Zuhörers oder Lesers zu erregen. Dazu gehören literarische Gemeinplätze (loci communes) typischer literarischer und philosophischer Motive und Klischees, die der Autor in freier und individueller Gestaltung auf sein eigenes Thema beziehen kann. Die einzigen theoretischen Übertragungen der rhetorischen Postulate auf die Geschichtsschreibung stammen zwar aus der Kaiserzeit und Spätantike , berücksichtigen aber die klassische griechische Geschichtsschreibung ebenso wie die republikanische römische Geschichtsschreibung.
Als Hauptpunkte der theoretischen Anforderungen an ein historiographisches Proömium gelten demnach die Unterrichtung des Lesers über den Gegenstand des Werkes sowie die Erregung von Interesse und Aufmerksamkeit durch Betonung des praktischen Wertes und Nutzens der Geschichtsschreibung. Diese zentralen Anforderungen werden ergänzt durch die persönliche Vorstellung des Autors, einen Hinweis auf die Größe und Würde des Stoffes, die Betonung der eigenen Wahrheitstreue und Sorgfalt bei der Quellenarbeit sowie durch das Versprechen einer objektiven und knappen Darstellung. Abgerundet werden diese Topoi schließlich mit allgemeinen philosophischen Betrachtungen über das Wesen der Geschichtsschreibung und der persönlichen Auffassung des Autors dazu.
Obwohl seit Thukydides die Gestaltung der historiographischen Proömien auf literarische Topoi zurückzuführen sind, lassen sich dennoch aus der individuellen Anordnung, Gestaltung und aus dem Inhalt von Sallusts Proömien wichtige elementare Informationen über Sallusts Menschenbild, seine philosophischen Ansichten und darüber hinaus auch über sein Geschichtsbild gewinnen. Diese Erkenntnisse gilt es im folgenden mit der Konzeption der Monographien und Sallusts historischem Kontext kritisch zu vergleichen,

4.1. DAS CATILINA-PROÖMIUM (CAT. 1-4)

Das Catilina-Proömium weist eine deutliche inhaltliche Zweiteilung auf, wobei der erste Teil (c. 1-2), in welchem Sallust sein Menschenbild und die daraus folgenden ethischen Prinzipien aufbaut, die argumentative Stütze für den zweiten Teil (c. 3-4) bildet, in dem Sallust seinen Lebensweg und die daraus folgende Entscheidung für das frühe politische otium und die Geschichtsschreibung darstellt.
In der ersten Einheit (c. 1,1-4) des ersten Teils des Proömium fällt eine Reihe miteinander verbundener Antithesen auf: homines - animalia (c. 1, 1), animus - corpus (c. 1, 2), imperium - servitium (c. 1, 2), di - belua (c. 1, 2), ingenium - vires (c. 1, 3), vita brevis - memoria longa (c. 1, 3), divitiarum et formae gloria fluxa et fragilis - virtus clara aeternaque (c. 1, 4). Diese antithetischen Gegenüberstellungen verdeutlichen Sallusts Menschenbild und auch sein Lebensziel. Der Mensch sei durch Geist und Körper halb göttlich, halb tierisch und deshalb solle der Geist führen und der Körper dienen. Während dem Körper Kraft ("uires", vgl. c. 1, 3) und dem Geist Begabung und Verstand ("ingenium", vgl. c. 1, 3) zugeschrieben werden, gehört für Sallust die zentrale, berühmte und ewige virtus eindeutig nur zum Geist (vgl. "uirtus clara aeternaque habetur", c. 1, 4). Als für einen römischen Aristokraten ideales und zentrales Lebensziel nennt Sallust ewigen, unvergänglichen Nachruhm, der aufgrund von persönlicher Auszeichnung durch ingenium und virtus des Individuums gegenüber den anderen Lebewesen erreicht werden könne (c. 1, 1). Jeder Mensch aber, der danach strebe, solle darauf achten sein Leben nicht in Stille hinzubringen (vgl. "ne uitam silentio transeant", c. 1, 1). Diese Bedingung ist insofern ein Umkehrschluß, weil persönliche Auszeichnung vor anderen auch selbstverständlich ein Hervortreten aus der Stille bedingt. Dennoch wird bereits im Eingangssatz deutlich, daß für Sallust Leben und Geschichte der Menschen offen und nicht determiniert sind, denn er behauptet hier nicht, daß alle Menschen notwendigerweise nach Auszeichnung und Ruhm streben, auch wenn die altrömische virtus für ihn das höchste Gut darstellt. Vielmehr stellt Sallust hier nur allgemeine notwendige Bedingungen für das Erreichen des auf der geistigen Größe beruhenden ewigen Ruhmes auf.
In der zweiten Einheit (c. 1,5-2,2) wird die überlegene Bedeutung der virtus animi gegenüber der vis corporis an der Geschichte des Kriegswesens verifiziert. Obwohl Sallust als Römer die militärische Machtausdehnung als Betätigungsfeld und Beweis der virtus nicht verurteilt , verweist er in der dritten Einheit (c. 2,3-2,6) auf die viel größere Bedeutung der virtus animi im Frieden, denn nur wenn die Machthaber im Frieden ähnlich gute Eigenschaften wie im Krieg zeigen würden, wäre das Leben der Menschen gleichmäßiger und beständiger, die Verhältnisse geordnet und die Sitten zusammen mit der ganzen Lage gut. Es wäre möglich, in diesen Überlegungen nicht nur einen Vorgriff auf das in der Archäologie (c. 6-13) entwickelte Dekadenzmodell der römischen Geschichte zu sehen, sondern auch einen Ausdruck von Sallusts Enttäuschung über Caesar, der als erfolgreicher Feldherr nach seinem Sieg über alle Gegner Sallusts Erwartungen nach sittlicher und politischer Neugestaltung der innerrömischen Verhältnisse im Frieden nicht erfüllt hat. Aber ist er deshalb notwendig ermordet worden, damit die Herrschaft auf einen Tüchtigeren übergehen konnte? Angesichts der auf Caesars Tod folgenden Unruhen, die schließlich in einen neuen Bürgerkrieg mündeten, wären diese Umstände unmöglich die besseren zu nennen, zumal Sallust die neuartige Umgestaltung und den inneren Frieden unter dem Prinzipat des Augustus nicht mehr miterleben konnte.
In der vierten Einheit (c. 2, 7-2, 9) kehrt Sallust wieder zum Anfang seiner Überlegungen zurück, indem er die Wichtigkeit hervorhebt, durch die virtus den Ruhm einer glänzenden Tat oder einer guten Fähigkeit zu erlangen. Das Leben aller Menschen, die in Stille, ungebildet und sich nur ihren körperlichen Bedürfnissen hingebend durch das Leben gehen, hält er für unwichtig und unbedeutend, weil bei ihnen Reflexion und geistige virtus fehlten. Erst im zweiten Teil des Proömium wägt Sallust die vorher allgemein gehaltenen Betätigungsfelder für den Menschen detaillierter ab. In der ersten Einheit (c. 3, 1-3, 2) dieses Teils weist er auf die große Vielfalt der Aktionsmöglichkeiten hin und nennt die Politik, die Betätigung als Redner, allgemein das Ausführen großer Taten in Frieden und Krieg und als abschließenden, überraschenden und ungewöhnlichen Höhepunkt auch den historiographischen Bericht darüber. Er stellt im folgenden die Schwierigkeiten für den Historiker dar, die Taten anderer Leute richtig und angemessen wiederzugeben und sieht darin eine noch größere virtus als im Vollführen praktischer Taten, da ja die Geschichtsschreibung Männern und ganzen Staaten Ruhm und Größe verleihen könne. Hier wird deutlich, daß Sallust reflektierend Geschichte schreibt. Er will, daß seine Darstellungen den Ereignissen gerecht werden, daß sie seine Auffassungen von dem tieferen Sinn, den Hintergründen und Zusammenhängen der römischen Geschichte widerspiegeln. Sallust hat gewiß eine ganz eigene, sehr persönliche Geschichtsauffassung, aber er verfremdet und verändert sie nicht willkürlich oder aus parteipolitischen Interessen, sondern um sein eigenes Bild über die Voraussetzungen, Ursachen und Hintergründe der menschlichen Triebe und Handlungen, die die Geschichte beeinflussen, zu verdeutlichen.
Ein Anhaltspunkt für Sallusts persönliches Geschichtsbild liefert die zweite Einheit (c. 3, 3 - c. 4), in der Sallust in Anlehnung an Platons 7. Brief seine Enttäuschungen beschreibt, die er als junger Mann in der Politik erlitten habe, und auch seine Empfänglichkeit für schlechte, unsittliche Einflüsse nicht verheimlicht. Indem Sallust hier in scheinbarer Selbstkritik bezüglich seiner eigenen früheren ambitio sein politisches Wirken beschönigt und seinen Rückzug aus der Politik als eigenständigen, nicht von den politischen Umständen erzwungenen Entschluß darstellt , bedient er sich gleichzeitig typischer Proömientopoi.
Dennoch sind die Darstellungen plausibel und können durchaus der Wahrheit entsprechen. Aus der politischen Biographie des Sallust wird deutlich, daß er als junger Mann nach Rom gekommen ist, um hier nach der üblichen rhetorischen Ausbildung Karriere in der Politik zu machen. Wie viele andere aufstrebende Abkömmlinge der italischen Aristokratie mußte er sich dafür einer der politisch maßgeblichen Parteien und einem ihrer einflußreichsten Führer in einem patronageartigen Verhältnis anschließen (vgl. "ego adulescentulus initio, sicuti plerique, studio ad rem publicam latus sum" c. 3,3). Ein ambivalentes Verhältnis zu den äußeren Umständen und zum eigenen Leben ist dabei durchaus vorstellbar (vgl. "ibique mihi multa aduorsa fuere", c. 3,3). So ist Sallust als junger Mann aus Amiternum sicherlich mit falschen, illusorischen Vorstellungen nach Rom gekommen und wird dort auch bald durch die realen, großstädtischen Verhältnisse korrumpiert worden sein. Auf der einen Seite stürzte er sich ehrgeizig in das neue, laute und angenehme Leben, um aber bald feststellen zu müssen, daß seine Chancen und Möglichkeiten sehr begrenzt waren, so daß es auf der anderen Seite durchaus möglich ist, daß er von diesem Leben und auch von seiner eigenen Korruption tatsächlich angeekelt gewesen ist.
Als er alle seine Möglichkeiten, diese verfahrene Situation noch ins Bessere zu wenden, durch die Enttäuschung über Caesar und dessen Ermordung verstellt sah, hat er sich auf ein Betätigungsfeld zurückgezogen, in dem er seine ethisch-moralischen Vorstellungen abgehoben von der aktuellen Tagespolitik und seinen eigenen moralischen Schwächen darstellen, verteidigen und dennoch eine nützliche Aufgabe für den Staat ausführen konnte. Dabei bietet die Person des Catilina auch ein geeignetes Gegenbild zu seinem eigenen Leben. Obwohl Catilina in der Monographie mit außerordentlich guten persönlichen Voraussetzungen ausgestattet ist, nutzt er diese nicht zum Wohl des Staates, sondern bringt diesen in äußerste Gefahr , um schließlich ein schmähliches Ende zu nehmen. Sallust hingegen hat weder den Staat in Gefahr gebracht noch als einer von vielen Mitverschwörer versucht, sich an dem Umsturz der Verhältnisse zu bereichern. Vielmehr hat er aus seinen Fehlern gelernt und mit der Historiographie einen persönlichen und für den Staat nützlichen Weg gefunden, durch positive Anwendung seiner virtus animi berühmt zu werden.
Indem Sallust einen an den Wahrheitsanspruch des Thukydides angelehnten Wahrheitstopos ("quam uerissume potero", c. 4,3) entwickelt, zugleich die Bedeutung des Stoffes ("nam id facinus in primis ego memorabile existumo sceleris atque periculi nouitate, c. 4,4) und die eigene Kürze der Darstellung ("de Catilinae coniuratione ... paucis absoluam", c. 4,3) betont, stellt er sich damit in die griechisch-hellenistische historiographische Tradition.
Das Proömium zu Sallusts erster historischer Monographie zeigt auf der einen Seite seine starke Abhängigkeit von den griechischen und lateinischen Vorgängern und deren literarischen Topoi , es verrät auf der anderen Seite aber auch die elementare Bedeutung der Geschichtsschreibung für die persönliche Aufarbeitung seiner eigenen Lebenserfahrung. Aufgrund seiner frühen Erlebnisse in der römischen Politik ist er zu einem negativen Menschenbild gelangt, dessen positive Aspekte nur durch eine starke virtus und deren Einsatz für den römischen Staat zum Vorschein kommen , andernfalls aber von allgemeiner Dekadenz und übermäßigen körperlichen Begierden überschattet werden.


4. 2. DAS IUGURTHA-PROÖMIUM (IUG. 1-4)

Auch im Iugurtha-Proömium bedient sich Sallust typischer historiographischer Topoi. Er bringt seine eigene Person (vgl. "quia decreui procul a re publica aetatem agere", c. 4,3) in Zusammenhang mit der Geschichtsschreibung, um davon ausgehend seine Objektivität und den besonderen praktischen Nutzen der Geschichtsschreibung für die res publica hervorzuheben. Nach Verbindung dieses Nutzens mit Äußerungen zur eigenen Zeitgeschichte (c. 4,5-4,9) gibt er ähnlich wie im Catilina und wie auch Thukydides einen Überblick über das Thema seines Werkes und weist dabei besonders auf die Gründe hin, die ihn dazu bewogen haben, über dieses Thema zu schreiben. Obwohl Sallust den Topos des bedeutenden, alles erschütternden Krieges von Thukydides übernimmt , überträgt er dessen militärhistorischen und auf kriegerische Auseinandersetzungen ausgerichteten Ansatz auf innenpolitische Entwicklungen in Rom und deren Zusammenhang mit dem externen Krieg gegen Iugurtha.
Wie bereits im Proömium des Catilina betont Sallust die hohe Bedeutung der virtus animi gegenüber allen anderen Kräften und Umständen, die das Leben der Menschen bestimmen. Oberflächlich betrachtet behandelt Sallust in diesem Proömium also die gleichen Themen wie im Catilina-Proömium, allerdings eindeutiger gegliedert. In den ersten beiden Kapiteln gibt er einen Überblick über sein Menschenbild, im dritten Kapitel nennt er die Tätigkeiten, die seiner Meinung nach den Menschen am meisten Ruhm einbringen können, im vierten Kapitel schließlich vertieft Sallust seine Vorstellungen von der Historiographie und seine Meinung über die Situation des römischen Staates.
Im ersten Teil (c. 1-3) des Proömium ist wieder der antithetische Argumentationsgang auffällig. Sallust widerlegt in c. 1,1-2 die allgemeine anthropologische Auffassung, daß der Mensch mehr durch den Zufall als durch die virtus bestimmt werde ("forte potius quam uitute regatur", c. 1, 1), indem er die Größe und Vortrefflichkeit der virtus hervorhebt und die Klagen der Menschen mehr auf mangelnden Fleiß als auf fehlende Kraft oder Zeit zurückführt. Im folgenden setzt Sallust seine eigene These dagegen. Der Geist ist für ihn Führer und Herrscher des Menschen und wenn dieser der virtus gemäß nach Ruhm strebe, dann sei er stark und hell und nicht auf das Schicksal angewiesen (vgl. "abunde pollens potensque et clarus est neque fortuna eget", c. 1,3). Diese Einstellung gebe dem Menschen die alleinige Entscheidung über die Gestaltung seines Lebens und mache ihn unabhängig von allen äußeren Kräften und Schicksalsschlägen. In einer von Leeman beschriebenen antithetischen "Zickzackbewegung" geht Sallust danach wieder auf die negative Verkehrung der menschlichen Natur ein, die auf die Erfüllung rein körperlicher Bedürfnisse und falscher Leidenschaften beschränkt sei. Aus dem sich anschließenden Vorwurf, daß jeder, der seine Kräfte und Möglichkeiten vergeudet habe, die Schuld am Ende auf die Umstände schiebe (c. 1,4), läßt sich wieder ein Bezug zu Sallusts eigenem Leben herstellen. Er hat nach seinem politischen Scheitern eben nicht resigniert, sondern versucht, seine politischen Ideale auf literarischer Basis zu realisieren. Zum Abschluß des ersten Kapitels (c. 1,5) verstärkt Sallust noch einmal das erste Thema, indem er auf den ewigen Ruhm hinweist, der der virtus zufalle und alle Schicksalsschläge meistern könne.
Im zweiten Kapitel zeigt Sallust ein ähnliches Menschenbild wie schon im Catilina-Proömium. Wieder baut er einen Dualismus von Körper und Geist auf, der an die Ideenlehre des Platon erinnert, da er den ewigen, alles lenkenden und zu großen Leistungen fähigen Geist über die vergänglichen körperlichen und überhaupt materiellen Äußerlichkeiten stellt. Bereits mit dem letzten Satz dieses Abschnittes leitet Sallust auf das dritte Kapitel über, indem er hier schon die zahlreichen und für das Training des Geistes notwendigen Betätigungsfelder anführt, die er im folgenden weiter ausdifferenziert. Auf die aktuelle Situation der Zeit nach der Ermordung Caesars spielt dabei die Äußerung an, daß ihm öffentliche Tätigkeiten in der Politik oder im Heer am wenigsten erstrebenswert erschienen, weil den virtus-Trägern kein Ehrenamt gegeben werde und auch diejenigen, die eines durch Betrug erreichten, dadurch nicht sicher oder angesehen seien: "quoniam neque uirtuti honos datur neque illi quibus per fraudem [iis] fuit [uti] tuti aut eo magis honesti sunt" (c. 3,1). Bei allem guten Bemühen sei nur Haß zu ernten, zumal notwendige, strenge Veränderungen nur zu Mord und Vertreibung oder zu neuen Feindseligkeiten und Diktaturen führten (c. 3,2). Im Vergleich zum Catilina-Proömium wird hier ein zunehmender Pessimismus deutlich. Sallust sieht für einen Mann überhaupt keine Möglichkeiten mehr, in der Politik seine virtus zu beweisen und damit dem Wohl des Staates zu dienen.
Im zweiten Teil des Proömium (c. 4) aber ist von anderen geistigen Beschäftigungen die Rede, von denen besonders die Geschichtsschreibung von großem Nutzen für den Staat sei. Obwohl Sallust nicht explizit über den Nutzen der Geschichtsschreibung spricht, um den Eindruck eigener Überheblichkeit und den möglichen Neid anderer zu vermeiden , weist er jeden Vorwurf des nutzlosen Müßiggangs von sich, indem er die Zeitumstände als Grund für seinen Rückzug aus der Politik anführt und damit begründet, daß aus seinem vermeintlichen otium mehr Nutzen für den Staat entstehe als aus dem negotium der meisten anderen.
Im zweiten Teil des vierten Kapitels (c. 4, 5-8) folgt endlich eine exemplarische Darstellung des Nutzens der Geschichtsschreibung. Der zentrale Gedanke geht dabei auf die durch die Abbildungen der großen Vorfahren auf Wachstafeln ("maiorum imagines", c. 4,5, sowie "cera" und "figura", vgl. c. 4,6) hervorgerufenen "memoria rerum gestarum" (c. 4, 6) aus, die die Menschen zu neuer virtus und ähnlichen Taten antreiben könne ("animum ad uirtutem adcendi", c. 4, 5). Diese typisch römische Einstellung, den immerwährenden Wettstreit der Römer mit der virtus, den Taten und den Ruhm der Vorfahren, vergleicht Sallust mit seinen Zeitgenossen, die von ihren Vorfahren nur noch das Streben nach Ruhm, Reichtum und Ämtern, nicht aber deren Sittlichkeit und Rechtschaffenheit übernommen hätten und auf unredliche Weise nach Auszeichnung strebten oder ihr unverdientes Erbe vergeudeten (c. 4,6-4,8). Sallust offenbart in dieser Aussage seine Vorstellung von den Triebkräften der römischen Geschichte. Es ist der Wettbewerb um die größten Leistungen der virtus, besonders mit den großen, fast immer unerreichbar scheinenden Taten der Vorfahren, welcher die Römer zu immer größeren, inneren und äußeren Leistungen angetrieben habe. Die Erklärung für den aktuellen Mißstand und die Verkehrung der Werte sowie für seine politische Frustration muß an anderer Stelle gesucht werden, nämlich in der großen Archäologie des Catilina, in der er den Wendepunkt in der römischen Geschichte erarbeitet.
In diesen Überlegungen allein läßt sich der Ansporn für Sallusts Geschichtsschreibung finden, weil er sich erklären will, aus welchem Grund früher erfolgreiche Bemühungen in seiner eigenen Zeit zum Scheitern verurteilt sind und der Staat sittlich verkommen ist. Die Erklärungen dafür und die Darstellungen in den exemplarischen Monographien müssen deshalb zwangsläufig moralisierend sein, weil er die Gründe für den inneren Niedergang des römischen Staates in der ethischen Verkehrung der Politik sieht, in der der einzelne nicht mehr so sehr an das Wohl des Staates, sondern vielmehr nur an seine eigenen Interessen denkt, ohne mit dem Gesamtwohl übereinzustimmen.
Auch wenn die Gesamtdarstellung der aktuellen Zeitverhältnisse ähnlich wie in den Tragödien des Seneca negativ und pessimistisch ist , offenbart Sallust dennoch Hoffnung auf Besserung, indem er auf den positiven exemplarischen Nutzen der Geschichtsschreibung setzt und nicht wie Seneca die stoische Ruhe und Zurückgezogenheit propagiert. Der Leser des Sallust soll die Gefährlichkeit falscher Werte und falschen, übertriebenen Ehrgeizes exemplarisch erkennen und daraus lernen.
Im Vergleich zum Proömium des Catilina wirkt das Iugurtha-Proömium deutlich ausgereifter und selbstbewußter. Sallust stellt sich uneingeschränkt in die Tradition der politischen Geschichtsschreibung eines Thukydides und wendet die für ihn bestimmenden Topoi der Objektivität, der Bedeutung des Themas und des Nutzens der Geschichtsschreibung bewußt und wohldosiert an, ohne sich wie im Catilina in zu umfangreiche, fast wörtliche Anleihen wie etwa aus den Werken des Platon zu verstricken.
Die höhere literarische Reife und das gestärkte Selbstbewußtsein verschleiern aber die menschliche Beteiligung Sallusts an dem behandelten Thema. Nur an wenigen Stellen tritt die im Catilina noch erkennbare emotionale Betroffenheit und enge Verknüpfung zwischen Autor, historischem Gegenstand und dem Geschichtswerk zutage. Es wird bereits im Proömium des Iugurtha deutlich, daß Sallust die Geschichte weiterhin nach den schon im Catilina ausgebreiteten altrömischen Werten bewerten und auch in das sittliche Dekadenzmodell einordnen wird. Der Krieg mit Iugurtha wird dabei zu einem weiteren historischen Exempel seines Geschichtsmodells, ohne eine besondere emotionale oder gar tagespolitisch aktuelle Bedeutung zu entwickeln.

