"Ceterum ex aliis negotiis quae ingenio exercentur in primis magno usui
est memoria rerum gestarum."
"Im übrigen gereicht von allen Beschäftigungen, welche durch
den Geist betrieben werden, vor allem die Geschichtsschreibung zu großem
Nutzen."
Erst in seiner zweiten Monographie, dem bellum Iugurthinum, erklärt Sallust
ganz explizit, daß für ihn mit dem Scheitern seiner politischen Tätigkeit
im römischen Senat das politische Leben keinesfalls beendet ist. Infolge
von Caesars Ermordung und dem damit verbundenen Ende aller politischen Möglichkeiten
Sallusts hat dieser eine neue Aufgabe und ein für sich ideales Betätigungsfeld
gefunden, seine persönliche Lebenserfahrung und politischen Einsichten
zu verarbeiten und in ansprechender Form den Menschen der eigenen Zeit und der
Nachwelt zu vermitteln. Seine Wahl der Geschichtsschreibung erscheint nach Abwägung
anderer Betätigungsfelder nachvollziehbar und beinahe zwangsläufig
zu erfolgen, denn er kann sich bei dieser Aufgabe auf eine jahrhundertealte
literarische Tradition stützen.
Das Reflektieren über das menschliche Leben und Handeln ist so alt wie
die Menschheit selbst. Geschichten und Geschichte haben heute wie damals vielschichtige
Bedeutungen für alle Bereiche des menschlichen Lebens. Sie dienen in erster
Linie der Selbstidentifikation eines Menschen, einer Gruppe, einer Nation oder
Institution, haben also auch immer einen Gegenwartsbezug. Dieser äußert
sich in der Intention und Funktion, aber auch in der Rezeption von Geschichte,
indem sie Rechtfertigung oder Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse,
Selbstverständigungsmöglichkeiten und Orientierungshilfen zu gegenwärtigen
oder zukünftigen Lebensumständen oder Verhaltensalternativen, aber
auch einfach Unterhaltung und Trost bieten kann.
Ausgehend von Geschichtssammlungen alter Religionen (Altes Testament) und Mythen
(Homer, Hesiod) entwickelten sich in der griechischen und römischen Antike
bei Thukydides, Polybios, Sallust und Livius bis hin zu Tacitus neue Darstellungsformen
der Vergangenheit, welche es sich seit Thukydides zur Aufgabe gemacht haben,
gesicherte Kenntnisse über ausgewählte Aspekte des vergangenen Geschehens
wiederzugeben und zu erklären.
Weil Geschichtsdarstellungen nur eine subjektive, bewußt oder unbewußt
wertende und auswählende Rekonstruktion der Vergangenheit leisten können,
bieten alle diese Werke unzähligen Raum für Interpretationen und Wertungen
über die inhaltlichen Zusammenhänge der berichteten Ereignisse, darüber
hinaus aber auch besonders über die Intention und ethisch-moralische Einstellung
des Autors. Sallust selbst deutet in seiner Monographie über die Verschwörung
des Catilina schon auf die Schwierigkeiten der Geschichtsschreibung und auf
mögliche Kritik gegen die Vorgehensweise des Historikers hin, obwohl er
doch versuche, die Geschehnisse so wahrheitsgetreu wie möglich darzustellen.
Gerade Sallust hat infolge der besonderen Umstände seines Lebens als junger
Mann im nachsullanischen, vom Parteienkampf gezeichneten Rom, in dem er seine
politische Karriere begonnen hat, später als politischer Anhänger
Caesars und nach dessen Tod als zurückgezogen lebender Privatmann nach
der Veröffentlichung seiner Geschichtswerke, besonders aber seit Beginn
der neuzeitlichen Literaturwissenschaft zahlreiche Interpretationen und Deutungen
erfahren. Dabei wird Sallust als Tendenzschriftsteller , Politiker für
Caesars Interessen , Feind der Nobilität , Historiker, der um das Wohl
des römischen Staates besorgt ist , Senatsanhänger und Antimonarchist
, Moralist sowie als Kritiker des Prinzipats und damit verbunden als Sympathisant
des Antonius bezeichnet.
Abgesehen von diesen Interpretationen über die mögliche Intention
Sallusts ist auch die Form seiner Geschichtsschreibung zum Thema geworden. Anton
D. Leeman will in der Konzeption von Sallusts historischen Werken tragische
Elemente erkennen und interpretiert die Monographien über Catilina und
Iugurtha als Dramen. Anhand von Sallusts Personen- und Ereigniskonzeptionen
und seiner Interpretation des menschlichen Daseins erarbeitet Leeman seine These
von einer dramatischen Form in beiden Monographien. Es bleibt aber die Frage
offen, inwieweit äußere Ähnlichkeiten in der Form wirklich die
Annahme zulassen, daß Sallusts Rezeption, Konzeption und Darstellung historischer
Ereignisse tragisch seien. Vielmehr muß hier nach dem wirklichen Sinn
seines Schreibens gefragt werden.
Dabei gehen aber viele Forschungsansätze meines Erachtens über das
Ziel hinaus. Durch die zahlreichen neuen Interpretationsansätze wird sicherlich
zum einen eine vielschichtige Bewertung und Einordnung Sallusts und seiner Werke
ermöglicht, zum anderen verliert man dabei die wichtige Frage nach Geschichtsrezeption,
Geschichtskonzeption und Intention Sallusts aus dem Auge. Erst wenn man sich
die historischen Zeit- und Lebensumstände Sallusts bewußt macht und
davon ausgehend die Themenwahl und Konzeption seiner Werke als mit seinem Leben
verknüpfte Elemente interpretiert, gewinnen die Monographien Sallusts einen
über den bloßen historischen Informationsgehalt hinausgehenden Wert
als Primär-quellen spätrepublikanischer römischer Lebenseinstellung
und Geschichtswahrnehmung. Daraus wiederum können nicht zuletzt wertvolle
psychologische Erklärungsgrundlagen zu Tage treten, welche auf die Hintergründe
und Ursachen für das Phänomen der Etablierung des Prinzipats durch
Octavian und dessen politische Neuordnung hindeuten.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine ausführliche Untersuchung der Geschichts-
und Lebenswahrnehmung (Rezeption) Sallusts und deren Darstellung (Konzeption)
in seinen historischen Monographien. Diese eignen sich von den Werken Sallusts
am besten für eine Interpretation dieser Art, weil sie neben der gesicherten
Vollständigkeit und Urheberschaft zahlreiche implizite und explizite persönliche
Stellungnahmen des Autors enthalten, die man trotz ihrer gattungsbedingten Künstlichkeit
und trotz ihres Erzähl- und Werkzusammenhanges für berechenbarer ansehen
kann als die nur bruchstückhaften Passagen aus Sallusts Historien, die
vermeintlich persönlichen Briefe an Caesar oder die pseudosallustische
Invektive gegen Cicero, deren wissenschaftliche Bedeutung gerade im Zusammenhang
dieser Arbeit aufgrund der immer noch unsicheren Echtheit und vor allem ihrer
ta-
gespolitischen Gebundenheit angezweifelt werden muß.
Um sich der Geschichtsrezeption und -konzeption Sallusts zu nähern, soll
sein historisches Werk zunächst in den Kontext der antiken Geschichtsschreibung
und Tragödie eingeordnet werden, um von da aus Sallusts literarischen Hintergrund
und andere aus dem zeitlichen Kontext ausgehende Einflüsse, die in den
Werken ohne Zweifel vorhanden sind und mehrfach offen zu Tage treten, erhellen
und verstehen zu können. Für die Einzelanalysen sind Textpassagen
oder Gestaltungsmerkmale ausgewählt worden, die aufgrund ihrer Eigenheit
dichter und aussagekräftiger zum Autor stehen als allgemeinere Darstellungsteile.
Die Schwerpunkte liegen hier auf den Proömien und den historischen Exkursen
sowie auf besonderen Gestaltungsmerkmalen in der Erzählung und den Personen-darstellungen.
Als hilfreiche Unterstützung für die Interpretation der genannten
Stellen und deren Einordnung in die Geschichtsauffassung Sallusts sollen hier
neben den bereits genannten Werken die Aufsätze und Monographien von Paul
, Leeman , Neumeister , Glücklich und Drexler als exemplarischer Ausschnitt
genannt sein. Der Rahmen für gattungsformale Vergleiche wird bezüglich
der antiken Geschichtsschreibung durch Meister , Lendle und Luce , bezüglich
der antiken Tragödie durch von Fritz , Harsh , Liebermann und Opelt gesetzt.
Die modernen Interpretationen der Geschichtswerke Sallusts gehen von den antiken
Rezeptionen aus, die bis in Sallusts eigene Lebenszeit zurückreichen. In
die Deutung der historischen Monographien muß aber auch der zeitgenössische
literarische Kontext Sallusts miteinbezogen werden, durch welchen der Inhalt
und die Gestaltung von Sallusts Werken beeinflußt sein können.
Als Vorläufer, Ansatzpunkte und auch Quellen zumindest für den Catilina
sind mit Sicherheit die catilinarischen Reden Ciceros und unter Vorbehalt der
Existenz dessen angeblich posthum erschienene Rechtfertigungsschrift "de
consiliis suis" anzuführen. Diese Zeugnisse eines unmittelbar Beteiligten
müssen Sallusts eigene Wahrnehmung der Ereignisse im Nachhinein trotz oder
gerade wegen möglicher politischer Vorbehalte ebenso stark beeinflußt
haben wie die sprachlichen Vorarbeiten und Quellenforschungen eines Lucius Ateius
Philologus, der für Sallust und später für Asinius Pollio altertümliche
Wendungen gesucht haben soll. Inwieweit Sallust sich von diesen Umständen
sowie von zeitgenössischen Ansichten und der politischen Situation in den
späten vierziger Jahren in seiner Komposition und seinen Wertungen hat
beeinflussen lassen, muß an einzelnen Textpassagen eingehender diskutiert
werden.
In anderen antiken Historikerquellen finden sich jedenfalls Sallust widersprechende
Darstellungen und Wertungen. Die bruchstückhaften, von Schwartz zum Teil
aus Cassius Dio erschlossenen Fragmente des Livius bezüglich der catilinarischen
Verschwörung deuten darauf hin, daß dieser weniger der Darstellung
Sallusts als vielmehr der Tradition Ciceros folgt und am Ende optimistischer
und eindeutiger als Sallust den Sieg des Staates feiert.
Noch weniger Anknüpfungspunkte an Sallust finden sich in den Biographien
des Plutarch , welcher trotz einiger Ähnlichkeiten zu Sallust neben den
detailreicheren Darstellungen Ciceros und Livius` in erster Linie auf Fenestella
zurückgegriffen haben muß. Die romanhafte Darstellung des Appian
schließlich geht in ihren inhaltlichen Wertungen und den Anordnungen der
Geschehnisse besonders aufgrund der ähnlichen politischen Anschauung auf
Sallust zurück.
Sallusts Darstellung der catilinarischen Verschwörung hat in Auseinandersetzung
mit Ciceros Zeugnissen durchaus für einige antike Historiker nicht nur
zu Tadel und Abgrenzung geführt, sondern auch als inhaltliche und stilistische
Quelle oder sogar als Vorbild gedient. Dennoch setzt man sich in der Antike
nicht nur mit seinen Stil und der vermeintlichen aemulatio des Thukydides oder
des älteren Cato auseinander, sondern Sallust wird überwiegend wegen
des vermeintlichen Widerspruches zwischen dem moralischen Anspruch seiner Schriften
und seinem angeblich zügellosen Privatleben kompromittiert.
Daß Vorwürfe über ein angeblich unsittliches Privatleben benutzt
werden, um politisch unbequeme Denker und damit auch ihre Schriften oder Programme
zu diskreditieren, ist sicherlich keine Erfindung der Neuzeit. Ebenso aber wie
etwa in der senatorisch-propagandistischen Überlieferung zu Caligula mischen
sich auch in den Vorwürfen gegen Sallust Dichtung und Wahrheit. Wichtig
ist aber, daß es für die Analyse von Sallusts Geschichtsrezeption
und -konzeption nur von sekundärer Bedeutung sein kann, ob und inwieweit
Sallust selbst in seinem politisch aktiven Leben seinen eigenen moralischen
und politischen Anforderungen gefolgt ist. Bei einer Beurteilung müssen
neben seiner persönlichen Herkunft auch die besonderen Zeitumstände
der späten Republik miteinbezogen werden. Gerade weil Sallust in den Proömien
freimütig seine Jugendfehler bekennt, läßt diese Aufrichtigkeit
auch die üblichen Darstellungsschwerpunkte als begründete Wertungen
erscheinen, so daß, wie noch zu zeigen sein wird, der Vorwurf der bewußten
Geschichtsfälschung damit seine Grundlage verliert.
Die umfangreichste, in Schwerpunkte gegliederte Bibliographie über die
moderne Sallustforschung findet sich noch immer bei Leeman . Darüber hinausgehend
lassen sich ausführliche, meist kommentierte Forschungsübersichten
aktuelleren Datums finden. In erster Linie können hier Becker mit einem
Überblick bis 1970, Neumeister , der sich kommentierend auf die Jahre 1961-1981
konzentriert, und schließlich Ledworuski , deren umfangreicher Forschungsüberblick
in eine allgemeine Übersicht zum Sallust-Bild und in einen spezielleren
Teil zur Fehlerdiskussion in der Sallustforschung aufgegliedert ist, angeführt
werden. Dazu gehört schließlich noch die sehr informative und fundierte
Untersuchung über die antike Sallust-Rezeption von Schwartz , mit deren
Hilfe die antiken Hintergründe der heutigen Sallustdiskussion hinterfragt
werden können.
Die aktuelle Forschung über Geschichtsbild, Geschichtskonzeption und Philosophie
Sallusts ist so umfangreich und vielschichtig wie noch nie zuvor. Aufgrund seiner
besonderen Lebensumstände und Lebenszeit ebenso wie aufgrund seiner leidenschaftlichen
und oft rücksichtslosen Stellungnahmen zum römischen Staatswesen und
dessen politischer Eliten bietet Sallust seit der Antike unzählige Ansatzpunkte
für literaturwissenschaftliche und historische Fragen an seine Person und
seine Werke.
Als Begründer der neuzeitlichen Tendenz-Hypothese kann Mommsen verstanden
werden, dessen Überlegungen von Schwartz 1897 weitergeführt und gedeutet
werden. Schwartz und auch noch die ihm folgenden Alheit , Gebhardt und Patzer
verstehen Sallust als leidenschaftlichen, politischen Tendenzschriftsteller,
der mit den eigenen historischen Monographien seinen politischen Führer
Caesar gegen die vermeintlichen Vorwürfe und Angriffe Ciceros verteidigen
wolle. Diese These wird im folgenden von Drexler dahingehend modifiziert, daß
er Sallust nicht mehr als Parteischriftsteller, sondern vielmehr als Historiker
sieht, der um den römischen Staat im ganzen besorgt ist.
Weiterhin stehen vor allem die offensichtlichen und hintergründigen Fehler
in Sallusts Monographien im Mittelpunkt der Diskussion. Während Büchner
die Geschichtsschreibung Sallusts als eine große Leistung würdigt,
weil dieser alle Bezüge des Entscheidens und Handelns in seiner Darstellung
bewußt mache, versteht Wimmel die zeitlichen Ungenauigkeiten Sallusts
als raffinierte Umgestaltungsmittel, mit denen er das reale Geschehen in sein
Geschichtsbild einordnen wolle. Drexler wiederum vermutet gegen Wimmel die Ursache
für die chronologischen Ungenauigkeiten Sallusts in der Nachlässigkeit
des Autors bei seiner Quellenarbeit und Bringmann kann dazu nachweisen, daß
weniger historische Nachlässigkeit, sondern vielmehr künstlerisch-literarische
Gestaltungsabsichten als Ursachen für die chronologischen Probleme bei
Sallust in Frage kämen. Ledworuski schließlich klassifiziert und
interpretiert alle vorkommenden Arten und Ursachen der historischen Widersprüche
bei Sallust. Obwohl sie Sallust bewußte und unbewußte Wertungen
nachweist, erklärt sie diese aus dem psychosozialen und politischen Kontext
und der literarischen Tradition heraus, ohne Sallust den Status als Historiker
abzusprechen.
Im Zusammenhang mit der Frage nach literarischen Vorbildern Sallusts stehen
auch Untersuchungen zu seinem Stil und seiner Sprache. In der Forschung wird
Sallust als Nachahmer von Thukydides, Poseidonios, Polybios und des älteren
Cato erkannt und verschiedentlich der moralischen, rhetorischen oder tragischen
Geschichtsschreibung zugeordnet. Sprachlich werden sowohl Parallelen zu seinen
historiographischen Vorbildern als auch zur Dichtung gefunden.
Des weiteren ordnen andere Gesamt- oder Teilinterpretationen die Geschichtsschreibung
Sallusts in den politisch sozialen Kontext seiner Zeit und seiner persönlichen
Lebenserfahrung ein. Die bedeutendsten Ansätze verstehen Sallust als Feind
der Nobilität , eifersüchtigen Rivalen Ciceros , als einen Historiker,
der um das Wohl des römischen Staates besorgt sei, als Senatsanhänger
und Kritiker monarchistischer Bestrebungen , als Moralisten sowie als Sympathisanten
des Antonius.
Sallust steht nicht außerhalb der literarischen Tradition. Nicht zu Unrecht
wird ihm besonders inhaltliche und methodische Nähe zu Platon, Thukydides,
Poseidonios, Polybios und Coelius Antipater zugeschrieben.
Im folgenden sollen die äußeren Beurteilungsraster kurz umrissen
werden, vor deren Hintergrund die Einordnung und Bewertung der sallustischen
Geschichtsauffassung erfolgen soll, um von da aus beurteilen zu können,
ob und wie weit einzelne Aspekte seiner Geschichtsdarstellung auf tragische
Konzepte zurückgeführt werden können, wie Leeman dies vorschlägt.
Dafür werden in diesem Kapitel die Hauptrichtungen der antiken Geschichtsschreibung,
insbesondere die tragische und rhetorische, und daran anschließend die
Grundmuster der klassischen griechischen und senecaischen Tragödie kurz
skizziert.
Sallust steht mit seiner Geschichtswahrnehmung und -konzeption in der Tradition und im Einfluß der antiken historiographischen Theorien und Vorbilder. Um die Phänomene seiner Geschichtsschreibung umfassend interpretieren und einordnen zu können, wird im folgenden der theoretische Rahmen sowie die Ausprägungen der antiken Historiographie abgesteckt, die nach der Charakterisierung von Sallusts Monographien zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit seinem literarischen Schaffen beitragen können. Dafür werden zuerst die Theorien und Formen der antiken griechischen Geschichtsschreibung, dann die darauf beruhenden, zum Teil weiterentwickelten Ausprägungen der römischen Historiographie bis Sallust und schließlich die für eine Interpretation Sallusts besonders entscheidenden Formen der tragischen, moralischen und rhetorischen Geschichtsschreibung in der hellenistischen Zeit in ihren wichtigsten Punkten umrissen.
Als älteste Formen griechischer Vergangenheitserklärung dürfen
die mythischen Epen von Homer und Hesiod aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. angesehen
werden. Die Epen Homers sind dabei dem Kreis des sogenannten Kyklos, einem epischen
Kranz weitgehend verlorener archaischer Epen zuzuordnen. Diese werden als unter
ein bestimmtes Leitmotiv gestellte Ausschnitte der in der Antike von einzelnen
Rhapsoden vorgetragenen Überlieferungstraditionen verstanden, welche die
Erinnerungen der Griechen an die Auseinandersetzungen mit Troja aus der mykenischen
Zeit mündlich tradieren. Hier vermengen sich reale historische Erinnerungen
mit einem mythischen und statischen Welt- und Geschichtsbild, in dem die Götter
und das Schicksal das Leben der Menschen gestalten und lenken. Obwohl historisches
Bewußtsein und chronologische Wahrnehmung hier nur durch genealogische
Verbindungen oder Augenzeugenberichte hergestellt werden können, treten
dennoch bereits der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ebenso
die in der griechischen Geschichtsschreibung typischen ethnographischen, geographischen
und historischen Vorstellungen hervor. Diese Elemente der perivplou" und
perihvgesi" stehen in enger Beziehung mit der im 8. Jahrhundert v. Chr.
einsetzenden Kolonisation und den daraus erwachsenden Bedürfnissen nach
detaillierten und informativen Erkundungen und Berichten über noch unbekannte
mögliche Kolonisationsziele.
Im Gegensatz zu der eher gegenwärtig gedachten und über die Zuordnung
zu einzelnen Heroen hergestellten Vergangenheitsvorstellung besteht Hesiods
weitergehende Leistung darin, in seinen e[rga kai; hJmevrai die eigene Gegenwart
in das Modell der aus dem Orient stammenden Weltzeitalter einzubinden und den
Menschen dabei in der Geschichte zu verankern. Wie in seiner Theogonie ist dabei
das Leben der Menschen mit den Göttern verwurzelt, die Menschheit wird
aber schon als zusammenhängende Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Vergangenheit
verstanden.
Nach den frühen historiographischen Ansätzen in den Werken der vorsokratischen
Naturphilosophen aus Milet, Elea, Abdera und anderen Kolonien in Kleinasien
oder Süditalien entwickelte sich daraus die Geschichtsschreibung als eigene
explizite Literaturgattung. Zu den ältesten griechischen Historikern gehören
Hekataios von Milet, Akusilaos von Argos, Ion von Chios und Antiachos von Syrakus.
In den häufig äußerst bruchstückhaften Fragmenten finden
sich neben genealogischen, geographischen und ethnographischen Elementen der
perivplou" und Genealogien erstmals eigene Ansichten und Urteile der Autoren,
die sich zwar noch weiterhin auf den Mythos berufen, die dort angegebenen Informationen
aber durch eigene Erfahrungen oder kritische Überlegung hinterfragen. Die
sich daraus entwickelnde Rationalisierung der Forschung und des Wissens bildet
in Verbindung mit der Zerstörung des mythischen Weltbildes die Voraussetzung
für die wegweisenden Leistungen der großen Geschichtsschreiber Herodot,
Thukydides und Xenophon im Griechenland der klassischen Zeit.
Herodot (ca. 480-425 v. Chr.) wird nicht zu Unrecht als "Vater der Geschichtsschreibung"
bezeichnet. Er verbindet in seinem neun Bücher umfassenden Geschichtswerk
als erster belehrende und unterhaltende Elemente, die vor dem Hintergrund neuer
philosophischer Überlegungen zum Wesen der Geschichte und zur Geschichtsschreibung
stehen. Sein auf zahlreichen Fernreisen in Auseinandersetzung mit den Werken
des Hekataios erworbenes geographisches und ethnographisches Wissen, die Einsicht
in amtliche Dokumente sowie seine persönlichen Erfahrungen in den Perserkriegen
dienen Herodot ebenso wie alte periegetische Quellen als Grundlage , die Ergebnisse
seiner Forschungen über Taten, Geschehnisse und Werke von Griechen und
Nichtgriechen darzustellen und damit diese vor dem Vergessen zu bewahren, nicht
ohne auf mögliche Unzuverlässigkeit seiner vor allem mündlichen
Quellen hinzuweisen.
Im Gegensatz zu den alten, genealogisch-relativen Datierungen, versucht Herodot
erstmals, Quellen aus Kleinasien hinzuzuziehen und eine zeitliche Berechnung
nach persischen, syrischen und medischen Königen sowie griechischen Herrscher-
und Heroengenerationen durchzuführen. Solche Datierungen können aber
ebenso wie das Zählen der Jahre nach bedeutsamen Ereignissen, welches Herodot
für die jüngere Vergangenheit anwendet, nur äußerst ungefähre
und manchmal auch widersprüchliche Erkenntnisse zu historischen Zusammenhängen
liefern. Augenscheinlich legt Herodot in seiner gesamten Darstellung weniger
Gewicht auf nachprüfbare, objektive historische Wahrheit und Authentizität,
sondern vielmehr auf eine künstlerische, sorgfältig komponierte Darstellung,
die mit affektiven und poetischen, also vordergründig vor allem der Unterhaltung
dienenden Effekten, arbeitet und mit der Einbindung von Reden und Gesprächen
seine tieferen Erkenntnisse über Wesen und Gesetzmäßigkeit der
menschlichen, theonomisch geprägten Geschichte zum Ausdruck bringen soll
und deshalb auch von dem sich ganz der objektiven Wahrheit verpflichtet fühlenden
Thukydides später kritisiert wird.