5. DIE HISTORISCHEN EXKURSE

Die Anlage von historischen Exkursen, die das Gesamtthema erläutern oder weiterführen, geht bis zu den Anfängen der Geschichtsschreibung zurück. Schon bei Homer wird der Bericht vergangener Ereignisse funktional für das im Werk gegenwärtige Geschehen eingesetzt, um dem zürnenden Achill die destruktiven Folgen menschlichen Zorns vor Augen zu führen. Während die Exkurse aber bei Homer und auch bei Herodot noch eng mit der Erzählung verbunden sind, gewinnen sie erst seit Thukydides eine stilistische Eigenbedeutung. Thukydides trennt seine historischen Exkurse eindeutig von dem Hauptthema seines Werkes, welches die Ursachen, die Entstehung und den Verlauf des Peloponnesischen Krieges berichten soll. Wie später Sallust erläutert Thukydides die frühe Vorgeschichte des Landes bis zum Einsetzen seiner Erzählung (1,1-19), gibt einen Überblick über den Verfall der Sitten (3,82f.) und spart weder eine Reflexion seiner historischen Methode (1,20-22) noch die menschlichen Beweggründe zur Vollführung historischer Taten (6,54-59) aus.
In Sallusts Monographien finden sich nach dem Vorbild seiner historiographischen Vorgänger Exkurse verschiedenartiger Ausprägungen und Funktionen. Auch wenn politisch-historische und sittliche Exkurse für die Intention und Aussagekraft von Sallusts Werken im Vordergrund stehen , so ergänzt Sallust sein Werk doch auch mit Personencharakteristika , Reden und geographisch-ethnographischen Abhandlungen.
Nachdem aus der Analyse der Proömien die Intention und Funktionalität dieser Werkteile für die Geschichtsschreibung des Sallust ersichtlich geworden sind, soll im folgenden sein genaues Geschichtsverständnis anhand der historisch-sittlichen Exkurse näher untersucht werden. Diese sind für das Verständnis von Sallusts Geschichtsbild von elementarer Bedeutung. Sie bieten keine genauen historischen Daten und Fakten, sondern sollen bestimmte historische Triebfedern, Zusammenhänge und Veränderungstendenzen darstellen , um dadurch erklären zu können, wie mit der Zeit aus dem besten und schönsten Staat der schlechteste geworden sei.
Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf drei Schwerpunkte:
1. Analyse von Aufstieg und Fall des römischen Staates in der Archäologie der coniuratio Catilinae (c. 6-13)
2. Darstellung der politischen Lage in Rom zur Zeit der catilinarischen Verschwörung (c. 36-39, 5)
3. Analyse der historischen Mißstände im Parteienexkurs des bellum Iugurthinum (c. 41-42)

5. 1. DIE ARCHÄOLOGIE DER CONIURATIO CATILINAE (CAT. 6-13)

Die Archäologie der coniuratio Catilinae schließt direkt an die Charakterisierung der üblen, für die angesprochene Zeit aber typischen Eigenschaften des Catilina an und erklärt auch seine im folgenden beschriebene erfolgreiche Suche nach Anhängern ebenso wie die ersten Erfolge der Verschwörung.
In der Archäologie selbst wird ein zyklisches Geschichtsbild deutlich, welches Sallust selbst wohl gar nicht als solches verstanden hat. Er nennt als Absicht die Erläuterung der politischen und militärischen Geschichte Roms, die er nach althergebrachter römischer Geschichtswahrnehmung als Verfallsgeschichte ansieht. Als Wendepunkt will er dabei die Zerstörung Karthagos im 3. Punischen Krieg 146 v. Chr. erkannt haben, nach der jede ernste äußere Bedrohung Roms weggefallen sei und damit die ethischen Werte verkehrt und durch äußere Machtattribute ausgehöhlt worden seien.
Die Darstellung besitzt aber im ganzen mehrere Wendepunkte. Nachdem sich die Trojaner mit den Ureinwohnern vermischt hätten und dadurch bald ein einheitlicher, schon florierender Stadtstaat entstanden sei, habe der eigene Wohlstand den Neid der Nachbarn hervorgerufen, der zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt habe, aus denen die Römer siegreich und gestärkt hervorgegangen seien (c. 6,1-6,6). Auch die durch das zu Tyrannei entartete Königtum hervorgerufene innere Krise, welche den Aufstieg und die Regierung der jeweils Besten verhindert habe, habe durch eine geänderte, republikanische Verfassung mit gewählten Regenten bewältigt werden können (c. 6,7-7,1). Nach diesem Wendepunkt habe sich der römische Staat aufgrund der zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen mit äußeren Gegnern, die wegen der hohen virtus und Disziplin der Römer erfolgreich verlaufen seien, im Innern kontinuierlich aufwärts entwickelt, immer in gegenseitigen Wettkampf der Bürger um die größte Leistung (c. 7).
In Kapitel acht reflektiert Sallust den Zusammenhang zwischen großen Taten und dem Ruhm, der durch deren schriftlichen Fixierung folgen könne. Der Eingangssatz mag dazu auf den ersten Blick nicht passen, denn die Tatsache, daß die Besten der Römer lieber gehandelt als über ihre Taten geschrieben hätten, die größten Leistungen in Rom also in der Praxis und nicht wie in Athen in der Theorie gelegen hätten, hat gewiß nichts mit Glück oder Zufall zu tun, sondern entspringt vielmehr den jeweiligen ethisch-kulturellen Voraussetzungen. Gerade dadurch, daß die meisten Römer sich mehr auf hervorragende, durchdachte Taten als auf theoretische Überlegungen konzentriert hätten, habe der Staat eine so großartige und schnelle Entwicklung genommen. Darin kann aber bereits das Verhängnis für den von Sallust mit der Zerstörung der letzten großen militärischen Konkurrentin, nämlich Karthago, beobachteten Niedergang begründet sein , wenn der vermeintliche Fortschritt nur im militärischen Bereich stattfindet, während alle anderen, kulturellen Entwicklungen dem untergeordnet sind und nicht mithalten können. Die klassische, altrömische virtus-Vorstellung stellt eine aktive, auf Expansion und Leistungssteigerung ausgerichtete Idealvorstellung dar , die dann an ihre Sinngrenze stoßen muß, wenn die Herausforderungen für die Bewährung dieser virtus vorangegangene Leistungen nicht mehr steigern können, vorher positive Verhaltensweisen gegen äußere Gegner in innerem Machtstreben negative Wirkungen zeigen, Ehrenattribute der virtus wie Reichtum und politische Macht zum Selbstzweck entarten und das große Vorbild der Vorfahren zur Belastung wird.
Wie sich die aufgrund äußerer Gefahren in Kapitel neun beschriebenen positiven ethischen Werte durch den in Kapitel zehn dargestellten endgültigen Sieg über Karthago in das Negative verkehrt hätten, erläutert Sallust von Kapitel zehn an. Dennoch muß der Keim des Untergangs schon vorher bestanden haben, denn das Unheil begann mit "saeuire fortuna ac miscere omnia coepit" (c. 10, 1). Sallust hat aber im Proömium die Beständigkeit einer starken virtus animi gegenüber allen Schicksalsschlägen zum Ausdruck gebracht, so daß er hier implizit doch voraussetzen muß, daß die virtus animi der Römer zur Zeit des Sieges über Karthago schon nicht mehr so beständig gewesen sein muß, daß sie gegen die Verlockungen des otium bestehen konnte. Vielleicht geht Sallust an dieser Stelle aber auch in einer Vorwegnahme der folgenden Begründung davon aus, daß die virtus animi, die bei den Römern, wie schon vorher dargelegt worden war, auf kluges, überlegtes Handeln vor allem in militärischen Auseinandersetzungen beschränkt gewesen sei und nicht auch auf großen theoretischen Geistesleistungen wie bei den Athenern beruht habe, durch die Verlockungen, vielmehr aber auch durch die Ziellosigkeit des otium korrumpiert worden sei: "iis otium diuitiaeque, optanda alias, oneri miseriaeque fuere" (c. 10, 2).
Insofern ist die Beobachtung Sallusts, daß zuerst die ambitio die Verhältnisse verkehrt habe ("primo magis ambitio quam auaritia animos hominum exercebat", c. 11, 1), durchaus nachvollziehbar, weil sich der Tatendrang der Römer und das wertneutrale Streben nach imperium nach Beseitigung der mächtigsten außenpolitischen Gegner vermehrt inneren Zielen, nämlich der politischen Macht und deren äußeren materiellen Attributen, zuwenden mußte. Diese Entwicklung mußte dann fast zwangsläufig in die von Sallust skizzierten Ausschweifungen und Unmäßigkeiten münden, die den altrömischen Wertvorstellungen ganz und gar entgegenstehen, weil die asketischen Römern die gewonnene Macht, den Reichtum und vor allem die Muße ohne moralische Grenzen nicht sinnvoll und maßvoll ausüben konnten und sich die vorher in den Auseinandersetzungen mit äußeren Feinden positiven Eigenschaften im inneren Frieden negativ auswirkten.
Unter den drei Übeln ambitio, avaritia und luxuria nimmt letztere eine Sonderstellung ein. Während ambitio und avaritia gemäßigt und nach außen gerichtet auch als Triebfedern für hervorragende und der Gemeinschaft nützliche Kräfte wirken könnten, führe die verschwenderische luxuria zu Dekadenz und Zerstörung gewonnener Macht und erworbenen Ansehens. Sie werde schließlich zum vorrangigen Ziel des Handelns und bestimme das menschliche Denken, so daß der Körper mit seinen Begierden die Kontrolle über den Geist gewinne.
Die von Sallust geschilderte Entwicklung Roms erscheint auf den ersten Blick tatsächlich tragisch. Nach dem Beginn, der erfolgreichen Bewältigung äußerer und innerer Krisen wird der stetige Aufstieg des Staates scheinbar auf einen Schlag zerstört und die Entwicklung schlägt ins Negative um. Dagegen ist aber einzuwenden, daß Sallust den Wendepunkt keineswegs als plötzlich und unvermeidlich eintretend und auch nicht als unumkehrbar darstellt, denn die beschriebenen Verfehlungen der Römer können als natürliche Erscheinungen großer Machtausdehnung gelten. Ebenso führt Sallust hier auch bewußt weder äußere Gefahren an, obwohl diese beispielsweise durch die Cimbern und Teutonen 113-101 v. Chr. und auch andere Kriege an den äußeren Grenzen des Reiches durchaus bestanden , noch thematisiert er Phasen der Reformation und Verbesserung. Des weiteren hört für Sallust die Geschichte Roms nicht mit dem Fall Karthagos auf, sondern hier beginnt ja gerade erst seine historiographische Tätigkeit, mit der er das Bewußtsein der Leser für die von ihm erkannten politischen und moralischen Verkehrungen und die daraus entstehenden Gefahren schärfen will.

5. 2. DIE POLITISCHE LAGE IN ROM ZUR ZEIT DER CATILINARISCHEN VERSCHWÖRUNG (CAT. 36,4-39,3)

"Ea tempestate mihi imperium populi Romani multo maxume miserabile uisum est." (c. 36,4). Daß Sallust den Zeitpunkt, an dem Catilina sich zu seinem Heer nach Etrurien aufgemacht hat, etwa 20 Jahre später als schlimmsten Zustand des Staates ansieht, verdeutlicht noch einmal sein zyklisches Geschichtsbild von Aufschwung, Krisen und Lösungen, denn wenn die Situation in der Rückschau im Jahr 63 am schlimmsten gewesen sein soll , muß danach wieder ein Aufschwung oder zumindest eine Verbesserung eingetreten sein. Sallust trennt mit dem Mittelexkurs seine narratio in zwei Teile und läßt nach dem Höhepunkt der Verschwörung und nach dem Exkurs über den politischen Zustand Roms mit der Allobroger-Affäre ab c. 39,6 die Wende eintreten.
Der gesamte Exkurs schildert den politischen Zustand Roms von der Alleinherrschaft Sullas bis zum Jahr 63 v. Chr. und läßt sich in drei große Teile gliedern. Das Vorwort (c. 36, 4-5) zeigt noch einmal den Zusammenhang zwischen dem mit der sicheren außenpolitischen Lage verbundenen inneren Wohlstand und der innenpolitischen Unsicherheit, die für den Rückhalt Catilinas bei den Mitverschworenen verantwortlich zu sein scheine. Aus der Gruppe der Anhänger Catilina habe sich nämlich niemand trotz der zwei Senatsbeschlüsse zu Straffreiheit und Belohnung zum Verrat an Catilina bereit gefunden. Die beiden Hauptteile zeigen im folgenden die sozialen und politischen Ursachen für dieses Phänomen auf, die dem in der Archäologie skizzierten Sittenverfall und der daraus folgenden sozialen Uneinigkeit entspringen.
Der erste Hauptteil (c. 37) befaßt sich mit den Ursachen des revolutionären Potentials der plebs. Aufgrund der großen Armut und politischen Ohnmacht könne das gemeine Volk von einem Umsturz der bestehenden Verhältnisse nur profitieren. Die Aussage "quibus opes nullae sunt, bonis inuident, malos extollunt, uetera odere, noua exoptant, odio suarum rerum mutari omnia student" (c. 37, 3) zeugt von großer analytischer Auffassungsgabe. Sallust erkennt die sozialen, innenpolitischen Mißstände und Gefahren als grundsätzliche revolutionäre Ursachen, die im politischen System des römischen Staates begründet seien. Daraus und aus den Folgen der Alleinherrschaft Sullas resultiere dann die explosive Zusammensetzung der plebs urbana mit Verschwendern, kriminellen Elementen, Sullanern, jungen, mittellosen und arbeitsscheuen Leuten vom Land und schließlich den Nachkommen der Opfer Sullas. Dazu nennt Sallust noch alle Gegner der Senatspartei, die sich aus revolutionären Unruhen eine Änderung der politischen Machtverhältnisse erhofften (c. 37, 10-11).
Mit dieser Beobachtung vollzieht Sallust den Übergang zu den politischen Betrachtungen des zweiten Hauptteils (c. 38-39, 5). In Kapitel 38, 1 nennt Sallust die Maßnahmen und Motive der Senatsgegener, die sich das Amt des Volkstribun erschlichen hätten und das Volk nur für ihre eigenen, persönlichen Interessen aufputschen würden. Aus den selbstverständlichen, ebenfalls machtegoistischen Gegenmaßnahmen der Senatspartei (c. 38, 2-4) sei ein maß- und zielloser Parteienkampf entbrannt, der zu einer Konzentration der Macht in der Hand von wenigen sowie auch zu Unterdrückung der Machtlosen und zu einer größeren Labilität des Staates geführt habe (c. 39, 1-3).
Sallust schließt den Exkurs mit einer realistischen, seiner Geschichtsauffassung aus den Proömien entsprechenden Beurteilung ab (c. 39, 4-5). Bei einem Erfolg Catilinas wäre der Staat in großes Unheil geraten, weil diese Machtergreifung alle bestehenden Machtkonstellationen zerbrochen hätte. Daraus hätte eine dauerhafte bürgerkriegsähnliche Situation entstehen können, weil jeder Gewaltherrscher Gefahr gelaufen wäre, durch einen neuen, noch stärkeren gestürzt zu werden. Das hätte dann die endgültige Perversion der sallustischen Geschichtsvorstellung bedeutet, wenn nicht die ethisch Besten mit ihrer hervorragender virtus ausgestattet das Wohl des Staat gelenkt hätten, sondern egoistische, machthungrige Revolutionäre.
Im Gegensatz zu der großen Archäologie, in welcher Sallust sein Augenmerk auf die Triebkräfte der römischen Geschichte lenkt, beweist er hier seine politische und soziale Analysefähigkeit. Mit scharfem Blick erkennt er nach den im ersten Exkurs geschilderten moralischen Veränderungen die politischen und sozialen Voraussetzungen für gefährliche Umsturzversuche und auch die Gefahren langer Phasen der Instabilität. Es ist nicht verwunderlich, daß Sallust die plebs an sich als wenig verantwortungsbewußt und leicht beeinflußbar darstellt, da sie von seinem Standpunkt aus weder verantwortlich für die Situation noch, aufgrund der bestehenden sozialen Verhältnisse, zu einer positiven Veränderung fähig oder auch nur bereit sei. Sallust schreibt für die römische Oberschicht, die fast allein die politische Macht in Händen hält und nur von dieser Zielgruppe, die nach seinen Beobachtungen zerspalten und in egoistische, dekadente Gruppen und Grüppchen zerfallen ist, erwartet er sich eine Selbstbesinnung und Verbesserung der Mißstände.

5. 3. DER PARTEIENEXKURS DES BELLUM IUGURTHINUM (IUG. 41f.)

Der Parteienexkurs des bellum Iugurthinum setzt in der Erzählung an der Stelle ein, als der Volkstribun Gaius Memmius Limetanus in Rom nach der unrühmlichen Niederlage der Albini gegen Iugurtha im Jahre 110 v. Chr. seine Anklagen gegen diejenigen Mitglieder der Nobilität anstrengt, welche Iugurtha gegen den Senat beraten, unterstützt und von ihm Bestechungsgelder angenommen hätten. Sallust prangert in dieser Phase besonders die avaritia nobilitatis an , die er Iugurtha als Außenstehenden so bezeichnen läßt: "urbem uenalem et mature perituram, si emptorem inuenerit" (c. 35,10) und schließt an den Bericht über die unwürdigen, leidenschaftlichen Parteikämpfe in Rom eine Ursachenforschung zu dieser Erscheinung an, in dem er auch die Agitationen der Popularen nicht mit Kritik verschont: "uti saepe nobilitatem, sic ea tempestate plebem ex secundis rebus insolentia ceperat." (c. 40,5)
Der erste Teil (c. 41, 1-4) erinnert an die Archäologie der coniuratio Catilinae, weil Sallust hier noch einmal die negativen Folgen der äußeren Sicherheit Roms nach dem Sieg über Karthago für die Ethik der Römer darstellt. Diesmal richtet er aber den Blick auf das Verhältnis zwischen dem Senat und der plebs, die vor der Zerstörung Karthagos noch besonnen miteinander Politik getrieben hätten (c. 41,2). Infolge der Friedensruhe seien aus der von den Menschen hochgeschätzten Muße und dem Überfluß an Gütern die malae artes "lasciuia atque superbia" (c. 41, 3) entstanden, die zu einer Veränderung des politischen und damit auch moralischen Klimas geführt hätten.
Wie die Einheit des Staates durch die zwei Parteien auseinandergerissen worden sei, berichtet der zweite Teil (c. 41, 5-10). Die Nobilität habe sich in factiones gespalten, während das Volk durch seine große, zersplitterte und unbewegliche Masse gegenüber der Nobilität geschwächt gewesen sei (c. 41,5f.). Nachdem sich die Senatsnobilität bereichert und die Macht unter sich verteilt habe, während das Volk alle Gefahren und Kosten habe tragen müssen, habe der Kampf ehrenvoller Männer aus der Nobilität gegen die Korruption die Bürgerschaft endgültig gespalten und alles durcheinandergebracht, denn diese Personen konnten durch ihre gehobene soziale Stellung den Kampf erfolgreich führen und Teile des Volkes hinter sich bringen.
Sallust schließt den Exkurs über die Machtkämpfe innerhalb der Nobilität im dritten Teil (c. 42) mit einem Bericht über den Kampf der Gracchen gegen die Verbrechen der Senatsaristokratie in den Jahren 133, bzw. 123/22 v. Chr. ab. Das Bemühen der Gracchen um die Freiheit der plebs, das Sallust zwar gutheißt, aber auch als nicht maßvoll genug kritisiert (c. 42, 2-3), sei zwar zuerst erfolgreich gewesen, dann aber durch Bündnisse der Nobilität mit Bundesgenossen oder Rittern und durch die Ermordung beider gebremst worden. Nach ihrem Sieg schließlich habe die Nobilität durch Mord und Vertreibung mehr Haß als Macht erworben (c. 42, 4) und somit die Kette der gegenseitigen Rivalität verstärkt, anstatt einen versöhnlichen Kompromiß herbeizuführen.
Am Ende dieses Exkurses steht eine gänzlich pessimistische Auffassung des Autors, der scheinbar Mühe hat, alle Verwicklungen und Probleme des Staates zu überblicken und aufzudecken. Typisch für beide Monographien ist, daß Sallust in seinen Exkursen keine eindeutigen Lösungsvorschläge machen kann. Das ist aber auch nicht sein Anliegen. Ihm geht es weder um den Sieg der Guten oder Schlechten noch um die Freiheit der plebs. Für ihn steht einzig und allein die Stabilität eines Staates im Mittelpunkt, in welchem die Mächtigen nach den Grundsätzen - idealisierter - altrömischen Werte den Staat in Eintracht mit dem Volk führen sollten. Ebenso bringt er seine eigenen Lebenserfahrungen und Enttäuschungen über das ausgehöhlte, korrupte und ziellose politische Leben in Rom und damit auch die Begründung seiner schriftstellerischen Tätigkeit in die Darstellung mit ein.