Thukydides (ca. 455-395 v. Chr.) selbst setzt mit seinem Bericht über den
Peloponnesischen Krieg (431-404) die Maßstäbe für die antike
Geschichtsschreibung. Dies gilt nicht nur für seinen kritischen Umgang
mit alten Quellen in seiner Archäologie der griechischen Vorgeschichte
, sondern vor allem für seine methodische Darstellung mit der Einbettung
von Reden, erklärenden Exkursen und auch für die sorgfältigen
Datierungen und für die zugrundeliegende Geschichtsphilosophie. Auch wenn
Thukydides in seinem Werk kaum explizit über seine Geschichtsphilosophie
schreibt, wird dennoch seine absolute Verbundenheit mit dem logisch-rationalen
Denken der zeitgenössischen Sophistik und Medizin mehrfach deutlich. Damit
leugnet er das bei Herodot noch allgegenwärtige Verständnis von einer
Geschichte, die als übermächtiges Schicksal von den Göttern gelenkt
wird.
Thukydides stellt den Nutzen seiner Geschichtsschreibung, den der Leser aufgrund
der möglichen Wiederholbarkeit der geschilderten Ereignisse aus ihr ziehen
könne, deutlich über die einfache literarische Unterhaltung des Lesers.
Es werden die politischen Ursachen für die Entstehung von Kriegen nachvollziehbar
dargestellt , bedeutende, für die Geschichte wichtige historische Persönlichkeiten
oder beteiligte Staaten in dialektischen Redenpaaren charakterisiert und miteinander
vergleichend in Beziehung gesetzt , wobei Thukydides in der Konzeption der Reden
das Einfühlen in das wahrscheinlich Gesagte über den eigentlichen
Wortlaut der wirklich gehaltenen Reden stellt.
Obwohl sich der Stil des Thukydides als ein nüchterner, rationaler Bericht
der vornehmlichen Ursachen und Ereignisse zeigt, in dem affektvolle Schilderungen
von Schlachten und Greuel fehlen, wirken die schlichten Zusammenfassungen und
Ergebnisse der kriegerischen Auseinandersetzung als Argumente gegen den Krieg.
Das zeitlich und thematisch eingeschränkte Geschichtswerk des Thukydides
wird ebenso wie sein historiographischer Stil mit dem Einsatz von Redenpaaren
immer wieder als Vorbild für die Monographien Sallusts herangezogen. Dabei
finden sich zahlreiche äußere und innere Gestaltungsähnlichkeiten,
die zumindest darauf schließen lassen, daß Sallust das Werk des
Thukydides gekannt haben und auch von ihm beeinflußt worden sein muß.
Ob dieser Einfluß aber über äußere Gestaltungsmerkmale
hinaus auch für das Geschichtsbild und die innere Einstellung des Autors
zu seinem Werk besteht, wird sich erst bei den Einzelinterpretationen zu Sallusts
Monographien untersuchen lassen.
Xenophon (ca. 430/425-355 v. Chr.) schließlich weicht am Ende der klassischen
Zeit von der strengen Seriosität des Thukydides ab. Er schreibt vornehmlich
aus eigener Erinnerung und eigener Anschauung heraus. Seine Werke Hellenika,
Anabasis, Agesilaos und die Kyroupädie sind von seinen subjektiven Erlebnissen
bei den Persern geprägt und stehen auch in ihrer literarischen Gestaltung
schon auf der Schwelle zum Hellenismus. Während er in den ersten Büchern
der Hellenika für die Aufarbeitung der Jahre 411-404 noch stilistisch und
inhaltlich an Thukydides anknüpft, führt die Anabasis eine neue Gattung
von Kriegserinnerungen ein, in denen Xenophon unverblümt seine eigenen
Leistungen hervorhebt. Das Enkomion auf Agesilaos und die Kyroupädie schließlich
sind nur bedingt als Geschichtsschreibung zu bezeichnen, weil im ersten die
Taten des spartanischen Königs nicht im Sinne eines historischen Berichts
realer Begebenheiten und deren Ursachen, sondern als Aspekte seines zu lobenden
Charakters funktionalisiert werden, und weil im zweiten nicht die reale historische
Erziehung Kyros II., sondern theoretische und philosophische Betrachtungen über
die ideale Erziehung von zukünftigen Herrschern im Vordergrund des literarischen
Interesses stehen.
Die Bedeutung Xenophons besteht weniger in einer großen literarischen
Geschichtsschreibung, sondern vielmehr zum einen in der stilistischen und inhaltlichen
Vielfalt seiner Werke sowie zum anderen in der Tatsache, daß er an allen
von ihm geschilderten historischen Großereignissen beteiligt war und von
daher aus eigener Erfahrung und eigenem subjektiven Empfinden heraus schreibt.
Für die hellenistische Zeit sind als bedeutende methodische Vorgänger
Sallusts besonders Polybios und Poseidonios von Bedeutung, welche im Zusammenhang
der verschiedenen historiographischen Gattungen und Methoden der hellenistischen
Zeit stehen.
Polybios von Megalopolis (ca. 200-118 v. Chr.) spielte nicht nur eine bedeutende
militärische Rolle als Hipparchos im Achaiischen Bund während des
makedonischen Kampfes gegen die Römer, sondern lernte zwischen 167 und
150 v. Chr. als Geisel die Konstitution des römischen Staates und Kriegswesens
aus eigener Anschauung kennen.
Die Ausbildung der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios liegt im
Vergleich des Römischen Reiches mit den großen griechischen Reichen
der Vergangenheit begründet, durch welchen er die Ursachen und Hintergründe
der großen staatsbildenden Leistung der Römer herauszustellen versucht.
Dabei führt Polybios den Erfolg des römischen imperium auf die typisch
römischen Sitten und Institutionen zurück, nicht ohne die elementare
Bedeutung der Tyche zu betonen. Er schreibt für ein griechisches Publikum
und sieht sein Geschichtswerk in erster Linie als didaktische Unterweisung griechischer
Staatsmänner, die aus der dargestellten römischen Geschichte lernen
sollen. Gegenstand der historischen Darstellung ist in den Büchern 1 und
2 ein zusammenfassender Überblick über die Zeit vom Beginn des ersten
Punischen Krieges 264 bis zum Jahr 220, in den Büchern 3-29 folgt eine
Universalgeschichte des Mittelmeerraumes mit dem Schwerpunkt des römischen
Aufstiegs zur Weltmacht an, die Bücher 30-40 schließen als Nachtrag
die für Polybios zeitgeschichtlichen Jahre 168-145 ab, in der sich die
römische Weltherrschaft mit der endgültigen Zerstörung Karthagos
gefestigt habe. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf Übergängen zwischen
verschiedenen politischen Verfassungen, unter denen sich die römische monarchistisch-demokratische
Mischverfassung trotz zyklischer Krisen und Veränderungen als die stabilste
und expansivste herausgestellt habe.
Obwohl auch Polybios auf die literarisch anschauliche Gestaltung seiner Historien
durch Einbindung von Reden und Exkursen Wert legt, ist für ihn die geschichtliche
Wahrheit und eigene Unparteilichkeit oberstes Ziel, so daß er manche seiner
historiographischen Vorgänger wegen ihrer historischen Ungenauigkeit oder
mangelhaften Sachkenntnis kritisiert , obwohl auch er selbst diesem Wahrheitsanspruch
nicht immer gerecht werden kann. Seinen eigenen historischen Ansatz nennt er
selbst politisch-militärisch, seine Form der Darstellung ist detailliert
erklärend und will die Ursachen der Ereignisse verdeutlichen. Diese Erklärungen
bleiben aber häufig einseitig und mechanisch, weil Polybios die Ereignisse
in sein theoretisches Geschichtsbild hineinzwängt. Für seine historischen
Bewertungen sind nicht moralische oder gar nationalistische Erwägungen
von Bedeutung, sondern letztendlich nur der historische Erfolg einer politischen
Gemeinschaft.
Poseidonios von Rhodos (ca. 135-51 v. Chr.) beschäftigt sich als Universalgelehrter
mit Philosophie, Naturwissenschaften und mit der Geschichtsschreibung. Sein
auf zahlreichen Reisen in den Orient und den römischen Westen erworbenes
Wissen und die Gründung einer philosophischen Schule auf Rhodos verschafften
ihm einen so bedeutenden Ruf, daß zahlreiche römische Politiker wie
Lucullus, Varro, Cicero und Pompeius seine Bekanntschaft suchten. Cicero bat
ihn sogar um eine historiographische Darstellung seines Konsulats von 63 v.
Chr., durch das er seine eigenen Leistungen bei der Niederschlagung der catilinarischen
Verschwörung verewigt sehen wollte. Obwohl von Poseidonius' zahlreichen
Schriften nur wenige Fragmente erhalten sind, ist es dennoch sicher, daß
er diesem Wunsch nicht nachgekommen ist.
Neben einer Monographie über Pompeius sind von Poseidonius geologische
und ethnographische Betrachtungen sowie eine das Werk des Polybios fortsetzende
universalhistorische Abfassung in 52 Büchern für die Zeit von 145
v. Chr. bis in die sullanische Zeit bekannt. Aufbauend auf seinen eigenen kulturhistorischen
Forschungen und den Werken des Ephoros, Timaios, Agatharchides und des Polybios
bildet das Geschichtswerk des Poseidonios ein universales Konglomerat verschiedener
Disziplinen und Stile, die sich an die herodotische Themenvielfalt, an die scharfe
Ursachenforschung des Thukydides und die peripatetischen Historiker anschließen.
Bei Poseidonios finden sich deshalb bildhafte, mimetische Elemente, die den
Leser das historische Geschehen wie auf einer Bühne miterleben lassen.
Die rhetorisierende Darstellungsweise und vor allem die auf der stoischen Lehre
eines alles durchdringenden Logos beruhende Dekadenztheorie hat die römische
Geschichtsschreibung, besonders bei Sallust und Tacitus nachhaltig beeinflußt.
Neben dem Einfluß der großen griechischen Historiker auf die sallustische
Geschichtsschreibung ist auch die Bedeutung der vorangegangenen römischen
Geschichtsschreibung für Sallusts literarisches Schaffen nicht gering einzuschätzen..
Da die römischen Formen der Geschichtsschreibung, soweit sie inhaltlich
für das Verständnis von Sallust von Belang sind, auf die bereits bearbeiteten
griechischen Historiker oder auf die im folgenden Kapitel einzeln dargestellten
historischen Stile und Disziplinen zurückgehen , beschränkt sich dieses
Kapitel auf einen kurzen Abriß der inhaltlichen Tradition und der sprachlichen
Entwicklung.
Die Tradition der römischen Geschichtsschreibung geht auf die frühen,
formlosen Aufzeichnungen der Pontifikalannalen zurück, in denen die römischen
Oberpriester, nach Amtszeiten der Consuln datiert, die wichtigsten Ereignisse
der einzelnen Jahre aufgezeichnet haben. Der knappe, schmucklose, aber durchaus
präzise Stil dieser Annalistik hat die Form der folgenden römischen
Historiographie nachhaltig geprägt.
Neben den grichisch-hellenistischen Einflüssen sind für die Ausbildung
einer eigenen römischen Geschichtsschreibung das Geltungsbedürfnis
römischer Aristokraten, die ihre Taten für den Staat schriftlich verewigt
sehen wollten, die kulturellen Emanzipationsbestrebungen der Römer gegenüber
der kulturell noch überlegenen griechischen Welt sowie auch die Einflüsse
der bildenden Kunst und des frühen römischen Epos entscheidend. Die
allgemeinen Hauptmerkmale der römischen Geschichtsschreibung bestehen aus
ausgeprägtem Patriotismus und Moralismus, einer der römischen Lebenseinstellung
entsprechenden Konzentration auf Rom und auf die freie Verantwortung des einzelnen
Individuums. Zu den wesentlichen Ausprägungen dieser Gattung zählen
die stilistisch eher anspruchslose Annalistik, die literarisch ausgefeilte historische
Monographie und der amtlich-nüchterne commentarius.
Die Reihe der für Sallusts Stil und Geschichtsauffassung nicht unbedeutenden
römischen Geschichtsschreiber zieht sich von Quintus Fabius Pictor (3.
Jh. v. Chr.) über Marcus Porcius Cato (234-149 v. Chr.) und Lucius Coelius
Antipater (2. Jh. v. Chr.) bis zu Lucius Cornelius Sisenna (119-67 v. Chr.).
Während Q. Fabius Pictor noch mit autobiographischen Erlebnissen angereicherte
Annalen in griechischer Sprache als römischer Historiker für ein griechischsprachiges
Publikum schreibt , bringt Cato die Geschichtsschreibung endgültig nach
Rom. Neben zahlreichen Reden und Schriften über Militärwesen, Erziehung
und Ackerbau stellt er in den fast vollständig verlorenen origines nicht
nur die Frühgeschichte Roms, sondern auch die nähere Zeitgeschichte
(bis 149 v. Chr.) dar. In scharfer Abgrenzung zur griechischen Welt weisen die
Schriften Catos einen betont didaktisch-moralischen Charakter auf. Trotz stilistischer
und inhaltlicher Anlehnung an die griechische Kultur mit geographischen und
etymologischen Elementen schreibt er bewußt in römischer Alltagssprache
und mischt rhythmisch längere und kurze Sentenzen, die den Stil Sallusts
weitgehend beeinflußt haben.
Beginnt mit Cato eine lateinische, ganz auf ein römisches Publikum ausgerichtete
Form didaktisch-moralischer Geschichtsschreibung, so wird Coelius Antipater
als Begründer der historischen Monographie angesehen. Seine Geschichte
des 2. Punischen Krieges in sieben Büchern lehnt sich an die hellenistische
Historiographie an und verbindet ein umfangreiches Quellenstudium mit einem
künstlerischen, rhetorisch fundierten Ausdruck, der sogar mit einigen dramatischen
Elementen an die peripatetische Geschichtsschreibung heranreicht. Als stilistischer
Vorgänger des Sallust hat Coelius Antipater seine Geschichtskonzeption
des Sallust ebenso beeinflußt wie Cato und Cornelius Sisenna die Sprache.
Die Historien des Sisenna in 12 Büchern zeichnen sich besonders durch ihre
reiche Ausstattung mit hellenistischen Darstellungsmitteln aus. Dazu zählen
eine dramatische Erzählweise, Exkurse, Reden und inhaltlich eine sorgfältige
Anordnung des Stoffes. Sallust setzt in seinen Historien nicht nur das Geschichtswerk
des von ihm als Historiker bewunderten Sisenna fort, sondern er ähnelt
ihm auch in der archaisierenden Sprache und der inhaltlichen Verbindung von
pragmatischer und peripatetischer Geschichtsschreibung, obwohl Sisennas politischer
Standpunkt für Sallust tadelnswert bleibt.
Neben den Annalen, der Universalgeschichte und der historischen Monographie
ist für die römische Geschichtsschreibung noch der von der hellenistischen
pragmatischen Geschichtsschreibung beeinflußte commentarius, ein formloser
und sachlicher, dennoch aber literarisch und sprachlich ausgereifter Tatenbericht
römischer Feldherren , von bereichernder Bedeutung.
Insgesamt betrachtet stellt sich die römische Geschichtsschreibung bis
Sallust als eine in Methoden und Theorien vom hellenistischen Kulturkreis und
verschiedenen Literaturgattungen beeinflußte , dennoch aber in Sprache,
Stil und Inhalt eigenständige und vielschichtig ausgeprägte Literaturform
dar, die das politische Bedürfnis besonders der römischen Oberschicht
nach Erklärung der römischen Geschichte und Verewigung der eigenen
Leistungen erfüllen soll, wodurch bedingt der Fokus der früheren römischen
Geschichtsschreibung auf den großen und zentralen historischen Ereignissen
liegt und nur die großen historischen Gestalten sich als Träger und
Lenker der historischen Ereignisse erweisen.
Die Geschichtsschreibung bietet besonders ausgedienten oder frühzeitig
politisch entmachteten römischen Politikern die Möglichkeit, ihr otium
sinnvoll für ihr eigenes Andenken und als praktischen Nutzen für den
Staat einzusetzen, aus welchem Grund es sich bei den Werken der älteren
Geschichtsschreiber bis Livius fast ausnahmslos um Alterswerke römischer
Politiker handelt. Diese utilitaristische Auffassung ist ebenso auffällig
wie eine starke Konzentration auf die politische Geschichte in Rom und ihre
tiefere Bedeutung unter Ausblendung anderer Kulturen und auf die individuelle
Zeitgeschichte oder die Ursprungsgeschichte der unmittelbaren soziokulturellen
Umgebung. Der Ton dieser Literatur ist grundsätzlich ernst und würdevoll
und orientiert sich in didaktischer Absicht an den tradierten moralischen Normen
und Werten, ohne durch kritische Quellenforschung die Vergangenheit nachempfinden
oder in der Darstellung wiederaufleben lassen zu können.
Nach näherer Betrachtung der stilistischen und sprachlichen Tradition
der klassischen griechischen und römischen Geschichtsschreibung und deren
möglichen Wirkung auf Sallust, ist es abschließend noch von elementarem
Wert, drei einzelne historiographische Stilformen der hellenistischen Geschichtsschreibung
miteinander zu vergleichen, um die Stellung von Sallusts eigener Geschichtskonzeption
im Brennpunkt dieser verschiedenen Ansätze bestimmen zu können. In
der Forschung werden für eine Einordnung Sallusts immer wieder Elemente
der rhetorischen, pragmatischen und peripatetischen Geschichtsschreibung herangezogen.
Deshalb stehen diese in hellenistischer Zeit entwickelten Stilrichtungen im
Mittelpunkt dieses Kapitels.
Die rhetorische Geschichtsschreibung geht direkt zurück auf den großen
Rhetor Isokrates von Athen (436-338 v. Chr.) und den Sophisten Gorgias von Leontinoi
(ca. 480-380 v. Chr.), welche als Begründer der antiken Rhetorik die Diktion
und den Stil der Rhetorik durch Anwendung rhetorischer Stilmittel prägen
und damit rhetorische Schriften als eine ebenso bedeutende Form der Kunstprosa
neben die Poesie und die Philosophie stellen.
Die zunehmende Bedeutung der Rhetorik im Staat und in der Gesellschaft Athens
hat Ephoros von Kyme, einen Schüler des Isokrates, im 4. Jahrhundert v.
Chr. beeinflußt, unter Verzicht auf die mythische Epoche eine griechische
Universalgeschichte von der dorischen Wanderung an bis in das Jahr 356 v. Chr.
zu schreiben. Aufgrund der deutlich rhetorisch geprägten stilistischen
und sprachlichen Ausarbeitung seiner Werke, der Einbindung tropischer Figuren
und ganzer Reden, durch welche die historische Darstellung an sich häufig
auf Kosten der historischen Genauigkeit zu einem Kunstwerk gestaltet wurde,
muß Ephoros als Begründer der rhetorischen Geschichtsschreibung angesehen
werden, deren primäre Stilelemente auch bei Theopompos von Chios und Anaximenes
von Lampsakos zu entdecken sind, deren Grundprinzipien aber die gesamte antike
Geschichtsschreibung beeinflußt haben. Trotz der feinen und ausgefeilten
Ausarbeitung seines Werkes gilt der Stil des Ephoros in der Antike als nüchtern
und spannungslos, besonders weil dieser vornehmlich auf dramatische, schauererregende
Szenen nach dem Muster gorgianischer Redefiguren verzichte.
Demgegenüber wird der Stil des Theopompos, eines anderen Schülers
des Isokrates, als mächtig und schwungvoll gelobt, weil dieser das Schreckenerregende
in seiner zeitgeschichtlichen Darstellung Philipps II. von Makedonien und in
seiner JEllenikav geradezu suche und damit gestalterische Bezüge zur peripatetischen
Geschichtsschreibung aufweise.
Die Entstehung der peripatetischen Geschichtsschreibung wird allgemein aus dem
9. Kapitel über die Poetik des Aristoteles abgeleitet, in welchem er die
Geschichtsschreibung von der Dichtung abgrenzt. Während die Geschichtsschreibung
ja nur das Spezifische des menschlichen Lebens, nämlich die konkreten,
historisch gesicherten Fakten und Personen wiedergeben könne, sei die Dichtung
in Form von Komödie, Tragödie und Fabel in der Lage, universale Möglichkeiten
und Wahrscheinlichkeiten faßbar zu machen. Die besondere Leistung der
Tragödie bestehe darin, daß sie zwar teilweise mit historischen Gestalten
arbeite, diese aber in neue, potentielle Zusammenhänge und Ereignisse stelle
und damit neue Wahrscheinlichkeiten erzeuge. Aus diesen Gründen heraus
bewertet Aristoteles die Dichtung höher als die Geschichtsschreibung, sie
ist für ihn durch ihre differenzierten Möglichkeiten philosophischer
und ernsthafter als die Historiographie.
Nach Ansicht der modernen Forschung soll diese Abwertung der Geschichtsschreibung
für Theophrastos von Lesbos (370-287 v. Chr.), einen Schüler und Nachfolger
von Aristoteles, die Ursache gewesen sein, die Prinzipien der Geschichtsschreibung
der Tragödie anzunähern. Seine Schrift "peri; Jistoriva""
könnte das vermutete Gestaltungsprogramm der peripatetischen Geschichtsschreibung
enthalten, auf welches die Werke des Duris von Samos (ca. 340-260 v. Chr.) und
Phylarchos von Athen (2. Hälfte des 3. Jh. v. Chr.) zurückgeführt
werden.
Obwohl Duris die rhetorischen Historiker Ephoros und Theopompos wegen ihrer
mangelhaften Genauigkeit und Historizität kritisiert, selbst aber den Anspruch
historischer Wahrheit erhebt, ist seine historische Darstellung selbst sehr
stark auf die emotionale Wirkung und stilistische Gestaltung ausgelegt. Durch
Verwendung zahlreicher literarischer Gestaltungsmittel, durch Einbettung direkter
Reden und durch Erzeugung von Dramatik und Schrecken gelingt ihm eine stilistische
Annäherung an die Tragödie, ohne jedoch die Inhalte der Geschichte
zu einem tragischen Stoff zu machen. Meister schlägt als Bezeichnung für
den Stil des Duris "mimetische ... Sensationshistorie" vor, um sie
von den inhaltlichen Postulaten der echten Tragödie zu unterscheiden.
Die kritische Auseinandersetzung des Polybios von Megalopolis (ca. 200-120 v.
Chr.) mit der Geschichtsschreibung des Phylarchos und die damit verbundene Ausarbeitung
eines eigenen historiographischen Ansatzes hat zur Entwicklung der pragmatischen
Geschichtsschreibung geführt. Polybios kritisiert an Phylarch besonders
seine einseitige, parteiische Darstellung, die Überbeanspruchung grauenvoller,
auf Affekte ausgerichteter Inhalte sowie die Erfindung und Darstellung von Reden,
welche die historischen Personen nur möglicherweise in der dargestellten
Form gehalten hätten. Polybios stellt seine eigenen Vorstellungen von den
Aufgaben eines Historikers dagegen, mit denen er die Geschichtsschreibung wieder
näher an Thukydides heranbringt. Polybios will durch Präsentation
der realen historischen Fakten und Zusammenhänge sein Publikum von seinen
historischen Einsichten überzeugen und für das zukünftige Leben
belehren, während ein tragischer Dichter sein Publikum mit der Darstellung
wahrscheinlicher Ereignisse fesseln und erschüttern wolle.
Insgesamt betrachtet stellt sich die antike Geschichtsschreibung als ein Konglomerat
verschiedener, aufeinander aufbauender oder entgegengesetzter Stilrichtungen
und Stilelemente dar, deren Grenzen häufig miteinander verschwimmen. Die
Zuordnung eines Autors zu einem einzigen Stil ist oft fast unmöglich, da
sich die Geschichtsschreibung in ständiger Auseinandersetzung mit anderen
literarischen Disziplinen, wie etwa der Dichtung, Philosophie und Rhetorik,
und sich ändernden sozialen und politischen Zusammenhängen ständig
weiterentwickelt. Auch die römischen Geschichtsschreiber haben in Anlehnung
an ihre griechischen Vorbilder griechische Konzeptionen vermischt und, mit römischen
Vorstellungen verbunden, zu ganz neuen Formen weiterentwickelt.
In Anlehnung an Leemans Zuordnung sallustischer Stilelemente zur antiken Tragödie und damit zur peripatetischen Geschichtsschreibung sollen im folgenden die wichtigsten Merkmale der klassischen griechischen Tragödie und der Tragödie Senecas präsentiert werden, um damit den Rahmen für die Einordnung Sallusts in die antike Literatur und Weltsicht zu vervollständigen.