6. GESTALTUNGSMERKMALE SALLUSTS

Die verschiedenen Formen der antiken Geschichtsschreibung zeigen individuelle Stilphänomene. Nachdem Sallusts Stellung zur eigenen Geschichtsschreibung und sein Geschichtsbild aus den Proömien und den historischen Exkursen herausgefiltert sind, sollen im folgenden spezifische Gestaltungsmerkmale in den darstellenden Teilen der Monographien in ihrer Funktion und besonderen Ausprägung im Zusammenhang mit den Gestaltungsmerkmalen antiker Geschichtsschreibung interpretiert werden.
Dazu werden zuerst in Kapitel 6.1. Darstellungsprobleme und sprachliche Besonderheiten des sallustischen Stils, in 6.2. die Ausprägung geographischer und ethnographischer Schilderungen, in 6.3. die Form der Schlachtendarstellungen und ähnlichen Gewaltszenen sowie schließlich die vieldiskutierte Frage nach fortuna und virtus bei Sallust im literarischen Kontext untersucht.

6.1. DARSTELLUNGSPROBLEME: WAHRHEIT UND KUNST

Die häufigsten Vorwürfe in der modernen Forschung gegenüber Sallust betreffen seine Ungenauigkeiten in der historischen Darstellung. Dabei dreht es sich vor allem um Datierungen , Personenbeschreibungen und Handlungszusammenhänge. Diese allgemein akzeptierten und untersuchten Darstellungsprobleme haben zu den unterschiedlichsten Interpretationen der Intention Sallusts geführt. Ist er ein nachlässiger Literat, der sich keine Mühe bei der Quellenrecherche und logischen Ordnung des Stoffes gibt , ordnet er das historische Geschehen einer äußeren künstlerisch-literarischen Gestaltungsabsicht unter oder versucht er durch persönliche Ordnung des Stoffes ein ganz persönliches Geschichtsbild, also seine eigene, besondere historische Wahrheit und Weltsicht für das Publikum hervortreten zu lassen?
Bereits in den Proömien beider Monographien stellt Sallust sein Selbstverständnis vom Inhalt seiner Werke auf: "Igitur de Catilinae coniuratione quam uerissume potero paucis absoluam" (Cat. 4,3) und "Bellum scripturus sum quod populus Romanus cum Iugurtha rege Numidarum gessit" (Iug. 5,1). Auch wenn es sich bei den Wahrheitsbeteuerungen antiker Historiker um literarische Topoi handelt, wird dennoch durch die Ausgestaltung der Proömien und die Gliederung der Werke die Ernsthaftigkeit der literarischen Absicht Sallusts deutlich: "nam id facinus in primis ego memorabile existumo sceleris atque periculi nouitate" (Cat 4,4) und "primum quia primum et atrox uariaque uictoria fuit, dehinc quia tunc primum superbiae nobilitatis obuiam itum est; quae contentio ... cuncta permiscuit eoque uecordiae processit ut studiis ciuilibus ... finem faceret" (Iug. 5,2-3). Sallust betont damit, daß er in seiner Darstellung weniger auf historische Einzelheiten Wert legt als vielmehr auf die Bedeutung der geschilderten Ereignisse für die Gesamtentwicklung Roms. Aber auch für die Durchführung dieser Untersuchungsmaxime kann bei Sallust historische Richtigkeit erwartet werden.
Sallust verfolgt mit der stilistisch ausgefeilten, überlegt eingesetzten Sprache und den kunstvoll konzipierten Reden und Episoden in erster Linie eine interpretierende und belehrende Intention. Seine historische Einsicht bezieht sich aber nicht nur auf die moralischen Hintergründe der Dekadenz des politischen Klimas in Rom und seiner Bedeutung für die zeitgenössischen Probleme seiner eigenen Zeit , sondern auch der überlegte, sorgfältige Gesamtaufbau besonders des bellum Iugurthinum und viele einzelne Episoden und Randfiguren unterstützen sein Erkenntnisinteresse. Ihm gelingt eine zwar subjektive, dennoch aber durchdachte Milieuschilderung römischen Denkens und Selbstverständnisses nicht nur der historischen Phasen, sondern auch der nachcaesarianischen Zeit.
Aufgrund seiner Überzeugung von der Richtigkeit und essentiellen Bedeutung der eigenen historischen Einsicht erweist Sallust sich in Auseinandersetzung mit dem allgemein angesehenen Cicero bewußt als sprachlicher Stilist, indem er die Sprache, insbesondere die in seiner Darstellung bestimmende brevitas funktional einsetzt , um mit ihr seine Gedanken zusammenhängend in Kontrast zu den ausführlichen und wortreichen Werken Ciceros zu transportieren. Bloch weist die funktionale Bedeutung des Satzzusammenhanges für die Aussagekraft der einzelnen Glieder und deren Bedeutungsverschiebung in verschiedenen Kontexten nach. Mit Hilfe zahlreicher stilistischer Mittel gelinge es Sallust, über die primäre Bedeutung der einzelnen Wörter hinausgehende, verständnisunterstützende Assoziationen und Hintergründe zu erzeugen. Über diese Funktionen hinausgehend dienten alle von Bloch untersuchten formale Stileigenheiten Sallusts vor allem dazu, eine falsche oder voreilige Beschreibung zeitgenössischer und historischer Wirklichkeit zu entlarven und für seine eigene Arbeit zu vermeiden. Gerade durch fließende Bedeutungen und auf den ersten Blick dunkle Aussagen wird der Leser zu einem aufmerksamen, kritischen Lesen angeleitet und damit auch zu einem eigenen, tieferen Verständnis der Wirklichkeit geführt. Sallust versucht damit seiner eigenen programmatischen Forderung ("facta dictis exaequanda sunt", Cat. 3,2) gerecht zu werden und erweitert durch diese funktional eingesetzte Sprache stilistisch und inhaltlich die theoretischen Überlegungen seiner historiographischen Vorgänger.
Die literarische Kunst ist bei ihm ein wesentliches Mittel geworden, historische Erkenntnisse zu transportieren und nicht nur kognitiv, sondern ganzheitlich für den Leser erfahrbar zu machen. Dafür ist Sallust aber bereit, sich inhaltlich auf literarische Traditionen zu stützen und auch ihm widersprechende Quellen zu benennen und zu diskutieren, nicht ohne dennoch einen ganz eigenen, für seine Zeit ungewöhnlichen Stil auszubilden.
Sallust war sicherlich kein akribischer Quellenchronist. Es ist als gesichert zu betrachten, daß er sich in vielen historischen Einzelheiten auf die unterstützenden, zuarbeitenden Recherchen des Grammatikers Lucius Ateius Philologus verlassen hat. Daneben stützt er sich im Catilina auf seine eigenen Erinnerungen, auf zeitgenössische Quellen und Gerüchte und auf die Werke historiographischer Vorgänger, insbesondere des Sisenna. Der Umgang mit den Quellen ist durchaus kritisch, Sallust weist auf zweifelhafte Gerüchte hin und kritisiert Sisenna wegen seiner politischen Voreingenommenheit. Dennoch werden Sallust zu Recht sachliche und chronologische Fehler vorgeworfen, welche dann zum Anlaß genommen werden, Sallust Nachlässigkeit, politische Tendenz oder persönliche Schwächen vorzuwerfen. Dabei wird häufig der tiefere Sinn und die sachliche Wahrheit des sallustischen Werkes verkannt. Sallust ist kein Chronist, der historische Ereignisse umfassend und zeitgenau auflisten will, für ihn ist die Ausarbeitung viel entscheidender. Ihm gelingen durch seine Arbeitsweise tiefe Einblicke in typische historische Abläufe und er versteht es immer wieder, den Leser zu erstaunlichen Erkenntnissen zu führen und auch emotional zu beeindrucken. Dabei sind realhistorische Einzelheiten wie die Darstellung von Orten, Daten und Personen nur von sekundärer Bedeutung, weil dadurch nie die Qualität der historischen Einsicht erreicht werden könnte, wie Sallust sie herzustellen vermag.

6.2 ETHNOGRAPHISCHE UND GEOGRAPHISCHE SCHILDERUNGEN

Sallust steht als ehemaliger römischer Magistrat mit seiner Geschichtsschreibung nicht nur in einer bestimmten literarischen Tradition, sondern auch sein gesamtes Denken ist römisch geprägt. An der Art seiner geographischen und ethnographischen Schilderungen läßt sich nicht nur ablesen, in welcher Art und wie weit sein Weltbild von seiner römischen Umwelt geprägt ist, sondern auch, wie sorgfältig er die Orte der geschilderten Geschichte wahrnimmt und wiedergibt. Bei der Untersuchung und Interpretation dieser Schilderungen müssen sowohl die literarische Funktion im Kontext des Werkes als auch die innere, persönlich Bedeutung für das Weltbild des Autors miteinbezogen werden.
Im Catilina fallen die Charakterisierung des gallischen Stammes der Allobroger (c. 40-50,1) und die Beschreibung des Kerkers Tullianum (55,3-6) besonders auf. Sallust bezeichnet die Allobroger als "publice priuatimque aere alieno oppressos, praeterea ... natura gens Gallica belliculosa ..." (Cat. 40, 1). Diese Eigenschaften veranlassen Lentulus, nach Catilinas Weggang Führer der Verschwörung in Rom , mit deren Abgesandten in Rom über Publius Umbrenus Kontakt aufzunehmen, um sie für die Verschwörung zu rekrutieren. Umbrenus schließlich gewinnt scheinbar leicht das Vertrauen der Legaten, indem er sich nach ihrem Unglück erkundigt und ihnen Hilfe verspricht. Als Ursachen dafür, daß die Allobroger anfangs so leicht für die Verschwörung zu gewinnen sind, nennt Sallust aber nicht nur die charakterlichen Eigenheiten, welche die Allobroger an sich tragen. Vielmehr betont er die äußeren, von Rom ausgehenden Schwierigkeiten, von denen die Gallier bedrängt würden, nämlich die "auaritia magistratus" und als weiteres Motiv die Enttäuschung über den Senat (vgl. "senatum quod in eo auxili nihil esset", c. 40,3).
Damit werden die Allobroger zum außerrömischen Bild Catilinas. Von Schulden und vermeintlich ungerechter Behandlung durch die römische Staatsführung bedrängt, sind sie bereit, gewaltsame, ungesetzliche Maßnahmen gegen den römischen Staat zu ergreifen. Gleichzeitig stellt Sallust die Allobroger aber dem Catilina als positiven Gegenpart gegenüber. Ihre Überlegungen zu der weiteren Vorgangsweise führt nämlich nicht zu einer noch tieferen Verstrickung in verbrecherische Machenschaften , sondern zum Abwägen über die Vor- und Nachteile einer Verschwörung, an deren Ende das Wohl des römischen Staates siegt: "In altera parte erat aes alienum, studium belli, magna merces in spe uictoriae; at in altera maiore opes, tuta consilia, pro incerta spe certa praemia. Haec illis uoluentibus tandem uicit fortuna rei publicae." (Cat. 41,2-3).
Sicherlich verallgemeinert und idealisiert Sallust bei dieser Einschätzung, aber es wird ebenso deutlich, daß er realistische, zu der Natur der Allobroger und zur äußeren Lage passende Gründe und Überlegungen für ihr Verhalten anführt und es damit noch menschlicher erscheinen läßt, ohne sich das faktische Ergebnis selbst hinreichend erklären zu können. In seiner Konzeption aber läßt er das durchaus als egoistisch zu interpretierende Verhalten der Gallier, welches schließlich zur Zerschlagung der Verschwörung in Rom führen soll, für den Staat wertvoller und nützlicher erscheinen als die Maßnahmen der Staatsführung. Die Einbindung der Allobroger in die Gesamtgeschichte der catilinarischen Verschwörung zeigt, wie sorgfältig Sallust diese Personengruppe als außerrömisches Gegenbild zu Catilina selbst in die Gesamtkonzeption der Monographie eingefügt hat, welche die Dekadenz römischer Moral, die Überheblichkeit der herrschenden Klasse und die daraus resultierenden politischen und sozialen Unruhen zum Schwerpunkt hat.
Die knappe, aber informative Beschreibung des Tullianum (c. 55,3-5), in welchem an den in Rom gefaßten Mitgliedern der Verschwörung die Todesstrafe vollstreckt wird, bildet die einzige Ortsbeschreibung im Bericht der catilinarischen Verschwörung. Sallust beschränkt sich in diesem Werk besonders auf die für ihn wesentlichen geschichtstheoretischen Aussagen und geht davon aus, daß alle übrigen Lokalitäten seinem römischen Publikum vertraut sind. Im Gegensatz zu den Schauplätzen des bellum Iugurthinum sind die geographischen Umstände für den Verlauf der Handlung im Catilina sowohl wenig ausschlaggebend als auch seinem römischen Publikum vertraut.
Mit der kurzen Exposition der Hinrichtung der in Rom gefangenen Verschwörer beweist Sallust genaue Kenntnis der Einzelheiten und übermittelt gleichzeitig die moralische Botschaft, daß auch in der dekadenten römischen Gesellschaft die Möglichkeit der Rettung für den Staat besteht. Die ungewöhnlich ausführliche Beschreibung des Tullianum dient werkimmanent vor allem als retardierendes Element zwischen den Senatsverhandlung und der Aburteilung der Verschwörer und dem endgültigen Ende der Verschwörung, die in Rom mit der Hinrichtung der Verschwörer und außerhalb Roms mit der erfolgreichen Abschlußschlacht des Petreius gegen Catilina endgültig ihr Ende findet.
Weniger idealisierend als die Darstellung der Allobroger in der coniuratio Catilinae ist die Charakterisierung der beiden wichtigsten Völker im bellum Iugurthinum, der Numider und Mauren. Die Perspektive Sallusts gegenüber diesen Völkern entspricht seiner römisch-aristokratischen Einstellung gegenüber "Barbaren" und der jeweils von ihm referierten historischen Situation. Der erste Kontakt mit den Numidern im zweiten Punischen Krieg und damit auch die Wahrnehmung der Römer und Sallusts beschränkt sich nur auf deren politische Führung und ihren politisch-militärischen Wert für die Römer. Der soziale Umgang und die durch gegenseitige militärische Hilfeleistung entstehende Freundschaftsbeziehung entwickelt sich als patronageartiges Verhältnis zwischen dem römischen Feldherrn Publius Scipio Africanus und dem numidischen König Masinissa: "Bello Punico secundo, ..., Massinissa rex Numidarum in amicitiam receptus est a P. Scipione", (c. 5,4). Die weitere Perspektive Sallusts bezüglich der Numider beschränkt sich bis zum Kriegsausbruch auf die Mitglieder der numidischen Herrscherfamilie im weitesten Sinne, deren Intrigen und Verschwörungen gegeneinander ausgiebig erklärt werden , wobei Sallust besonders den verderblichen Einfluß der jungen römischen Nobilität auf Iugurtha und darauf aufbauend dann die korrumpierenden Machenschaften Iugurthas gegenüber Angehörigen der römischen Nobilität hervorhebt.
In den folgenden Kriegsdarstellungen wird die numidische Zivilbevölkerung und das numidische Heer gesondert beobachtet. Die Numider erscheinen als gesichtslose und fast willenlose Masse, die Herrscherwechsel und Ausbeutung durch den Krieg leidvoll erträgt. Iugurtha verlangt im Vertrauen auf seine allgemeine Beliebtheit seinem Volk ohne Bedenken und nur auf seine eigene Machterhaltung bedacht die härtesten Kriegsopfer ab und steht damit als tyrannischer König in ethischem Kontrast zu den römischen Feldherrn Metellus, Marius und Sulla, die diesen Krieg zwar nicht um das Überleben ihres Volkes, dennoch aber in dessen Auftrag führen. Das numidische Heer kann aufgrund seiner geographischen Kenntnisse anfänglich Erfolge gegen die kriegstechnisch versierten römischen Legionen erzielen, es erweist sich aber nur in überlegenen Situationen als tüchtige, sonst vielmehr als disziplinlose und auch feige Einheit.
Sallust weiß überzeugend darzustellen, daß die schwindende Moral der Numider und die Richtung der Überläufer mit den Fehlern Iugurthas und dem zunehmenden Erfolg der Römer zusammenfällt. Dieser Umstand ist nicht nur verständlich, wenn Sallust zeigt, wie Iugurtha fliehend seine Leute im Stich läßt oder verrät, er verdeutlicht auch Sallusts Erkenntnis über den Erfolg der römischen Staatsverfassung und seine Kritik an der zunehmenden superbia nobilitatis. Solange römische Politiker und Feldherren im Auftrag und Interesse des ganzen Volkes handelten und nicht für die persönliche Macht, seien numidische Verhältnisse, wie sie sich ansatzweise im militärischen Debakel von Spurius Albinus und seines Bruders Aulus ereignet hätten , für Rom nicht zu befürchten. Sallust zeigt an den ausführlich dargestellten Verschwörungen und dem Verrat bei den Numidern , in welches Schicksal der römische Staat steuern könnte und gleichzeitig auch den großen Erfolg auf Seiten der Römer, der möglich scheint, wenn ein Ausgleich im Inneren durch Einschränkung der Machtambitionen einzelner erfolgt.
Sorgfältig konstruiert erscheint auch die Parallele zwischen den Mauren und den Allobrogern im Catilina. Der maurische König Bocchus wägt sorgfältig und bedächtig zwischen der verwandtschaftlichen Verbundenheit zu Catilina, der größeren Macht der Römer, deren gerechtfertigten Kriegsgrund und dem Wohl für sein eigenes Volk ab. Wie im Catilina trifft wieder eine dritte Komponente die Entscheidung zwischen zwei gegenüberstehenden Parteien und wirkt somit kriegsentscheidend. Sallust läßt keinen Zweifel an der absoluten Richtigkeit der Entscheidung des maurischen Königs, dessen Entscheidung den Krieg erst zu einem für die Römer erfolgreichen Ende gebracht hat.
Eine Sonderstellung nimmt schließlich der ethnographische, periegetische Exkurs über die Geschichte der Völker Nordafrikas ein. Nach Schilderung der allgemeinen Lage und Beschaffenheit des Landes und der Eigenschaften des zeitgenössischen afrikanischen Volkes zeichnet Sallust ein detailliertes, umfangreiches Bild der Lebensgewohnheiten und -räume der Karthager, Mauren, Numider, Gaetuler und Äthiopier. Sallust teilt die Bevölkerungsgeschichte Afrikas in drei zeitliche Abschnitte. Zuerst hätten dort als Urbewohner die Gätuler und Libyer gelebt, welche sich im folgenden nach dem sagenhaften Tod des Herakles in Spanien mit den aus Persien, Medien und Armenien stammenden Teilen seines Heeres vermischt hätten. Die dritte Etappe bis zum Beginn der römischen Intervention gegen Karthago besteht bei Sallust aus der phoinikischen Besiedlung der Gegenden um Karthago.
In der Bewertung dieser fremden Kulturen offenbart Sallust die typische Perspektive der Römer gegenüber anderen Völkern. Auch wenn er durchaus in der Lage ist, die kulturellen und militärischen Errungenschaften anderer Kulturen zu loben und deren Nachahmung durch die Römer zuzugeben , qualifiziert er schonungslos vermeintlich niedriger stehende Kulturformen ab.
In der Darstellung der afrikanischen Geschichte greift Sallust nach eigenen Angaben auf die ihm angeblich zur Verfügung stehende Übersetzung sogenannter punischer Bücher des Königs Hiempsal zurück, welcher wahrscheinlich selbst griechische periegetische Quellen verwendet hat. Als weitere Quellen nennt er in Afrika allgemein akzeptiertes historisches Wissen. Als ehemaliger Statthalter der Provinz Africa Nova stützt Sallust sich zwar auf seine eigene Anschauung des Landes, er hält sich aber besonders bei der historischen Beschreibung der einheimischen Völker an die traditionellen, mythisch verankerten Historien, nicht ohne den Wahrheitsgehalt ihm bekannter Mythen zu problematisieren. Allenfalls manche Beschreibungen von Gegenden und Gebräuchen aus der römischen Provinz Africa Nova lassen vermuten, daß Sallust sie vielleicht aus eigener Erfahrung heraus vornimmt. Besonders die ausführliche Behandlung der Gründungslegende von Leptis und die Beschreibung der beiden Syrten scheinen neben ihrer strukturellen Funktion eine gewisse Vertrautheit und Sympathie Sallusts mit der Geschichte Afrikas und dem ihm persönlich bekannten Land selbst erkennen zu lassen. Neben diesen unsicheren Quellen und der eigenen Anschauung muß Sallust bei der Darstellung der historischen Fakten auf die Aufzeichnungen der Zeitzeugen Sempronius Asellio, Aemilius Scaurus, Rutilius Rufus und L. Cornelius Sulla zurückgegriffen haben.
Abschließend bleibt festzustellen, daß die Wahrnehmung und Charakterisierungen der geographischen Umgebung und der Nebenpersonen bei Sallust zwar systematisch ablaufen, dennoch aber nicht "schematisch" sind. Sallust zeigt soweit Interesse für ausländische Gegenden und Personen, wie es für das Verständnis des inhaltlichen Zusammenhangs erforderlich ist und bietet sogar infolge seiner eigenen Kenntnisse Afrikas im bellum Iugurthinum eindrucksvolle Exkurse zu der Geographie und Geschichte des Landes und seiner Bevölkerung.