Die klassische griechische Tragödie stellt ein in sich abgeschlossenes,
ernstes Bühnenstück mit religiöser, moralischer oder politischer
Bedeutung dar, in dem der Pessimismus des Menschen und die Vergänglichkeit
des Lebens um den Kern der persönlichen Schuld thematisiert wird. Die Handlung
wird auf der Bühne in Versform durch die Schauspieler und einen Chor vorgetragen
und endet entweder in einer glücklichen Auflösung oder weitaus häufiger
in der Wendung der Handlung zur Katastrophe. Der Stoff entstammt dabei weitgehend
dem reichen Mythen- und Legendenfundus der Griechen, aus dem dann einzelne Aspekte
ausgewählt und, auf nur eine Hauptperson und wenige Nebencharaktere bezogen,
zu einer scharfen, gesteigerten Handlung vereint sind. Als Quellen dafür
dienen in erster Linie die alten Epen, in denen Glück und Unglück
noch in größeren Dimensionen gezeigt werden, während in den
Tragödien das Leben des einzelnen Menschen und die Reflexionen des Dichters
darüber in den Mittelpunkt rücken, um durch diesen fokussierten Blickwinkel
höhere Betroffenheit beim Publikum, eine engere Verknüpfung mit dem
eigenen Leben und davon ausgehend eine emotionale und ethische Reinigung zu
erreichen. Die Darstellung historischer Ereignisse dagegen wurde trotz Beschränkung
auf entferntere Zeiten und Orte in Griechenland nie so erfolgreich und populär
wie die mythischen Tragödien.
Die Adaption der griechischen Götter- und Heldenmythen erlaubt das Einfügen
übernatürlicher Ereignisse in die Handlung ebenso wie die erfolgreiche
Wiederaufnahme bereits verwendeter Themen, weil die mythischen Gestalten durch
ihre durchschnittliche Charaktermischung von Tugenden und Schwächen beim
Publikum große Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft besitzen.
Die Psychologie der Akteure ist dabei nicht so entscheidend wie der überwältigende,
tragische Effekt der Katastrophe am Ende des Stückes, aus der sich die
moralischen Ansichten des Autors und die finale Beurteilung des Stückes
herauslesen lassen.
Trotz der großen Themen-, Handlungs- und Aufbauvariationen in den griechischen
Tragödien lassen sich dennoch gemeinsame typische Vorstellungen und Vorgehensweisen
im Aufbau der Dramen erkennen. Als feste Teile der Tragödie bestehen der
Prolog mit Exposition des Themas und Gegenstandes und Beginn der Handlung, der
Parodos mit Einzug des Chores und der damit verbundenen emotionalen Exposition,
dann die einzelnen jeweils von dem Chor durch ein Stasimon unterbrochenen Episoden
und schließlich die Exodos mit Botenbericht und deus ex machina.
Obwohl die Eröffnungssituation schon ominös gehalten ist und den späteren
Fall andeutet, ist die Gesamtstimmung hier noch nicht völlig hoffnungslos
und eher von geringer Emotionalität. Der Hauptcharakter wird vorgestellt
und seine Verstrickung in eine tragische, unvermeidbare Situation vorbereitet.
In den frühen Episoden wird er von den Nebencharakteren bedrängt,
sich von seiner Bestimmung zu befreien und damit den unvermeidbaren tragischen
Fall abzuwenden. In der emotionalen Klimax führt ihn dann ein Wort oder
eine Tat in seine schicksalhafte, ausweglose Katastrophe, welche in der letzten
Episode den bewußt herbeigeführten und erlebten Fall herbeiführt.
Diese Katastrophe und das tragische Ende wird durch den Boten berichtet und
emotionalisiert, während der deus ex machina das Problem lösen, häufiger
aber spektakulär die Zukunft der Charaktere andeuten, Aktualität oder
regionalen Bezug herstellen und die Handlung mit übernatürlichem Wissen
interpretieren und bewerten kann. Die Episoden selbst, deren Anzahl um fünf
variiert, stellen in sich abgeschlossene Phasen der Gesamthandlung dar und enden
mit einer besonderen finalen Note, in der die vergangene Handlung oder eine
Zukunftserwartung thematisiert wird.
Zu den wichtigsten dramatischen Methoden und Charakteristika gehören die
Konzeption eines tragischen Subjekts oder Themas in einer Trilogie, also über
drei vollständige Tragödien hinweg, die Einheit von Handlung, Zeit
und Ort, Vorahnungen, doppelte Motivation, Vermeidung gewalttätiger Taten
auf der Bühne und die Rollenökonomie.
Um die Einheit der Handlung zu gewährleisten, gilt die simple Handlungsentwicklung
ohne Nebenhandlungen als wichtiges Gestaltungsmerkmal, wobei nichts hinzugefügt
oder entfernt werden kann, und die von der Rollenökonomie geforderten wenigen
Charaktere eng durch das Schicksal miteinander verbunden sind. In der Einheit
von Zeit und Ort, die eine kurze, kompakte Handlung in tragischer Konzentration
ermöglicht, sind dennoch Doppelchronologien und Berichte von anderen Orten
durch Botenberichte, Plattformen und Fensterschauen erlaubt.
Trotz Vorahnungen des Publikums durch Kenntnis der mythischen Themen, aus denen
die Tragödien meistens entstanden sind, bildet dieses Basiswissen nur den
Rahmen für das Verständnis der äußeren Handlungsumstände,
während die dramatische Entwicklung durch Variation oder ungewöhnliche
Interpretation der Legenden oder mythischen Personen Interesse und Spannung
hervorruft.
Die tragische Entscheidung des Hauptcharakters und damit die Katastrophe sind
nicht nur durch das Wesen des Menschen, sondern häufig auch durch eine
Gottheit motiviert. In dieser doppelten Motivation ersetzt oder erklärt
das göttliche Motiv das menschliche. Gewalttätige Taten werden auf
der Bühne nicht durchgeführt, sondern nur beschrieben oder auch durch
ein Ergebnis, etwa eine Verwundung angedeutet.
In den Dramen der drei großen griechischen Tragiker Aischylos, Sophokles
und Euripides stehen die Unausweichlichkeit der tragischen Weltordnung und die
Unerbittlichkeit des Schicksals sowie dessen Strenge und Konsequenz im Vordergrund,
indem der tragische Held in eine ausweglose Paradoxie geführt wird, die
trotz moralisch lobenswerter Bemühung nur in die Katastrophe führen
kann. Während die Hauptcharaktere bei Aischylos unter einer existentiellen
Schuld leiden, die erst in der Katastrohe gelöst werden kann , kontrastiert
Sophokles einander entgegenstehende Prinzipien und Gefühle und läßt
den tragischen Helden trotz innerer und äußerer Zerstörung häufig
moralisch gereinigt und erhöht aus der Katastrophe hervorgehen. Euripides
wiederum fokussiert die Sinnkrise des fehlgehenden, tragischen Helden in einer
Normenkollision. Der tragische Konflikt besteht dabei in der Wahl zwischen zwei
miteinander konkurrierenden Pflichten.
Senecas Tragödien sind von einem düsteren, gewalttätigen Weltbild
durchdrungen. In seinen neun nach griechischem Vorbild konzipierten Tragödien
sind die menschlichen Affekte und das Schauerliche allgegenwärtig, atrocitas,
gravitas, maiestas dominieren. Die Interpretation der alten Mythen und die Neubearbeitung
griechischer Tragödien lassen politische und philosophisch-moralische Intentionen
erkennen. Er zeigt den Determinismus der Gewalt, die wieder neue Gewalt hervorruft.
Obwohl das Schreckliche nicht in der inneren Weltordnung verankert ist, deshalb
vermieden werden kann und nur durch das menschliche Fehlverhalten hervorgerufen
wird, kann der autonome Täter das Verbrechen und damit die Katastrophe
mangels Handlungsalternativen nicht verhindern.
Das nefas des tragischen Helden hat verschiedene Bedeutungsschwerpunkte. Die
Verletzung verwandtschaftlicher Bindungen oder der Verstoß gegen natürliche
oder göttliche Rechte können sowohl absichtlich als auch gezwungenermaßen
erfolgen. Für die Opfer gibt es nur Rettung in der stoischen Philosophie
durch emotionale Ruhe und Ausgeglichenheit. Senecas Schicksals- und auch seine
Leidenschaftsdramen wollen durch philosophische Gegenbilder zur Stoa belehren
und auch herrschende politische Umstände kritisieren. Die Tragik wird weder
problematisiert noch ist sie verbindlich, sie soll nur die negativen Wirkungen
der Leidenschaften aufzeigen.
Bereits vom Prolog an herrscht bei Seneca Pessimismus, im zweiten Akt wird die
Determinierung des Hauptcharakters und sein Verbrechensplan trotz guter Intentionen
eines Nebencharakters zum Verbrechen hin verdeutlicht, im dritten Akt wird das
Opfer und sein Unglück, im vierten und fünften Akt die Katastrophe
dargestellt und illustriert. Es gibt hier keine emotionalen Kontraste, keinen
scharf umrissenen tragischen Wendepunkt und auch keinen deus ex machina. Das
sinnlose Verbrechen und das scheinbar selbstverständliche Leiden wird schematisch
und funktional in statischem Nominalstil ohne Suche nach individueller Schuld
abgespult. In einer Welt, in der sich alle positiven Werte wie virtus und dignitas
verkehren, stellen Opfer und Täter als autonom handelnde philosophische
Toren negative Beispiele dar, die das Publikum zu stoischen Philosophie führen
sollen, in der die Tragödie ihre Tragik verliert.
Die Proömien zu historischen Werken, ebenso wie grundsätzlich alle
Proömien, gelten in der Antike als eine eigenständige, besondere literarische
Form und müssen deshalb vom Rest des Werkes getrennt betrachtet werden.
Die Herkunft der Proömientopoi geht auf die antike Rhetorik zurück.
Die Anfänge der Reden dienen dazu, das Wohlwollen, die Neugier und die
Aufmerksamkeit des Zuhörers oder Lesers zu erregen. Dazu gehören literarische
Gemeinplätze (loci communes) typischer literarischer und philosophischer
Motive und Klischees, die der Autor in freier und individueller Gestaltung auf
sein eigenes Thema beziehen kann. Die einzigen theoretischen Übertragungen
der rhetorischen Postulate auf die Geschichtsschreibung stammen zwar aus der
Kaiserzeit und Spätantike , berücksichtigen aber die klassische griechische
Geschichtsschreibung ebenso wie die republikanische römische Geschichtsschreibung.
Als Hauptpunkte der theoretischen Anforderungen an ein historiographisches Proömium
gelten demnach die Unterrichtung des Lesers über den Gegenstand des Werkes
sowie die Erregung von Interesse und Aufmerksamkeit durch Betonung des praktischen
Wertes und Nutzens der Geschichtsschreibung. Diese zentralen Anforderungen werden
ergänzt durch die persönliche Vorstellung des Autors, einen Hinweis
auf die Größe und Würde des Stoffes, die Betonung der eigenen
Wahrheitstreue und Sorgfalt bei der Quellenarbeit sowie durch das Versprechen
einer objektiven und knappen Darstellung. Abgerundet werden diese Topoi schließlich
mit allgemeinen philosophischen Betrachtungen über das Wesen der Geschichtsschreibung
und der persönlichen Auffassung des Autors dazu.
Obwohl seit Thukydides die Gestaltung der historiographischen Proömien
auf literarische Topoi zurückzuführen sind, lassen sich dennoch aus
der individuellen Anordnung, Gestaltung und aus dem Inhalt von Sallusts Proömien
wichtige elementare Informationen über Sallusts Menschenbild, seine philosophischen
Ansichten und darüber hinaus auch über sein Geschichtsbild gewinnen.
Diese Erkenntnisse gilt es im folgenden mit der Konzeption der Monographien
und Sallusts historischem Kontext kritisch zu vergleichen,
Das Catilina-Proömium weist eine deutliche inhaltliche Zweiteilung auf,
wobei der erste Teil (c. 1-2), in welchem Sallust sein Menschenbild und die
daraus folgenden ethischen Prinzipien aufbaut, die argumentative Stütze
für den zweiten Teil (c. 3-4) bildet, in dem Sallust seinen Lebensweg und
die daraus folgende Entscheidung für das frühe politische otium und
die Geschichtsschreibung darstellt.
In der ersten Einheit (c. 1,1-4) des ersten Teils des Proömium fällt
eine Reihe miteinander verbundener Antithesen auf: homines - animalia (c. 1,
1), animus - corpus (c. 1, 2), imperium - servitium (c. 1, 2), di - belua (c.
1, 2), ingenium - vires (c. 1, 3), vita brevis - memoria longa (c. 1, 3), divitiarum
et formae gloria fluxa et fragilis - virtus clara aeternaque (c. 1, 4). Diese
antithetischen Gegenüberstellungen verdeutlichen Sallusts Menschenbild
und auch sein Lebensziel. Der Mensch sei durch Geist und Körper halb göttlich,
halb tierisch und deshalb solle der Geist führen und der Körper dienen.
Während dem Körper Kraft ("uires", vgl. c. 1, 3) und dem
Geist Begabung und Verstand ("ingenium", vgl. c. 1, 3) zugeschrieben
werden, gehört für Sallust die zentrale, berühmte und ewige virtus
eindeutig nur zum Geist (vgl. "uirtus clara aeternaque habetur", c.
1, 4). Als für einen römischen Aristokraten ideales und zentrales
Lebensziel nennt Sallust ewigen, unvergänglichen Nachruhm, der aufgrund
von persönlicher Auszeichnung durch ingenium und virtus des Individuums
gegenüber den anderen Lebewesen erreicht werden könne (c. 1, 1). Jeder
Mensch aber, der danach strebe, solle darauf achten sein Leben nicht in Stille
hinzubringen (vgl. "ne uitam silentio transeant", c. 1, 1). Diese
Bedingung ist insofern ein Umkehrschluß, weil persönliche Auszeichnung
vor anderen auch selbstverständlich ein Hervortreten aus der Stille bedingt.
Dennoch wird bereits im Eingangssatz deutlich, daß für Sallust Leben
und Geschichte der Menschen offen und nicht determiniert sind, denn er behauptet
hier nicht, daß alle Menschen notwendigerweise nach Auszeichnung und Ruhm
streben, auch wenn die altrömische virtus für ihn das höchste
Gut darstellt. Vielmehr stellt Sallust hier nur allgemeine notwendige Bedingungen
für das Erreichen des auf der geistigen Größe beruhenden ewigen
Ruhmes auf.
In der zweiten Einheit (c. 1,5-2,2) wird die überlegene Bedeutung der virtus
animi gegenüber der vis corporis an der Geschichte des Kriegswesens verifiziert.
Obwohl Sallust als Römer die militärische Machtausdehnung als Betätigungsfeld
und Beweis der virtus nicht verurteilt , verweist er in der dritten Einheit
(c. 2,3-2,6) auf die viel größere Bedeutung der virtus animi im Frieden,
denn nur wenn die Machthaber im Frieden ähnlich gute Eigenschaften wie
im Krieg zeigen würden, wäre das Leben der Menschen gleichmäßiger
und beständiger, die Verhältnisse geordnet und die Sitten zusammen
mit der ganzen Lage gut. Es wäre möglich, in diesen Überlegungen
nicht nur einen Vorgriff auf das in der Archäologie (c. 6-13) entwickelte
Dekadenzmodell der römischen Geschichte zu sehen, sondern auch einen Ausdruck
von Sallusts Enttäuschung über Caesar, der als erfolgreicher Feldherr
nach seinem Sieg über alle Gegner Sallusts Erwartungen nach sittlicher
und politischer Neugestaltung der innerrömischen Verhältnisse im Frieden
nicht erfüllt hat. Aber ist er deshalb notwendig ermordet worden, damit
die Herrschaft auf einen Tüchtigeren übergehen konnte? Angesichts
der auf Caesars Tod folgenden Unruhen, die schließlich in einen neuen
Bürgerkrieg mündeten, wären diese Umstände unmöglich
die besseren zu nennen, zumal Sallust die neuartige Umgestaltung und den inneren
Frieden unter dem Prinzipat des Augustus nicht mehr miterleben konnte.
In der vierten Einheit (c. 2, 7-2, 9) kehrt Sallust wieder zum Anfang seiner
Überlegungen zurück, indem er die Wichtigkeit hervorhebt, durch die
virtus den Ruhm einer glänzenden Tat oder einer guten Fähigkeit zu
erlangen. Das Leben aller Menschen, die in Stille, ungebildet und sich nur ihren
körperlichen Bedürfnissen hingebend durch das Leben gehen, hält
er für unwichtig und unbedeutend, weil bei ihnen Reflexion und geistige
virtus fehlten. Erst im zweiten Teil des Proömium wägt Sallust die
vorher allgemein gehaltenen Betätigungsfelder für den Menschen detaillierter
ab. In der ersten Einheit (c. 3, 1-3, 2) dieses Teils weist er auf die große
Vielfalt der Aktionsmöglichkeiten hin und nennt die Politik, die Betätigung
als Redner, allgemein das Ausführen großer Taten in Frieden und Krieg
und als abschließenden, überraschenden und ungewöhnlichen Höhepunkt
auch den historiographischen Bericht darüber. Er stellt im folgenden die
Schwierigkeiten für den Historiker dar, die Taten anderer Leute richtig
und angemessen wiederzugeben und sieht darin eine noch größere virtus
als im Vollführen praktischer Taten, da ja die Geschichtsschreibung Männern
und ganzen Staaten Ruhm und Größe verleihen könne. Hier wird
deutlich, daß Sallust reflektierend Geschichte schreibt. Er will, daß
seine Darstellungen den Ereignissen gerecht werden, daß sie seine Auffassungen
von dem tieferen Sinn, den Hintergründen und Zusammenhängen der römischen
Geschichte widerspiegeln. Sallust hat gewiß eine ganz eigene, sehr persönliche
Geschichtsauffassung, aber er verfremdet und verändert sie nicht willkürlich
oder aus parteipolitischen Interessen, sondern um sein eigenes Bild über
die Voraussetzungen, Ursachen und Hintergründe der menschlichen Triebe
und Handlungen, die die Geschichte beeinflussen, zu verdeutlichen.
Ein Anhaltspunkt für Sallusts persönliches Geschichtsbild liefert
die zweite Einheit (c. 3, 3 - c. 4), in der Sallust in Anlehnung an Platons
7. Brief seine Enttäuschungen beschreibt, die er als junger Mann in der
Politik erlitten habe, und auch seine Empfänglichkeit für schlechte,
unsittliche Einflüsse nicht verheimlicht. Indem Sallust hier in scheinbarer
Selbstkritik bezüglich seiner eigenen früheren ambitio sein politisches
Wirken beschönigt und seinen Rückzug aus der Politik als eigenständigen,
nicht von den politischen Umständen erzwungenen Entschluß darstellt
, bedient er sich gleichzeitig typischer Proömientopoi.
Dennoch sind die Darstellungen plausibel und können durchaus der Wahrheit
entsprechen. Aus der politischen Biographie des Sallust wird deutlich, daß
er als junger Mann nach Rom gekommen ist, um hier nach der üblichen rhetorischen
Ausbildung Karriere in der Politik zu machen. Wie viele andere aufstrebende
Abkömmlinge der italischen Aristokratie mußte er sich dafür
einer der politisch maßgeblichen Parteien und einem ihrer einflußreichsten
Führer in einem patronageartigen Verhältnis anschließen (vgl.
"ego adulescentulus initio, sicuti plerique, studio ad rem publicam latus
sum" c. 3,3). Ein ambivalentes Verhältnis zu den äußeren
Umständen und zum eigenen Leben ist dabei durchaus vorstellbar (vgl. "ibique
mihi multa aduorsa fuere", c. 3,3). So ist Sallust als junger Mann aus
Amiternum sicherlich mit falschen, illusorischen Vorstellungen nach Rom gekommen
und wird dort auch bald durch die realen, großstädtischen Verhältnisse
korrumpiert worden sein. Auf der einen Seite stürzte er sich ehrgeizig
in das neue, laute und angenehme Leben, um aber bald feststellen zu müssen,
daß seine Chancen und Möglichkeiten sehr begrenzt waren, so daß
es auf der anderen Seite durchaus möglich ist, daß er von diesem
Leben und auch von seiner eigenen Korruption tatsächlich angeekelt gewesen
ist.
Als er alle seine Möglichkeiten, diese verfahrene Situation noch ins Bessere
zu wenden, durch die Enttäuschung über Caesar und dessen Ermordung
verstellt sah, hat er sich auf ein Betätigungsfeld zurückgezogen,
in dem er seine ethisch-moralischen Vorstellungen abgehoben von der aktuellen
Tagespolitik und seinen eigenen moralischen Schwächen darstellen, verteidigen
und dennoch eine nützliche Aufgabe für den Staat ausführen konnte.
Dabei bietet die Person des Catilina auch ein geeignetes Gegenbild zu seinem
eigenen Leben. Obwohl Catilina in der Monographie mit außerordentlich
guten persönlichen Voraussetzungen ausgestattet ist, nutzt er diese nicht
zum Wohl des Staates, sondern bringt diesen in äußerste Gefahr ,
um schließlich ein schmähliches Ende zu nehmen. Sallust hingegen
hat weder den Staat in Gefahr gebracht noch als einer von vielen Mitverschwörer
versucht, sich an dem Umsturz der Verhältnisse zu bereichern. Vielmehr
hat er aus seinen Fehlern gelernt und mit der Historiographie einen persönlichen
und für den Staat nützlichen Weg gefunden, durch positive Anwendung
seiner virtus animi berühmt zu werden.
Indem Sallust einen an den Wahrheitsanspruch des Thukydides angelehnten Wahrheitstopos
("quam uerissume potero", c. 4,3) entwickelt, zugleich die Bedeutung
des Stoffes ("nam id facinus in primis ego memorabile existumo sceleris
atque periculi nouitate, c. 4,4) und die eigene Kürze der Darstellung ("de
Catilinae coniuratione ... paucis absoluam", c. 4,3) betont, stellt er
sich damit in die griechisch-hellenistische historiographische Tradition.
Das Proömium zu Sallusts erster historischer Monographie zeigt auf der
einen Seite seine starke Abhängigkeit von den griechischen und lateinischen
Vorgängern und deren literarischen Topoi , es verrät auf der anderen
Seite aber auch die elementare Bedeutung der Geschichtsschreibung für die
persönliche Aufarbeitung seiner eigenen Lebenserfahrung. Aufgrund seiner
frühen Erlebnisse in der römischen Politik ist er zu einem negativen
Menschenbild gelangt, dessen positive Aspekte nur durch eine starke virtus und
deren Einsatz für den römischen Staat zum Vorschein kommen , andernfalls
aber von allgemeiner Dekadenz und übermäßigen körperlichen
Begierden überschattet werden.
Auch im Iugurtha-Proömium bedient sich Sallust typischer historiographischer
Topoi. Er bringt seine eigene Person (vgl. "quia decreui procul a re publica
aetatem agere", c. 4,3) in Zusammenhang mit der Geschichtsschreibung, um
davon ausgehend seine Objektivität und den besonderen praktischen Nutzen
der Geschichtsschreibung für die res publica hervorzuheben. Nach Verbindung
dieses Nutzens mit Äußerungen zur eigenen Zeitgeschichte (c. 4,5-4,9)
gibt er ähnlich wie im Catilina und wie auch Thukydides einen Überblick
über das Thema seines Werkes und weist dabei besonders auf die Gründe
hin, die ihn dazu bewogen haben, über dieses Thema zu schreiben. Obwohl
Sallust den Topos des bedeutenden, alles erschütternden Krieges von Thukydides
übernimmt , überträgt er dessen militärhistorischen und
auf kriegerische Auseinandersetzungen ausgerichteten Ansatz auf innenpolitische
Entwicklungen in Rom und deren Zusammenhang mit dem externen Krieg gegen Iugurtha.
Wie bereits im Proömium des Catilina betont Sallust die hohe Bedeutung
der virtus animi gegenüber allen anderen Kräften und Umständen,
die das Leben der Menschen bestimmen. Oberflächlich betrachtet behandelt
Sallust in diesem Proömium also die gleichen Themen wie im Catilina-Proömium,
allerdings eindeutiger gegliedert. In den ersten beiden Kapiteln gibt er einen
Überblick über sein Menschenbild, im dritten Kapitel nennt er die
Tätigkeiten, die seiner Meinung nach den Menschen am meisten Ruhm einbringen
können, im vierten Kapitel schließlich vertieft Sallust seine Vorstellungen
von der Historiographie und seine Meinung über die Situation des römischen
Staates.
Im ersten Teil (c. 1-3) des Proömium ist wieder der antithetische Argumentationsgang
auffällig. Sallust widerlegt in c. 1,1-2 die allgemeine anthropologische
Auffassung, daß der Mensch mehr durch den Zufall als durch die virtus
bestimmt werde ("forte potius quam uitute regatur", c. 1, 1), indem
er die Größe und Vortrefflichkeit der virtus hervorhebt und die Klagen
der Menschen mehr auf mangelnden Fleiß als auf fehlende Kraft oder Zeit
zurückführt. Im folgenden setzt Sallust seine eigene These dagegen.