6.3. GEWALTDARSTELLUNG

Ausführliche Darstellungen von blutigen Schlachten und grausamen Szenen finden sich besonders in der peripatetischen Geschichtsschreibung und in den Tragödien Senecas , wodurch die Affekte der Leser, bzw. des Publikums angeregt werden sollen. In diesem Bereich kann Sallust nicht mit diesen Stilgattungen in Verbindung gebracht werden. Sowohl das Thema der catilinarischen Verschwörung als auch besonders der iugurthinische Krieg bieten ausreichend Möglichkeiten, grausame Szenen facettenreich auszumalen.
Die Gewalttaten der catilinarischen Verschwörer in Rom steigern sich im Verlauf des Werkes von aufrührerischen Aktionen über Mordanschläge und Brandstiftung bis hin zu dem offenen Bürgerkrieg, in welchen der Entscheidungskampf des Catilina gegen das römische Heer schließlich gipfelt. In der Häufigkeit der Erwähnungen und in der Bezeichnung dieser Vorfälle scheint Sallust die Bedeutung der Geschehnisse zwar durchaus zu übertreiben und auch die Lage zu dramatisieren, indem er mehrfach auf neue geplante oder sogar mehr oder weniger erfolgreich durchgeführte Verbrechen hinweist , er malt diese jedoch nur selten übermäßig grausam aus. Sallust beschränkt sich am Ende des Catilina vielmehr auf eine kurze Beschreibung des Ortes, des Verlaufes und des Ergebnisses des bürgerkriegsähnlichen Endkampfes.
Diese Überbetonung von Häufigkeit und Gefährlichkeit der catilinarischen Verbrechen muß als literarischer Kunstgriff Sallust angesehen werden, mit dem er immer wieder seine anfängliche These von der außerordentlichen und neuen Gefahr der catilinarischen Verschwörung plastisch verdeutlicht und die evidente Bedeutung dieses Ereignisses für sein römisches Dekadenzmodell unterstreichen will. Dabei ist es sicherlich auch Sallusts Absicht, seine Leser nicht nur kognitiv zu überzeugen, sondern er setzt auch auf die emotionale Wirkung unterschwelliger, aus dem Dunklen und Unerkannten entstandener Bedrohung, die durch die ciceronische Überlieferung über die Verschwörung dadurch heruntergespielt wurde, daß der Staat aufgrund der herausragenden Leistung des fähigen Consuls nie in tödlicher Gefahr gewesen zu sein schien.
Indem Sallust aber immer wieder die zahlreichen verbrecherischen Pläne und Aktionen erwähnt und die Verschwörung in Rom letztendlich erst durch das für den Staat glückliche Eingreifen der außerhalb stehenden Gruppe der Allobroger besiegen läßt, bewirkt er bei dem unbefangenen Leser einen nachträglichen Schrecken, der die belehrende Absicht seiner Monographie besonders in der politisch unruhigen Abfassungszeit unterstützt. Stilistisch und sprachlich lehnt Sallust sich dabei näher an die epische Dichtung und die Tragödie als an die schmucklosen commentarii im Stile eines Caesar an.
Dennoch hat Sallust keine Freude an der Ausmalung gewalttätiger Szenen. Er verzichtet weitgehend auf blutige Einzelheiten oder genaue Beschreibung der Kämpfe und Brandstiftungen. Obwohl Sallust scheinbar kein großes Interesse an den Opfern von Gewalttaten zeigt, sind diese ihm dennoch nicht gleichgültig. Durch Hinweise auf die Wirkung der Gewalttaten, deren Bezeichnung und Häufung besonders im und nach dem Entscheidungskampf (c. 60f.) sowie auch durch die Dämonisierung der Verschwörer zeigt Sallust gerade sein großes Interesse daran, solche bürgerkriegsähnlichen Zustände in seiner Gegenwart und Zukunft durch historische Belehrung zu verhindern.
Im bellum Iugurthinum enthält Sallust sich nicht vollständig der ausführlichen Darstellung von Schlachten. Er schildert detailliert und augenscheinlich mit großer Sorgfalt und Sachkenntnis die militärischen Manöver von Marius und Metellus auf der einen Seite und Iugurtha auf der anderen Seite. Die zentralen Kämpfe von Cirta (c. 21-26), am Fluß Muthul (c. 48-53), bei Zama (c. 56-61), Vaga (c. 66-69), Thala (c. 75f.), Capsa (c. 89-91), bei der Festung am Fluß Muluccha (c. 92,5-94) und schließlich der Endkampf wiederum bei Cirta (c. 101) sind gleichmäßig über das Werk verteilt, wobei die Ausführlichkeit und Detailgenauigkeit der Darstellung stetig zunimmt. Damit verdeutlicht Sallust die wachsende Bedeutung des numidischen Kriegsschauplatzes für die Öffentlichkeit in der fernen Hauptstadt Rom, wo die Aufmerksamkeit für den zeit- und ressourcenraubenden Kolonialkrieg zunimmt , und betont gleichzeitig die grausamen Folgen des von den Römern selbst hervorgerufenen Krieges.
Mit seinen ausführlichen Schlachtenschilderungen weist Sallust nicht nur auf die großen Möglichkeiten und Leistungen eines römischen Staates hin, dessen politischen Führungskräfte und Einheiten einig im Interesse des Staates gegen gemeinsame, äußere Feinde kämpfen, sondern er charakterisiert gleichzeitig die zentralen Charaktere Metellus, Marius, Sulla und Iugurtha. Damit wird auch auf die politische Bedeutung der sich an den iugurthinischen Krieg anschließenden Kämpfe gegen die Kimbern und Teutonen sowie den Bürgerkrieg hingedeutet, an dessen Ende schließlich Sulla nach seinem Sieg über Marius als neue politische Ausnahmegestalt dasteht.
Die hohe Detailgenauigkeit der militärischen Manöver verdankt Sallust wahrscheinlich den persönlichen historischen Aufzeichnungen des in Numidien stationierten Legaten Publius Rutilius Rufus , wodurch sich auch die lebendigen Szenen und die hin und her wogenden Schlachtenbewegungen erklären lassen , welche sich wohltuend von den nüchternen Betrachtungen im Stile der commentarii des Caesar abheben.
Aber auch im bellum Iugurthinum verzichtet Sallust wie in der catilinarischen Verschwörung auf blutige oder grausame Einzelheiten. Obwohl er interessante Einzelheiten und Hintergründe über Ursachen und Verlauf einiger Gefechte liefert, verliert er jedoch nie die römische Perspektive aus den Augen, indem er stets die Wirkung der numidischen Ereignisse auf die römische Öffentlichkeit und Politik und damit auch die politische Bedeutung dieses Krieges hinzufügt.
Insgesamt beweist Sallust mit der gesamten Monographie seine von Poseidonios übernommene Theorie der zentralen Bedeutung des metus hostilis für die innere politische Entwicklung und die militärische Expansion eines Staates, insbesondere Roms. In einer Phase innerer politischer Uneinigkeit, des Parteienkampfes und gegenseitiger Anschuldigungen gelingt es dem über die römischen Verhältnisse aufgeklärten Iugurtha, die einzelnen Parteien gegeneinander auszuspielen, sie für seine eigenen Interessen zu mißbrauchen und sich damit durch Übertretung der ihm zugebilligten Rechte einen machtpolitischen und vorläufigen militärischen Vorteil zu verschaffen, mit welchen Metellus und sogar noch Marius in vielen Aktionen zu kämpfen haben. Erst nach der rogatio Mamilia (c. 40) und durch die Wahl des Metellus zum Consul (c. 43) gelingt es den römischen Armeen, Iugurtha zurückzudrängen, wobei der militärische Erfolg mit der Verbesserung der Moral und Zuversicht in Rom kausal zusammenhängt.
Krieg bildet demnach für Sallust eher eine politische Komponente, zu der er aber auch die negativen Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung, die Moral der römischen Legionen sowie des römischen Volkes zählt. Die Darstellung von Gewalt zielt bei ihm in erster Linie nicht auf Erzeugung von Schrecken, sondern dient als weiteres Mittel dazu, die eigenen historischen Erkenntnisse zu transportieren.

6.4. FORTUNA UND VIRTUS

Die Frage nach Rolle und Funktion von fortuna und virtus bei Sallust gehört zu den meistdiskutierten und umstrittensten Problemen in der Sallustforschung. Dabei ist eine zentrale Frage, wie Sallust den Bedeutungsinhalt und die Wirkung beider Abstrakta definiert.
Sallust erläutert seine Vorstellungen von Inhalt, Bedeutung und Funktion der virtus sowohl in den theoretischen Betrachtungen der Proömien und historischen Exkurse als auch durch Personencharakterisierungen der laufenden Handlung. Die virtus stellt insgesamt für Sallust einen der am höchsten einzuschätzenden und zu erstrebenden menschlichen Werte und zugleich die perfekte Verbindung der besten und in richtiger Verbindung eingesetzten geistigen und körperlichen Eigenschaften dar. Er entwickelt einen nach altrömischen Werten geprägten zivilen und besonders auch militärischen virtus-Begriff, den er nicht leichtfertig, sondern jeweils wohlüberlegt setzt.
Nach einer inhaltlichen Definition seiner virtus-Vorstellung als hervorragende, auf die praktische Leistung hin ausgelegte Tugend und ausgewogene Verbindung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten sowie einem Überblick über die historische Bedeutung und die Leistungen römischer virtus in der Vergangenheit verknüpft Sallust in der coniuratio Catilinae die historische Rolle der virtus mit einer ihr gegenüber und in Wechselwirkung stehenden, positive und negative Auswirkungen bringenden historischen Triebkraft, der fortuna. In Sallusts Dekadenzmodell nimmt der römische Staat so lange einen politischen und militärischen Aufstieg, wie die virtus die körperlichen Bedürfnisse und die geistigen Tugenden in ausgewogener Beziehung zueinander hält. Sollte aber diese von Sallust im Catilina definierte Balance in Unordnung geraten, dann bilde der Mensch negative Ausprägungen seiner Tugenden. In diesem Zustand der inneren Schwäche, wenn der Körper des Menschen die Herrschaft über den Geist übernommen habe, könnten die außenstehenden, unkontrollierbaren Kräfte der fortuna wirken, die innere, konstante Kraft der virtus schwächen und die Lebensumstände der Menschen verändern. Weil in dieser historischen Konzeption eine von den sittlich guten, den Göttern nahestehenden Anlagen des Menschen selbst gesteuerte Geschichte entwickelt ist, verbindet Sallust den Moment, in dem der Mensch als Sklave seiner körperlichen Begierden keine Kontrolle mehr über die Entwicklung seines Lebens hat, mit dem Tiefstand der römischen Geschichte.
Catilina steht dafür als Exempel und wird von Sallust deshalb als ein von seinen körperlichen Begierden und negativen Ausprägungen vormals geistiger Tugenden gesteuerter Mensch charakterisiert. Indem Sallust den Catilina in seiner letzten Rede von der virtus seiner Gefolgsleute sprechen läßt, will er zum einen die gänzliche, auch in Catos Rede angesprochene Verkehrung der Sitten und Begriffe verdeutlichen und zum anderen sich gleichzeitig von der kalten Kriegsmaschinerie des römischen Heeres vor der Abschlußschlacht abgrenzen . Der Leser soll selbst affektiv erfahren, daß auch sittlich gänzlich entartete Menschen in Augenblicken höchster Entschlossenheit und historischer Bedeutung eine seiner virtus-Vorstellung ganz ähnliche Geisteshaltung ausprägen können.
Diese historische Erkenntnis wäre in der Tat tragisch zu nennen, da einem Catilina, der im Dienst für den Staat solche Leistungen gezeigt hätte wie in der Abschlußschlacht beschrieben, alle die politischen Möglichkeiten in einem gesunden Staat offen gestanden hätten, wegen der er die Verschwörung überhaupt erst begonnen hat. Allerdings läßt Sallust zum einen keinen Zweifel daran, daß Catilina zu seinen Taten und Reden und trotz seiner letzten militärischen Leistungen von den falschen Begierden, die ihm auch noch nach dem Tod anzusehen sind, getrieben worden ist , zum anderen kann Catilina sich nur in einer Situation bewähren, in welcher der Staat sittlich und moralisch angeschlagen ist und alle Bezeichnungen und Werte in Unordnung geraten sind.
In einer solchen Situation könne die fortuna nach Erkenntnis Sallust durchaus positive Auswirkungen auf die Geschicke der Menschen haben. In der Zeit der höchsten Gefahr, in der die Allobroger abwägen, ob sie an der Verschwörung teilnehmen oder sie verraten sollen, da gibt letztendlich die "fortuna rei publicae" (Cat. 41,3) den Ausschlag für den Weiterbestand des Staates.
Abschließend wird deutlich, daß Sallust zwei Triebfedern für die menschliche Geschichte erkennt. Die virtus liegt dabei als ausgewogene Tugend und Vermittlerin zwischen Körper und Geist im Menschen selber, während die fortuna als von außen auf die menschliche Geschichte wirkende Kraft auftritt. Solange der Mensch mit Hilfe der virtus die Begierden seines Körpers beherrsche und seine geistigen Fähigkeiten für die richtigen Tugenden und zum Ruhm des Staates sowie der eigenen Person einsetzte, sei er selbst der Lenker seiner Geschichte. Die fortuna erlange erst dann Macht über die menschliche Geschichte, wenn der Mensch die Kontrolle über seine körperlichen Begierden und den von daher ausgeprägten negativen Eigenschaften verliere , wobei die fortuna sowohl als destruktive als auch als konstruktive Macht auftreten kann.

7. DIE PERSONENKONZEPTIONEN

Leeman sieht in der geringen Protagonistenanzahl und in dem hohen Anteil der direkten Rede in beiden Monographien Sallusts ein Anzeichen für eine tragische Gesamtkonzeption dieser Werke. Dagegen muß aber eingewendet werden, daß die Protagonisten des Sallust zwar distanziert beschrieben werden, sich im Verlauf der Darstellung aber durchaus entwickeln und nur wenige Figuren vollständig leblos bleiben. Dazu kommt allerdings, daß eine wirkliche Interaktion zwischen den Protagonisten selten szenisch dargestellt, sondern allenfalls berichtend zusammengefaßt wird. Alle von Sallust erwähnten Personen werden mindestens zweimal erwähnt, die Hauptpersonen werden durch Charakterisierungen und ihnen in den Mund gelegte Reden dem Leser nähergebracht. Die von Leeman angeführte direkte Rede beschränkt sich darüber hinaus ausschließlich auf Reden der Protagonisten an entscheidenden Wendepunkten der Darstellung.
Aus diesen Beobachtungen wird deutlich, daß die Personen bei Sallust nach übergeordneten, intentionalen Interessen konzipiert sind, nicht aber nach szenischen, dramatischen Funktionen. Vielmehr dienen sie der Veranschaulichung der historischen Anschauung des Sallust, der entscheidenden Phasen einer Entwicklung und übergeordneten Erkenntnisinteressen. Die Personen des Sallust sind diejenigen, die Geschichte machen und die Handlung vorantreiben, aber sie erscheinen entweder als gesichtlose, emotionale und wirre Masse oder als einzelne, je nach ihrem Charakter positiv oder negativ herausragende Charaktere. Dieses entspricht auf der einen Seite sicherlich der Personen- und Geschichtswahrnehmung eines sozial hochstehenden Römers im ersten Jahrhundert vor Christus , auf der anderen Seite dient es auch der einfacheren, dennoch aber angemessenen, den tiefen Kern treffenden exemplarischen Darstellungsweise der historiographischen Tradition, vor allem der historischer Monographien.
Diese einzelnen Gestaltungsaspekte gilt es in der folgenden Untersuchung anhand der Personenkonzeption einiger Nebencharaktere, dann von Caesar und Cato in der coniuratio Catilinae, von Metellus und Marius im bellum Iugurthinum und schließlich an der Konzeption und Entwicklung des Iugurtha und des Catilina selbst zu verifizieren und hinsichtlich ihrer Funktion für die historische Darstellung des Sallust zu hinterfragen.

7.1. UNTERGEORDNETE CHARAKTERE

Bereits die Charakterisierung der vermeintlichen Nebenpersonen in beiden Monographien Sallusts macht deutlich, daß diese nicht als gesichtslose, emotionslose und unbeachtete Schatten eine unwichtige Stellung einnehmen. Vielmehr hat Sallust auch diesen eigene Ausprägungen und Wechselwirkungen untereinander und mit den Hauptcharakteren eingeräumt. Die folgende Untersuchung einiger ausgewählter Nebencharaktere soll zum einen werkimmanent deren Bedeutung für die Gesamthandlung der jeweiligen Monographie herausstreichen und zum anderen daraus nähere Hinweise auf die historische Perspektive, den politischen Standpunkt und die Art der Geschichtskonzeption Sallusts gewinnen.

7.1.1. Sallusts eigene Anschauung historischer Ereignisse

Sallust selbst bezeugt an keiner Stelle der coniuratio Catilinae explizit eine eigene Beteiligung an den geschilderten Ereignissen oder eine direkte, persönliche Anschauung der historischen Situation. Daraus wird ihm zum einen aufgrund angeblicher unplastischer, distanzierter Darstellungsweise eine mangelhafte Quellenrecherche zum Vorwurf gemacht , zum anderen wird die Frage aufgeworfen, wo er sich selbst zum Zeitpunkt der catilinarischen Verschwörung aufgehalten habe.
Aufgrund von Sallusts Lebensdaten und seiner persönlichen Karriere ist es durchaus möglich, daß er als homo novus in den Zeiten der catilinarischen Verschwörung seinen Militärdienst abgeleistet hat und daß er deshalb weniger aus eigener Anschauung, sondern vielmehr unter Zuhilfenahme von ihm zugetragenen mündlichen Informationen, amtlichen Dokumenten und auch Ciceros Aufzeichnungen schreibt.
Demgegenüber stehen aber die detaillierten, selbstbewußten Schilderungen von Personen und deren Verwicklungen, von Verhandlungen und Kämpfen. An den Stellen, an denen Sallust auf ihm zugetragene, mündliche Informationen zurückgreift, zitiert er sie mit dem Hinweis, daß es zu der fraglichen Zeit Leute gegeben habe, welche die jeweilige Information so weitergegeben hätten. Aus dem Zusammenhang und der Wortwahl wird aber deutlich, daß Sallust nicht die im Werk dargestellte Zeit meint, sondern die Zeit seiner Quellenrecherche oder Abfassung des bellum Catilinae. Es wäre also möglich, daß er selbst die Ereignisse aus äußerer Distanz mitangesehen hat. Das wäre eine ideale Perspektive für einen Historiker, der darauf bedacht ist, zum einen eine unmittelbare Beteiligung an unrühmlichen Ereignissen für die eigene Person auszuschließen und zum anderen für sich gleichzeitig die größte Neutralität, Sachlichkeit und Sachkenntnis zu beanspruchen. Diese Bemühung muß angesichts der Brisanz dieses innerrömischen historischen Gegenstandes und der politischen Verhältnisse während des zweiten Triumvirats mit Antonius, Lepidus und Octavian zur Zeit der Veröffentlichung des Werkes für Sallusts persönliches Anliegen fast unumgänglich gewesen sein. Nichtsdestotrotz bleibt Sallust auch nach dem Ende seiner aktiven politischen Laufbahn ein Mensch mit reichhaltigen Erfahrungen in dem von ihm beschriebenen Staat, so daß viele seiner Charakterisierungen und Bewertungen eine politische Komponente in sich tragen und die Aufmerksamkeit der Adressaten auf die politischen Gefahren der eigenen Zeit richten.
Im bellum Iugurthinum schließlich stellt sich die Frage nach einer persönlichen Anschauung der Ereignisse bei Sallust zwar nicht, in den detaillierten geographischen und ethnographischen Schilderungen zeigt er aber, zu welcher Genauigkeit er fähig ist, wenn er aus eigener Anschauung schreibt. Obwohl die Umgebung der catilinarischen Verschwörung aus zeitlichen und geographischen Umständen den potentiellen Lesern sicher bekannter war als die des numidischen Krieges und deshalb von Sallust viele Einzelheiten als selbstverständlich vorausgesetzt werden konnten, zeigt er an einigen Stellen entgegen seiner sonstigen brevitas Gefallen an kleinen Detailbeschreibungen.

7.1.2. Die Mitverschwörer und Anhänger Catilinas

Die wichtigsten namentlich genannten Anhänger Catilinas sind Manlius , Lentulus , Sempronia und Curius . Sallust unterscheidet dabei zwischen Anhängern und Sympathisanten Catilinas in der Hauptstadt und seinen Gefolgsleuten außerhalb Roms, die zum größten Teil in der Abschlußschlacht mitkämpfen.
Sallust gibt sich besondere Mühe bei der Benennung der Catilinarier und bei der Charakterisierung der Anhänger und Helfer aus den unteren sozialen Schichten in Rom. Zum einen ist dafür eine politische Komponente verantwortlich, indem Sallust eigene Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Anhänger Catilinas allgemeinen Gerüchten und Legenden gegenüberstellen will , zum anderen bildet die soziale Charakterisierung der unteren Volksschichten den Unterbau für Sallusts Dekadenzmodell. Die catilinarische Verschwörung hat demnach nicht nur ihre direkte Herkunft in der ethisch entarteten römischen Oberschicht, sondern entspringt als Phänomen des damit bedingten gesamtgesellschaftlichen Sittenverfalls der ganzen römischen Gesellschaft. In seiner eingeschobenen Pathologie der römischen Gesellschaft (c. 6-13) gibt Sallust das Ergebnis seiner Darstellung der römischen Dekadenz und gleichzeitig einen Überblick über die sozialen Voraussetzungen der Verschwörung. Die Interpretation bekannter Einzelpersonen aus der römischen Oberschicht ist dagegen weniger einheitlich zu bewerkstelligen, da Sallust auch hier im einzelnen politische Erwägungen zugeschrieben werden können.
In der Charakterisierung der Anhänger Catilinas außerhalb Roms geht Sallust zwar durchaus detailliert vor, er läßt aber dennoch einige Zusammenhänge offen. Dazu gehört zum einen die ungeklärte Beziehung zwischen Manlius und Catilina und zum anderen die Prinzipien Catilinas bei der sozialen Auswahl seiner Soldaten. Die historisch nicht eindeutig gesicherte Abhängigkeit des Manlius vom Oberbefehl des Catilina und die Ablehnung von zugelaufenen Sklaven als Soldaten und damit in Kauf genommene Schwächung der eigenen Armee gehören bei Sallust zur Gesamtcharakterisierung Catilinas, welcher dadurch in der Monographie als Hauptfigur und maßgeblicher Initiator der rebellischen Geschehnisse und auch in der größten Not als standesbewußter römischer Aristokrat erscheint. Darin kann zum einen eine Aufwertung der inhaltlichen Ziele und Grundsätze Catilinas und seines sozialen Anliegens gesehen werden, welcher nach eigenen Angaben für die Entschuldung und politische Freiheit der freien römischen Bürger kämpft , zum anderen als ein Widerspruch gegen die ciceronische Überlieferung verstanden werden, dessen Polemik und drastische Lagebeschreibungen vor dem sallustischen Hintergrund übertrieben wirken , weil Catilina bei Sallust als der einzig entschlußfähige und selbständig handelnde Verschwörer von zwar negativem Charakter, aber dennoch sozial wichtigem Anliegen bis zuletzt weitgehend den Verlauf der Verschwörung bestimmt. Obwohl Sallust die ethische Unmoral und das hinterhältige Vorgehen der Verschwörer entschieden ablehnt, würdigt er dennoch das soziale Anliegen und die standesbewußte, konsequente Haltung einiger Revolutionäre.
Sallusts Perspektive ist zwar in einigen Phasen, in denen es die historischen Umstände oder literarische Anforderungen erfordern, auf Nebencharaktere der Verschwörung gerichtet, um die weite Verbreitung der Verschwörung zu untermauern , dennoch führt er auch deren Charakter und Handeln auf Catilina zurück, an welchem er die ganze zeitgenössische Dekadenz und ihre Gefahr für den Staat, aber auch die Legitimität der revolutionären Ziele manifestiert. Sallust will sich im Catilina nicht als detailgetreuer Chronist erweisen, sondern er zeigt die von Cato zitierte ambivalente römische Ethik und Staatskonstitution auf , in der sich ein Mensch von vornehmster Abkunft und mit den besten Voraussetzungen ausgestattet mit sittlich verabscheuenswürdigen Mitteln zum gefährlichsten Verbrecher gegen den Staat aufschwingt und sich dessen Ziele und Grundsätze im Verlauf dieser Verschwörung angesichts der zunehmenden Bedrängnis doch als römischer und staatstragender erweisen als die Interessen der Bewahrer der alten Ordnung, deren Grundsätze zunehmend ausgehöhlter wirken.
Diese Personen- und Geschichtswahrnehmung hängt eng mit Sallusts Dekadenzmodell nach dem metus-hostilis-Prinzip zusammen, da Catilinas positive Charaktereigenschaften erst im Augenblick der höchsten Gefahr hervortreten. An der hervorragenden Tapferkeit und dem Schicksal von Catilinas Heer läßt sich die pessimistische Geschichtswahrnehmung Sallusts erkennen. Er schreibt als Ergebnis der Entscheidungsschlacht nicht dem siegreichen römischen Heer, sondern den Verschwörern außergewöhnliche Entschlossenheit und Geisteskraft zu, welche für ihn die entscheidende Bedeutung für das Leben und den Ruhm der Menschen in sich tragen. Die Konstitution der alten Ordnung dagegen bleibt durchgehend unverändert, der Umschwung zur Zeit der größten Gefahr in Rom gelingt nicht durch Einigkeit und Ausgleich, wie schon am antagonistischen Redenpaar Caesar und Cato und den aus den Senatsverhandlungen folgenden Turbulenzen deutlich wird, sondern durch die fortuna eines Staates, dessen Mischverfassung und Gesamtkonstitution auch in der Zeit der größten Dekadenz so stark und gefestigt ist, daß er nicht einmal durch innere Zersetzungstendenzen zerstört werden kann.

7.1.3. Die Untertanen Iugurthas und die weniger bedeutenden Römer

Auch einige numidische Gefolgsleute Iugurthas entwickeln in der sallustischen Historiographie eigene Handlungsstränge und charakterliche Ausprägungen, durch welche die historische Perspektive Sallusts genau und realistisch erscheint. Dennoch nennt Sallust explizit lediglich Bomilcar, Nabdalsar und Aspar, während die übrigen nur als seinen Willen ausführende Werkzeuge Kontakte zu römischen Aristokraten aufnehmen, Bestechungen übernehmen oder mit den römischen Feldherren und dem maurischen König Bocchus verhandeln. Von den drei genannten Numidern spielt nur Bomilcar eine bedeutendere historische Rolle, indem er bis zu seiner Hinrichtung als Iugurthas engster Vertrauter handelt, für diesen in Rom den Massiva ermordet, schließlich aber selbst zum Verräter an Iugurtha wird.
An Bomilcar zeigt Sallust beispielhaft die römische Wahrnehmung der numidischen Treue und des numidischen Charakters. Aus römischer Sicht ist Bomilcar von Beginn an ein verderblicher Charakter und das ausführende Element von Iugurthas Bestechungs- und Mordplänen. Diese Mitwisserschaft hindert ihn jedoch nicht daran, Iugurtha an Metellus zu verraten. Sallust zeigt an diesem außerrömischen Beispiel, wie unzuverlässig das verbrecherische Bündnis zwischen Iugurtha und Bomilcar ist und wie leicht es von außen zerstört werden kann. Dabei ist auffällig, daß für ihn numidische Überläufer aufgrund des treulosen Charakters dieses Volkes eine normale Erscheinung darstellen , während er zumindest die von Iugurtha korrumpierten Angehörigen der römischen Oberschicht im Interesse des Gesamtthemas von der superbia nobilitatis scharf angreift und auch ihre Folgen und Strafen nicht übergeht.
Im weiteren Verlauf der Monographie sinkt allerdings Sallusts Interesse an Motiven, Schicksalen und Umständen römischer und numidischer Überläufer. Dafür ist die veränderte historische Situation verantwortlich. Obwohl in Rom durch die rogatio Mamilia die Macht der Nobilität wieder eingeschränkt ist, spielen Bestechungen und politische Parteiwechsel im weiteren Verlauf des Krieges am numidischen Schauplatz für Sallust keine untergeordnete Rolle. Gegenseitige Abwerbungen und Seitenwechsel von Überläufern scheinen ein probates Mittel und selbstverständliches Phänomen der Kriegsführung darzustellen. Bezüglich der römischen Überläufer in das Heer der Numider wird man aber annehmen können, daß es sich dabei hauptsächlich um Hilfstruppenkontingente und nur vereinzelt um von Iugurtha bestochene römische Vollbürger handelt. Sallust gibt über die Zusammensetzung und Motive dieser Personen wahrscheinlich deshalb keine näheren Hinweise, um die von ihm geschilderte Situation eines moralisch geläuterten Rom nicht zu beeinträchtigen.
Den traurigen Höhepunkt der unglücklichen römischen Kriegsführung in Numidien bildet die Niederlage des Consuls Spurius Albinus in Vertretung durch seinen Bruder Aulus. Beide werden in ihrem blinden Ehrgeiz von Iugurtha getäuscht und führen damit das römische Heer in eine ihrer bittersten Niederlagen. Erst durch die von Iugurtha erzwungene Unterwerfungsgeste des römischen Heeres gelangt man in Rom infolge gemeinsamer Wut und gemeinsamen Kummers zu einem politischen Ausgleich. Der Krieg gegen Iugurtha wächst erst durch die innenpolitischen Zusammenhänge in seiner Bedeutung von einem Kolonialkrieg an der Peripherie zu einem Prestige- und Rachefeldzug, in dem Iugurtha nun von Seiten der Römer ähnliche Listen und Hinterhalte erfahren muß wie die, mit denen er selbst die uneinigen Römer für seine Ziele ausgenutzt hat.

7.1.4. Cicero

Die Ausgestaltung des historischen Consuls Cicero zur Zeit der catilinarischen Verschwörung gehört zu den interessantesten Interpretationsansätzen bezüglich Sallusts Monographie. Dabei stehen besonders die Bewertung und die Cicero von Sallust zuerkannte Rolle sowie die Wechselwirkung zwischen Ciceros eigenen literarischen Leistungen, Interessen und Stilbemühungen und denen Sallusts im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Brisant wird dieser Ansatz besonders durch die vier catilinarischen Reden Ciceros , seine verlorene Schrift "de consiliis suis" , in welcher er unter anderem Rechenschaft über seine Entscheidungen gegen Catilina abgelegt haben soll, und schließlich die politisch motivierten Bestrebungen Ciceros, seine persönlichen Leistungen während der catilinarischen Verschwörung historiographisch verherrlichen zu lassen. Dazu geben noch die in ihrer Echtheit umstrittenen gegenseitigen Invektiven von Sallust und Cicero einen Interpretationsrahmen vor, durch den eine vermeintlich politische Gegnerschaft Sallusts gegenüber Cicero antizipiert wird.
Es ist nicht erwiesen, ob Sallust Cicero und dessen Leistungen bewußt selten erwähnt und seine Rolle als Consul während der catilinarischen Verschwörung damit herabwürdigen will. Sicherlich erscheint Cicero als umsichtiger, fast schon übertrieben vorsichtiger Staatsmann, der sich für alle Maßnahmen das Mandat des Senats einholt. Darin ist aber keine Schmähung zu sehen, wenn man bedenkt, daß Cicero als Anhänger und Verteidiger der Senatsherrschaft sich zwangsläufig bei der von ihm akzeptierten übergeordneten Instanz rückversichert. Zudem bietet Ciceros betont gesetzmäßiges Verhalten einen zwar unspektakulären, aber dennoch bemerkenswerten Kontrapunkt zu den von Sallust mehrfach angeprangerten chaotischen zeitgenössischen Politik.
Obwohl für Sallust Caesar und Cato die herausragenden Charaktere darstellen, welche durch ihre einzigartige virtus die Geschichte beeinflussen, so gestaltet er die werkimmanente Rolle Ciceros doch dahingehend, daß dieser entschlossener als Caesar und moralisch unangefochten den Verschwörern gegenübertritt. Weil Cicero selbst es aber nicht versäumt hat, durch die Veröffentlichung seiner catilinarischen Reden und durch die Versuche, einen Historiker für die Aufgabe zu gewinnen, seine persönlichen Leistungen durch ein Geschichtswerk öffentlich bekannt zu machen , ist es wahrscheinlich, daß Sallust die Einzelheiten von Ciceros Leistungen bei seinen Lesern als bekannt voraussetzt und deshalb an gegebener Stelle nur auf sie hinweist. Aus der inhaltlichen Betrachtung der Monographie und auch aus der Tatsache, daß Sallust Cicero als historische Quelle verwendet haben muß, ohne ihn, wie Herodot den Hekataios , polemisch zu kritisieren, geht hervor, daß die Persönlichkeit, der Charakter und der politische Standpunkt Ciceros für Sallust zwar keine herausragende Bedeutung für den Erhalt des Staates haben, Sallust diese Ansichten aber respektiert. Dieser Respekt muß aber in den Hintergrund treten, wenn Cicero als Repräsentant einer politischen Ordnung und Elite auftritt, die durch Dekadenz und Korruption den altrömischen Staat an den Rand des Untergangs geführt hat.
Obwohl Ciceros politische Rolle in den Zeiten der catilinarischen Verschwörung nicht endgültig geklärt ist, paßt er von seiner äußeren Stellung als moralisch integerer, unbestechlicher und die republikanische Ordnung verteidigender Optimat und damit früherer politischer Rivale Sallusts nicht in dessen historisches Konzept. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, daß er in Sallusts Darstellung der catilinarischen Verschwörung nur eine Nebenrolle einnimmt. Ohne den nach seinem Tod 42 v. Chr. zwar nicht allgemein hochgeschätzten, aber dennoch respektierten Ruf Ciceros völlig zu beschädigen, zeigt Sallust aber mit der geringen Beachtung dieser eigentlich zentralen Figur der catilinarischen Verschwörung, daß dieser für ihn weder historisch noch thematisch zu den bedeutenden zeitgenössischen Persönlichkeiten in Rom gehört. Die herausragende Stellung des Redenpaares und die Synkrisis zwischen Caesar und Cato lassen die geringe Beachtung Ciceros noch dramatischer erscheinen.
Als Ursachen für die Konzeption des Cicero als Nebenrolle der coniuratio Catilinae sind zusammenfassend der thematische Schwerpunkt und die moralisch-politische Intention der Monographie, die allgemeine Bekanntheit von Ciceros Rolle und seiner Reden sowie auch eine mögliche Aversion Sallusts gegen den politisch Andersdenkenden anzuführen.

7.2. CAESAR UND CATO

Obwohl Sallust Caesar und Cato in seiner Gesamtbeschreibung der catilinarischen Verschwörung nur an wenigen Stellen erwähnt, räumt er ihnen dennoch durch die Gegenüberstellung als Redenpaar und die Charakterisierung in der Synkrisis (c. 51-53) einen erheblichen Platz in seinem Werk ein. Während Cato außerhalb der Darstellungen über die Strafmaßnahmen an keiner anderen Stelle im Catilina erwähnt wird, spielt Sallust doch auf Caesar an, um sich vornehmlich mit der Frage nach Caesars Beteiligung oder Verstrickung in den Umkreis der Verschwörung auseinanderzusetzen.
Auch wenn die wenigen anderen Stellen, in denen Caesar erwähnt wird, für die Interpretation der Haltung Sallusts gegenüber diesem nicht vernachlässigt werden dürfen, ist die Anordnung und Ausgestaltung des Redenpaares und die darauffolgende charakterisierende Synkrisis zwischen Caesar und Cato dennoch die ergiebigste Quelle für die Untersuchung von Sallusts Menschenbild und seiner Personenkonzeption in der coniuratio Catilinae allgemein sowie speziell seiner Bewertung der zeitgenössischen Politiker, zu denen nicht nur die einflußreichen und angesehensten Männer in den sechziger Jahren, sondern auch die während der Abfassungszeit des Werkes zeitgenössichen Mitglieder des zweiten Triumvirats in den späten vierziger Jahren hinzugezogen werden können.
Sallust hat die Reden von Caesar und Cato und auch die anschließende Synkrisis nicht in der beschriebenen historischen Situation, sondern aus der späteren Sicht und seinem Wissen über die weitere Entwicklung beider Männer heraus angeordnet. Obwohl die Reden das grundsätzliche, historisch belegte Meinungsbild über Caesar und Cato wiedergeben, hat Sallust ihren Aufbau und die inhaltliche Argumentation nach seinen eigenen intentionalen Vorstellungen gestaltet. Daß Sallust hier nicht reale Geschichtsdokumente darstellen will, zeigt seine vereinfachte und zeitlich gedrängte Darstellung der Senatsverhandlungen über den Umgang mit den in Rom verhafteten Mitverschwörern Catilinas, die er nach dem Vorbild des Thukydides zu einem entgegengesetzten Rednerpaar zusammengefaßt hat.
Aufgrund der unterschiedlichen Positionen Caesars und Catos in ihren jeweiligen Reden wird vielfach gemutmaßt, wen von beiden Sallust für seine eigene Meinung sprechen läßt. Die Argumentationsebenen und Anträge beider Redner sind dabei ebenso wie ihre persönliche virtus völlig unterschiedlich, repräsentieren aber beide Sallusts historische und politische Auffassungen aus den Exkursen.

7.2.1. Die Caesar-Rede (Cat. 51)

Caesar plädiert für eine mildere Behandlung der Gefangenen. Vorher hat sich im Senat bereits die allgemeine Meinung durchgesetzt, daß die Hinrichtung die einzig angemessene Strafe sei. Caesar muß demnach durch seine Rede den Anschein erwecken, Mitverschwörer Catilinas zu sein oder sich zumindest als bekannter Gegner der Senatsherrschaft den Haß der meisten Anwesenden zuziehen. Aufgrund dieser ungünstigen Voraussetzungen zeigt Sallust in der Gestaltung von Caesars Rede großen Respekt vor dessen rhetorischen Fähigkeiten. Caesar argumentiert behutsam und schrittweise von den Wertvorstellungen der Senatoren ausgehend mit den Schlagwörtern maiores und dignitas und betont wiederholt seine Abscheu vor dem Verbrechen Catilinas. Er beginnt mit der Forderung, man solle in einer so wichtigen Angelegenheit frei von Leidenschaften entscheiden (c. 51,1-3) und schließt daran zwei außenpolitische Beispiele aus der Zeit der maiores an, als diese sich gemäß ihrer dignitas richtig entschieden hätten (c. 51, 4-6). Diesen Teil schließt Caesar mit der Forderung nach würdiger und gesetzmäßiger ("quae legibus conparata sunt", c. 51,8) Behandlung der Verräter (c. 51,7-8) ab.
Nach einem Resümee der bisherigen Reden, welche zwar leidenschaftlich, aber auch moralisch fragwürdig die Todesstrafe verlangt hätten (c. 51,9-11), betont Caesar die Bedeutung der Entscheidung für den Ruf der Senatoren, welche als Machthaber besonders auf ihren öffentlichen Ruf achten müßten (c. 51,12-15).
Im folgenden widmet er sich dem von seinem Vorredner, dem designierten Consul Decimus Silanus, vorgebrachten Antrag auf Hinrichtung der Verschwörer und weist dessen Antrag als verfassungsfremd ("aliena a re publica", c. 51,17), gefährlich und in jedem Fall unangemessen zurück (c. 51,16-24). Caesar weist in seiner Argumentation darauf hin, daß die Todesstrafe nicht nur gegen bestehendes Recht verstoße sondern auch nach stoischer Lebensanschauung eine zu schnelle, milde Bestrafung bedeute.
Mit Hilfe von ausländischen Beispielen führt der Redner daraufhin mögliche negative Folgen und Gefahren für den Staat an, wenn außerordentliche und für einen bestimmten Zeitpunkt auch richtig erscheinende Maßnahmen für die Folgezeit zu einem schädlichen Präzedenzfall werden könnten, welche zu Oligarchie oder Tyrannis und zum Untergang der Freiheit und des Staates führen könnten und bringt damit die Komponente der historischen Bedeutung dieser Entscheidung ins Spiel (c. 51,25-36).
Caesar schließt seine ruhige und sachliche Rede mit einem neuerlichen Lob der Vorfahren, welche aus Einsicht die lex Porcia geschaffen hätten und stellt den Antrag, das Vermögen der Gefangenen einzuziehen und sie in den Landstädten gefangenzuhalten (c. 51, 37-43).
Insgesamt stellt Sallust die Argumentationen dieser Rede in einen weiten politischen und historischen Zusammenhang. Ausgehend von Beispielen der maiores und den altrömischen Wertbegriffen dignitas und consilium beurteilt Caesar die Entscheidungsfrage nach der Bestrafung der Verschwörer vor dem Hintergrund der Geschichte des innenpolitischen Parteienkampfes und der voraussehbaren Folgen der anstehenden Entscheidung. Die Aussagen zu dem beispielhaften Verhalten der maiores stehen dabei im Zusammenhang mit dem ersten Exkurs, die politischen Erwägungen zu der Bedeutung der Entscheidung mit dem zweiten Exkurs.

7.2.2. Die Cato-Rede (Cat. 52)

Während für Caesar die Krise mit der Verhaftung der Verschwörer in Rom bereits bewältigt zu sein scheint und für ihn die zukünftigen, grundsätzlichen Folgen der anstehenden Entscheidungen im Mittelpunkt des Interesses stehen, untermauert Cato seinen Strafantrag mit einem moralischen Rückblick auf die Vergangenheit. Er ist derselben patriotisch und parteipolitisch motivierten Meinung der Senatsmehrheit und argumentiert als Anhänger der Senatsherrschaft nach deren moralischen Maßstäben und alten Grundsätzen, an die er mahnend erinnert. Im Gegensatz zu Caesar sieht Cato die Ursachen der Krise nicht in den im zweiten Exkurs erläuterten Parteikämpfen, sondern im Verfall der Sitten, der im ersten Exkurs dargestellt wird. Die Motivation für die Entscheidung über die Bestrafung der Verschwörer ist dagegen aus innenpolitischen Erwägungen heraus begründet, die ihren Ursprung im zweiten Exkurs haben.
Im ersten Teil der Rede (c. 52,1-6) beschreibt Cato die immer noch akuten Gefahren der Verschwörung für die einzelnen Menschen und den ganzen Staat, die er so zusammenfaßt: "libertas et anima nostra in dubio est" (c. 52,6).
Die Ursachen dieser Entwicklung sieht Cato in der "luxuria atque avaritia" (c. 52,7) und wirft allen, die die Gefahren nicht erkennen und für Milde stimmen, Dummheit und Trägheit vor (c. 52,7-12).
Nach philosophischer und sicherheitspolitischer Ablehnung von Caesars Erörterungen und Antrag (c. 52,13-18) mahnt er die Senatoren an die Sitten und Bräuche der Vorfahren, welche den Staat groß gemacht hätten. Analog zum ersten Exkurs (c. 10,4-12) stellt er die gegensätzlichen mores antithetisch gegenüber: "domi industria, foris iustum imperium, animus in consulundo liber neque delicto neque lubidini obnoxius. Pro his nos habemus luxuriam atque auaritiam, publice egestatem, priuatim opulentiam " (c. 52, 21-22). Sallust läßt Cato in luxuria und ambitio die Quellen allen Übels (c. 52, 22) erkennen und legt ihm damit seine eigene Geschichtsauffassung aus den Exkursen auf.
Indem Cato noch einmal auf die bestehende Gefahr durch Catilina und sein Heer hinweist (c. 52, 24), geht er zu seinem Antrag über. Er verlangt industria von den Senatoren ("uigilando adundo bene consulundo", c. 52, 29) und nennt historische Beispiele für diese Entschlossenheit und Tatkraft der römischen Vorfahren (c. 52, 30). Schließlich betont er noch einmal das außerordentliche Verbrechen der Verschwörer und die noch bestehende Gefahr für den Staat (c. 52, 31-35), um von da aus den Antrag auf Vollzug der Todesstrafe zu formulieren (c. 52, 36).
Während Caesar also in seiner Rede für Sallust ein außerordentliches Beispiel politischer Umsicht und philosophischer Überlegung verkörpert, äußert Cato in seiner radikalen Pragmatik Sallusts Wunsch nach einfacher und schneller Lösung politischer und sozialer Mißstände.