Der Geist ist für ihn Führer und Herrscher des Menschen und wenn dieser
der virtus gemäß nach Ruhm strebe, dann sei er stark und hell und
nicht auf das Schicksal angewiesen (vgl. "abunde pollens potensque et clarus
est neque fortuna eget", c. 1,3). Diese Einstellung gebe dem Menschen die
alleinige Entscheidung über die Gestaltung seines Lebens und mache ihn
unabhängig von allen äußeren Kräften und Schicksalsschlägen.
In einer von Leeman beschriebenen antithetischen "Zickzackbewegung"
geht Sallust danach wieder auf die negative Verkehrung der menschlichen Natur
ein, die auf die Erfüllung rein körperlicher Bedürfnisse und
falscher Leidenschaften beschränkt sei. Aus dem sich anschließenden
Vorwurf, daß jeder, der seine Kräfte und Möglichkeiten vergeudet
habe, die Schuld am Ende auf die Umstände schiebe (c. 1,4), läßt
sich wieder ein Bezug zu Sallusts eigenem Leben herstellen. Er hat nach seinem
politischen Scheitern eben nicht resigniert, sondern versucht, seine politischen
Ideale auf literarischer Basis zu realisieren. Zum Abschluß des ersten
Kapitels (c. 1,5) verstärkt Sallust noch einmal das erste Thema, indem
er auf den ewigen Ruhm hinweist, der der virtus zufalle und alle Schicksalsschläge
meistern könne.
Im zweiten Kapitel zeigt Sallust ein ähnliches Menschenbild wie schon im
Catilina-Proömium. Wieder baut er einen Dualismus von Körper und Geist
auf, der an die Ideenlehre des Platon erinnert, da er den ewigen, alles lenkenden
und zu großen Leistungen fähigen Geist über die vergänglichen
körperlichen und überhaupt materiellen Äußerlichkeiten
stellt. Bereits mit dem letzten Satz dieses Abschnittes leitet Sallust auf das
dritte Kapitel über, indem er hier schon die zahlreichen und für das
Training des Geistes notwendigen Betätigungsfelder anführt, die er
im folgenden weiter ausdifferenziert. Auf die aktuelle Situation der Zeit nach
der Ermordung Caesars spielt dabei die Äußerung an, daß ihm
öffentliche Tätigkeiten in der Politik oder im Heer am wenigsten erstrebenswert
erschienen, weil den virtus-Trägern kein Ehrenamt gegeben werde und auch
diejenigen, die eines durch Betrug erreichten, dadurch nicht sicher oder angesehen
seien: "quoniam neque uirtuti honos datur neque illi quibus per fraudem
[iis] fuit [uti] tuti aut eo magis honesti sunt" (c. 3,1). Bei allem guten
Bemühen sei nur Haß zu ernten, zumal notwendige, strenge Veränderungen
nur zu Mord und Vertreibung oder zu neuen Feindseligkeiten und Diktaturen führten
(c. 3,2). Im Vergleich zum Catilina-Proömium wird hier ein zunehmender
Pessimismus deutlich. Sallust sieht für einen Mann überhaupt keine
Möglichkeiten mehr, in der Politik seine virtus zu beweisen und damit dem
Wohl des Staates zu dienen.
Im zweiten Teil des Proömium (c. 4) aber ist von anderen geistigen Beschäftigungen
die Rede, von denen besonders die Geschichtsschreibung von großem Nutzen
für den Staat sei. Obwohl Sallust nicht explizit über den Nutzen der
Geschichtsschreibung spricht, um den Eindruck eigener Überheblichkeit und
den möglichen Neid anderer zu vermeiden , weist er jeden Vorwurf des nutzlosen
Müßiggangs von sich, indem er die Zeitumstände als Grund für
seinen Rückzug aus der Politik anführt und damit begründet, daß
aus seinem vermeintlichen otium mehr Nutzen für den Staat entstehe als
aus dem negotium der meisten anderen.
Im zweiten Teil des vierten Kapitels (c. 4, 5-8) folgt endlich eine exemplarische
Darstellung des Nutzens der Geschichtsschreibung. Der zentrale Gedanke geht
dabei auf die durch die Abbildungen der großen Vorfahren auf Wachstafeln
("maiorum imagines", c. 4,5, sowie "cera" und "figura",
vgl. c. 4,6) hervorgerufenen "memoria rerum gestarum" (c. 4, 6) aus,
die die Menschen zu neuer virtus und ähnlichen Taten antreiben könne
("animum ad uirtutem adcendi", c. 4, 5). Diese typisch römische
Einstellung, den immerwährenden Wettstreit der Römer mit der virtus,
den Taten und den Ruhm der Vorfahren, vergleicht Sallust mit seinen Zeitgenossen,
die von ihren Vorfahren nur noch das Streben nach Ruhm, Reichtum und Ämtern,
nicht aber deren Sittlichkeit und Rechtschaffenheit übernommen hätten
und auf unredliche Weise nach Auszeichnung strebten oder ihr unverdientes Erbe
vergeudeten (c. 4,6-4,8). Sallust offenbart in dieser Aussage seine Vorstellung
von den Triebkräften der römischen Geschichte. Es ist der Wettbewerb
um die größten Leistungen der virtus, besonders mit den großen,
fast immer unerreichbar scheinenden Taten der Vorfahren, welcher die Römer
zu immer größeren, inneren und äußeren Leistungen angetrieben
habe. Die Erklärung für den aktuellen Mißstand und die Verkehrung
der Werte sowie für seine politische Frustration muß an anderer Stelle
gesucht werden, nämlich in der großen Archäologie des Catilina,
in der er den Wendepunkt in der römischen Geschichte erarbeitet.
In diesen Überlegungen allein läßt sich der Ansporn für
Sallusts Geschichtsschreibung finden, weil er sich erklären will, aus welchem
Grund früher erfolgreiche Bemühungen in seiner eigenen Zeit zum Scheitern
verurteilt sind und der Staat sittlich verkommen ist. Die Erklärungen dafür
und die Darstellungen in den exemplarischen Monographien müssen deshalb
zwangsläufig moralisierend sein, weil er die Gründe für den inneren
Niedergang des römischen Staates in der ethischen Verkehrung der Politik
sieht, in der der einzelne nicht mehr so sehr an das Wohl des Staates, sondern
vielmehr nur an seine eigenen Interessen denkt, ohne mit dem Gesamtwohl übereinzustimmen.
Auch wenn die Gesamtdarstellung der aktuellen Zeitverhältnisse ähnlich
wie in den Tragödien des Seneca negativ und pessimistisch ist , offenbart
Sallust dennoch Hoffnung auf Besserung, indem er auf den positiven exemplarischen
Nutzen der Geschichtsschreibung setzt und nicht wie Seneca die stoische Ruhe
und Zurückgezogenheit propagiert. Der Leser des Sallust soll die Gefährlichkeit
falscher Werte und falschen, übertriebenen Ehrgeizes exemplarisch erkennen
und daraus lernen.
Im Vergleich zum Proömium des Catilina wirkt das Iugurtha-Proömium
deutlich ausgereifter und selbstbewußter. Sallust stellt sich uneingeschränkt
in die Tradition der politischen Geschichtsschreibung eines Thukydides und wendet
die für ihn bestimmenden Topoi der Objektivität, der Bedeutung des
Themas und des Nutzens der Geschichtsschreibung bewußt und wohldosiert
an, ohne sich wie im Catilina in zu umfangreiche, fast wörtliche Anleihen
wie etwa aus den Werken des Platon zu verstricken.
Die höhere literarische Reife und das gestärkte Selbstbewußtsein
verschleiern aber die menschliche Beteiligung Sallusts an dem behandelten Thema.
Nur an wenigen Stellen tritt die im Catilina noch erkennbare emotionale Betroffenheit
und enge Verknüpfung zwischen Autor, historischem Gegenstand und dem Geschichtswerk
zutage. Es wird bereits im Proömium des Iugurtha deutlich, daß Sallust
die Geschichte weiterhin nach den schon im Catilina ausgebreiteten altrömischen
Werten bewerten und auch in das sittliche Dekadenzmodell einordnen wird. Der
Krieg mit Iugurtha wird dabei zu einem weiteren historischen Exempel seines
Geschichtsmodells, ohne eine besondere emotionale oder gar tagespolitisch aktuelle
Bedeutung zu entwickeln.
Die Anlage von historischen Exkursen, die das Gesamtthema erläutern oder
weiterführen, geht bis zu den Anfängen der Geschichtsschreibung zurück.
Schon bei Homer wird der Bericht vergangener Ereignisse funktional für
das im Werk gegenwärtige Geschehen eingesetzt, um dem zürnenden Achill
die destruktiven Folgen menschlichen Zorns vor Augen zu führen. Während
die Exkurse aber bei Homer und auch bei Herodot noch eng mit der Erzählung
verbunden sind, gewinnen sie erst seit Thukydides eine stilistische Eigenbedeutung.
Thukydides trennt seine historischen Exkurse eindeutig von dem Hauptthema seines
Werkes, welches die Ursachen, die Entstehung und den Verlauf des Peloponnesischen
Krieges berichten soll. Wie später Sallust erläutert Thukydides die
frühe Vorgeschichte des Landes bis zum Einsetzen seiner Erzählung
(1,1-19), gibt einen Überblick über den Verfall der Sitten (3,82f.)
und spart weder eine Reflexion seiner historischen Methode (1,20-22) noch die
menschlichen Beweggründe zur Vollführung historischer Taten (6,54-59)
aus.
In Sallusts Monographien finden sich nach dem Vorbild seiner historiographischen
Vorgänger Exkurse verschiedenartiger Ausprägungen und Funktionen.
Auch wenn politisch-historische und sittliche Exkurse für die Intention
und Aussagekraft von Sallusts Werken im Vordergrund stehen , so ergänzt
Sallust sein Werk doch auch mit Personencharakteristika , Reden und geographisch-ethnographischen
Abhandlungen.
Nachdem aus der Analyse der Proömien die Intention und Funktionalität
dieser Werkteile für die Geschichtsschreibung des Sallust ersichtlich geworden
sind, soll im folgenden sein genaues Geschichtsverständnis anhand der historisch-sittlichen
Exkurse näher untersucht werden. Diese sind für das Verständnis
von Sallusts Geschichtsbild von elementarer Bedeutung. Sie bieten keine genauen
historischen Daten und Fakten, sondern sollen bestimmte historische Triebfedern,
Zusammenhänge und Veränderungstendenzen darstellen , um dadurch erklären
zu können, wie mit der Zeit aus dem besten und schönsten Staat der
schlechteste geworden sei.
Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf drei Schwerpunkte:
1. Analyse von Aufstieg und Fall des römischen Staates in der Archäologie
der coniuratio Catilinae (c. 6-13)
2. Darstellung der politischen Lage in Rom zur Zeit der catilinarischen Verschwörung
(c. 36-39, 5)
3. Analyse der historischen Mißstände im Parteienexkurs des bellum
Iugurthinum (c. 41-42)
Die Archäologie der coniuratio Catilinae schließt direkt an die
Charakterisierung der üblen, für die angesprochene Zeit aber typischen
Eigenschaften des Catilina an und erklärt auch seine im folgenden beschriebene
erfolgreiche Suche nach Anhängern ebenso wie die ersten Erfolge der Verschwörung.
In der Archäologie selbst wird ein zyklisches Geschichtsbild deutlich,
welches Sallust selbst wohl gar nicht als solches verstanden hat. Er nennt als
Absicht die Erläuterung der politischen und militärischen Geschichte
Roms, die er nach althergebrachter römischer Geschichtswahrnehmung als
Verfallsgeschichte ansieht. Als Wendepunkt will er dabei die Zerstörung
Karthagos im 3. Punischen Krieg 146 v. Chr. erkannt haben, nach der jede ernste
äußere Bedrohung Roms weggefallen sei und damit die ethischen Werte
verkehrt und durch äußere Machtattribute ausgehöhlt worden seien.
Die Darstellung besitzt aber im ganzen mehrere Wendepunkte. Nachdem sich die
Trojaner mit den Ureinwohnern vermischt hätten und dadurch bald ein einheitlicher,
schon florierender Stadtstaat entstanden sei, habe der eigene Wohlstand den
Neid der Nachbarn hervorgerufen, der zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt
habe, aus denen die Römer siegreich und gestärkt hervorgegangen seien
(c. 6,1-6,6). Auch die durch das zu Tyrannei entartete Königtum hervorgerufene
innere Krise, welche den Aufstieg und die Regierung der jeweils Besten verhindert
habe, habe durch eine geänderte, republikanische Verfassung mit gewählten
Regenten bewältigt werden können (c. 6,7-7,1). Nach diesem Wendepunkt
habe sich der römische Staat aufgrund der zahlreichen militärischen
Auseinandersetzungen mit äußeren Gegnern, die wegen der hohen virtus
und Disziplin der Römer erfolgreich verlaufen seien, im Innern kontinuierlich
aufwärts entwickelt, immer in gegenseitigen Wettkampf der Bürger um
die größte Leistung (c. 7).
In Kapitel acht reflektiert Sallust den Zusammenhang zwischen großen Taten
und dem Ruhm, der durch deren schriftlichen Fixierung folgen könne. Der
Eingangssatz mag dazu auf den ersten Blick nicht passen, denn die Tatsache,
daß die Besten der Römer lieber gehandelt als über ihre Taten
geschrieben hätten, die größten Leistungen in Rom also in der
Praxis und nicht wie in Athen in der Theorie gelegen hätten, hat gewiß
nichts mit Glück oder Zufall zu tun, sondern entspringt vielmehr den jeweiligen
ethisch-kulturellen Voraussetzungen. Gerade dadurch, daß die meisten Römer
sich mehr auf hervorragende, durchdachte Taten als auf theoretische Überlegungen
konzentriert hätten, habe der Staat eine so großartige und schnelle
Entwicklung genommen. Darin kann aber bereits das Verhängnis für den
von Sallust mit der Zerstörung der letzten großen militärischen
Konkurrentin, nämlich Karthago, beobachteten Niedergang begründet
sein , wenn der vermeintliche Fortschritt nur im militärischen Bereich
stattfindet, während alle anderen, kulturellen Entwicklungen dem untergeordnet
sind und nicht mithalten können. Die klassische, altrömische virtus-Vorstellung
stellt eine aktive, auf Expansion und Leistungssteigerung ausgerichtete Idealvorstellung
dar , die dann an ihre Sinngrenze stoßen muß, wenn die Herausforderungen
für die Bewährung dieser virtus vorangegangene Leistungen nicht mehr
steigern können, vorher positive Verhaltensweisen gegen äußere
Gegner in innerem Machtstreben negative Wirkungen zeigen, Ehrenattribute der
virtus wie Reichtum und politische Macht zum Selbstzweck entarten und das große
Vorbild der Vorfahren zur Belastung wird.
Wie sich die aufgrund äußerer Gefahren in Kapitel neun beschriebenen
positiven ethischen Werte durch den in Kapitel zehn dargestellten endgültigen
Sieg über Karthago in das Negative verkehrt hätten, erläutert
Sallust von Kapitel zehn an. Dennoch muß der Keim des Untergangs schon
vorher bestanden haben, denn das Unheil begann mit "saeuire fortuna ac
miscere omnia coepit" (c. 10, 1). Sallust hat aber im Proömium die
Beständigkeit einer starken virtus animi gegenüber allen Schicksalsschlägen
zum Ausdruck gebracht, so daß er hier implizit doch voraussetzen muß,
daß die virtus animi der Römer zur Zeit des Sieges über Karthago
schon nicht mehr so beständig gewesen sein muß, daß sie gegen
die Verlockungen des otium bestehen konnte. Vielleicht geht Sallust an dieser
Stelle aber auch in einer Vorwegnahme der folgenden Begründung davon aus,
daß die virtus animi, die bei den Römern, wie schon vorher dargelegt
worden war, auf kluges, überlegtes Handeln vor allem in militärischen
Auseinandersetzungen beschränkt gewesen sei und nicht auch auf großen
theoretischen Geistesleistungen wie bei den Athenern beruht habe, durch die
Verlockungen, vielmehr aber auch durch die Ziellosigkeit des otium korrumpiert
worden sei: "iis otium diuitiaeque, optanda alias, oneri miseriaeque fuere"
(c. 10, 2).
Insofern ist die Beobachtung Sallusts, daß zuerst die ambitio die Verhältnisse
verkehrt habe ("primo magis ambitio quam auaritia animos hominum exercebat",
c. 11, 1), durchaus nachvollziehbar, weil sich der Tatendrang der Römer
und das wertneutrale Streben nach imperium nach Beseitigung der mächtigsten
außenpolitischen Gegner vermehrt inneren Zielen, nämlich der politischen
Macht und deren äußeren materiellen Attributen, zuwenden mußte.
Diese Entwicklung mußte dann fast zwangsläufig in die von Sallust
skizzierten Ausschweifungen und Unmäßigkeiten münden, die den
altrömischen Wertvorstellungen ganz und gar entgegenstehen, weil die asketischen
Römern die gewonnene Macht, den Reichtum und vor allem die Muße ohne
moralische Grenzen nicht sinnvoll und maßvoll ausüben konnten und
sich die vorher in den Auseinandersetzungen mit äußeren Feinden positiven
Eigenschaften im inneren Frieden negativ auswirkten.
Unter den drei Übeln ambitio, avaritia und luxuria nimmt letztere eine
Sonderstellung ein. Während ambitio und avaritia gemäßigt und
nach außen gerichtet auch als Triebfedern für hervorragende und der
Gemeinschaft nützliche Kräfte wirken könnten, führe die
verschwenderische luxuria zu Dekadenz und Zerstörung gewonnener Macht und
erworbenen Ansehens. Sie werde schließlich zum vorrangigen Ziel des Handelns
und bestimme das menschliche Denken, so daß der Körper mit seinen
Begierden die Kontrolle über den Geist gewinne.
Die von Sallust geschilderte Entwicklung Roms erscheint auf den ersten Blick
tatsächlich tragisch. Nach dem Beginn, der erfolgreichen Bewältigung
äußerer und innerer Krisen wird der stetige Aufstieg des Staates
scheinbar auf einen Schlag zerstört und die Entwicklung schlägt ins
Negative um. Dagegen ist aber einzuwenden, daß Sallust den Wendepunkt
keineswegs als plötzlich und unvermeidlich eintretend und auch nicht als
unumkehrbar darstellt, denn die beschriebenen Verfehlungen der Römer können
als natürliche Erscheinungen großer Machtausdehnung gelten. Ebenso
führt Sallust hier auch bewußt weder äußere Gefahren an,
obwohl diese beispielsweise durch die Cimbern und Teutonen 113-101 v. Chr. und
auch andere Kriege an den äußeren Grenzen des Reiches durchaus bestanden
, noch thematisiert er Phasen der Reformation und Verbesserung. Des weiteren
hört für Sallust die Geschichte Roms nicht mit dem Fall Karthagos
auf, sondern hier beginnt ja gerade erst seine historiographische Tätigkeit,
mit der er das Bewußtsein der Leser für die von ihm erkannten politischen
und moralischen Verkehrungen und die daraus entstehenden Gefahren schärfen
will.
"Ea tempestate mihi imperium populi Romani multo maxume miserabile uisum
est." (c. 36,4). Daß Sallust den Zeitpunkt, an dem Catilina sich
zu seinem Heer nach Etrurien aufgemacht hat, etwa 20 Jahre später als schlimmsten
Zustand des Staates ansieht, verdeutlicht noch einmal sein zyklisches Geschichtsbild
von Aufschwung, Krisen und Lösungen, denn wenn die Situation in der Rückschau
im Jahr 63 am schlimmsten gewesen sein soll , muß danach wieder ein Aufschwung
oder zumindest eine Verbesserung eingetreten sein. Sallust trennt mit dem Mittelexkurs
seine narratio in zwei Teile und läßt nach dem Höhepunkt der
Verschwörung und nach dem Exkurs über den politischen Zustand Roms
mit der Allobroger-Affäre ab c. 39,6 die Wende eintreten.
Der gesamte Exkurs schildert den politischen Zustand Roms von der Alleinherrschaft
Sullas bis zum Jahr 63 v. Chr. und läßt sich in drei große
Teile gliedern. Das Vorwort (c. 36, 4-5) zeigt noch einmal den Zusammenhang
zwischen dem mit der sicheren außenpolitischen Lage verbundenen inneren
Wohlstand und der innenpolitischen Unsicherheit, die für den Rückhalt
Catilinas bei den Mitverschworenen verantwortlich zu sein scheine. Aus der Gruppe
der Anhänger Catilina habe sich nämlich niemand trotz der zwei Senatsbeschlüsse
zu Straffreiheit und Belohnung zum Verrat an Catilina bereit gefunden. Die beiden
Hauptteile zeigen im folgenden die sozialen und politischen Ursachen für
dieses Phänomen auf, die dem in der Archäologie skizzierten Sittenverfall
und der daraus folgenden sozialen Uneinigkeit entspringen.
Der erste Hauptteil (c. 37) befaßt sich mit den Ursachen des revolutionären
Potentials der plebs. Aufgrund der großen Armut und politischen Ohnmacht
könne das gemeine Volk von einem Umsturz der bestehenden Verhältnisse
nur profitieren. Die Aussage "quibus opes nullae sunt, bonis inuident,
malos extollunt, uetera odere, noua exoptant, odio suarum rerum mutari omnia
student" (c. 37, 3) zeugt von großer analytischer Auffassungsgabe.
Sallust erkennt die sozialen, innenpolitischen Mißstände und Gefahren
als grundsätzliche revolutionäre Ursachen, die im politischen System
des römischen Staates begründet seien. Daraus und aus den Folgen der
Alleinherrschaft Sullas resultiere dann die explosive Zusammensetzung der plebs
urbana mit Verschwendern, kriminellen Elementen, Sullanern, jungen, mittellosen
und arbeitsscheuen Leuten vom Land und schließlich den Nachkommen der
Opfer Sullas. Dazu nennt Sallust noch alle Gegner der Senatspartei, die sich
aus revolutionären Unruhen eine Änderung der politischen Machtverhältnisse
erhofften (c. 37, 10-11).
Mit dieser Beobachtung vollzieht Sallust den Übergang zu den politischen
Betrachtungen des zweiten Hauptteils (c. 38-39, 5). In Kapitel 38, 1 nennt Sallust
die Maßnahmen und Motive der Senatsgegener, die sich das Amt des Volkstribun
erschlichen hätten und das Volk nur für ihre eigenen, persönlichen
Interessen aufputschen würden. Aus den selbstverständlichen, ebenfalls
machtegoistischen Gegenmaßnahmen der Senatspartei (c. 38, 2-4) sei ein
maß- und zielloser Parteienkampf entbrannt, der zu einer Konzentration
der Macht in der Hand von wenigen sowie auch zu Unterdrückung der Machtlosen
und zu einer größeren Labilität des Staates geführt habe
(c. 39, 1-3).
Sallust schließt den Exkurs mit einer realistischen, seiner Geschichtsauffassung
aus den Proömien entsprechenden Beurteilung ab (c. 39, 4-5). Bei einem
Erfolg Catilinas wäre der Staat in großes Unheil geraten, weil diese
Machtergreifung alle bestehenden Machtkonstellationen zerbrochen hätte.
Daraus hätte eine dauerhafte bürgerkriegsähnliche Situation entstehen
können, weil jeder Gewaltherrscher Gefahr gelaufen wäre, durch einen
neuen, noch stärkeren gestürzt zu werden. Das hätte dann die
endgültige Perversion der sallustischen Geschichtsvorstellung bedeutet,
wenn nicht die ethisch Besten mit ihrer hervorragender virtus ausgestattet das
Wohl des Staat gelenkt hätten, sondern egoistische, machthungrige Revolutionäre.
Im Gegensatz zu der großen Archäologie, in welcher Sallust sein Augenmerk
auf die Triebkräfte der römischen Geschichte lenkt, beweist er hier
seine politische und soziale Analysefähigkeit. Mit scharfem Blick erkennt
er nach den im ersten Exkurs geschilderten moralischen Veränderungen die
politischen und sozialen Voraussetzungen für gefährliche Umsturzversuche
und auch die Gefahren langer Phasen der Instabilität. Es ist nicht verwunderlich,
daß Sallust die plebs an sich als wenig verantwortungsbewußt und
leicht beeinflußbar darstellt, da sie von seinem Standpunkt aus weder
verantwortlich für die Situation noch, aufgrund der bestehenden sozialen
Verhältnisse, zu einer positiven Veränderung fähig oder auch
nur bereit sei. Sallust schreibt für die römische Oberschicht, die
fast allein die politische Macht in Händen hält und nur von dieser
Zielgruppe, die nach seinen Beobachtungen zerspalten und in egoistische, dekadente
Gruppen und Grüppchen zerfallen ist, erwartet er sich eine Selbstbesinnung
und Verbesserung der Mißstände.