7.2.3. Die Synkrisis (Cat. 54)

In der sich an die beiden Reden anschließenden Synkrisis (c. 53,2-54) betont Sallust sein personalistisches Geschichtsbild. Einzelne, durch ihre virtus hervorragende Männer hätten seiner Meinung nach den römischen Staat groß und bedeutend gemacht, obwohl andere Völker in bestimmten Bereichen leistungsfähiger gewesen seien (c. 53,2-5). Trotz der allmählichen Dekadenz erkennt Sallust auch zu seiner Zeit in Cato und Caesar zwei hervorragende Vertreter höchster virtus, deren unterschiedliche Ausprägung er in Kapitel 54 einander gegenüberstellt.
In der Synkrisis wird beiden Männern gleichrangiger Adel, gleiches Alter, sowie ähnliche Beredsamkeit und Geistesgröße zugestanden. Diese fast identischen persönlichen Voraussetzungen treten aber in der Gegenüberstellung beider Charaktere in fast gegensätzlichen Ausprägungen hervor. Zusammenfassend ist festzustellen, daß Cato als Moralist nach altrömischen Vorbild streng, unnachgiebig und selbstzufrieden wirkt ("esse quam uideri bonus malebat" c. 54,6), während der Politiker Caesar milder und menschenfreundlicher zu seinen Mitmenschen, für sich selbst aber strebsam und ehrgeizig erscheint ("sibi magnum imperium exercitum bellum nouom exoptabat, ubi uirtus enitescere posset.", c. 54,4).
Die unterschiedlichen Argumentationen und Standpunkte der Reden sowie die einander entgegengesetzten Ausprägungen zeitgenössischer römischer virtus wirken auf den ersten Blick zwiespältig und unlogisch , verraten aber vielmehr Sallusts tiefe Einsicht in die Wahrheit der römischen Geschichte und seine eigene Einstellung gegenüber dem Charakter beider Männer. Er entlarvt sowohl ethisch-moralische Veränderungen als auch politische Konflikte als Ursachen der Krise und stellt in den Reden im Rückgriff auf die vorangegangenen Exkurse die Schwierigkeit einer vermeintlich richtigen, allen Erwägungen Rechnung tragenden tagespolitischen Entscheidungsfindung dar. Es ist seine Absicht, niemandem der beiden Redner alleine für sich Recht zu geben, vielmehr ehrt er ihre virtus vor der aller anderen Menschen und zeigt in ihren Reden und in der Synkrisis die neue Komplexität seiner Zeit, in der nicht mehr einfach richtig und falsch existieren, sondern aufgrund der wachsenden moralischen und politischen Dekadenz die Entscheidung zwischen besser und schlechter gefunden werden muß. Die Wahl oder den richtigen Kompromiß zwischen der altrömischen, strengen virtus des Cato und der milden, menschlicheren Strebsamkeit des Caesar sowie zwischen tagespolitischen Notwendigkeiten, der Beachtung möglicher Konsequenzen und moralischen Erwägungen überläßt Sallust dem Leser, der diese Komplexität erkennen und für sich je nach individueller Situation eine Meinung oder Lösung finden soll. Er selbst findet an beiden Politikern lobenswerte und tadelnswerte Aspekte ihres Lebens und Charakters.

7.3. METELLUS, MARIUS UND SULLA

In ähnlicher Weise wie in der coniuratio Catilinae stellt Sallust auch im bellum Iugurthinum dem überzeichneten, scheinbar nur in eigener Initiative kämpfenden Bösewicht drei römische Gegenspieler entgegen. Dabei werden Marius und Sulla wie Caesar und Cato im Hinblick auf ihre spätere historische Bedeutung dargestellt und charakterisiert, während sich die politische Karriere des Metellus ebenso wie die des in der coniuratio Catilinae nur als Nebenperson behandelten Cicero im behandelten Geschichtsausschnitt bereits auf dem Höhepunkt befindet. Gegenüber den in der catilinarischen Verschwörung proportional unausgewogen wirkenden Charakterisierungen, bindet Sallust die für das historische Verständnis wichtigen Personen direkt in die Handlung ein und charakterisiert sie sowohl in Exkursen als auch durch die Darstellung ihrer historischen Taten.
Die Anordnung, einzelne Konzeption und schließlich die Interaktion dieser römischen Hauptpersonen im bellum Iugurthinum sollen im folgenden im Hinblick auf das historische Denken Sallusts isoliert und interpretiert werden, um daran anschließend die historische Bedeutung dieser Personengruppe für Sallust herauszufiltern.

7.3.1. Metellus

Mit der Berufung des Consuls Metellus zum Oberbefehlshaber im Krieg gegen Iugurtha endet für die Römer nach der rogatio Mamilia die erste gravierende innenpolitische Krise. Der durch die parteilichen Auseinandersetzungen und Bestechungen Iugurthas in Rom in den Hintergrund getretene und für die Römer schon einen schlimmen Verlauf nehmende Krieg in Numidien erlebt erst mit dem Oberbefehl des Metellus eine für die Römer erfolgreiche Wendung und weitet sich nach der schmachvollen Niederlage der Albini von einem kolonialen Polizeieinsatz zu einem bedeutenden Kolonialkrieg aus. Metellus erweist sich dabei als umsichtiger und erfolgreicher Feldherr, Taktiker und Intrigant, ohne allerdings über das große, eher dem Marius zugeschriebene Glück zu verfügen. Vielmehr hebt Sallust wiederholt das consilium des Metellus hervor, dessen Betonung im Vergleich zu der glücklichen strenuitas des Marius allzu vorsichtig wirkt und damit eine ähnlich abwertende Funktion erhält wie die übergroße Vorsicht des Cicero gegen Catilina.
Die Bewertung des Metellus durch Sallust ist detailliert und berücksichtigt dessen Herkunft, politischen Standort und die historische Situation. Sallust beurteilt den Metellus situationsgebunden, indem er dessen typisch optimatische Lebenseinstellung und die taktischen Fehler kritisiert, aber auch die militärischen Leistungen lobt. Wie die meisten anderen Charaktere des bellum Iugurthinum entwickelt sich Metellus im Verlauf der Monographie nur wenig. Allerdings wird seine Leistung hervorgehoben, zur Zeit einer großen innenpolitischen Krise in Rom als Vertreter der stark angeschlagenen Nobilität die heikle Aufgabe der Kriegsführung in Numidien auf sich genommen und seine Aufgabe tüchtig ausgeführt zu haben. Dafür schreibt Sallust ihm nach seiner Abberufung allgemeinen Respekt durch die römische Öffentlichkeit für diese politische und militärische Leistung zu.
Noch wichtiger ist aber die Tatsache, daß Metellus sich nach der Beseitigung optimatischer Korruption in Rom als moralisch unantastbar erweist und im Krieg ehrenvoll für den Staat einsetzt. Dennoch zeigt Sallust auch an der Figur des Metellus die politisch verkommenen Sitten des Staates auf. In Auseinandersetzung mit dem ehrgeizigen Marius verfällt Metellus in die von Sallust mehrfach gerügte superbia nobilitatis. Als typischer Vertreter seines gesellschaftlichen Standes kann er es nicht verkraften, von einem homo novus als Consul und Oberfeldherr in Numidien abgelöst zu werden. Dieses Verhalten schmälert trotz der ehrenvollen Aufnahme in Rom die historische Leistung des Metellus.

7.3.3. Marius

Die politische Karriere des Marius im Verlauf des bellum Iugurthinum beginnt als Legat im Heer des Metellus. Durch seine hervorragenden militärischen Leistungen macht er nicht nur den Metellus auf sich aufmerksam, sondern gewinnt auch zunehmend Einfluß in Rom. Sallust sieht aber erst in einem Orakelspruch den entscheidenden Anstoß für Marius, sich um das Konsulat und auch um den Oberbefehl in Numidien zu bewerben. Als Folge dieser Bestrebungen kommt es nicht nur zum persönlichen Bruch zwischen Metellus und Marius , sondern auch der bis dahin wegen der gemeinsamen Kriegsanstrengungen beigelegte Konflikt zwischen den Parteien wird durch die polarisierenden Agitationen in Rom wieder angeheizt. Sallust zeichnet den Marius in dessen großer Rede als geschickten, parteipolitischen Demagogen seiner Zeit, der den Haß des Volkes auf die Nobilität für seine eigenen machtpolitischen Ziele ausnutzt, sich aber auch zu der altrömischen virtus im Dienst für die res publica bekennt ("Ipsa se uirtus ostendit", c. 85,31; "tamen omnis bonos rei publicae subuenire decebat", c. 85,48).
Marius ist der Charakter aus dem bellum Iugurthinum, der in der Darstellung die größte persönliche Entwicklung erlebt. Er nimmt eine steil aufsteigende militärische und politische Karriere, die nach Sallusts Aufbau sowohl persönlich als auch mythisch-religiös motiviert ist. Als Antrieb des Handelns strahlt immer wieder der starke innere Ehrgeiz in Verbindung mit der fortuna hervor, welche zusammen das Handeln des Marius dominieren. Obwohl Sallust sich direkter Wertungen enthält, scheint er zu Marius ein ebenso ambivalentes politisches Verhältnis wie zu Caesar zu haben. Wenn man Sallust zu den Zeiten seines otium noch Sympathie zur popularischen Partei zuschreiben kann, dann billigt er sicherlich die Ziele und Absichten des Marius in gleichem Maße wie die des Caesar. Bezüglich Marius fällt auf, daß seine große Antrittsrede, die von Sallust entgegen seiner eigenen Behauptung rhetorisch ausgefeilt ist, polarisierend und radikal die Einheit des Staates gefährdet. Vor allem kann Marius selbst im Verlauf der weiteren Handlung seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden, so daß trotz aller militärischen Achtungserfolge nicht er sondern mit Sulla ein Vertreter der Nobilität den Krieg gegen Iugurtha endgültig zugunsten Roms beendet. Damit wirkt die gesamte historische Leistung und Beurteilung des Marius ebenso ambivalent wie im Catilina die Bewertung von Caesars Charakter und seiner Einstellung gegenüber den Catilinariern.
Nach Ablösung des zuletzt vor dem Ehrgeiz und den Agitationen des Marius sowie den öffentlichen Anfeindungen in Rom resignierenden und untätigen Metellus erweist sich Marius mit neuen militärischen Kräften, durch deren breit angelegte Rekrutierung er den Krieg endgültig zu einer zentralen Staatsangelegenheit vergrößert, als glücklicher Stratege , der Iugurtha in zahlreichen Schlachten nicht nur empfindliche Niederlagen beibringt, sondern ihn auch durch Einnahme der wichtigsten numidischen Städte immer weiter in die Defensive und schließlich zum maurischen König Bocchus treibt, durch dessen Mitwirkung dann die endgültige Festsetzung Iugurthas gelingt.
Trotz seiner militärischen Erfolge kann auch Marius nicht die Gefangennahme Iugurthas und Befriedung Numidiens als seinen endgültigen Erfolg verbuchen. Zwar hat er sicherlich mit seiner Kriegführung erst die äußeren Handlungsmöglichkeiten geschaffen, dennoch ist es erst dem Sulla gegeben, mit diplomatischen Mitteln den Bocchus zu überreden, Iugurtha den Römern auszuliefern.

7.3.4. Sulla

Obwohl Sulla den Marius nicht in seinem Amt ablöst, wie dieser vorher den Metellus, bedeutet auch sein erfolgreicher Aufstieg im Heer des Marius eine Verminderung von dessen Bedeutung und Ansehen. Sulla verkörpert in der Charakterisierung des Sallust die neue Generation römischer nobiles. Er ist jung, ehrgeizig und im Gegensatz zu den ersten Kontaktpersonen Iugurthas in Spanien moralisch unantastbar. Diese Episode des iugurthinischen Krieges enthält insofern eine historische Bedeutung, als Marius und Sulla die folgenden Jahre der römischen Geschichte maßgeblich dominieren werden. Obwohl Sallust seinen historischen Ausblick am Ende der Monographie besonders dem Marius und dessen weiteren Taten widmet, ist mit dem Ende dieses Buches die Spannung und der Konflikt zwischen Marius und Sulla bereits eröffnet. Sallust spielt hier auf die großartigen Siege des Marius gegen die Kimbern und Teutonen und seine außerordentliche politische Machtposition im Rom der auf den iugurthinischen Krieg folgenden Jahre an.
Obwohl Sallust auch den Sulla in einem gesonderten Kapitel charakterisiert, in dem dieser äußerlich dem freigiebigen und umgänglichen Caesar aus der Synkrisis der coniuratio Catilinae, innerlich und von der familiären Situation her gesehen aber dem hinterhältigen und berechnenden Catilina ähnelt , bleibt dessen weitere Rolle im Gegensatz zu den auch in ihren Emotionen beschriebenen Metellus und Marius auffallend blaß, vage und frei von dem erwarteten Parteihaß. Sullas Handlungen wirken umsichtig, und er scheint dem übergeordneten Consul Marius gegenüber loyal zu sein. In optimatischer Klugheit enthält er sich im Gegensatz zu Marius, der gegenüber Metellus in einer ähnlichen Situation gewesen ist, kritikwürdiger Handlungen, die seinen Aufstieg gefährden könnten.
Während Sallust aber am Ende der Monographie noch einen Ausblick über die weiteren Taten des Marius gibt, ist Sullas Geschichte mit der Gefangennahme des Iugurtha beendet. Man könnte meinen, daß Sulla auch noch vierzig Jahre nach seinem Tod als für die Römer und auch für den Historiker Sallust nicht wirklich faßbare, ganz verständliche Persönlichkeit wirkt , wenn nicht aus der Archäologie im Catilina , der Charakterisierung im Iugurtha sowie ganz besonders aus den Fragmenten von Sallusts Historien in der Rede des Marcus Aemilius Lepidus die Bewertung und historische Aufarbeitung des späteren Sulla und seiner Gewalttaten in den achtziger Jahren des 1. Jahrhunderts vor Christus durch Sallust zu ziehen wären. Hier erscheint Sulla als negatives, für die Zukunft zu vermeidendes historisches Phänomen, dessen Leben hier aber nur auf die politischen Gewalttaten und seine emotionale Wirkung auf Rom reduziert ist. Vor diesem Bewertungshintergrund scheint es für Sallust unmöglich zu sein, auf das frühe Leben und den Charakter des Sulla weiter einzugehen, als dies für das Verständnis des Kriegsverlaufes nötig ist.
Wie schon im bellum Iugurthinum angedeutet, wird Marius dennoch auch in der folgenden Zeit von dem glücklicheren und geschickteren Politiker und Strategen Sulla übertroffen werden. Am Ende dieser Entwicklung steht die von Sallust als direkte Folge und als ein Höhepunkt des römischen Sittenverfalls bezeichnete Alleinherrschaft des Sulla, welche wiederum in der coniuratio Catilinae als eine unmittelbare Ursache der catilinarischen Verschwörung charakterisiert wird.

7.3.5. Vergleich und Bedeutung der Charaktere

Wie schon in der bisherigen Untersuchung der coniuratio Catilinae, so sind auch im bellum Iugurthinum wenig Anzeichen für eine tendenziöse, parteipolitisch intendierte Propaganda des Sallust zu finden. Vielmehr zeigt Sallust, daß herausragende virtus nicht an irgendeine Parteizugehörigkeit gebunden ist, sondern an das ethisch-moralische Verhalten, welches durch die für die gegensätzlichen Parteien typischen Charakterschwächen gefährdet und herabgesetzt wird.
Die Kriegsführung des Metellus in Afrika erweist sich zwar als erfolgreich , doch auch er verfällt der von Sallust im Proömium (c. 5) als Hauptthema skizzierten superbia nobilitatis, mit der er sich den Popularen Marius zum Feind macht und schließlich von ihm abgelöst, dennoch aber bei seiner Rückkehr nach Rom von allen anerkennend gelobt wird. Marius dagegen, dessen Agitationen in Rom durch Metellus' Verhalten ihm gegenüber provoziert worden sind, zeigt vor seinem Sieg brennende ambitio und starken Haß gegen die Nobilität , nach seinem Sieg einerseits als Feldherr außerordentliche fortuna, andererseits aber auch insolentia sowie Mißtrauen und Neid gegenüber Sulla, dem es letzten Endes erst gelingt, den Krieg gegen Iugurtha erfolgreich zu beenden. Während Metellus als Träger hervorragender virtus durch seine, für die Nobilität typische superbia scheitert, krankt Marius Verhalten an der von Sallust bei den Popularen dieser Zeit mehrfach angemahnten libido, insolentia und ambitio. Auch wenn Sallust im bellum Iugurthinum die avaritia und superbia nobilitatis als Ursache des Sittenverfalls anprangert, stellt er doch gerade an Metellus, dessen virtus nicht wie bei Marius durch übertriebene ambitio entartet ist, die staatskonsolidierenden Fähigkeiten der Nobilität heraus. Diese fatale Darstellung Sallusts entspricht seiner eigenen politisch orientierten Geschichtsauffassung. Nicht eine bestimmte Parteigruppe sei für die Krisen des Staates verantwortlich, sondern der rücksichtslose, leidenschaftliche Kampf zwischen den Parteien, der immer schärfer geführt werde, richte den Staat langsam zugrunde, weil beide Parteien nur für die eigene Macht oder zum Schaden der anderen Partei kämpften und zwischenzeitliche Erfolge nicht zum Wohl und zur Konsolidierung des Staates, sondern für die Parteiinteressen und den persönlichen Erfolg ausnutzten.
Die Darstellung der römischen Protagonisten im bellum Iugurthinum ist damit nicht von tragischen Intentionen, sondern von historisch-politischen Überlegungen geprägt. Sallust zeigt die politischen und moralischen Ursachen des Parteienkampfes und des sittlichen Verfalls seiner Gegenwart auf. Prinzipiell offenbart Sallust im bellum Iugurthinum eine viel düstere, pesimistischere Anthropologie als in der coniuratio Catilinae, denn selbst seine hervorragenden Protagonisten tragen negative, sie letztlich zum Scheitern bringende Eigenschaften. In der coniuratio Catilinae offenbaren Caesar und Cato als Träger herausragender virtus gegensätzliche Ausprägungen und bringen damit die Zwiespältigkeit und objektive Unlösbarkeit der Situation auch in ihren Reden, welche jeweils richtige Aspekte von Sallusts Geschichtsverständnis offenbaren, zum Ausdruck. Metellus und Marius tragen dagegen trotz positiver römischer Tugenden den Keim des Scheiterns, der in ihrer Parteizugehörigkeit begründet ist, bereits in sich. Sulla wiederum erscheint in der Monographie als stiller und erfolgreicher Stratege, dessen historische Entwicklung in den Bürgerkriegen gegen Marius in den Folgejahren von Sallust bereits im Catilina verarbeitet ist, und dessen Bedeutung für die römische Geschichte erst in einigen Fragmenten der Historien zu einem Hauptthema gemacht wird.
Hiermit wird deutlich, daß die beiden Monographien des Sallust nicht nur stilistisch und im Hinblick auf die zugrunde gelegte Geschichtstheorie zusammengehören, sondern auch thematisch eng miteinander verknüpft sind. Sallust arbeitet in seinen Werken eine fast hundertjährige Vergangenheit auf, mit der er die Zeitumstände seines eigenen Lebens und insbesondere die Entwicklungen nach Caesars Tod thematisch auf soziokulturelle Entwicklungen und Tendenzen zurückführt, die insbesondere mit dem Zusammenhang zwischen den innerrömischen Verhältnissen und Werten sowie deren Entwicklung durch Interaktion mit der äußeren Welt in Verbindung gebracht werden. Aus diesen thematischen Schwerpunkten erklären sich nicht nur die kleineren sachlichen und chronologischen Fehler Sallusts, sondern auch die grundsätzliche Anlage seiner Historiographie. Er ist ein thematisch orientierter, politischer und aktueller Historiker, der bewußt auf inhaltliche Gestaltungspostulate der Annalistik und Tragödie verzichtet.