Der Parteienexkurs des bellum Iugurthinum setzt in der Erzählung an der
Stelle ein, als der Volkstribun Gaius Memmius Limetanus in Rom nach der unrühmlichen
Niederlage der Albini gegen Iugurtha im Jahre 110 v. Chr. seine Anklagen gegen
diejenigen Mitglieder der Nobilität anstrengt, welche Iugurtha gegen den
Senat beraten, unterstützt und von ihm Bestechungsgelder angenommen hätten.
Sallust prangert in dieser Phase besonders die avaritia nobilitatis an , die
er Iugurtha als Außenstehenden so bezeichnen läßt: "urbem
uenalem et mature perituram, si emptorem inuenerit" (c. 35,10) und schließt
an den Bericht über die unwürdigen, leidenschaftlichen Parteikämpfe
in Rom eine Ursachenforschung zu dieser Erscheinung an, in dem er auch die Agitationen
der Popularen nicht mit Kritik verschont: "uti saepe nobilitatem, sic ea
tempestate plebem ex secundis rebus insolentia ceperat." (c. 40,5)
Der erste Teil (c. 41, 1-4) erinnert an die Archäologie der coniuratio
Catilinae, weil Sallust hier noch einmal die negativen Folgen der äußeren
Sicherheit Roms nach dem Sieg über Karthago für die Ethik der Römer
darstellt. Diesmal richtet er aber den Blick auf das Verhältnis zwischen
dem Senat und der plebs, die vor der Zerstörung Karthagos noch besonnen
miteinander Politik getrieben hätten (c. 41,2). Infolge der Friedensruhe
seien aus der von den Menschen hochgeschätzten Muße und dem Überfluß
an Gütern die malae artes "lasciuia atque superbia" (c. 41, 3)
entstanden, die zu einer Veränderung des politischen und damit auch moralischen
Klimas geführt hätten.
Wie die Einheit des Staates durch die zwei Parteien auseinandergerissen worden
sei, berichtet der zweite Teil (c. 41, 5-10). Die Nobilität habe sich in
factiones gespalten, während das Volk durch seine große, zersplitterte
und unbewegliche Masse gegenüber der Nobilität geschwächt gewesen
sei (c. 41,5f.). Nachdem sich die Senatsnobilität bereichert und die Macht
unter sich verteilt habe, während das Volk alle Gefahren und Kosten habe
tragen müssen, habe der Kampf ehrenvoller Männer aus der Nobilität
gegen die Korruption die Bürgerschaft endgültig gespalten und alles
durcheinandergebracht, denn diese Personen konnten durch ihre gehobene soziale
Stellung den Kampf erfolgreich führen und Teile des Volkes hinter sich
bringen.
Sallust schließt den Exkurs über die Machtkämpfe innerhalb der
Nobilität im dritten Teil (c. 42) mit einem Bericht über den Kampf
der Gracchen gegen die Verbrechen der Senatsaristokratie in den Jahren 133,
bzw. 123/22 v. Chr. ab. Das Bemühen der Gracchen um die Freiheit der plebs,
das Sallust zwar gutheißt, aber auch als nicht maßvoll genug kritisiert
(c. 42, 2-3), sei zwar zuerst erfolgreich gewesen, dann aber durch Bündnisse
der Nobilität mit Bundesgenossen oder Rittern und durch die Ermordung beider
gebremst worden. Nach ihrem Sieg schließlich habe die Nobilität durch
Mord und Vertreibung mehr Haß als Macht erworben (c. 42, 4) und somit
die Kette der gegenseitigen Rivalität verstärkt, anstatt einen versöhnlichen
Kompromiß herbeizuführen.
Am Ende dieses Exkurses steht eine gänzlich pessimistische Auffassung des
Autors, der scheinbar Mühe hat, alle Verwicklungen und Probleme des Staates
zu überblicken und aufzudecken. Typisch für beide Monographien ist,
daß Sallust in seinen Exkursen keine eindeutigen Lösungsvorschläge
machen kann. Das ist aber auch nicht sein Anliegen. Ihm geht es weder um den
Sieg der Guten oder Schlechten noch um die Freiheit der plebs. Für ihn
steht einzig und allein die Stabilität eines Staates im Mittelpunkt, in
welchem die Mächtigen nach den Grundsätzen - idealisierter - altrömischen
Werte den Staat in Eintracht mit dem Volk führen sollten. Ebenso bringt
er seine eigenen Lebenserfahrungen und Enttäuschungen über das ausgehöhlte,
korrupte und ziellose politische Leben in Rom und damit auch die Begründung
seiner schriftstellerischen Tätigkeit in die Darstellung mit ein.
Die verschiedenen Formen der antiken Geschichtsschreibung zeigen individuelle
Stilphänomene. Nachdem Sallusts Stellung zur eigenen Geschichtsschreibung
und sein Geschichtsbild aus den Proömien und den historischen Exkursen
herausgefiltert sind, sollen im folgenden spezifische Gestaltungsmerkmale in
den darstellenden Teilen der Monographien in ihrer Funktion und besonderen Ausprägung
im Zusammenhang mit den Gestaltungsmerkmalen antiker Geschichtsschreibung interpretiert
werden.
Dazu werden zuerst in Kapitel 6.1. Darstellungsprobleme und sprachliche Besonderheiten
des sallustischen Stils, in 6.2. die Ausprägung geographischer und ethnographischer
Schilderungen, in 6.3. die Form der Schlachtendarstellungen und ähnlichen
Gewaltszenen sowie schließlich die vieldiskutierte Frage nach fortuna
und virtus bei Sallust im literarischen Kontext untersucht.
Die häufigsten Vorwürfe in der modernen Forschung gegenüber
Sallust betreffen seine Ungenauigkeiten in der historischen Darstellung. Dabei
dreht es sich vor allem um Datierungen , Personenbeschreibungen und Handlungszusammenhänge.
Diese allgemein akzeptierten und untersuchten Darstellungsprobleme haben zu
den unterschiedlichsten Interpretationen der Intention Sallusts geführt.
Ist er ein nachlässiger Literat, der sich keine Mühe bei der Quellenrecherche
und logischen Ordnung des Stoffes gibt , ordnet er das historische Geschehen
einer äußeren künstlerisch-literarischen Gestaltungsabsicht
unter oder versucht er durch persönliche Ordnung des Stoffes ein ganz persönliches
Geschichtsbild, also seine eigene, besondere historische Wahrheit und Weltsicht
für das Publikum hervortreten zu lassen?
Bereits in den Proömien beider Monographien stellt Sallust sein Selbstverständnis
vom Inhalt seiner Werke auf: "Igitur de Catilinae coniuratione quam uerissume
potero paucis absoluam" (Cat. 4,3) und "Bellum scripturus sum quod
populus Romanus cum Iugurtha rege Numidarum gessit" (Iug. 5,1). Auch wenn
es sich bei den Wahrheitsbeteuerungen antiker Historiker um literarische Topoi
handelt, wird dennoch durch die Ausgestaltung der Proömien und die Gliederung
der Werke die Ernsthaftigkeit der literarischen Absicht Sallusts deutlich: "nam
id facinus in primis ego memorabile existumo sceleris atque periculi nouitate"
(Cat 4,4) und "primum quia primum et atrox uariaque uictoria fuit, dehinc
quia tunc primum superbiae nobilitatis obuiam itum est; quae contentio ... cuncta
permiscuit eoque uecordiae processit ut studiis ciuilibus ... finem faceret"
(Iug. 5,2-3). Sallust betont damit, daß er in seiner Darstellung weniger
auf historische Einzelheiten Wert legt als vielmehr auf die Bedeutung der geschilderten
Ereignisse für die Gesamtentwicklung Roms. Aber auch für die Durchführung
dieser Untersuchungsmaxime kann bei Sallust historische Richtigkeit erwartet
werden.
Sallust verfolgt mit der stilistisch ausgefeilten, überlegt eingesetzten
Sprache und den kunstvoll konzipierten Reden und Episoden in erster Linie eine
interpretierende und belehrende Intention. Seine historische Einsicht bezieht
sich aber nicht nur auf die moralischen Hintergründe der Dekadenz des politischen
Klimas in Rom und seiner Bedeutung für die zeitgenössischen Probleme
seiner eigenen Zeit , sondern auch der überlegte, sorgfältige Gesamtaufbau
besonders des bellum Iugurthinum und viele einzelne Episoden und Randfiguren
unterstützen sein Erkenntnisinteresse. Ihm gelingt eine zwar subjektive,
dennoch aber durchdachte Milieuschilderung römischen Denkens und Selbstverständnisses
nicht nur der historischen Phasen, sondern auch der nachcaesarianischen Zeit.
Aufgrund seiner Überzeugung von der Richtigkeit und essentiellen Bedeutung
der eigenen historischen Einsicht erweist Sallust sich in Auseinandersetzung
mit dem allgemein angesehenen Cicero bewußt als sprachlicher Stilist,
indem er die Sprache, insbesondere die in seiner Darstellung bestimmende brevitas
funktional einsetzt , um mit ihr seine Gedanken zusammenhängend in Kontrast
zu den ausführlichen und wortreichen Werken Ciceros zu transportieren.
Bloch weist die funktionale Bedeutung des Satzzusammenhanges für die Aussagekraft
der einzelnen Glieder und deren Bedeutungsverschiebung in verschiedenen Kontexten
nach. Mit Hilfe zahlreicher stilistischer Mittel gelinge es Sallust, über
die primäre Bedeutung der einzelnen Wörter hinausgehende, verständnisunterstützende
Assoziationen und Hintergründe zu erzeugen. Über diese Funktionen
hinausgehend dienten alle von Bloch untersuchten formale Stileigenheiten Sallusts
vor allem dazu, eine falsche oder voreilige Beschreibung zeitgenössischer
und historischer Wirklichkeit zu entlarven und für seine eigene Arbeit
zu vermeiden. Gerade durch fließende Bedeutungen und auf den ersten Blick
dunkle Aussagen wird der Leser zu einem aufmerksamen, kritischen Lesen angeleitet
und damit auch zu einem eigenen, tieferen Verständnis der Wirklichkeit
geführt. Sallust versucht damit seiner eigenen programmatischen Forderung
("facta dictis exaequanda sunt", Cat. 3,2) gerecht zu werden und erweitert
durch diese funktional eingesetzte Sprache stilistisch und inhaltlich die theoretischen
Überlegungen seiner historiographischen Vorgänger.
Die literarische Kunst ist bei ihm ein wesentliches Mittel geworden, historische
Erkenntnisse zu transportieren und nicht nur kognitiv, sondern ganzheitlich
für den Leser erfahrbar zu machen. Dafür ist Sallust aber bereit,
sich inhaltlich auf literarische Traditionen zu stützen und auch ihm widersprechende
Quellen zu benennen und zu diskutieren, nicht ohne dennoch einen ganz eigenen,
für seine Zeit ungewöhnlichen Stil auszubilden.
Sallust war sicherlich kein akribischer Quellenchronist. Es ist als gesichert
zu betrachten, daß er sich in vielen historischen Einzelheiten auf die
unterstützenden, zuarbeitenden Recherchen des Grammatikers Lucius Ateius
Philologus verlassen hat. Daneben stützt er sich im Catilina auf seine
eigenen Erinnerungen, auf zeitgenössische Quellen und Gerüchte und
auf die Werke historiographischer Vorgänger, insbesondere des Sisenna.
Der Umgang mit den Quellen ist durchaus kritisch, Sallust weist auf zweifelhafte
Gerüchte hin und kritisiert Sisenna wegen seiner politischen Voreingenommenheit.
Dennoch werden Sallust zu Recht sachliche und chronologische Fehler vorgeworfen,
welche dann zum Anlaß genommen werden, Sallust Nachlässigkeit, politische
Tendenz oder persönliche Schwächen vorzuwerfen. Dabei wird häufig
der tiefere Sinn und die sachliche Wahrheit des sallustischen Werkes verkannt.
Sallust ist kein Chronist, der historische Ereignisse umfassend und zeitgenau
auflisten will, für ihn ist die Ausarbeitung viel entscheidender. Ihm gelingen
durch seine Arbeitsweise tiefe Einblicke in typische historische Abläufe
und er versteht es immer wieder, den Leser zu erstaunlichen Erkenntnissen zu
führen und auch emotional zu beeindrucken. Dabei sind realhistorische Einzelheiten
wie die Darstellung von Orten, Daten und Personen nur von sekundärer Bedeutung,
weil dadurch nie die Qualität der historischen Einsicht erreicht werden
könnte, wie Sallust sie herzustellen vermag.
Sallust steht als ehemaliger römischer Magistrat mit seiner Geschichtsschreibung
nicht nur in einer bestimmten literarischen Tradition, sondern auch sein gesamtes
Denken ist römisch geprägt. An der Art seiner geographischen und ethnographischen
Schilderungen läßt sich nicht nur ablesen, in welcher Art und wie
weit sein Weltbild von seiner römischen Umwelt geprägt ist, sondern
auch, wie sorgfältig er die Orte der geschilderten Geschichte wahrnimmt
und wiedergibt. Bei der Untersuchung und Interpretation dieser Schilderungen
müssen sowohl die literarische Funktion im Kontext des Werkes als auch
die innere, persönlich Bedeutung für das Weltbild des Autors miteinbezogen
werden.
Im Catilina fallen die Charakterisierung des gallischen Stammes der Allobroger
(c. 40-50,1) und die Beschreibung des Kerkers Tullianum (55,3-6) besonders auf.
Sallust bezeichnet die Allobroger als "publice priuatimque aere alieno
oppressos, praeterea ... natura gens Gallica belliculosa ..." (Cat. 40,
1). Diese Eigenschaften veranlassen Lentulus, nach Catilinas Weggang Führer
der Verschwörung in Rom , mit deren Abgesandten in Rom über Publius
Umbrenus Kontakt aufzunehmen, um sie für die Verschwörung zu rekrutieren.
Umbrenus schließlich gewinnt scheinbar leicht das Vertrauen der Legaten,
indem er sich nach ihrem Unglück erkundigt und ihnen Hilfe verspricht.
Als Ursachen dafür, daß die Allobroger anfangs so leicht für
die Verschwörung zu gewinnen sind, nennt Sallust aber nicht nur die charakterlichen
Eigenheiten, welche die Allobroger an sich tragen. Vielmehr betont er die äußeren,
von Rom ausgehenden Schwierigkeiten, von denen die Gallier bedrängt würden,
nämlich die "auaritia magistratus" und als weiteres Motiv die
Enttäuschung über den Senat (vgl. "senatum quod in eo auxili
nihil esset", c. 40,3).
Damit werden die Allobroger zum außerrömischen Bild Catilinas. Von
Schulden und vermeintlich ungerechter Behandlung durch die römische Staatsführung
bedrängt, sind sie bereit, gewaltsame, ungesetzliche Maßnahmen gegen
den römischen Staat zu ergreifen. Gleichzeitig stellt Sallust die Allobroger
aber dem Catilina als positiven Gegenpart gegenüber. Ihre Überlegungen
zu der weiteren Vorgangsweise führt nämlich nicht zu einer noch tieferen
Verstrickung in verbrecherische Machenschaften , sondern zum Abwägen über
die Vor- und Nachteile einer Verschwörung, an deren Ende das Wohl des römischen
Staates siegt: "In altera parte erat aes alienum, studium belli, magna
merces in spe uictoriae; at in altera maiore opes, tuta consilia, pro incerta
spe certa praemia. Haec illis uoluentibus tandem uicit fortuna rei publicae."
(Cat. 41,2-3).
Sicherlich verallgemeinert und idealisiert Sallust bei dieser Einschätzung,
aber es wird ebenso deutlich, daß er realistische, zu der Natur der Allobroger
und zur äußeren Lage passende Gründe und Überlegungen für
ihr Verhalten anführt und es damit noch menschlicher erscheinen läßt,
ohne sich das faktische Ergebnis selbst hinreichend erklären zu können.
In seiner Konzeption aber läßt er das durchaus als egoistisch zu
interpretierende Verhalten der Gallier, welches schließlich zur Zerschlagung
der Verschwörung in Rom führen soll, für den Staat wertvoller
und nützlicher erscheinen als die Maßnahmen der Staatsführung.
Die Einbindung der Allobroger in die Gesamtgeschichte der catilinarischen Verschwörung
zeigt, wie sorgfältig Sallust diese Personengruppe als außerrömisches
Gegenbild zu Catilina selbst in die Gesamtkonzeption der Monographie eingefügt
hat, welche die Dekadenz römischer Moral, die Überheblichkeit der
herrschenden Klasse und die daraus resultierenden politischen und sozialen Unruhen
zum Schwerpunkt hat.
Die knappe, aber informative Beschreibung des Tullianum (c. 55,3-5), in welchem
an den in Rom gefaßten Mitgliedern der Verschwörung die Todesstrafe
vollstreckt wird, bildet die einzige Ortsbeschreibung im Bericht der catilinarischen
Verschwörung. Sallust beschränkt sich in diesem Werk besonders auf
die für ihn wesentlichen geschichtstheoretischen Aussagen und geht davon
aus, daß alle übrigen Lokalitäten seinem römischen Publikum
vertraut sind. Im Gegensatz zu den Schauplätzen des bellum Iugurthinum
sind die geographischen Umstände für den Verlauf der Handlung im Catilina
sowohl wenig ausschlaggebend als auch seinem römischen Publikum vertraut.
Mit der kurzen Exposition der Hinrichtung der in Rom gefangenen Verschwörer
beweist Sallust genaue Kenntnis der Einzelheiten und übermittelt gleichzeitig
die moralische Botschaft, daß auch in der dekadenten römischen Gesellschaft
die Möglichkeit der Rettung für den Staat besteht. Die ungewöhnlich
ausführliche Beschreibung des Tullianum dient werkimmanent vor allem als
retardierendes Element zwischen den Senatsverhandlung und der Aburteilung der
Verschwörer und dem endgültigen Ende der Verschwörung, die in
Rom mit der Hinrichtung der Verschwörer und außerhalb Roms mit der
erfolgreichen Abschlußschlacht des Petreius gegen Catilina endgültig
ihr Ende findet.
Weniger idealisierend als die Darstellung der Allobroger in der coniuratio Catilinae
ist die Charakterisierung der beiden wichtigsten Völker im bellum Iugurthinum,
der Numider und Mauren. Die Perspektive Sallusts gegenüber diesen Völkern
entspricht seiner römisch-aristokratischen Einstellung gegenüber "Barbaren"
und der jeweils von ihm referierten historischen Situation. Der erste Kontakt
mit den Numidern im zweiten Punischen Krieg und damit auch die Wahrnehmung der
Römer und Sallusts beschränkt sich nur auf deren politische Führung
und ihren politisch-militärischen Wert für die Römer. Der soziale
Umgang und die durch gegenseitige militärische Hilfeleistung entstehende
Freundschaftsbeziehung entwickelt sich als patronageartiges Verhältnis
zwischen dem römischen Feldherrn Publius Scipio Africanus und dem numidischen
König Masinissa: "Bello Punico secundo, ..., Massinissa rex Numidarum
in amicitiam receptus est a P. Scipione", (c. 5,4). Die weitere Perspektive
Sallusts bezüglich der Numider beschränkt sich bis zum Kriegsausbruch
auf die Mitglieder der numidischen Herrscherfamilie im weitesten Sinne, deren
Intrigen und Verschwörungen gegeneinander ausgiebig erklärt werden
, wobei Sallust besonders den verderblichen Einfluß der jungen römischen
Nobilität auf Iugurtha und darauf aufbauend dann die korrumpierenden Machenschaften
Iugurthas gegenüber Angehörigen der römischen Nobilität
hervorhebt.
In den folgenden Kriegsdarstellungen wird die numidische Zivilbevölkerung
und das numidische Heer gesondert beobachtet. Die Numider erscheinen als gesichtslose
und fast willenlose Masse, die Herrscherwechsel und Ausbeutung durch den Krieg
leidvoll erträgt. Iugurtha verlangt im Vertrauen auf seine allgemeine Beliebtheit
seinem Volk ohne Bedenken und nur auf seine eigene Machterhaltung bedacht die
härtesten Kriegsopfer ab und steht damit als tyrannischer König in
ethischem Kontrast zu den römischen Feldherrn Metellus, Marius und Sulla,
die diesen Krieg zwar nicht um das Überleben ihres Volkes, dennoch aber
in dessen Auftrag führen. Das numidische Heer kann aufgrund seiner geographischen
Kenntnisse anfänglich Erfolge gegen die kriegstechnisch versierten römischen
Legionen erzielen, es erweist sich aber nur in überlegenen Situationen
als tüchtige, sonst vielmehr als disziplinlose und auch feige Einheit.
Sallust weiß überzeugend darzustellen, daß die schwindende
Moral der Numider und die Richtung der Überläufer mit den Fehlern
Iugurthas und dem zunehmenden Erfolg der Römer zusammenfällt. Dieser
Umstand ist nicht nur verständlich, wenn Sallust zeigt, wie Iugurtha fliehend
seine Leute im Stich läßt oder verrät, er verdeutlicht auch
Sallusts Erkenntnis über den Erfolg der römischen Staatsverfassung
und seine Kritik an der zunehmenden superbia nobilitatis. Solange römische
Politiker und Feldherren im Auftrag und Interesse des ganzen Volkes handelten
und nicht für die persönliche Macht, seien numidische Verhältnisse,
wie sie sich ansatzweise im militärischen Debakel von Spurius Albinus und
seines Bruders Aulus ereignet hätten , für Rom nicht zu befürchten.
Sallust zeigt an den ausführlich dargestellten Verschwörungen und
dem Verrat bei den Numidern , in welches Schicksal der römische Staat steuern
könnte und gleichzeitig auch den großen Erfolg auf Seiten der Römer,
der möglich scheint, wenn ein Ausgleich im Inneren durch Einschränkung
der Machtambitionen einzelner erfolgt.
Sorgfältig konstruiert erscheint auch die Parallele zwischen den Mauren
und den Allobrogern im Catilina. Der maurische König Bocchus wägt
sorgfältig und bedächtig zwischen der verwandtschaftlichen Verbundenheit
zu Catilina, der größeren Macht der Römer, deren gerechtfertigten
Kriegsgrund und dem Wohl für sein eigenes Volk ab. Wie im Catilina trifft
wieder eine dritte Komponente die Entscheidung zwischen zwei gegenüberstehenden
Parteien und wirkt somit kriegsentscheidend. Sallust läßt keinen
Zweifel an der absoluten Richtigkeit der Entscheidung des maurischen Königs,
dessen Entscheidung den Krieg erst zu einem für die Römer erfolgreichen
Ende gebracht hat.
Eine Sonderstellung nimmt schließlich der ethnographische, periegetische
Exkurs über die Geschichte der Völker Nordafrikas ein. Nach Schilderung
der allgemeinen Lage und Beschaffenheit des Landes und der Eigenschaften des
zeitgenössischen afrikanischen Volkes zeichnet Sallust ein detailliertes,
umfangreiches Bild der Lebensgewohnheiten und -räume der Karthager, Mauren,
Numider, Gaetuler und Äthiopier. Sallust teilt die Bevölkerungsgeschichte
Afrikas in drei zeitliche Abschnitte. Zuerst hätten dort als Urbewohner
die Gätuler und Libyer gelebt, welche sich im folgenden nach dem sagenhaften
Tod des Herakles in Spanien mit den aus Persien, Medien und Armenien stammenden
Teilen seines Heeres vermischt hätten. Die dritte Etappe bis zum Beginn
der römischen Intervention gegen Karthago besteht bei Sallust aus der phoinikischen
Besiedlung der Gegenden um Karthago.
In der Bewertung dieser fremden Kulturen offenbart Sallust die typische Perspektive
der Römer gegenüber anderen Völkern. Auch wenn er durchaus in
der Lage ist, die kulturellen und militärischen Errungenschaften anderer
Kulturen zu loben und deren Nachahmung durch die Römer zuzugeben , qualifiziert
er schonungslos vermeintlich niedriger stehende Kulturformen ab.
In der Darstellung der afrikanischen Geschichte greift Sallust nach eigenen
Angaben auf die ihm angeblich zur Verfügung stehende Übersetzung sogenannter
punischer Bücher des Königs Hiempsal zurück, welcher wahrscheinlich
selbst griechische periegetische Quellen verwendet hat. Als weitere Quellen
nennt er in Afrika allgemein akzeptiertes historisches Wissen. Als ehemaliger
Statthalter der Provinz Africa Nova stützt Sallust sich zwar auf seine
eigene Anschauung des Landes, er hält sich aber besonders bei der historischen
Beschreibung der einheimischen Völker an die traditionellen, mythisch verankerten
Historien, nicht ohne den Wahrheitsgehalt ihm bekannter Mythen zu problematisieren.
Allenfalls manche Beschreibungen von Gegenden und Gebräuchen aus der römischen
Provinz Africa Nova lassen vermuten, daß Sallust sie vielleicht aus eigener
Erfahrung heraus vornimmt. Besonders die ausführliche Behandlung der Gründungslegende
von Leptis und die Beschreibung der beiden Syrten scheinen neben ihrer strukturellen
Funktion eine gewisse Vertrautheit und Sympathie Sallusts mit der Geschichte
Afrikas und dem ihm persönlich bekannten Land selbst erkennen zu lassen.
Neben diesen unsicheren Quellen und der eigenen Anschauung muß Sallust
bei der Darstellung der historischen Fakten auf die Aufzeichnungen der Zeitzeugen
Sempronius Asellio, Aemilius Scaurus, Rutilius Rufus und L. Cornelius Sulla
zurückgegriffen haben.
Abschließend bleibt festzustellen, daß die Wahrnehmung und Charakterisierungen
der geographischen Umgebung und der Nebenpersonen bei Sallust zwar systematisch
ablaufen, dennoch aber nicht "schematisch" sind. Sallust zeigt soweit
Interesse für ausländische Gegenden und Personen, wie es für
das Verständnis des inhaltlichen Zusammenhangs erforderlich ist und bietet
sogar infolge seiner eigenen Kenntnisse Afrikas im bellum Iugurthinum eindrucksvolle
Exkurse zu der Geographie und Geschichte des Landes und seiner Bevölkerung.
Ausführliche Darstellungen von blutigen Schlachten und grausamen Szenen
finden sich besonders in der peripatetischen Geschichtsschreibung und in den
Tragödien Senecas , wodurch die Affekte der Leser, bzw. des Publikums angeregt
werden sollen. In diesem Bereich kann Sallust nicht mit diesen Stilgattungen
in Verbindung gebracht werden. Sowohl das Thema der catilinarischen Verschwörung
als auch besonders der iugurthinische Krieg bieten ausreichend Möglichkeiten,
grausame Szenen facettenreich auszumalen.
Die Gewalttaten der catilinarischen Verschwörer in Rom steigern sich im
Verlauf des Werkes von aufrührerischen Aktionen über Mordanschläge
und Brandstiftung bis hin zu dem offenen Bürgerkrieg, in welchen der Entscheidungskampf
des Catilina gegen das römische Heer schließlich gipfelt. In der
Häufigkeit der Erwähnungen und in der Bezeichnung dieser Vorfälle
scheint Sallust die Bedeutung der Geschehnisse zwar durchaus zu übertreiben
und auch die Lage zu dramatisieren, indem er mehrfach auf neue geplante oder
sogar mehr oder weniger erfolgreich durchgeführte Verbrechen hinweist ,
er malt diese jedoch nur selten übermäßig grausam aus. Sallust
beschränkt sich am Ende des Catilina vielmehr auf eine kurze Beschreibung
des Ortes, des Verlaufes und des Ergebnisses des bürgerkriegsähnlichen
Endkampfes.
Diese Überbetonung von Häufigkeit und Gefährlichkeit der catilinarischen
Verbrechen muß als literarischer Kunstgriff Sallust angesehen werden,
mit dem er immer wieder seine anfängliche These von der außerordentlichen
und neuen Gefahr der catilinarischen Verschwörung plastisch verdeutlicht
und die evidente Bedeutung dieses Ereignisses für sein römisches Dekadenzmodell
unterstreichen will. Dabei ist es sicherlich auch Sallusts Absicht, seine Leser
nicht nur kognitiv zu überzeugen, sondern er setzt auch auf die emotionale
Wirkung unterschwelliger, aus dem Dunklen und Unerkannten entstandener Bedrohung,
die durch die ciceronische Überlieferung über die Verschwörung
dadurch heruntergespielt wurde, daß der Staat aufgrund der herausragenden
Leistung des fähigen Consuls nie in tödlicher Gefahr gewesen zu sein
schien.
Indem Sallust aber immer wieder die zahlreichen verbrecherischen Pläne
und Aktionen erwähnt und die Verschwörung in Rom letztendlich erst
durch das für den Staat glückliche Eingreifen der außerhalb
stehenden Gruppe der Allobroger besiegen läßt, bewirkt er bei dem
unbefangenen Leser einen nachträglichen Schrecken, der die belehrende Absicht
seiner Monographie besonders in der politisch unruhigen Abfassungszeit unterstützt.
Stilistisch und sprachlich lehnt Sallust sich dabei näher an die epische
Dichtung und die Tragödie als an die schmucklosen commentarii im Stile
eines Caesar an.
Dennoch hat Sallust keine Freude an der Ausmalung gewalttätiger Szenen.
Er verzichtet weitgehend auf blutige Einzelheiten oder genaue Beschreibung der
Kämpfe und Brandstiftungen. Obwohl Sallust scheinbar kein großes
Interesse an den Opfern von Gewalttaten zeigt, sind diese ihm dennoch nicht
gleichgültig. Durch Hinweise auf die Wirkung der Gewalttaten, deren Bezeichnung
und Häufung besonders im und nach dem Entscheidungskampf (c. 60f.) sowie
auch durch die Dämonisierung der Verschwörer zeigt Sallust gerade
sein großes Interesse daran, solche bürgerkriegsähnlichen Zustände
in seiner Gegenwart und Zukunft durch historische Belehrung zu verhindern.
Im bellum Iugurthinum enthält Sallust sich nicht vollständig der ausführlichen
Darstellung von Schlachten. Er schildert detailliert und augenscheinlich mit
großer Sorgfalt und Sachkenntnis die militärischen Manöver von
Marius und Metellus auf der einen Seite und Iugurtha auf der anderen Seite.
Die zentralen Kämpfe von Cirta (c. 21-26), am Fluß Muthul (c. 48-53),
bei Zama (c. 56-61), Vaga (c. 66-69), Thala (c. 75f.), Capsa (c. 89-91), bei
der Festung am Fluß Muluccha (c. 92,5-94) und schließlich der Endkampf
wiederum bei Cirta (c. 101) sind gleichmäßig über das Werk verteilt,
wobei die Ausführlichkeit und Detailgenauigkeit der Darstellung stetig
zunimmt. Damit verdeutlicht Sallust die wachsende Bedeutung des numidischen
Kriegsschauplatzes für die Öffentlichkeit in der fernen Hauptstadt
Rom, wo die Aufmerksamkeit für den zeit- und ressourcenraubenden Kolonialkrieg
zunimmt , und betont gleichzeitig die grausamen Folgen des von den Römern
selbst hervorgerufenen Krieges.
Mit seinen ausführlichen Schlachtenschilderungen weist Sallust nicht nur
auf die großen Möglichkeiten und Leistungen eines römischen
Staates hin, dessen politischen Führungskräfte und Einheiten einig
im Interesse des Staates gegen gemeinsame, äußere Feinde kämpfen,
sondern er charakterisiert gleichzeitig die zentralen Charaktere Metellus, Marius,
Sulla und Iugurtha. Damit wird auch auf die politische Bedeutung der sich an
den iugurthinischen Krieg anschließenden Kämpfe gegen die Kimbern
und Teutonen sowie den Bürgerkrieg hingedeutet, an dessen Ende schließlich
Sulla nach seinem Sieg über Marius als neue politische Ausnahmegestalt
dasteht.
Die hohe Detailgenauigkeit der militärischen Manöver verdankt Sallust
wahrscheinlich den persönlichen historischen Aufzeichnungen des in Numidien
stationierten Legaten Publius Rutilius Rufus , wodurch sich auch die lebendigen
Szenen und die hin und her wogenden Schlachtenbewegungen erklären lassen
, welche sich wohltuend von den nüchternen Betrachtungen im Stile der commentarii
des Caesar abheben.
Aber auch im bellum Iugurthinum verzichtet Sallust wie in der catilinarischen
Verschwörung auf blutige oder grausame Einzelheiten. Obwohl er interessante
Einzelheiten und Hintergründe über Ursachen und Verlauf einiger Gefechte
liefert, verliert er jedoch nie die römische Perspektive aus den Augen,
indem er stets die Wirkung der numidischen Ereignisse auf die römische
Öffentlichkeit und Politik und damit auch die politische Bedeutung dieses
Krieges hinzufügt.
Insgesamt beweist Sallust mit der gesamten Monographie seine von Poseidonios
übernommene Theorie der zentralen Bedeutung des metus hostilis für
die innere politische Entwicklung und die militärische Expansion eines
Staates, insbesondere Roms. In einer Phase innerer politischer Uneinigkeit,
des Parteienkampfes und gegenseitiger Anschuldigungen gelingt es dem über
die römischen Verhältnisse aufgeklärten Iugurtha, die einzelnen
Parteien gegeneinander auszuspielen, sie für seine eigenen Interessen zu
mißbrauchen und sich damit durch Übertretung der ihm zugebilligten
Rechte einen machtpolitischen und vorläufigen militärischen Vorteil
zu verschaffen, mit welchen Metellus und sogar noch Marius in vielen Aktionen
zu kämpfen haben. Erst nach der rogatio Mamilia (c. 40) und durch die Wahl
des Metellus zum Consul (c. 43) gelingt es den römischen Armeen, Iugurtha
zurückzudrängen, wobei der militärische Erfolg mit der Verbesserung
der Moral und Zuversicht in Rom kausal zusammenhängt.
Krieg bildet demnach für Sallust eher eine politische Komponente, zu der
er aber auch die negativen Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung,
die Moral der römischen Legionen sowie des römischen Volkes zählt.
Die Darstellung von Gewalt zielt bei ihm in erster Linie nicht auf Erzeugung
von Schrecken, sondern dient als weiteres Mittel dazu, die eigenen historischen
Erkenntnisse zu transportieren.
Die Frage nach Rolle und Funktion von fortuna und virtus bei Sallust gehört
zu den meistdiskutierten und umstrittensten Problemen in der Sallustforschung.
Dabei ist eine zentrale Frage, wie Sallust den Bedeutungsinhalt und die Wirkung
beider Abstrakta definiert.
Sallust erläutert seine Vorstellungen von Inhalt, Bedeutung und Funktion
der virtus sowohl in den theoretischen Betrachtungen der Proömien und historischen
Exkurse als auch durch Personencharakterisierungen der laufenden Handlung. Die
virtus stellt insgesamt für Sallust einen der am höchsten einzuschätzenden
und zu erstrebenden menschlichen Werte und zugleich die perfekte Verbindung
der besten und in richtiger Verbindung eingesetzten geistigen und körperlichen
Eigenschaften dar. Er entwickelt einen nach altrömischen Werten geprägten
zivilen und besonders auch militärischen virtus-Begriff, den er nicht leichtfertig,
sondern jeweils wohlüberlegt setzt.
Nach einer inhaltlichen Definition seiner virtus-Vorstellung als hervorragende,
auf die praktische Leistung hin ausgelegte Tugend und ausgewogene Verbindung
der geistigen und körperlichen Fähigkeiten sowie einem Überblick
über die historische Bedeutung und die Leistungen römischer virtus
in der Vergangenheit verknüpft Sallust in der coniuratio Catilinae die
historische Rolle der virtus mit einer ihr gegenüber und in Wechselwirkung
stehenden, positive und negative Auswirkungen bringenden historischen Triebkraft,
der fortuna. In Sallusts Dekadenzmodell nimmt der römische Staat so lange
einen politischen und militärischen Aufstieg, wie die virtus die körperlichen
Bedürfnisse und die geistigen Tugenden in ausgewogener Beziehung zueinander
hält. Sollte aber diese von Sallust im Catilina definierte Balance in Unordnung
geraten, dann bilde der Mensch negative Ausprägungen seiner Tugenden. In
diesem Zustand der inneren Schwäche, wenn der Körper des Menschen
die Herrschaft über den Geist übernommen habe, könnten die außenstehenden,
unkontrollierbaren Kräfte der fortuna wirken, die innere, konstante Kraft
der virtus schwächen und die Lebensumstände der Menschen verändern.
Weil in dieser historischen Konzeption eine von den sittlich guten, den Göttern
nahestehenden Anlagen des Menschen selbst gesteuerte Geschichte entwickelt ist,
verbindet Sallust den Moment, in dem der Mensch als Sklave seiner körperlichen
Begierden keine Kontrolle mehr über die Entwicklung seines Lebens hat,
mit dem Tiefstand der römischen Geschichte.
Catilina steht dafür als Exempel und wird von Sallust deshalb als ein von
seinen körperlichen Begierden und negativen Ausprägungen vormals geistiger
Tugenden gesteuerter Mensch charakterisiert. Indem Sallust den Catilina in seiner
letzten Rede von der virtus seiner Gefolgsleute sprechen läßt, will
er zum einen die gänzliche, auch in Catos Rede angesprochene Verkehrung
der Sitten und Begriffe verdeutlichen und zum anderen sich gleichzeitig von
der kalten Kriegsmaschinerie des römischen Heeres vor der Abschlußschlacht
abgrenzen . Der Leser soll selbst affektiv erfahren, daß auch sittlich
gänzlich entartete Menschen in Augenblicken höchster Entschlossenheit
und historischer Bedeutung eine seiner virtus-Vorstellung ganz ähnliche
Geisteshaltung ausprägen können.
Diese historische Erkenntnis wäre in der Tat tragisch zu nennen, da einem
Catilina, der im Dienst für den Staat solche Leistungen gezeigt hätte
wie in der Abschlußschlacht beschrieben, alle die politischen Möglichkeiten
in einem gesunden Staat offen gestanden hätten, wegen der er die Verschwörung
überhaupt erst begonnen hat. Allerdings läßt Sallust zum einen
keinen Zweifel daran, daß Catilina zu seinen Taten und Reden und trotz
seiner letzten militärischen Leistungen von den falschen Begierden, die
ihm auch noch nach dem Tod anzusehen sind, getrieben worden ist , zum anderen
kann Catilina sich nur in einer Situation bewähren, in welcher der Staat
sittlich und moralisch angeschlagen ist und alle Bezeichnungen und Werte in
Unordnung geraten sind.
In einer solchen Situation könne die fortuna nach Erkenntnis Sallust durchaus
positive Auswirkungen auf die Geschicke der Menschen haben. In der Zeit der
höchsten Gefahr, in der die Allobroger abwägen, ob sie an der Verschwörung
teilnehmen oder sie verraten sollen, da gibt letztendlich die "fortuna
rei publicae" (Cat. 41,3) den Ausschlag für den Weiterbestand des
Staates.
Abschließend wird deutlich, daß Sallust zwei Triebfedern für
die menschliche Geschichte erkennt. Die virtus liegt dabei als ausgewogene Tugend
und Vermittlerin zwischen Körper und Geist im Menschen selber, während
die fortuna als von außen auf die menschliche Geschichte wirkende Kraft
auftritt. Solange der Mensch mit Hilfe der virtus die Begierden seines Körpers
beherrsche und seine geistigen Fähigkeiten für die richtigen Tugenden
und zum Ruhm des Staates sowie der eigenen Person einsetzte, sei er selbst der
Lenker seiner Geschichte. Die fortuna erlange erst dann Macht über die
menschliche Geschichte, wenn der Mensch die Kontrolle über seine körperlichen
Begierden und den von daher ausgeprägten negativen Eigenschaften verliere
, wobei die fortuna sowohl als destruktive als auch als konstruktive Macht auftreten
kann.
Leeman sieht in der geringen Protagonistenanzahl und in dem hohen Anteil der
direkten Rede in beiden Monographien Sallusts ein Anzeichen für eine tragische
Gesamtkonzeption dieser Werke. Dagegen muß aber eingewendet werden, daß
die Protagonisten des Sallust zwar distanziert beschrieben werden, sich im Verlauf
der Darstellung aber durchaus entwickeln und nur wenige Figuren vollständig
leblos bleiben. Dazu kommt allerdings, daß eine wirkliche Interaktion
zwischen den Protagonisten selten szenisch dargestellt, sondern allenfalls berichtend
zusammengefaßt wird. Alle von Sallust erwähnten Personen werden mindestens
zweimal erwähnt, die Hauptpersonen werden durch Charakterisierungen und
ihnen in den Mund gelegte Reden dem Leser nähergebracht. Die von Leeman
angeführte direkte Rede beschränkt sich darüber hinaus ausschließlich
auf Reden der Protagonisten an entscheidenden Wendepunkten der Darstellung.
Aus diesen Beobachtungen wird deutlich, daß die Personen bei Sallust nach
übergeordneten, intentionalen Interessen konzipiert sind, nicht aber nach
szenischen, dramatischen Funktionen. Vielmehr dienen sie der Veranschaulichung
der historischen Anschauung des Sallust, der entscheidenden Phasen einer Entwicklung
und übergeordneten Erkenntnisinteressen. Die Personen des Sallust sind
diejenigen, die Geschichte machen und die Handlung vorantreiben, aber sie erscheinen
entweder als gesichtlose, emotionale und wirre Masse oder als einzelne, je nach
ihrem Charakter positiv oder negativ herausragende Charaktere. Dieses entspricht
auf der einen Seite sicherlich der Personen- und Geschichtswahrnehmung eines
sozial hochstehenden Römers im ersten Jahrhundert vor Christus , auf der
anderen Seite dient es auch der einfacheren, dennoch aber angemessenen, den
tiefen Kern treffenden exemplarischen Darstellungsweise der historiographischen
Tradition, vor allem der historischer Monographien.
Diese einzelnen Gestaltungsaspekte gilt es in der folgenden Untersuchung anhand
der Personenkonzeption einiger Nebencharaktere, dann von Caesar und Cato in
der coniuratio Catilinae, von Metellus und Marius im bellum Iugurthinum und
schließlich an der Konzeption und Entwicklung des Iugurtha und des Catilina
selbst zu verifizieren und hinsichtlich ihrer Funktion für die historische
Darstellung des Sallust zu hinterfragen.
Bereits die Charakterisierung der vermeintlichen Nebenpersonen in beiden Monographien Sallusts macht deutlich, daß diese nicht als gesichtslose, emotionslose und unbeachtete Schatten eine unwichtige Stellung einnehmen. Vielmehr hat Sallust auch diesen eigene Ausprägungen und Wechselwirkungen untereinander und mit den Hauptcharakteren eingeräumt. Die folgende Untersuchung einiger ausgewählter Nebencharaktere soll zum einen werkimmanent deren Bedeutung für die Gesamthandlung der jeweiligen Monographie herausstreichen und zum anderen daraus nähere Hinweise auf die historische Perspektive, den politischen Standpunkt und die Art der Geschichtskonzeption Sallusts gewinnen.
Sallust selbst bezeugt an keiner Stelle der coniuratio Catilinae explizit eine
eigene Beteiligung an den geschilderten Ereignissen oder eine direkte, persönliche
Anschauung der historischen Situation. Daraus wird ihm zum einen aufgrund angeblicher
unplastischer, distanzierter Darstellungsweise eine mangelhafte Quellenrecherche
zum Vorwurf gemacht , zum anderen wird die Frage aufgeworfen, wo er sich selbst
zum Zeitpunkt der catilinarischen Verschwörung aufgehalten habe.
Aufgrund von Sallusts Lebensdaten und seiner persönlichen Karriere ist
es durchaus möglich, daß er als homo novus in den Zeiten der catilinarischen
Verschwörung seinen Militärdienst abgeleistet hat und daß er
deshalb weniger aus eigener Anschauung, sondern vielmehr unter Zuhilfenahme
von ihm zugetragenen mündlichen Informationen, amtlichen Dokumenten und
auch Ciceros Aufzeichnungen schreibt.
Demgegenüber stehen aber die detaillierten, selbstbewußten Schilderungen
von Personen und deren Verwicklungen, von Verhandlungen und Kämpfen. An
den Stellen, an denen Sallust auf ihm zugetragene, mündliche Informationen
zurückgreift, zitiert er sie mit dem Hinweis, daß es zu der fraglichen
Zeit Leute gegeben habe, welche die jeweilige Information so weitergegeben hätten.
Aus dem Zusammenhang und der Wortwahl wird aber deutlich, daß Sallust
nicht die im Werk dargestellte Zeit meint, sondern die Zeit seiner Quellenrecherche
oder Abfassung des bellum Catilinae. Es wäre also möglich, daß
er selbst die Ereignisse aus äußerer Distanz mitangesehen hat. Das
wäre eine ideale Perspektive für einen Historiker, der darauf bedacht
ist, zum einen eine unmittelbare Beteiligung an unrühmlichen Ereignissen
für die eigene Person auszuschließen und zum anderen für sich
gleichzeitig die größte Neutralität, Sachlichkeit und Sachkenntnis
zu beanspruchen. Diese Bemühung muß angesichts der Brisanz dieses
innerrömischen historischen Gegenstandes und der politischen Verhältnisse
während des zweiten Triumvirats mit Antonius, Lepidus und Octavian zur
Zeit der Veröffentlichung des Werkes für Sallusts persönliches
Anliegen fast unumgänglich gewesen sein. Nichtsdestotrotz bleibt Sallust
auch nach dem Ende seiner aktiven politischen Laufbahn ein Mensch mit reichhaltigen
Erfahrungen in dem von ihm beschriebenen Staat, so daß viele seiner Charakterisierungen
und Bewertungen eine politische Komponente in sich tragen und die Aufmerksamkeit
der Adressaten auf die politischen Gefahren der eigenen Zeit richten.
Im bellum Iugurthinum schließlich stellt sich die Frage nach einer persönlichen
Anschauung der Ereignisse bei Sallust zwar nicht, in den detaillierten geographischen
und ethnographischen Schilderungen zeigt er aber, zu welcher Genauigkeit er
fähig ist, wenn er aus eigener Anschauung schreibt. Obwohl die Umgebung
der catilinarischen Verschwörung aus zeitlichen und geographischen Umständen
den potentiellen Lesern sicher bekannter war als die des numidischen Krieges
und deshalb von Sallust viele Einzelheiten als selbstverständlich vorausgesetzt
werden konnten, zeigt er an einigen Stellen entgegen seiner sonstigen brevitas
Gefallen an kleinen Detailbeschreibungen.
Die wichtigsten namentlich genannten Anhänger Catilinas sind Manlius ,
Lentulus , Sempronia und Curius . Sallust unterscheidet dabei zwischen Anhängern
und Sympathisanten Catilinas in der Hauptstadt und seinen Gefolgsleuten außerhalb
Roms, die zum größten Teil in der Abschlußschlacht mitkämpfen.
Sallust gibt sich besondere Mühe bei der Benennung der Catilinarier und
bei der Charakterisierung der Anhänger und Helfer aus den unteren sozialen
Schichten in Rom. Zum einen ist dafür eine politische Komponente verantwortlich,
indem Sallust eigene Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Anhänger
Catilinas allgemeinen Gerüchten und Legenden gegenüberstellen will
, zum anderen bildet die soziale Charakterisierung der unteren Volksschichten
den Unterbau für Sallusts Dekadenzmodell. Die catilinarische Verschwörung
hat demnach nicht nur ihre direkte Herkunft in der ethisch entarteten römischen
Oberschicht, sondern entspringt als Phänomen des damit bedingten gesamtgesellschaftlichen
Sittenverfalls der ganzen römischen Gesellschaft. In seiner eingeschobenen
Pathologie der römischen Gesellschaft (c. 6-13) gibt Sallust das Ergebnis
seiner Darstellung der römischen Dekadenz und gleichzeitig einen Überblick
über die sozialen Voraussetzungen der Verschwörung. Die Interpretation
bekannter Einzelpersonen aus der römischen Oberschicht ist dagegen weniger
einheitlich zu bewerkstelligen, da Sallust auch hier im einzelnen politische
Erwägungen zugeschrieben werden können.