7.4. IUGURTHA

Die Konzeption des Iugurtha ähnelt nur äußerlich der des Catilina in der ersten Monographie. Iugurtha ist ein junger Nichtrömer, der sich, von äußeren Umständen veranlasst, von einem guten Charakter zu einem Bösewicht entwickelt. Sallust stellt Iugurtha zu Beginn der Monographie als tüchtigen und mit guten körperlichen und geistigen Qualitäten ausgestatteten Menschen dar, der allerdings im Gegensatz zu Catilina nicht über vorteilhafte familiäre Voraussetzungen verfügt. Sallust zeichnet am Beginn des bellum Iugurthinum das Bild eines aufstrebenden, ehrgeizigen und erfolgreichen Mannes, der zum einen früh während seines Aufenthaltes in Spanien in den verderblichen Einfluß junger römischer nobiles gerät und der sich zum anderen in seiner Heimat gegen die Ablehnung und das Mißtrauen seiner durch die Geburt privilegierten Verwandten behaupten muß. Diese äußeren Bedingungen treiben den darauf immer radikaler reagierenden Anwärter auf die numidische Königswürde zu außergewöhnlichen, hinterhältigen Maßnahmen, die einerseits als Antwort auf die Angriffe seiner Brüder zu verstehen sind, und die Sallust andererseits direkt auf die numidische Natur selbst und den Kontakt mit den verdorbenen römischen Sitten zurückführt. Damit eskaliert der in Numidien, an der Peripherie des imperium entstandene Krieg für die Römer zu einem selbst herbeigeführten und selbst verschuldeten Unternehmen. Diese Entwicklung ist gegensätzlich zu der Catilinas, welchen Sallust zuerst als verkommenes Produkt seiner Zeitumstände beschreibt, dann aber während der letzten Schlacht virtus zeigen läßt .
Die historische Persönlichkeit des Iugurtha und seine Darstellung und Bewertung durch Sallust ist in Ermangelung anderer Quellen aus dieser Zeit nicht eindeutig zu klären und wird von der Forschung vielschichtig diskutiert. Iugurtha wird dabei sowohl als Verbrecher gegen die Menschlichkeit und moralische Anständigkeit gebrandmarkt als auch demgegenüber als numidischer Freiheitskämpfer gegen die imperialistische römische Kolonialpolitik verstanden. Diese verschiedenen Interpretationsansätze werden von der Entwicklung unterstützt, die Sallust dem Iugurtha zuschreibt, welcher nach typisch sallustischem Motiv nach einem guten Beginn ein böses Ende nimmt. Für diese Arbeit ist aber die Frage nach der Konzeption, Entwicklung und Funktion des Iugurtha-Charakters in der Monographie von größerem Interesse.
Zuerst einmal wird die frühe Entwicklung des Iugurtha in einer dem Catilina entgegengesetzten Charakteristik in Interaktion mit seinem Onkel und Stiefvater Micipsa, seinen Brüdern Hiempsal und Adherbal sowie mit Publius Scipio und jungen römischen nobiles in Spanien aufgebaut. Diese vor der eigentlichen Haupthandlung liegenden Ereignisse sind umfangreicher und weitläufiger als im Catilina, haben aber eine ähnliche Funktion. Sie dienen dazu, den Leser zum einen mit der Vorgeschichte, den historischen Ursachen sowie mit der Geographie und den Menschen Numidiens vertraut zu machen, zum anderen enthält besonders die Konzeption des Iugurtha die Basis für den Verlauf der weiteren Ereignisse. Viel mehr als Catilina befindet sich Iugurtha von Beginn an sowohl in der eigenen Familie als auch in der Beziehung zu Rom in kritischer Situation. Infolge seiner hervorragenden politisch-militärischen Anlagen, der allgemeinen Beliebtheit aufgrund seiner Leistungen und schließlich vor allem nach der Adoption durch Micipsa ist er ein natürlicher Thronprätendent. Der Konflikt entsteht aber durch die inneren und äußeren polaren Gegensätze. Während Iugurtha in Numidien beim Volk beliebt ist und er sich schon der Unterstützung einiger Römer sicher sein kann , wächst im Königshaus Argwohn und Neid gegen den überall angesehenen Krieger, der weder in seinem Heimatland noch gegenüber dem römischen Senat die Möglichkeit hat, seinen Anspruch rechtmäßig gegen seine Brüder durchzusetzen.
Iugurtha entwickelt sich im Verlauf des numidischen Krieges aufgrund der großen Entfernung zu Rom, seiner Verschlagenheit und seiner Kenntnis der römischen Kriegsführung sowie des afrikanischen Kriegsschauplatzes zu einem Gegner, der für den römischen Staat zwar nicht so existentiell bedrohlich wie Catilina wird, dennoch aber im ganzen viel schwieriger und langwieriger zu besiegen ist. Ihm gelingt es zwar, die kriegstechnisch den Römern unterlegenen Numider immer wieder zum Kampf anzustacheln, er muß aber auch wiederholt aufgrund deren Feigheit große Vorhaben abbrechen und wird schließlich von der überlegenen römischen Kriegsmacht zurückgeschlagen und bezwungen.
Für den optimatisch orientierten Teil des Senats erweist sich die Hoffnung auf persönliche Bereicherung durch Unterstützung von Iugurthas Zielen als trügerisch. Sallust entwickelt hier das Bild einer selbst provozierten äußeren Krise, die wiederum die innere Politik des Staates beeinflußt. Er zeigt, daß der äußere Krieg nur siegreich beendet werden kann, wenn zuvor die innere Krise bereinigt worden ist.
Nach dieser politischen Komponente, welche mit Sallusts politischen Geschichtsbild in Verbindung steht, geht er zu Einzelheiten des Krieges über. Hier erweist er sich zum einen in ethnographischen und geographischen Darstellungen als Stilist , zum anderen dienen die für seinen Stil eher atypischen weitläufigen Darstellungen über den weiteren Verlauf und die Beendigung des Krieges dazu, die historischen Wurzeln seiner eigenen politischen Gegenwart zu finden. Er beschreibt mit Marius und Sulla einen ganz neuen Typus Römer, deren virtus nicht nur eine ganze Epoche geprägt hat, sondern die auch durch ihre gegenseitigen Auseinandersetzungen, ihr Verhalten und ihre Ziele das letzte Jahrhundert der Republik entscheidend beeinflußt haben.

7.5. CATILINA

Abschließend widmet sich die Untersuchung der Hauptperson der coniuratio Catilinae, um zu hinterfragen, ob und inwieweit Sallust die Person, Geschichte und das Schicksal des Catilina nach tragischen Motiven gestaltet hat. Oberflächlich betrachtet geht Catilina einen tragischen Weg. Nach anfänglichen Erfolgen seines Planes scheitert er schließlich und nimmt ein drastisches Ende. Demgegenüber ist es aber fraglich, inwieweit dieser Entwicklung eine tragische Gestaltungsabsicht mit affektiver Wirkung zugrunde liegt oder ob nicht vielmehr für Sallust in der Konzeption des Catilina soziale, an realen Erkenntnissen ausgerichtete geschichtsphilosophische Gestaltungsmerkmale im Vordergrund stehen.
Die Charakteristik Catilinas (c. 5) orientiert sich an Sallusts Anthropologie aus dem Proömium und bildet einen Kontrasts zu Sallusts eigenem Lebensweg. Catilina wird antithetisch als Mensch mit besten Voraussetzungen, aber schlechten Charaktereigenschaften beschrieben ("L. Catilina, nobili genere natus, fuit magna ui et animi et corporis, sed ingenio malo prauoque.", c. 5, 1). Sallust zeigt an Catilina nicht die Idealform der von ihm geforderten virtus des Geistes, sondern genau die seiner moralischen Verfallsgeschichte entsprechenden Verkehrung der Werte. Während die Gegenüberstellung von Caesar und Cato einander entgegengesetzte Ausprägungen zeitgenössischer virtus animi aufzeigt, dient Catilina als Exempel der staatsgefährdenden Bedeutung von moralischer Dekadenz und daraus folgender politischer Uneinigkeit. Seine guten sozialen und physischen Voraussetzungen werden von seinem üblen Charakter korrumpiert, so daß er die schlechtesten Eigenschaften ausbildet und einsetzt (c. 5, 1-5).
Diese gefährliche Mischung von guten Voraussetzungen und schlechten Eigenschaften führt bei Catilina zum Streben nach hohen, maßlosen Zielen, die schließlich von der Herrschaft Sullas inspiriert darin münden, mit allen möglichen Mitteln die Macht an sich zu reißen (c. 5, 6). Catilina wird also nicht durch das vorbildliche Verhalten und Beispiel seiner Vorfahren zu neuen, tüchtigen und ruhmreichen Taten ermutigt, sondern er erliegt dem negativen Beispiel Sullas und will diesen an seinenen äußeren Attributen, nämlich Macht und Reichtum, übertreffen, ohne besonderen Wert auf seinen Ruf oder den moralischen Wert des Zieles oder der Mittel zu legen. Die ganze Entwicklung von Catilinas Charakter ähnelt mit ihrem Aufstieg, der moralischen Dekadenz und dem Untergang der Gesamtkonzeption der römischen Geschichte in der Archäologie. An Catilina manifestiert Sallust die guten Gründungsbedingungen und den raschen Aufstieg des Staates, schließlich aber auch die zerstörerischen Auswirkungen moralischer Dekadenz und die drohende Katastrophe durch Selbstzerstörung.
Schließlich charakterisiert Sallust noch die persönlichen Ausprägungen von Catilinas Lebensführung und Lebensziel, welche ihn aufgrund von Geldschwierigkeiten und Gewissen mehr und mehr beunruhigten und im sittlichen Tiefstand des Staates durch "luxuria atque auaritia" (c. 5, 8) ihr Spiegelbild gefunden hätten (c. 5, 7-8).
Catilina erscheint als rastloser, durchtriebener Mensch, der im Wissen um seine Verbrechen fieberhaft seinen Zielen nachjagt, um darin eine vermeintliche Erfüllung zu finden. Diese Konzeption ähnelt der tragischen Exposition des Seneca, in welcher Helden wie Ödipus oder Medea den Keim der Katastrophe schon vom düsteren Beginn an in sich tragen, dennoch aber darauf zustreben müssen. Diese Konzeption ist bei Sallust aber nicht tragisch um des Tragischen willen. Vielmehr geht es ihm gar nicht um die Entwicklung zur Katastrophe, um das Pathos oder um das tragische Scheitern des Protagonisten, welches geschichtlich unumstritten ist. Sallust will nicht einmal persönliche, individuelle oder sogar philosophische Lehren als eine Art "Moral" weitergeben, sondern nur die widersprüchliche, scheinbar ausweglose historische Situation des Staates darstellen, allerdings nicht ohne auf Besinnung oder Verbesserungen in der Zukunft zu hoffen und sein eigenes Leben anhand der beschriebenen Gesamtsituation und der korrumpierten Verbrecher zu verteidigen.
Nach der großen Archäologie schildert Sallust in den Kapiteln 14-17 Catilinas Anhängerschaft, seine Motive und die Sammlung der Gleichgesinnten im Jahre 64 v. Chr. An Catilina manifestiert sich hier der seit der Zerstörung Karthagos wütende "böse Geist" der Geschichte, welcher in dem moralisch verfallenen Klima in Rom leichtes Spiel hat, alle möglichen Verbrecher, gescheiterte Existenzen und leichtsinnige Jugendliche zu korrumpieren und auf seine Seite zu ziehen, indem er jedem seine individuellen Wünsche erfüllt oder ihn zu den ersten Verbrechen verführt (c. 14). Catilinas Leben selbst wird als von Jugend an unmoralisch und verbrecherisch dargestellt, da er mit verschiedenen Frauen Unzucht getrieben (c. 15, 1) und seinen eigenen Sohn ermordet habe, um die von Sallust nicht sehr geschätzte Aurelia Orestilla heiraten zu können (c. 15, 2-3). Als Fazit dieser Verbrechen charakterisiert Sallust den Catilina als sowohl äußerlich als auch innerlich völlig ruhelosen, zerrütteten und wahnsinnigen Menschen ohne moralischen Halt.
Diese Charakterisierung und ihre Bedeutung für die folgenden Ereignisse besitzt insofern tragische Elemente, als Catilina durch sein verbrecherisches Wesen, seine Rastlosigkeit und seinen zunehmenden Wahnsinn den Schlüssel für sein weiteres Schicksal bereits in sich trägt. Dennoch aber ist damit nicht bereits sein späteres Scheitern und sein Untergang vorbestimmt.
Zuerst hätten diese inneren Voraussetzungen und die äußere sichere und ruhige, dennoch aber instabile Lage (c. 16, 4-5), dazu geführt, im Vertrauen auf seine Anhängerschaft gegen den Staat zu agieren. Dafür habe er sich um das Konsulat beworben und Anhänger innerhalb der Oberschichten gewonnen, die sich aus einer Verschwörung persönliche Vorteile erhofft hätten (c. 17).
Nach Darstellung einer früheren Verschwörung aus dem Jahr 66 v. Chr., an der Catilina schon teilgenommen haben soll (c. 18-19), erhält Catilina selbst das Wort und wendet sich in seinem eigenen Haus an die ihm sozial am nächsten stehende Gruppe der Verschwörer aus Senatoren- und Ritterstand, um ihnen seine Pläne mitzuteilen und ihre Loyalität, ihren Mut und ihre Entschlossenheit zu stärken (c. 20). Er zeigt sich in dieser von Sallust konzipierten Rede als polarisierender Demagoge, der sich und seine Anhänger als leidende Opfer einer Senatsoligarchie darstellt, welche die Freiheit der anderen unterdrücke und Macht und Reichtum kumuliere.
Catilina beruft sich auf anerkannte römische Werte wie Freiheit, Ehre, Geltung und Reichtum ("omnis gratia potentia honos diuitiae", c. 20, 8), verkehrt sie jedoch zu äußeren, ausgehöhlten Attributen und verlangt für sich und seine Anhänger genau diejenigen Vorteile, Machtbefugnisse und Attribute ("tabulas nouas, proscriptionem locupletium, magistratus sacerdotia rapinas, alia omnia quae bellum atque lubido uictorum fert.", c. 21, 2), die er den derzeitigen Machthabern vorwirft ("nisi forte me animus fallit et uos seruire magis quam imperare parati estis.", c. 20, 17). Damit entlarvt Sallust die demagogischen Agitationen neuer Volksführer oder angeblicher Reformer, die in Wirklichkeit nur ihren eigenen Vorteil und ihren eigenen Machtgewinn verfolgten und auch die bestehende Senatsherrschaft, welche durch ihre Uneinsichtigkeit mitverantwortlich am Erfolg dieser Leute sei und durch den unerbittlichen Parteienkampf den Staat an den Rand des Untergangs führe.
Nach den verschiedenen gewaltlosen und gewaltsamen Aktionen der Verschwörer, die mit dem Wechsel von gesetzlichen Bemühungen und Terroraktionen an die nationalsozialistischen Agitationen in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 20. Jahrhundert erinnern und nach dem Scheitern der Verschwörung in Rom nach Catilinas Flucht , kommt es in den Kapiteln 56-61 zum großen Entscheidungskampf in Etrurien zwischen Catilinas Heer und einem regulären römischen Heer unter dem Legaten Marcus Petreius.
Nach Leemans Interpretation nimmt Catilina ein tragisches und heldenhaftes Ende , indem er seinen aussichtslosen Existenzkampf bis zur vollkommenen Niederlage mutig aufrechterhalte und nicht aufgebe. Tatsächlich zeigt Catilina nach dem Scheitern der Verschwörung in Rom und der Erkenntnis der aussichtslosen militärischen Lage in der Ansprache an seine letzten verbliebenen Getreuen sowie in der abschließenden Schlacht mit den überlegenen römischen Legionen außerordentlichen Mut und Entschlossenheit (c. 58-60). Abgesehen von den historischen Tatsachen, daß Catilina wahrscheinlich vor der letzten Schlacht eine Ansprache gehalten hat und sein Heer letztendlich von den römischen Legionen besiegt worden ist, verdient die Darstellung des Sallust im Hinblick auf Gestaltungsschwerpunkte und Intention eine nähere Betrachtung.
Sallust läßt an der Gesamtsituation vor der Ansprache keinen Zweifel. Er betont, daß sie ausweglos sei und Catilina und seinen Anhängern nur der offene Kampf oder die Kapitulation bliebe, welche nach den Ereignissen in Rom die Todesstrafe möglich erscheinen läßt. Schon diese Umstände relativieren das Verhalten Catilinas, da er in jedem Fall den sicheren Tod vor Augen haben mußte. Anstatt nun aber nach moderneren moralischen Vorstellungen für seine Gefolgsleute beim Gegner Strafmilderung zu erwirken, stachelt er diese zum entschlossenen Kampf an und stellt ihnen sogar noch die längst unrealistisch gewordenen Ziele wie Reichtum, Ehre, Ruhm und Freiheit vor Augen (c. 58, 8-10), nicht ohne allerdings auf die existentielle Bedeutung der Schlacht und einer Niederlage hinzuweisen. Catilina wähnt sich selbst und seine Anhänger gegenüber den Legionen im Vorteil, weil sie um Vaterland, Freiheit und das eigene Leben, also um die ganze Existenz kämpften, während ihre Gegner für die Macht anderer ihr Leben aufs Spiel setzen müßten (c. 58, 11-12). Catilinas Logik ist einfach: es gebe keinen Weg mehr zurück und nur im Kampf könnten sich seine Anhänger, die sich durch Geist, Lebensalter und virtus auszeichneten (c. 58, 19), den Sieg oder eine ruhmvolle und den Feinden schädliche Niederlage verdienen (c. 58, 12-21).
Catilina zeigt sich am Ende seiner Verschwörung gegenüber dem Anfang unverändert. Zwar bezeugt Sallust ihm im Entscheidungskampf großen Mut und Tapferkeit und läßt ihn wie in der Ansprache gefordert viele Feinde töten , dennoch erscheint Catilinas Reden und Handeln sowie sein Erscheinungsbild nach dem Tod uneinsichtig und beinahe wahnsinnig. An ihm verkörpert Sallust einmal mehr die fatale Wirkung von falschem römischen Denken und falscher, egoistischer Interpretation römischer virtus, die in ihrer egoistischen, zerstörerischen Ausrichtung nur die Existenz des Staates in Gefahr bringt, Leben und Wohlstand vieler Menschen bedroht und letztendlich ein katastrophales Ende nehmen muß.
Auch wenn die Charakteristik (c.5) dem Catilina größtes verbrecherisches Potential und sogar Wahnsinn (c. 15, 5) bescheinigt , gab es für diesen immer wieder freie Entscheidungsmöglichkeiten. Er ist nicht der tragische Held, der von den äußeren Umständen und einer schweren persönlichen Schuld getrieben in die voraussehbare Katastrophe getrieben wird. Sogar vor der Entscheidungsschlacht steht ihm eine zweifellos unsichere Kapitulation offen. Vielmehr ist sein eigener zerstörerischer Wille die treibende Kraft, die trotz aller Rückschläge ihre Ziele ohne Rücksicht vorantreibt und damit am Ende selbstverantwortlich nach Ausnutzung aller möglichen Mittel verdient scheitert.
Sallust nutzt das Ende Catilinas auch, um die scheinbare Tapferkeit vermeintlich großer und mutiger Krieger als uneinsichtige Beschränktheit und falsche, verkehrte römische virtus zu entlarven. Nach Sallust sollen nicht die scheinbar großen Kriegstaten, sondern die moralischen Inhalte der virtus, etwa in sinnvoller Politik oder nützlicher Geschichtsschreibung gerühmt werden, weil sie selbstlosen Einsatz für den Staat über die eigenen Vorteile stellten. Letztendlich erscheint Catilina wieder als Gegenbild zu Sallusts eigenem Leben, der sich vielleicht die Voraussetzungen Catilinas gewünscht hätte, um sein Leben von Anfang an anders zu gestalten.

8. DIE GESCHICHTSKONZEPTION SALLUSTS

In Kontrast zu der annalistischen römischen Geschichtsschreibung arbeitet Leeman für die Monographien Sallusts mit Hilfe römischer und hellenistischer Theorien über die Form der historischen Monographie eine dramatische Gesamtkonzeption heraus. Er zitiert die von Cicero genannten hellenistischen Aspekte der Monographie, die eine Art Drama mit einem Hauptdarsteller bilden solle, dessen Schicksalswechsel beim Leser Spannung, Mitleid und Furcht erzeugen sollten. Diese Form der historischen Monographie sei damit eher auf emotionale Wirkung und nicht auf Information oder Belehrung ausgerichtet.
Im folgenden tastet Leeman zuerst die Art ab, wie Sallust seine Personen zeichnet, zweitens untersucht er die Gruppierung und Strukturierung der geschilderten Ereignisse und drittens prüft er Sallusts Interpretation des menschlichen Daseins auf dramatische Elemente.
Für die Protagonisten findet Leeman als Ähnlichkeiten zur Tragödie die geringe Anzahl von Protagonisten, den hohe Anteil der oratio recta, die übermenschliche Zeichnung von Caesar, Cato und des Wahnsinns von Catilina und Iugurtha, welcher deren, bei Sallust tragisch und sogar heldenhaft konzipierten, Fall mitverursacht habe.
Bei der Gliederung des Catilina fällt Leeman eine Aufteilung in zwei große Hälften auf, die um einen zentralen Exkurs (c. 36-28) nach der Flucht Catilinas zu seinem Heer nach Etrurien als Peripetie gruppiert seien. Dieser Exkurs über die Geschichte Roms finde wiederum selbst einen tragischen Wendepunkt in der Eroberung Karthagos durch die Römer, durch die der vorherige innen- und außenpolitische Aufstieg seinen Höhepunkt, aber auch den Umschlag des Geschicks erreicht habe, welcher zu Niedergang und Verfall geführt habe, an dessen Ende der Untergang Roms stehen könnte. Die Beschreibung dieser einzelnen Phasen sei jeweils nach ihren politischen Bedingungen, nach der psychologischen Reaktion und dem daraus sich ergebenden moralischen Klima aufgeteilt.
Als Menschenbild des Sallust erkennt Leeman in den Prologen die Vorstellung eines Doppelwesens, welches zugleich gut und schlecht sei. Dieselben Triebe des Menschen könnten demnach sowohl zur virtus als auch zum Gegenteil führen. Die unterschiedlichen, zum Teil sogar gegensätzlichen Ausprägungen hoher virtus würden in der Synkrisis zwischen Caesar und Cato und dem damit verdeutlichten Zwiespalt zwischen Moral und politischem Erfolg deutlich. Leeman nennt dieses eine tragische Spaltung innerhalb der virtus, welche wesentlich für Sallusts Menschenbild sei und spricht Sallust einen prinzipiellen Optimismus oder Pessimismus ab. Vielmehr sei die Teilung des Menschen in animus und corpus, der Kampf mit der äußeren fortuna und dem schlechten Selbst um die Existenz und die virtus eine tragische Konzeption, welche ihre Wurzeln in den unsicheren und ungewissen Lebensumständen zur Zeit Caesars habe. Mitleid und Furcht errege Sallust nicht aus Pathos oder leerem Moralismus, sondern um einer Reinigung und Läuterung der Leser willen, welche ihnen den Weg in die Freiheit zeigen könnten.
Aus der vorangegangenen Einordnung Sallusts in die antike Historiographie und der Analyse seiner historischen Gestaltungsmerkmale wird aber deutlich, daß der Ansatz Leemans nicht ausreicht, die Geschichtskonzeption Sallusts hinreichend zu verstehen und zu erklären. Auf der Basis der bereits erworbenen Beobachtungen und Erkenntnisse soll deshalb im folgenden ein eigenes Verständnis von Sallusts Geschichtsbild und Geschichtskonzeption entwickelt und in ihren literarischen Kontext eingeordnet werden.

8.1. GESCHICHTSWAHRNEHMUNG UND BEWERTUNGSHINTERGRUND

Die Grundlagen für Sallusts historisches Verständnis liegen sowohl in der historiographischen Tradition als auch im soziokulturellen Kontext und der persönlichen Lebenssituation des Autors. Anhand des Aufbaus und der Entwicklung seiner Geschichtsschreibung können vor diesem Hintergrund Ansätze gefunden werden, welche nicht nur das Geschichtsverständnis Sallusts, sondern auch die Rezeption der eigenen Umwelt eines antiken Menschen erkennbar werden lassen. Dazu gehören neben der Wahrnehmung historischer Entwicklung und deren Ursachen der literarische Aufbau der Handlung und die Konzeption der Personen. Aus den Darstellungsschwerpunkten und den historiographischen Umstellungen und Auslassungen Sallusts ist abzuleiten, daß dieser seine Geschichtswerke sowohl stilistisch als auch inhaltlich nach eigenen Vorstellungen und Intentionen strukturiert und konzipiert und sich damit wie Thukydides von einfachen Geschichtensammlern wie Herodot abhebt. Der Leser des Sallust soll nicht nur die Ereignisse der Vergangenheit kennenlernen, sondern auch ihre Zusammenhänge und Auswirkungen auf die eigene Gegenwart und das eigene Denken erfahren.
Sallust nimmt die römische Geschichte als moralische und politische Dekadenz wahr, in deren Verlauf die altrömischen Sitten durch die gewonnene Macht und Sicherheit und den darauf folgenden allgemeinen Luxus verblaßt sind und die politischen Eliten gegeneinander auf Kosten der Stabilität des Staates um die innere Vormachtstellung kämpfen. Diese Zerrüttung des Staates und der moralischen Normen hat Sallust selbst am eigenen Leib erfahren. Es ist dabei nur von sekundärem Interesse, ob der Historiker Sallust während seiner historiographischen Tätigkeit von seinen eigenen jugendlichen Verfehlungen, welche er an seiner Umgebung anprangert, geläutert ist. Er ist jedenfalls in der Lage, die destruktiven Symptome seiner Zeit und ihre historischen Ursachen zu erkennen und sie mit geschichtlichen Zusammenhängen, Ereignissen und Personen zu verknüpfen.
Aus diesen Umständen sind Geschichtswerke entstanden, die über ihr historisches Thema und ihren eigenen Zeitabschnitt weit hinausgehen. Sie dienen als Spiegelbilder der eigenen Gegenwart und zeigen in den Personendarstellungen mögliche Muster für menschliches Verhalten in Krisensituationen. Die politische Bewertungsgrundlage des Sallust ist nicht so sehr in den popular-parteilichen Zielen Caesars zu suchen wie in einer gemäßigten, konservativ-altmodischen Moral aus den Zeiten der frühen Republik. Die Ablehnung der für ihn abstoßenden Tagespolitik und die Betonung geistiger Werte gegenüber körperlichen Trieben resultieren aus der geringeren sozialen Herkunft und dem eigenen politischen Scheitern. Wie viele andere Jugendliche des Landadels ist Sallust nach Rom gekommen, um dort seine Ausbildung zu erhalten, sich einem einflußreichen Parteimann anzuschließen und in dessen Fahrwasser den eigenen politischen Aufstieg und die persönliche Bereicherung zu suchen.
Der Unterschied Sallusts zu allen anderen mehr oder weniger Namenlosen besteht aber darin, daß seine politischen Ideale mit Caesars Diktatur und dessen Ermordung gescheitert sind, daß Sallust danach weder kriminell gegen den römischen Staat geworden ist noch daß er nach seinem politischen Scheitern auch persönlich gefährdet ist. In seinem otium hat er nicht nur die Zeit, die finanzielle und politische Unabhängigkeit, sondern auch ein ausreichendes Maß an Selbstreflektion, um über die Umstände seines Lebens und dessen historische Rahmenbedingungen nachzudenken und daraus ein eigenes Geschichtsbild und einen eigenen historiographischen Stil zu entwickeln.

8.2. TRAGIKER ODER HISTORIKER - SALLUST UND SEINE HISTORIOGRAPHISCHEN EINFLÜSSE

Sallust steht in seinem literarischen Schaffen nicht allein. Er ist ganz selbstverständlich beeinflußt von seinem literarischen Kontext, insbesondere den historiographischen Vorgängern und der zeitgenössischen Literatur, sowie seinem eigenen historischen Lebensumständen.
Schon seit der Antike ist es eine allgemein akzeptierte These, daß Sallust als römischer Thukydides gesehen werden kann. Diese Einschätzung kann sich aber nur auf äußere Gestaltungsmerkmale und einige Aspekte der historiographischen Methode beziehen. Ähnlich wie Thukydides baut Sallust in seine Haupthandlung historische und geographische Exkurse, Personencharakterisierungen und Reden ein, um die Dichte seiner Erzählung zu erweitern und die Bedeutung des historischen Gegenstandes zu betonen.
Während Thukydides aber im Sinne der Glaubwürdigkeit seiner Ereignisgeschichte offensichtlich größten Wert auf die Authentizität und die faktischen Ursachen der Ereignisse legt , steht bei Sallust vor der Geschichtsrezeption die Formung seines eigenen Geschichtsbildes. Er scheut sich nicht davor, Ereignisse umzugruppieren oder historische Charaktere wie Caesar und Cato zu typisieren. Neben Umdatierungen von historischen Ereignissen und der Politisierung der Zusammenhänge nimmt Sallust einige historische Einzelheiten und Personen aus ihrem historischen Kontext heraus und verleiht ihnen durch Verbindung mit ihrer späteren Bedeutung und ihren Auswirkungen eine geschichtsübergreifende Bedeutung und Wahrheit. Sowohl Thukydides als auch Sallust streben bei ihren Lesern einen aufklärenden Erkenntnisgewinn für die Zukunft an. Die Leser des Thukydides sollen und können aber aus der Geschichte lernen, weil sich nach ihm der Grundcharakter des Menschen nicht ändert und auch menschliche Zusammenhänge gleich bleiben. Sallusts Intention ist dagegen politischer und direkter. Er gestaltet die von ihm konzipierte römische Geschichte nach dem Dekadenzmodell des Poseidonios als eine absteigende Linie , auf deren Tiefstand sich der zeitgenössische römische Leser wiederfinden und daraus im Sinne altrömischer Moral und Ethik Konsequenzen für das politische Handeln in der eigenen Gegenwart ziehen soll. Aufgrund der inhaltlichen Differenzen zwischen Sallust und Thukydides ist es also nur bedingt zutreffend, Sallust als römischen Thukydides zu bezeichnen.
Gattungstypische Voraussetzungen bieten zahlreiche Ansatzpunkte, Ähnlichkeiten zwischen Sallust und ihm vorausgegangenen Historikern zu finden. Neben Thukydides wird Sallust auch Manierismus gegenüber Poseidonios, Polybios sowie den tragischen bzw. rhetorischen Historikern Theophrast, Duris, Phylarchos und Theopomp nachgewiesen. Obwohl es aufgrund seiner gesellschaftlichen Herkunft und des sich daran anschließenden politisch-militärischen Lebens als unsicher gelten kann, daß Sallust sich intensiv mit allen Werken dieser Historiker auseinandersetzen konnte, so ist es in jedem Fall eindeutig, daß er nicht unreflektiert einem großen Vorbild wie etwa Thukydides folgt, sondern aus literarischen Tradition die für ihn entscheidenden Gestaltungsmerkmale, Geschichtstheorien und die philosophischen Überlegungen selektiert, die seinem eigenen Leben, seiner historischen Erfahrung und seiner politischen Intention am besten entsprechen.
In den Monographien Sallusts können besonders im Rahmen der politischen und historischen Exkurse Elemente der Historien des Poseidonios und des Polybios erkannt werden. Hier finden sich die politischen Interpretationsmodelle des Polybios, der die römische Mischverfassung als Ursache und Grundlage des politischen und militärischen Aufstiegs Roms erkennt. Ebenso zieht sich das von Poseidonios entwickelte Prinzip der politischen und moralischen Dekadenz wie ein roter Faden durch die sallustische Geschichtsdarstellung. Aufgrund seiner Lebenserfahrung nimmt Sallust die römische Geschichte als Verfallsgeschichte wahr, und er sieht in der eigenen Gegenwart den Höhepunkt dieser Entwicklung, welche den römischen Staat von seinen prägenden Wurzeln weggeführt und im Innern eine existenzbedrohende Krise verursacht hat.
Als wissenschaftlicher Historiker ist Sallust verpflichtet, seinen Forschungsschwerpunkt und seine historischen Erkenntnisse mit den für ihn am besten geeigneten Mitteln zu untersuchen und darzustellen. Sicherlich hat er einen ungewöhnlichen Weg gewählt, seine politische Zeitgeschichte in der Form von Monographien zu konzipieren, die von ihrer Anlage her auf einen kurzen Zeitabschnitt und nur wenige Personen begrenzt sind. Diese Geschichtskonzeption aber erlaubt es dem Autor, ungezwungener als in der Annalistik seine persönlich erlebten Erfahrungen in Form von ausgefeilten Exkursen und Reden in dem potentiellen Leser bekannte und emotional ansprechende historische Rahmenhandlungen einzuarbeiten. Obwohl die historische Bedeutung und Realität des iugurthinischen Krieges und der catilinarischen Verschwörung von Sallust nicht mißachtet werden, bilden beide historischen Ereignisse nur den Rahmen für die Vermittlung von Sallusts politischen Erkenntnissen und deren historischen Entwicklung sowie eine Einführung in die Art von Sallusts historischer Forschung und seiner Rezeption menschlichen Handelns und menschlicher Geschichte.
Neben der historischen und politischen Gelehrsamkeit bieten die Monographien durch ihr thematische Abgeschlossenheit und ihre teilweise dramatische Zuspitzung auf die Haupthandlung, besonders in Zusammenhang mit Sallusts außerordentlichem Stil, unterhaltende Elemente, die mit Sicherheit die gewünschte Breitenwirkung ermöglichten. Wenige äußerliche Merkmale der Tragödie, wie etwa die Beschränkung auf wenige Charaktere, die unvermeidliche Entwicklung und Katastrophe des tragischen Helden sowie der hohe Anteil an Reden, reichen nicht aus, um Sallusts Monographien dieser Gattung zuordnen zu können. Obwohl Reitzenstein den Aufbau von Sallusts Monographien auf dramatische Gestaltungsabsichten zurückführt, muß auch er zugestehen, daß diese formalen Elemente nicht ausreichen, um Pathos zu erregen und damit die Monographien zu Dramen zu machen. Vielmehr stellt Reitzenstein fest, daß bei Sallust das, "was nach Komposition und Einzeltechnik Dichtwerk ist, [...] innere Wahrheit haben und ‚Geschichte' sein [soll]". Nicht einmal zur klassischen tragischen Geschichtsschreibung lassen sich bei Sallust nennenswerte Analogien finden. Man sucht bei ihm vergeblich überzeichnete Charaktere, grauenhafte Gewaltdarstellungen oder melodramatisch ausgefeilte Einzelszenen.
Es ist daher viel wahrscheinlicher, daß Leemans Erkenntnisse so allgemeiner Natur sind, daß sie bei vielen Schriftstellern und Historikern zu beobachten wären und zum einen eine wichtige Grundlage historischer Erzählung, zum anderen eine elementare Komponente des menschlichen Lebens und menschlicher Lebenswahrnehmung selbst darstellen. Dazu kommt abschließend noch hinzu, daß die äußere Gestaltung und die Rahmenhandlungen der Monographien Sallusts in erster Linie dem Zweck dienen, die allgemeinen politischen und historischen Erkenntnisse und deren zeitunabhängige, von einem bestimmten Ereignis losgelöste Bedeutung zu transportieren. Sallust verbindet damit die ursprünglichen Postulate der Belehrung und der Unterhaltung und behauptet damit seinen Platz neben den bedeutendsten Vertretern der antiken Historiographie. Im Gegensatz zu den viel umfangreicheren im Stile des Hesiod berichtenden Werken des Livius finden sich bei Sallust zugespitzte Formulierungen und Inhalte, die den Wechsel der Zeitumstände zwischen beiden Historikern verdeutlichen. Während Sallust noch in einer Phase politischer Unsicherheit schreibt, in welcher jeder Römer sich noch als ein am Gemeinwesen beteiligter Bürger fühlt, spiegeln die Werke des Livius die kaiserzeitliche Sicherheit und das beginnende politische Desinteresse an der Gegenwart wieder.

9. ZUSAMMENFASSUNG

Sallust stellt sich in seinen Monographien als Historiker dar, der trotz seiner persönlichen Beteiligung an der römischen Geschichte und der beschriebenen Zeitumstände große Analysefähigkeit und historisches Verständnis beweist. Die Beteuerung, daß er alles so wahrheitsgemäß wie möglich berichten wolle, bietet den Schlüssel zum Verständnis seiner Geschichtsschreibung. Diese ist sehr persönlich, politisch und moralisch konzipiert und frei von tragischen oder tendenziösen Intentionen. Vielmehr zeigt Sallust sich als ein Mann, der Rückschau auf sein Leben hält, nach Erklärungen sucht und in seinen Werken darstellt, wie er die Gegenwart versteht und einordnet. Ausgehend von seinem eigenen politischen Scheitern, den wahrscheinlich begründeten öffentlichen Beschwerden über den Gegensatz zwischen seinen moralischen Forderungen und seiner eigenen Lebensweise sowie schließlich der Enttäuschung über Caesar sucht er in der Geschichtsschreibung einen Ausweg aus einem "schlechten Gewissen" und einen Weg für die Verwirklichung seiner eigenen virtus. Sallusts Geschichtswerke sind demnach nicht einmal unbedingt als historiographische Tradition, sondern sogar als persönliche Vergangenheitsbewältigung zu bezeichnen, auch wenn Sallust selbst sie als Garantie seines öffentlichen Ruhmes verstanden hat. Sie geben in erster Linie nicht nur einen historischen Überblick über den sachlichen Ablauf des iugurthinischen Krieges oder der Verschwörung des Catilina, sondern sind vielmehr Zeugnisse römischen Denkens und römischer Lebensrezeption in einer Zeit des politischen und ethischen Umbruchs in Rom, in der sich der äußerlich zum Weltreich expandierte römische Stadtstaat im Inneren an diese außergewöhnliche Situation anpassen mußte.
Sallusts fast schon verzweifeltes Festhalten an altrömischen Werten äußert in ihrer Nostalgie den inneren Wunsch nach einfacheren, strukturierten und übersichtlicheren Verhältnissen, die im ersten Jahrhundert vor Christus doch schon unwiederbringlich verloren sind. Sein mehrfach hervortretendes zyklisches Geschichtsverständnis begründet seine Sorge um die äußere Existenz des Staates, der in der äußeren Expansion an seine Grenzen gestoßen ist, ohne daß die innere kulturelle Entwicklung damit Schritt halten konnte.
Sallusts Geschichtswahrnehmung ist deutlich stärker von den großen griechischen Geschichtsschreibern Thukydides, Polybios und auch Poseidonios als von den einzelnen hellenistischen Gattungen, wie etwa der tragischen oder rhetorischen Geschichtsschreibung oder gar der Tragödie geprägt. Von Thukydides hat Sallust Elemente der historischen Methode und literarischen Technik übernommen, von Polybios Theorien der Verfassungsgeschichte und von Poseidonios das historische Dekadenzmodell. Vor allem an diese griechischen Vorbilder und auch die davon abgeleitete Form der historischen Monographie des Coelius Antipater ist der Aufbau von Sallusts Monographien angelehnt, dennoch werden zu Recht inhaltliche, sprachliche und äußere Gestaltungsmerkmale bei Sallust gefunden, die der tragischen Geschichtsschreibung oder darüber hinaus der klassischen Tragödie und dem historischen Roman entstammen. Diese Merkmale sind aber eher sekundär und bilden nicht die Quintessenz der Geschichtswahrnehmung und Geschichtskonzeption Sallusts. Vielmehr stellen diese Phänomene natürliche Aspekte des menschlichen Lebens und menschlicher Lebensanschauung dar, deren literarische Verwertung alltäglich und natürlich ist. Anhand seiner geschichtstheoretischen Betrachtungen in den Proömien, dem in den Exkursen entwickelten historischen Modell, den ethischen, politischen und historischen Gestaltungsmerkmalen sowie schließlich an der exemplarischen Personenkonzeption ist zu erkennen, daß das literarische Schaffen Sallusts in erster Linie an historiographischen Intentionen gebunden ist. Es ist methodisch orientiert an der politischen Geschichte des Thukydides, theoretisch an dem Dekadenzmodell des Poseidonios und sprachlich an der moralischen Geschichtsschreibung des älteren Cato.
Im Gegensatz zu Seneca, in dessen Zeit die innenpolitischen Verhältnisse zumindest geordnet und sicher sind, vermittelt Sallust gerade nicht den persönlichen, stoischen Rückzug aus der äußeren Welt, sondern zeigt auch in seinem otium Betätigungsfelder auf, die Wirkungen zeitigen können und praktischen Sinn haben. Während für Seneca das leidende Individuum keine Betätigungsfelder und Verbesserungsmöglichkeiten mehr sehen kann, verlangt Sallust von seinem Publikum Einsicht in die besondere historische Situation seiner Zeit, Lernen aus der Geschichte und das Umsetzen dieser Erkenntnisse in eine vernünftige Neuordnung der Verhältnisse. Konkrete Lösungsvorschläge kann er aber nicht geben, er tendiert politisch sichtlich zwischen Diktatur und zunehmender Machtbeschneidung der Senatsparteien hin und her. Ethisch verlangt er aber von seinen Mitmenschen zunehmende Reflexion über ihr Denken und Handeln.
Wenn also die Triebfeder seines Schreibens sehr persönlich-biographisch ist, so sind Sallusts Intentionen und der Kern seiner Darstellung hochaktuell und in vielerlei Hinsicht nützlich. Trotz einiger historischer Ungenauigkeiten und Schwächen in einzelnen Details verdient Sallust aufgrund seiner prägnanten Kürze und exemplarischen Darstellungsweise einen Platz unter den hervorragendsten antiken Historikern. Obwohl sein etwas nachlässiger Umgang mit realen Daten und Quellen in der modernen Geschichtswissenschaft unvorstellbar wäre und auch schon in der Antike seit Thukydides überholt ist, ist Sallusts exemplarische Methodik der an einem persönlichen Geschichtsbild ausgerichteten, prägnanten Geschichtsdarstellung sehr wirksam, um dem Leser den Verlauf der Geschichte über den einfachen politisch-militärischen Ablauf hinausgehend faßbar zu machen. Sallust ist es gelungen, mit nur zwei Monographien eine fast einhundertjährige Entwicklung des römischen Staatswesens zu veranschaulichen und zu hinterfragen. Eine besondere Beachtung verdienen dabei die Personencharakterisierungen, weil Sallust mit Charakterisierung derjenigen Personen, die für ihn die Träger der Geschichte sind, exemplarisch soziale Entwicklungen im 1. Jahrhundert vor Christus verdeutlicht.
Neben den hervorragenden Vergleichen zwischen Cicero, Caesar und Cato sowie zwischen Metellus, Marius und Sulla und deren Parallelität verdienen besonders Iugurtha und Catilina als Hauptpersonen besondere Beachtung. Die Entwicklung, die Sallust dem Catilina zuschreibt, ähnelt so deutlich der in der großen Archäologie geschilderten römischen Geschichte (Cat. 6-13), daß es als gesichert gelten kann, daß Sallust anhand des Catilina die Ursachen, den Verlauf und das drohende Ende der moralischen Dekadenz der Römer illustrieren will. Eine ähnliche Parallele wird im bellum Iugurthinum deutlich. Der von seiner Abstammung her benachteiligte Iugurtha ähnelt in seinem Streben nach Anerkennung als numidischer Thronfolger und in seinem mit allen Mitteln geführten Kampf gegen die übermächtigen Römer der römischen Plebs und ihren im Parteienexkurs (Iug. 41f.) analysierten Auseinandersetzungen mit der römischen Nobilität. Wie schon bei Catilina zentriert sich in der Person des Iugurtha das Gesamtthema der Monographie. Während Catilina durch sein Beispiel die negativen Auswirkungen moralischer Dekadenz verdeutlicht, zeigt Iugurtha dem Leser die psychologischen Ursachen sowie die politischen und sozialen Hintergründe des römischen Parteienkonflikts auf. Trotz der noch offenen Fragen bezüglich Sallusts persönlicher Einstellung zur römischen Geschichte und seiner Zukunftsaussichten ist es Sallusts Verdienst, anhand ausgewählter Aspekte der römischen Geschichte und deren Transformation auf wenige Hauptcharaktere die Krise der Römischen Republik und deren Übergang zum Prinzipat mit ihren Ursachen, Hintergründen und möglichen Auswirkungen erfahrbar gemacht zu haben.
Aufgrund dieser Leistung gebührt Sallust zu Recht das Lob zweier späterer Literaten, zuerst des Rhetors Quintilian, der Sallusts historiographische Leistung über das doch viel umfangreichere Werk des Livius stellt:
"[Sallustius] historiae maior est auctor quam Liuius".
Schließlich soll auch die Meinung des Tacitus nicht ausgelassen werden, für den Sallust das große Vorbild seines eigenen literarischen Schaffens darstellt und der Sallust schließlich etwas übertrieben als den glänzendsten, auf höchster Stufe stehenden Schriftsteller römischer Geschichte bezeichnet:
"C. Sallustius rerum Romanarum florentissimus auctor".

Versicherung:

"Ich versichere, daß ich die schriftliche Hausarbeit einschließlich evtl. beigefügter Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen selbständig angefertigt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Falle unter genauer Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht."


Bielefeld, den 19. Juni 2000