In der Charakterisierung der Anhänger Catilinas außerhalb Roms geht
Sallust zwar durchaus detailliert vor, er läßt aber dennoch einige
Zusammenhänge offen. Dazu gehört zum einen die ungeklärte Beziehung
zwischen Manlius und Catilina und zum anderen die Prinzipien Catilinas bei der
sozialen Auswahl seiner Soldaten. Die historisch nicht eindeutig gesicherte
Abhängigkeit des Manlius vom Oberbefehl des Catilina und die Ablehnung
von zugelaufenen Sklaven als Soldaten und damit in Kauf genommene Schwächung
der eigenen Armee gehören bei Sallust zur Gesamtcharakterisierung Catilinas,
welcher dadurch in der Monographie als Hauptfigur und maßgeblicher Initiator
der rebellischen Geschehnisse und auch in der größten Not als standesbewußter
römischer Aristokrat erscheint. Darin kann zum einen eine Aufwertung der
inhaltlichen Ziele und Grundsätze Catilinas und seines sozialen Anliegens
gesehen werden, welcher nach eigenen Angaben für die Entschuldung und politische
Freiheit der freien römischen Bürger kämpft , zum anderen als
ein Widerspruch gegen die ciceronische Überlieferung verstanden werden,
dessen Polemik und drastische Lagebeschreibungen vor dem sallustischen Hintergrund
übertrieben wirken , weil Catilina bei Sallust als der einzig entschlußfähige
und selbständig handelnde Verschwörer von zwar negativem Charakter,
aber dennoch sozial wichtigem Anliegen bis zuletzt weitgehend den Verlauf der
Verschwörung bestimmt. Obwohl Sallust die ethische Unmoral und das hinterhältige
Vorgehen der Verschwörer entschieden ablehnt, würdigt er dennoch das
soziale Anliegen und die standesbewußte, konsequente Haltung einiger Revolutionäre.
Sallusts Perspektive ist zwar in einigen Phasen, in denen es die historischen
Umstände oder literarische Anforderungen erfordern, auf Nebencharaktere
der Verschwörung gerichtet, um die weite Verbreitung der Verschwörung
zu untermauern , dennoch führt er auch deren Charakter und Handeln auf
Catilina zurück, an welchem er die ganze zeitgenössische Dekadenz
und ihre Gefahr für den Staat, aber auch die Legitimität der revolutionären
Ziele manifestiert. Sallust will sich im Catilina nicht als detailgetreuer Chronist
erweisen, sondern er zeigt die von Cato zitierte ambivalente römische Ethik
und Staatskonstitution auf , in der sich ein Mensch von vornehmster Abkunft
und mit den besten Voraussetzungen ausgestattet mit sittlich verabscheuenswürdigen
Mitteln zum gefährlichsten Verbrecher gegen den Staat aufschwingt und sich
dessen Ziele und Grundsätze im Verlauf dieser Verschwörung angesichts
der zunehmenden Bedrängnis doch als römischer und staatstragender
erweisen als die Interessen der Bewahrer der alten Ordnung, deren Grundsätze
zunehmend ausgehöhlter wirken.
Diese Personen- und Geschichtswahrnehmung hängt eng mit Sallusts Dekadenzmodell
nach dem metus-hostilis-Prinzip zusammen, da Catilinas positive Charaktereigenschaften
erst im Augenblick der höchsten Gefahr hervortreten. An der hervorragenden
Tapferkeit und dem Schicksal von Catilinas Heer läßt sich die pessimistische
Geschichtswahrnehmung Sallusts erkennen. Er schreibt als Ergebnis der Entscheidungsschlacht
nicht dem siegreichen römischen Heer, sondern den Verschwörern außergewöhnliche
Entschlossenheit und Geisteskraft zu, welche für ihn die entscheidende
Bedeutung für das Leben und den Ruhm der Menschen in sich tragen. Die Konstitution
der alten Ordnung dagegen bleibt durchgehend unverändert, der Umschwung
zur Zeit der größten Gefahr in Rom gelingt nicht durch Einigkeit
und Ausgleich, wie schon am antagonistischen Redenpaar Caesar und Cato und den
aus den Senatsverhandlungen folgenden Turbulenzen deutlich wird, sondern durch
die fortuna eines Staates, dessen Mischverfassung und Gesamtkonstitution auch
in der Zeit der größten Dekadenz so stark und gefestigt ist, daß
er nicht einmal durch innere Zersetzungstendenzen zerstört werden kann.
Auch einige numidische Gefolgsleute Iugurthas entwickeln in der sallustischen
Historiographie eigene Handlungsstränge und charakterliche Ausprägungen,
durch welche die historische Perspektive Sallusts genau und realistisch erscheint.
Dennoch nennt Sallust explizit lediglich Bomilcar, Nabdalsar und Aspar, während
die übrigen nur als seinen Willen ausführende Werkzeuge Kontakte zu
römischen Aristokraten aufnehmen, Bestechungen übernehmen oder mit
den römischen Feldherren und dem maurischen König Bocchus verhandeln.
Von den drei genannten Numidern spielt nur Bomilcar eine bedeutendere historische
Rolle, indem er bis zu seiner Hinrichtung als Iugurthas engster Vertrauter handelt,
für diesen in Rom den Massiva ermordet, schließlich aber selbst zum
Verräter an Iugurtha wird.
An Bomilcar zeigt Sallust beispielhaft die römische Wahrnehmung der numidischen
Treue und des numidischen Charakters. Aus römischer Sicht ist Bomilcar
von Beginn an ein verderblicher Charakter und das ausführende Element von
Iugurthas Bestechungs- und Mordplänen. Diese Mitwisserschaft hindert ihn
jedoch nicht daran, Iugurtha an Metellus zu verraten. Sallust zeigt an diesem
außerrömischen Beispiel, wie unzuverlässig das verbrecherische
Bündnis zwischen Iugurtha und Bomilcar ist und wie leicht es von außen
zerstört werden kann. Dabei ist auffällig, daß für ihn
numidische Überläufer aufgrund des treulosen Charakters dieses Volkes
eine normale Erscheinung darstellen , während er zumindest die von Iugurtha
korrumpierten Angehörigen der römischen Oberschicht im Interesse des
Gesamtthemas von der superbia nobilitatis scharf angreift und auch ihre Folgen
und Strafen nicht übergeht.
Im weiteren Verlauf der Monographie sinkt allerdings Sallusts Interesse an Motiven,
Schicksalen und Umständen römischer und numidischer Überläufer.
Dafür ist die veränderte historische Situation verantwortlich. Obwohl
in Rom durch die rogatio Mamilia die Macht der Nobilität wieder eingeschränkt
ist, spielen Bestechungen und politische Parteiwechsel im weiteren Verlauf des
Krieges am numidischen Schauplatz für Sallust keine untergeordnete Rolle.
Gegenseitige Abwerbungen und Seitenwechsel von Überläufern scheinen
ein probates Mittel und selbstverständliches Phänomen der Kriegsführung
darzustellen. Bezüglich der römischen Überläufer in das
Heer der Numider wird man aber annehmen können, daß es sich dabei
hauptsächlich um Hilfstruppenkontingente und nur vereinzelt um von Iugurtha
bestochene römische Vollbürger handelt. Sallust gibt über die
Zusammensetzung und Motive dieser Personen wahrscheinlich deshalb keine näheren
Hinweise, um die von ihm geschilderte Situation eines moralisch geläuterten
Rom nicht zu beeinträchtigen.
Den traurigen Höhepunkt der unglücklichen römischen Kriegsführung
in Numidien bildet die Niederlage des Consuls Spurius Albinus in Vertretung
durch seinen Bruder Aulus. Beide werden in ihrem blinden Ehrgeiz von Iugurtha
getäuscht und führen damit das römische Heer in eine ihrer bittersten
Niederlagen. Erst durch die von Iugurtha erzwungene Unterwerfungsgeste des römischen
Heeres gelangt man in Rom infolge gemeinsamer Wut und gemeinsamen Kummers zu
einem politischen Ausgleich. Der Krieg gegen Iugurtha wächst erst durch
die innenpolitischen Zusammenhänge in seiner Bedeutung von einem Kolonialkrieg
an der Peripherie zu einem Prestige- und Rachefeldzug, in dem Iugurtha nun von
Seiten der Römer ähnliche Listen und Hinterhalte erfahren muß
wie die, mit denen er selbst die uneinigen Römer für seine Ziele ausgenutzt
hat.
Die Ausgestaltung des historischen Consuls Cicero zur Zeit der catilinarischen
Verschwörung gehört zu den interessantesten Interpretationsansätzen
bezüglich Sallusts Monographie. Dabei stehen besonders die Bewertung und
die Cicero von Sallust zuerkannte Rolle sowie die Wechselwirkung zwischen Ciceros
eigenen literarischen Leistungen, Interessen und Stilbemühungen und denen
Sallusts im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Brisant wird dieser Ansatz
besonders durch die vier catilinarischen Reden Ciceros , seine verlorene Schrift
"de consiliis suis" , in welcher er unter anderem Rechenschaft über
seine Entscheidungen gegen Catilina abgelegt haben soll, und schließlich
die politisch motivierten Bestrebungen Ciceros, seine persönlichen Leistungen
während der catilinarischen Verschwörung historiographisch verherrlichen
zu lassen. Dazu geben noch die in ihrer Echtheit umstrittenen gegenseitigen
Invektiven von Sallust und Cicero einen Interpretationsrahmen vor, durch den
eine vermeintlich politische Gegnerschaft Sallusts gegenüber Cicero antizipiert
wird.
Es ist nicht erwiesen, ob Sallust Cicero und dessen Leistungen bewußt
selten erwähnt und seine Rolle als Consul während der catilinarischen
Verschwörung damit herabwürdigen will. Sicherlich erscheint Cicero
als umsichtiger, fast schon übertrieben vorsichtiger Staatsmann, der sich
für alle Maßnahmen das Mandat des Senats einholt. Darin ist aber
keine Schmähung zu sehen, wenn man bedenkt, daß Cicero als Anhänger
und Verteidiger der Senatsherrschaft sich zwangsläufig bei der von ihm
akzeptierten übergeordneten Instanz rückversichert. Zudem bietet Ciceros
betont gesetzmäßiges Verhalten einen zwar unspektakulären, aber
dennoch bemerkenswerten Kontrapunkt zu den von Sallust mehrfach angeprangerten
chaotischen zeitgenössischen Politik.
Obwohl für Sallust Caesar und Cato die herausragenden Charaktere darstellen,
welche durch ihre einzigartige virtus die Geschichte beeinflussen, so gestaltet
er die werkimmanente Rolle Ciceros doch dahingehend, daß dieser entschlossener
als Caesar und moralisch unangefochten den Verschwörern gegenübertritt.
Weil Cicero selbst es aber nicht versäumt hat, durch die Veröffentlichung
seiner catilinarischen Reden und durch die Versuche, einen Historiker für
die Aufgabe zu gewinnen, seine persönlichen Leistungen durch ein Geschichtswerk
öffentlich bekannt zu machen , ist es wahrscheinlich, daß Sallust
die Einzelheiten von Ciceros Leistungen bei seinen Lesern als bekannt voraussetzt
und deshalb an gegebener Stelle nur auf sie hinweist. Aus der inhaltlichen Betrachtung
der Monographie und auch aus der Tatsache, daß Sallust Cicero als historische
Quelle verwendet haben muß, ohne ihn, wie Herodot den Hekataios , polemisch
zu kritisieren, geht hervor, daß die Persönlichkeit, der Charakter
und der politische Standpunkt Ciceros für Sallust zwar keine herausragende
Bedeutung für den Erhalt des Staates haben, Sallust diese Ansichten aber
respektiert. Dieser Respekt muß aber in den Hintergrund treten, wenn Cicero
als Repräsentant einer politischen Ordnung und Elite auftritt, die durch
Dekadenz und Korruption den altrömischen Staat an den Rand des Untergangs
geführt hat.
Obwohl Ciceros politische Rolle in den Zeiten der catilinarischen Verschwörung
nicht endgültig geklärt ist, paßt er von seiner äußeren
Stellung als moralisch integerer, unbestechlicher und die republikanische Ordnung
verteidigender Optimat und damit früherer politischer Rivale Sallusts nicht
in dessen historisches Konzept. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, daß
er in Sallusts Darstellung der catilinarischen Verschwörung nur eine Nebenrolle
einnimmt. Ohne den nach seinem Tod 42 v. Chr. zwar nicht allgemein hochgeschätzten,
aber dennoch respektierten Ruf Ciceros völlig zu beschädigen, zeigt
Sallust aber mit der geringen Beachtung dieser eigentlich zentralen Figur der
catilinarischen Verschwörung, daß dieser für ihn weder historisch
noch thematisch zu den bedeutenden zeitgenössischen Persönlichkeiten
in Rom gehört. Die herausragende Stellung des Redenpaares und die Synkrisis
zwischen Caesar und Cato lassen die geringe Beachtung Ciceros noch dramatischer
erscheinen.
Als Ursachen für die Konzeption des Cicero als Nebenrolle der coniuratio
Catilinae sind zusammenfassend der thematische Schwerpunkt und die moralisch-politische
Intention der Monographie, die allgemeine Bekanntheit von Ciceros Rolle und
seiner Reden sowie auch eine mögliche Aversion Sallusts gegen den politisch
Andersdenkenden anzuführen.
Obwohl Sallust Caesar und Cato in seiner Gesamtbeschreibung der catilinarischen
Verschwörung nur an wenigen Stellen erwähnt, räumt er ihnen dennoch
durch die Gegenüberstellung als Redenpaar und die Charakterisierung in
der Synkrisis (c. 51-53) einen erheblichen Platz in seinem Werk ein. Während
Cato außerhalb der Darstellungen über die Strafmaßnahmen an
keiner anderen Stelle im Catilina erwähnt wird, spielt Sallust doch auf
Caesar an, um sich vornehmlich mit der Frage nach Caesars Beteiligung oder Verstrickung
in den Umkreis der Verschwörung auseinanderzusetzen.
Auch wenn die wenigen anderen Stellen, in denen Caesar erwähnt wird, für
die Interpretation der Haltung Sallusts gegenüber diesem nicht vernachlässigt
werden dürfen, ist die Anordnung und Ausgestaltung des Redenpaares und
die darauffolgende charakterisierende Synkrisis zwischen Caesar und Cato dennoch
die ergiebigste Quelle für die Untersuchung von Sallusts Menschenbild und
seiner Personenkonzeption in der coniuratio Catilinae allgemein sowie speziell
seiner Bewertung der zeitgenössischen Politiker, zu denen nicht nur die
einflußreichen und angesehensten Männer in den sechziger Jahren,
sondern auch die während der Abfassungszeit des Werkes zeitgenössichen
Mitglieder des zweiten Triumvirats in den späten vierziger Jahren hinzugezogen
werden können.
Sallust hat die Reden von Caesar und Cato und auch die anschließende Synkrisis
nicht in der beschriebenen historischen Situation, sondern aus der späteren
Sicht und seinem Wissen über die weitere Entwicklung beider Männer
heraus angeordnet. Obwohl die Reden das grundsätzliche, historisch belegte
Meinungsbild über Caesar und Cato wiedergeben, hat Sallust ihren Aufbau
und die inhaltliche Argumentation nach seinen eigenen intentionalen Vorstellungen
gestaltet. Daß Sallust hier nicht reale Geschichtsdokumente darstellen
will, zeigt seine vereinfachte und zeitlich gedrängte Darstellung der Senatsverhandlungen
über den Umgang mit den in Rom verhafteten Mitverschwörern Catilinas,
die er nach dem Vorbild des Thukydides zu einem entgegengesetzten Rednerpaar
zusammengefaßt hat.
Aufgrund der unterschiedlichen Positionen Caesars und Catos in ihren jeweiligen
Reden wird vielfach gemutmaßt, wen von beiden Sallust für seine eigene
Meinung sprechen läßt. Die Argumentationsebenen und Anträge
beider Redner sind dabei ebenso wie ihre persönliche virtus völlig
unterschiedlich, repräsentieren aber beide Sallusts historische und politische
Auffassungen aus den Exkursen.
Caesar plädiert für eine mildere Behandlung der Gefangenen. Vorher
hat sich im Senat bereits die allgemeine Meinung durchgesetzt, daß die
Hinrichtung die einzig angemessene Strafe sei. Caesar muß demnach durch
seine Rede den Anschein erwecken, Mitverschwörer Catilinas zu sein oder
sich zumindest als bekannter Gegner der Senatsherrschaft den Haß der meisten
Anwesenden zuziehen. Aufgrund dieser ungünstigen Voraussetzungen zeigt
Sallust in der Gestaltung von Caesars Rede großen Respekt vor dessen rhetorischen
Fähigkeiten. Caesar argumentiert behutsam und schrittweise von den Wertvorstellungen
der Senatoren ausgehend mit den Schlagwörtern maiores und dignitas und
betont wiederholt seine Abscheu vor dem Verbrechen Catilinas. Er beginnt mit
der Forderung, man solle in einer so wichtigen Angelegenheit frei von Leidenschaften
entscheiden (c. 51,1-3) und schließt daran zwei außenpolitische
Beispiele aus der Zeit der maiores an, als diese sich gemäß ihrer
dignitas richtig entschieden hätten (c. 51, 4-6). Diesen Teil schließt
Caesar mit der Forderung nach würdiger und gesetzmäßiger ("quae
legibus conparata sunt", c. 51,8) Behandlung der Verräter (c. 51,7-8)
ab.
Nach einem Resümee der bisherigen Reden, welche zwar leidenschaftlich,
aber auch moralisch fragwürdig die Todesstrafe verlangt hätten (c.
51,9-11), betont Caesar die Bedeutung der Entscheidung für den Ruf der
Senatoren, welche als Machthaber besonders auf ihren öffentlichen Ruf achten
müßten (c. 51,12-15).
Im folgenden widmet er sich dem von seinem Vorredner, dem designierten Consul
Decimus Silanus, vorgebrachten Antrag auf Hinrichtung der Verschwörer und
weist dessen Antrag als verfassungsfremd ("aliena a re publica", c.
51,17), gefährlich und in jedem Fall unangemessen zurück (c. 51,16-24).
Caesar weist in seiner Argumentation darauf hin, daß die Todesstrafe nicht
nur gegen bestehendes Recht verstoße sondern auch nach stoischer Lebensanschauung
eine zu schnelle, milde Bestrafung bedeute.
Mit Hilfe von ausländischen Beispielen führt der Redner daraufhin
mögliche negative Folgen und Gefahren für den Staat an, wenn außerordentliche
und für einen bestimmten Zeitpunkt auch richtig erscheinende Maßnahmen
für die Folgezeit zu einem schädlichen Präzedenzfall werden könnten,
welche zu Oligarchie oder Tyrannis und zum Untergang der Freiheit und des Staates
führen könnten und bringt damit die Komponente der historischen Bedeutung
dieser Entscheidung ins Spiel (c. 51,25-36).
Caesar schließt seine ruhige und sachliche Rede mit einem neuerlichen
Lob der Vorfahren, welche aus Einsicht die lex Porcia geschaffen hätten
und stellt den Antrag, das Vermögen der Gefangenen einzuziehen und sie
in den Landstädten gefangenzuhalten (c. 51, 37-43).
Insgesamt stellt Sallust die Argumentationen dieser Rede in einen weiten politischen
und historischen Zusammenhang. Ausgehend von Beispielen der maiores und den
altrömischen Wertbegriffen dignitas und consilium beurteilt Caesar die
Entscheidungsfrage nach der Bestrafung der Verschwörer vor dem Hintergrund
der Geschichte des innenpolitischen Parteienkampfes und der voraussehbaren Folgen
der anstehenden Entscheidung. Die Aussagen zu dem beispielhaften Verhalten der
maiores stehen dabei im Zusammenhang mit dem ersten Exkurs, die politischen
Erwägungen zu der Bedeutung der Entscheidung mit dem zweiten Exkurs.
Während für Caesar die Krise mit der Verhaftung der Verschwörer
in Rom bereits bewältigt zu sein scheint und für ihn die zukünftigen,
grundsätzlichen Folgen der anstehenden Entscheidungen im Mittelpunkt des
Interesses stehen, untermauert Cato seinen Strafantrag mit einem moralischen
Rückblick auf die Vergangenheit. Er ist derselben patriotisch und parteipolitisch
motivierten Meinung der Senatsmehrheit und argumentiert als Anhänger der
Senatsherrschaft nach deren moralischen Maßstäben und alten Grundsätzen,
an die er mahnend erinnert. Im Gegensatz zu Caesar sieht Cato die Ursachen der
Krise nicht in den im zweiten Exkurs erläuterten Parteikämpfen, sondern
im Verfall der Sitten, der im ersten Exkurs dargestellt wird. Die Motivation
für die Entscheidung über die Bestrafung der Verschwörer ist
dagegen aus innenpolitischen Erwägungen heraus begründet, die ihren
Ursprung im zweiten Exkurs haben.
Im ersten Teil der Rede (c. 52,1-6) beschreibt Cato die immer noch akuten Gefahren
der Verschwörung für die einzelnen Menschen und den ganzen Staat,
die er so zusammenfaßt: "libertas et anima nostra in dubio est"
(c. 52,6).
Die Ursachen dieser Entwicklung sieht Cato in der "luxuria atque avaritia"
(c. 52,7) und wirft allen, die die Gefahren nicht erkennen und für Milde
stimmen, Dummheit und Trägheit vor (c. 52,7-12).
Nach philosophischer und sicherheitspolitischer Ablehnung von Caesars Erörterungen
und Antrag (c. 52,13-18) mahnt er die Senatoren an die Sitten und Bräuche
der Vorfahren, welche den Staat groß gemacht hätten. Analog zum ersten
Exkurs (c. 10,4-12) stellt er die gegensätzlichen mores antithetisch gegenüber:
"domi industria, foris iustum imperium, animus in consulundo liber neque
delicto neque lubidini obnoxius. Pro his nos habemus luxuriam atque auaritiam,
publice egestatem, priuatim opulentiam " (c. 52, 21-22). Sallust läßt
Cato in luxuria und ambitio die Quellen allen Übels (c. 52, 22) erkennen
und legt ihm damit seine eigene Geschichtsauffassung aus den Exkursen auf.
Indem Cato noch einmal auf die bestehende Gefahr durch Catilina und sein Heer
hinweist (c. 52, 24), geht er zu seinem Antrag über. Er verlangt industria
von den Senatoren ("uigilando adundo bene consulundo", c. 52, 29)
und nennt historische Beispiele für diese Entschlossenheit und Tatkraft
der römischen Vorfahren (c. 52, 30). Schließlich betont er noch einmal
das außerordentliche Verbrechen der Verschwörer und die noch bestehende
Gefahr für den Staat (c. 52, 31-35), um von da aus den Antrag auf Vollzug
der Todesstrafe zu formulieren (c. 52, 36).
Während Caesar also in seiner Rede für Sallust ein außerordentliches
Beispiel politischer Umsicht und philosophischer Überlegung verkörpert,
äußert Cato in seiner radikalen Pragmatik Sallusts Wunsch nach einfacher
und schneller Lösung politischer und sozialer Mißstände.
In der sich an die beiden Reden anschließenden Synkrisis (c. 53,2-54)
betont Sallust sein personalistisches Geschichtsbild. Einzelne, durch ihre virtus
hervorragende Männer hätten seiner Meinung nach den römischen
Staat groß und bedeutend gemacht, obwohl andere Völker in bestimmten
Bereichen leistungsfähiger gewesen seien (c. 53,2-5). Trotz der allmählichen
Dekadenz erkennt Sallust auch zu seiner Zeit in Cato und Caesar zwei hervorragende
Vertreter höchster virtus, deren unterschiedliche Ausprägung er in
Kapitel 54 einander gegenüberstellt.
In der Synkrisis wird beiden Männern gleichrangiger Adel, gleiches Alter,
sowie ähnliche Beredsamkeit und Geistesgröße zugestanden. Diese
fast identischen persönlichen Voraussetzungen treten aber in der Gegenüberstellung
beider Charaktere in fast gegensätzlichen Ausprägungen hervor. Zusammenfassend
ist festzustellen, daß Cato als Moralist nach altrömischen Vorbild
streng, unnachgiebig und selbstzufrieden wirkt ("esse quam uideri bonus
malebat" c. 54,6), während der Politiker Caesar milder und menschenfreundlicher
zu seinen Mitmenschen, für sich selbst aber strebsam und ehrgeizig erscheint
("sibi magnum imperium exercitum bellum nouom exoptabat, ubi uirtus enitescere
posset.", c. 54,4).
Die unterschiedlichen Argumentationen und Standpunkte der Reden sowie die einander
entgegengesetzten Ausprägungen zeitgenössischer römischer virtus
wirken auf den ersten Blick zwiespältig und unlogisch , verraten aber vielmehr
Sallusts tiefe Einsicht in die Wahrheit der römischen Geschichte und seine
eigene Einstellung gegenüber dem Charakter beider Männer. Er entlarvt
sowohl ethisch-moralische Veränderungen als auch politische Konflikte als
Ursachen der Krise und stellt in den Reden im Rückgriff auf die vorangegangenen
Exkurse die Schwierigkeit einer vermeintlich richtigen, allen Erwägungen
Rechnung tragenden tagespolitischen Entscheidungsfindung dar. Es ist seine Absicht,
niemandem der beiden Redner alleine für sich Recht zu geben, vielmehr ehrt
er ihre virtus vor der aller anderen Menschen und zeigt in ihren Reden und in
der Synkrisis die neue Komplexität seiner Zeit, in der nicht mehr einfach
richtig und falsch existieren, sondern aufgrund der wachsenden moralischen und
politischen Dekadenz die Entscheidung zwischen besser und schlechter gefunden
werden muß. Die Wahl oder den richtigen Kompromiß zwischen der altrömischen,
strengen virtus des Cato und der milden, menschlicheren Strebsamkeit des Caesar
sowie zwischen tagespolitischen Notwendigkeiten, der Beachtung möglicher
Konsequenzen und moralischen Erwägungen überläßt Sallust
dem Leser, der diese Komplexität erkennen und für sich je nach individueller
Situation eine Meinung oder Lösung finden soll. Er selbst findet an beiden
Politikern lobenswerte und tadelnswerte Aspekte ihres Lebens und Charakters.
In ähnlicher Weise wie in der coniuratio Catilinae stellt Sallust auch
im bellum Iugurthinum dem überzeichneten, scheinbar nur in eigener Initiative
kämpfenden Bösewicht drei römische Gegenspieler entgegen. Dabei
werden Marius und Sulla wie Caesar und Cato im Hinblick auf ihre spätere
historische Bedeutung dargestellt und charakterisiert, während sich die
politische Karriere des Metellus ebenso wie die des in der coniuratio Catilinae
nur als Nebenperson behandelten Cicero im behandelten Geschichtsausschnitt bereits
auf dem Höhepunkt befindet. Gegenüber den in der catilinarischen Verschwörung
proportional unausgewogen wirkenden Charakterisierungen, bindet Sallust die
für das historische Verständnis wichtigen Personen direkt in die Handlung
ein und charakterisiert sie sowohl in Exkursen als auch durch die Darstellung
ihrer historischen Taten.
Die Anordnung, einzelne Konzeption und schließlich die Interaktion dieser
römischen Hauptpersonen im bellum Iugurthinum sollen im folgenden im Hinblick
auf das historische Denken Sallusts isoliert und interpretiert werden, um daran
anschließend die historische Bedeutung dieser Personengruppe für
Sallust herauszufiltern.
Mit der Berufung des Consuls Metellus zum Oberbefehlshaber im Krieg gegen Iugurtha
endet für die Römer nach der rogatio Mamilia die erste gravierende
innenpolitische Krise. Der durch die parteilichen Auseinandersetzungen und Bestechungen
Iugurthas in Rom in den Hintergrund getretene und für die Römer schon
einen schlimmen Verlauf nehmende Krieg in Numidien erlebt erst mit dem Oberbefehl
des Metellus eine für die Römer erfolgreiche Wendung und weitet sich
nach der schmachvollen Niederlage der Albini von einem kolonialen Polizeieinsatz
zu einem bedeutenden Kolonialkrieg aus. Metellus erweist sich dabei als umsichtiger
und erfolgreicher Feldherr, Taktiker und Intrigant, ohne allerdings über
das große, eher dem Marius zugeschriebene Glück zu verfügen.
Vielmehr hebt Sallust wiederholt das consilium des Metellus hervor, dessen Betonung
im Vergleich zu der glücklichen strenuitas des Marius allzu vorsichtig
wirkt und damit eine ähnlich abwertende Funktion erhält wie die übergroße
Vorsicht des Cicero gegen Catilina.
Die Bewertung des Metellus durch Sallust ist detailliert und berücksichtigt
dessen Herkunft, politischen Standort und die historische Situation. Sallust
beurteilt den Metellus situationsgebunden, indem er dessen typisch optimatische
Lebenseinstellung und die taktischen Fehler kritisiert, aber auch die militärischen
Leistungen lobt. Wie die meisten anderen Charaktere des bellum Iugurthinum entwickelt
sich Metellus im Verlauf der Monographie nur wenig. Allerdings wird seine Leistung
hervorgehoben, zur Zeit einer großen innenpolitischen Krise in Rom als
Vertreter der stark angeschlagenen Nobilität die heikle Aufgabe der Kriegsführung
in Numidien auf sich genommen und seine Aufgabe tüchtig ausgeführt
zu haben. Dafür schreibt Sallust ihm nach seiner Abberufung allgemeinen
Respekt durch die römische Öffentlichkeit für diese politische
und militärische Leistung zu.
Noch wichtiger ist aber die Tatsache, daß Metellus sich nach der Beseitigung
optimatischer Korruption in Rom als moralisch unantastbar erweist und im Krieg
ehrenvoll für den Staat einsetzt. Dennoch zeigt Sallust auch an der Figur
des Metellus die politisch verkommenen Sitten des Staates auf. In Auseinandersetzung
mit dem ehrgeizigen Marius verfällt Metellus in die von Sallust mehrfach
gerügte superbia nobilitatis. Als typischer Vertreter seines gesellschaftlichen
Standes kann er es nicht verkraften, von einem homo novus als Consul und Oberfeldherr
in Numidien abgelöst zu werden. Dieses Verhalten schmälert trotz der
ehrenvollen Aufnahme in Rom die historische Leistung des Metellus.
Die politische Karriere des Marius im Verlauf des bellum Iugurthinum beginnt
als Legat im Heer des Metellus. Durch seine hervorragenden militärischen
Leistungen macht er nicht nur den Metellus auf sich aufmerksam, sondern gewinnt
auch zunehmend Einfluß in Rom. Sallust sieht aber erst in einem Orakelspruch
den entscheidenden Anstoß für Marius, sich um das Konsulat und auch
um den Oberbefehl in Numidien zu bewerben. Als Folge dieser Bestrebungen kommt
es nicht nur zum persönlichen Bruch zwischen Metellus und Marius , sondern
auch der bis dahin wegen der gemeinsamen Kriegsanstrengungen beigelegte Konflikt
zwischen den Parteien wird durch die polarisierenden Agitationen in Rom wieder
angeheizt. Sallust zeichnet den Marius in dessen großer Rede als geschickten,
parteipolitischen Demagogen seiner Zeit, der den Haß des Volkes auf die
Nobilität für seine eigenen machtpolitischen Ziele ausnutzt, sich
aber auch zu der altrömischen virtus im Dienst für die res publica
bekennt ("Ipsa se uirtus ostendit", c. 85,31; "tamen omnis bonos
rei publicae subuenire decebat", c. 85,48).
Marius ist der Charakter aus dem bellum Iugurthinum, der in der Darstellung
die größte persönliche Entwicklung erlebt. Er nimmt eine steil
aufsteigende militärische und politische Karriere, die nach Sallusts Aufbau
sowohl persönlich als auch mythisch-religiös motiviert ist. Als Antrieb
des Handelns strahlt immer wieder der starke innere Ehrgeiz in Verbindung mit
der fortuna hervor, welche zusammen das Handeln des Marius dominieren. Obwohl
Sallust sich direkter Wertungen enthält, scheint er zu Marius ein ebenso
ambivalentes politisches Verhältnis wie zu Caesar zu haben. Wenn man Sallust
zu den Zeiten seines otium noch Sympathie zur popularischen Partei zuschreiben
kann, dann billigt er sicherlich die Ziele und Absichten des Marius in gleichem
Maße wie die des Caesar. Bezüglich Marius fällt auf, daß
seine große Antrittsrede, die von Sallust entgegen seiner eigenen Behauptung
rhetorisch ausgefeilt ist, polarisierend und radikal die Einheit des Staates
gefährdet. Vor allem kann Marius selbst im Verlauf der weiteren Handlung
seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden, so daß trotz aller
militärischen Achtungserfolge nicht er sondern mit Sulla ein Vertreter
der Nobilität den Krieg gegen Iugurtha endgültig zugunsten Roms beendet.
Damit wirkt die gesamte historische Leistung und Beurteilung des Marius ebenso
ambivalent wie im Catilina die Bewertung von Caesars Charakter und seiner Einstellung
gegenüber den Catilinariern.
Nach Ablösung des zuletzt vor dem Ehrgeiz und den Agitationen des Marius
sowie den öffentlichen Anfeindungen in Rom resignierenden und untätigen
Metellus erweist sich Marius mit neuen militärischen Kräften, durch
deren breit angelegte Rekrutierung er den Krieg endgültig zu einer zentralen
Staatsangelegenheit vergrößert, als glücklicher Stratege , der
Iugurtha in zahlreichen Schlachten nicht nur empfindliche Niederlagen beibringt,
sondern ihn auch durch Einnahme der wichtigsten numidischen Städte immer
weiter in die Defensive und schließlich zum maurischen König Bocchus
treibt, durch dessen Mitwirkung dann die endgültige Festsetzung Iugurthas
gelingt.
Trotz seiner militärischen Erfolge kann auch Marius nicht die Gefangennahme
Iugurthas und Befriedung Numidiens als seinen endgültigen Erfolg verbuchen.
Zwar hat er sicherlich mit seiner Kriegführung erst die äußeren
Handlungsmöglichkeiten geschaffen, dennoch ist es erst dem Sulla gegeben,
mit diplomatischen Mitteln den Bocchus zu überreden, Iugurtha den Römern
auszuliefern.
Obwohl Sulla den Marius nicht in seinem Amt ablöst, wie dieser vorher
den Metellus, bedeutet auch sein erfolgreicher Aufstieg im Heer des Marius eine
Verminderung von dessen Bedeutung und Ansehen. Sulla verkörpert in der
Charakterisierung des Sallust die neue Generation römischer nobiles. Er
ist jung, ehrgeizig und im Gegensatz zu den ersten Kontaktpersonen Iugurthas
in Spanien moralisch unantastbar. Diese Episode des iugurthinischen Krieges
enthält insofern eine historische Bedeutung, als Marius und Sulla die folgenden
Jahre der römischen Geschichte maßgeblich dominieren werden. Obwohl
Sallust seinen historischen Ausblick am Ende der Monographie besonders dem Marius
und dessen weiteren Taten widmet, ist mit dem Ende dieses Buches die Spannung
und der Konflikt zwischen Marius und Sulla bereits eröffnet. Sallust spielt
hier auf die großartigen Siege des Marius gegen die Kimbern und Teutonen
und seine außerordentliche politische Machtposition im Rom der auf den
iugurthinischen Krieg folgenden Jahre an.
Obwohl Sallust auch den Sulla in einem gesonderten Kapitel charakterisiert,
in dem dieser äußerlich dem freigiebigen und umgänglichen Caesar
aus der Synkrisis der coniuratio Catilinae, innerlich und von der familiären
Situation her gesehen aber dem hinterhältigen und berechnenden Catilina
ähnelt , bleibt dessen weitere Rolle im Gegensatz zu den auch in ihren
Emotionen beschriebenen Metellus und Marius auffallend blaß, vage und
frei von dem erwarteten Parteihaß. Sullas Handlungen wirken umsichtig,
und er scheint dem übergeordneten Consul Marius gegenüber loyal zu
sein. In optimatischer Klugheit enthält er sich im Gegensatz zu Marius,
der gegenüber Metellus in einer ähnlichen Situation gewesen ist, kritikwürdiger
Handlungen, die seinen Aufstieg gefährden könnten.
Während Sallust aber am Ende der Monographie noch einen Ausblick über
die weiteren Taten des Marius gibt, ist Sullas Geschichte mit der Gefangennahme
des Iugurtha beendet. Man könnte meinen, daß Sulla auch noch vierzig
Jahre nach seinem Tod als für die Römer und auch für den Historiker
Sallust nicht wirklich faßbare, ganz verständliche Persönlichkeit
wirkt , wenn nicht aus der Archäologie im Catilina , der Charakterisierung
im Iugurtha sowie ganz besonders aus den Fragmenten von Sallusts Historien in
der Rede des Marcus Aemilius Lepidus die Bewertung und historische Aufarbeitung
des späteren Sulla und seiner Gewalttaten in den achtziger Jahren des 1.
Jahrhunderts vor Christus durch Sallust zu ziehen wären. Hier erscheint
Sulla als negatives, für die Zukunft zu vermeidendes historisches Phänomen,
dessen Leben hier aber nur auf die politischen Gewalttaten und seine emotionale
Wirkung auf Rom reduziert ist. Vor diesem Bewertungshintergrund scheint es für
Sallust unmöglich zu sein, auf das frühe Leben und den Charakter des
Sulla weiter einzugehen, als dies für das Verständnis des Kriegsverlaufes
nötig ist.
Wie schon im bellum Iugurthinum angedeutet, wird Marius dennoch auch in der
folgenden Zeit von dem glücklicheren und geschickteren Politiker und Strategen
Sulla übertroffen werden. Am Ende dieser Entwicklung steht die von Sallust
als direkte Folge und als ein Höhepunkt des römischen Sittenverfalls
bezeichnete Alleinherrschaft des Sulla, welche wiederum in der coniuratio Catilinae
als eine unmittelbare Ursache der catilinarischen Verschwörung charakterisiert
wird.
Wie schon in der bisherigen Untersuchung der coniuratio Catilinae, so sind
auch im bellum Iugurthinum wenig Anzeichen für eine tendenziöse, parteipolitisch
intendierte Propaganda des Sallust zu finden. Vielmehr zeigt Sallust, daß
herausragende virtus nicht an irgendeine Parteizugehörigkeit gebunden ist,
sondern an das ethisch-moralische Verhalten, welches durch die für die
gegensätzlichen Parteien typischen Charakterschwächen gefährdet
und herabgesetzt wird.
Die Kriegsführung des Metellus in Afrika erweist sich zwar als erfolgreich
, doch auch er verfällt der von Sallust im Proömium (c. 5) als Hauptthema
skizzierten superbia nobilitatis, mit der er sich den Popularen Marius zum Feind
macht und schließlich von ihm abgelöst, dennoch aber bei seiner Rückkehr
nach Rom von allen anerkennend gelobt wird. Marius dagegen, dessen Agitationen
in Rom durch Metellus' Verhalten ihm gegenüber provoziert worden sind,
zeigt vor seinem Sieg brennende ambitio und starken Haß gegen die Nobilität
, nach seinem Sieg einerseits als Feldherr außerordentliche fortuna, andererseits
aber auch insolentia sowie Mißtrauen und Neid gegenüber Sulla, dem
es letzten Endes erst gelingt, den Krieg gegen Iugurtha erfolgreich zu beenden.
Während Metellus als Träger hervorragender virtus durch seine, für
die Nobilität typische superbia scheitert, krankt Marius Verhalten an der
von Sallust bei den Popularen dieser Zeit mehrfach angemahnten libido, insolentia
und ambitio. Auch wenn Sallust im bellum Iugurthinum die avaritia und superbia
nobilitatis als Ursache des Sittenverfalls anprangert, stellt er doch gerade
an Metellus, dessen virtus nicht wie bei Marius durch übertriebene ambitio
entartet ist, die staatskonsolidierenden Fähigkeiten der Nobilität
heraus. Diese fatale Darstellung Sallusts entspricht seiner eigenen politisch
orientierten Geschichtsauffassung. Nicht eine bestimmte Parteigruppe sei für
die Krisen des Staates verantwortlich, sondern der rücksichtslose, leidenschaftliche
Kampf zwischen den Parteien, der immer schärfer geführt werde, richte
den Staat langsam zugrunde, weil beide Parteien nur für die eigene Macht
oder zum Schaden der anderen Partei kämpften und zwischenzeitliche Erfolge
nicht zum Wohl und zur Konsolidierung des Staates, sondern für die Parteiinteressen
und den persönlichen Erfolg ausnutzten.
Die Darstellung der römischen Protagonisten im bellum Iugurthinum ist damit
nicht von tragischen Intentionen, sondern von historisch-politischen Überlegungen
geprägt. Sallust zeigt die politischen und moralischen Ursachen des Parteienkampfes
und des sittlichen Verfalls seiner Gegenwart auf. Prinzipiell offenbart Sallust
im bellum Iugurthinum eine viel düstere, pesimistischere Anthropologie
als in der coniuratio Catilinae, denn selbst seine hervorragenden Protagonisten
tragen negative, sie letztlich zum Scheitern bringende Eigenschaften. In der
coniuratio Catilinae offenbaren Caesar und Cato als Träger herausragender
virtus gegensätzliche Ausprägungen und bringen damit die Zwiespältigkeit
und objektive Unlösbarkeit der Situation auch in ihren Reden, welche jeweils
richtige Aspekte von Sallusts Geschichtsverständnis offenbaren, zum Ausdruck.
Metellus und Marius tragen dagegen trotz positiver römischer Tugenden den
Keim des Scheiterns, der in ihrer Parteizugehörigkeit begründet ist,
bereits in sich. Sulla wiederum erscheint in der Monographie als stiller und
erfolgreicher Stratege, dessen historische Entwicklung in den Bürgerkriegen
gegen Marius in den Folgejahren von Sallust bereits im Catilina verarbeitet
ist, und dessen Bedeutung für die römische Geschichte erst in einigen
Fragmenten der Historien zu einem Hauptthema gemacht wird.
Hiermit wird deutlich, daß die beiden Monographien des Sallust nicht nur
stilistisch und im Hinblick auf die zugrunde gelegte Geschichtstheorie zusammengehören,
sondern auch thematisch eng miteinander verknüpft sind. Sallust arbeitet
in seinen Werken eine fast hundertjährige Vergangenheit auf, mit der er
die Zeitumstände seines eigenen Lebens und insbesondere die Entwicklungen
nach Caesars Tod thematisch auf soziokulturelle Entwicklungen und Tendenzen
zurückführt, die insbesondere mit dem Zusammenhang zwischen den innerrömischen
Verhältnissen und Werten sowie deren Entwicklung durch Interaktion mit
der äußeren Welt in Verbindung gebracht werden. Aus diesen thematischen
Schwerpunkten erklären sich nicht nur die kleineren sachlichen und chronologischen
Fehler Sallusts, sondern auch die grundsätzliche Anlage seiner Historiographie.
Er ist ein thematisch orientierter, politischer und aktueller Historiker, der
bewußt auf inhaltliche Gestaltungspostulate der Annalistik und Tragödie
verzichtet.
Die Konzeption des Iugurtha ähnelt nur äußerlich der des Catilina
in der ersten Monographie. Iugurtha ist ein junger Nichtrömer, der sich,
von äußeren Umständen veranlasst, von einem guten Charakter
zu einem Bösewicht entwickelt. Sallust stellt Iugurtha zu Beginn der Monographie
als tüchtigen und mit guten körperlichen und geistigen Qualitäten
ausgestatteten Menschen dar, der allerdings im Gegensatz zu Catilina nicht über
vorteilhafte familiäre Voraussetzungen verfügt. Sallust zeichnet am
Beginn des bellum Iugurthinum das Bild eines aufstrebenden, ehrgeizigen und
erfolgreichen Mannes, der zum einen früh während seines Aufenthaltes
in Spanien in den verderblichen Einfluß junger römischer nobiles
gerät und der sich zum anderen in seiner Heimat gegen die Ablehnung und
das Mißtrauen seiner durch die Geburt privilegierten Verwandten behaupten
muß. Diese äußeren Bedingungen treiben den darauf immer radikaler
reagierenden Anwärter auf die numidische Königswürde zu außergewöhnlichen,
hinterhältigen Maßnahmen, die einerseits als Antwort auf die Angriffe
seiner Brüder zu verstehen sind, und die Sallust andererseits direkt auf
die numidische Natur selbst und den Kontakt mit den verdorbenen römischen
Sitten zurückführt. Damit eskaliert der in Numidien, an der Peripherie
des imperium entstandene Krieg für die Römer zu einem selbst herbeigeführten
und selbst verschuldeten Unternehmen. Diese Entwicklung ist gegensätzlich
zu der Catilinas, welchen Sallust zuerst als verkommenes Produkt seiner Zeitumstände
beschreibt, dann aber während der letzten Schlacht virtus zeigen läßt
.
Die historische Persönlichkeit des Iugurtha und seine Darstellung und Bewertung
durch Sallust ist in Ermangelung anderer Quellen aus dieser Zeit nicht eindeutig
zu klären und wird von der Forschung vielschichtig diskutiert. Iugurtha
wird dabei sowohl als Verbrecher gegen die Menschlichkeit und moralische Anständigkeit
gebrandmarkt als auch demgegenüber als numidischer Freiheitskämpfer
gegen die imperialistische römische Kolonialpolitik verstanden. Diese verschiedenen
Interpretationsansätze werden von der Entwicklung unterstützt, die
Sallust dem Iugurtha zuschreibt, welcher nach typisch sallustischem Motiv nach
einem guten Beginn ein böses Ende nimmt. Für diese Arbeit ist aber
die Frage nach der Konzeption, Entwicklung und Funktion des Iugurtha-Charakters
in der Monographie von größerem Interesse.
Zuerst einmal wird die frühe Entwicklung des Iugurtha in einer dem Catilina
entgegengesetzten Charakteristik in Interaktion mit seinem Onkel und Stiefvater
Micipsa, seinen Brüdern Hiempsal und Adherbal sowie mit Publius Scipio
und jungen römischen nobiles in Spanien aufgebaut. Diese vor der eigentlichen
Haupthandlung liegenden Ereignisse sind umfangreicher und weitläufiger
als im Catilina, haben aber eine ähnliche Funktion. Sie dienen dazu, den
Leser zum einen mit der Vorgeschichte, den historischen Ursachen sowie mit der
Geographie und den Menschen Numidiens vertraut zu machen, zum anderen enthält
besonders die Konzeption des Iugurtha die Basis für den Verlauf der weiteren
Ereignisse. Viel mehr als Catilina befindet sich Iugurtha von Beginn an sowohl
in der eigenen Familie als auch in der Beziehung zu Rom in kritischer Situation.
Infolge seiner hervorragenden politisch-militärischen Anlagen, der allgemeinen
Beliebtheit aufgrund seiner Leistungen und schließlich vor allem nach
der Adoption durch Micipsa ist er ein natürlicher Thronprätendent.
Der Konflikt entsteht aber durch die inneren und äußeren polaren
Gegensätze. Während Iugurtha in Numidien beim Volk beliebt ist und
er sich schon der Unterstützung einiger Römer sicher sein kann , wächst
im Königshaus Argwohn und Neid gegen den überall angesehenen Krieger,
der weder in seinem Heimatland noch gegenüber dem römischen Senat
die Möglichkeit hat, seinen Anspruch rechtmäßig gegen seine
Brüder durchzusetzen.
Iugurtha entwickelt sich im Verlauf des numidischen Krieges aufgrund der großen
Entfernung zu Rom, seiner Verschlagenheit und seiner Kenntnis der römischen
Kriegsführung sowie des afrikanischen Kriegsschauplatzes zu einem Gegner,
der für den römischen Staat zwar nicht so existentiell bedrohlich
wie Catilina wird, dennoch aber im ganzen viel schwieriger und langwieriger
zu besiegen ist. Ihm gelingt es zwar, die kriegstechnisch den Römern unterlegenen
Numider immer wieder zum Kampf anzustacheln, er muß aber auch wiederholt
aufgrund deren Feigheit große Vorhaben abbrechen und wird schließlich
von der überlegenen römischen Kriegsmacht zurückgeschlagen und
bezwungen.
Für den optimatisch orientierten Teil des Senats erweist sich die Hoffnung
auf persönliche Bereicherung durch Unterstützung von Iugurthas Zielen
als trügerisch. Sallust entwickelt hier das Bild einer selbst provozierten
äußeren Krise, die wiederum die innere Politik des Staates beeinflußt.
Er zeigt, daß der äußere Krieg nur siegreich beendet werden
kann, wenn zuvor die innere Krise bereinigt worden ist.
Nach dieser politischen Komponente, welche mit Sallusts politischen Geschichtsbild
in Verbindung steht, geht er zu Einzelheiten des Krieges über. Hier erweist
er sich zum einen in ethnographischen und geographischen Darstellungen als Stilist
, zum anderen dienen die für seinen Stil eher atypischen weitläufigen
Darstellungen über den weiteren Verlauf und die Beendigung des Krieges
dazu, die historischen Wurzeln seiner eigenen politischen Gegenwart zu finden.
Er beschreibt mit Marius und Sulla einen ganz neuen Typus Römer, deren
virtus nicht nur eine ganze Epoche geprägt hat, sondern die auch durch
ihre gegenseitigen Auseinandersetzungen, ihr Verhalten und ihre Ziele das letzte
Jahrhundert der Republik entscheidend beeinflußt haben.
Abschließend widmet sich die Untersuchung der Hauptperson der coniuratio
Catilinae, um zu hinterfragen, ob und inwieweit Sallust die Person, Geschichte
und das Schicksal des Catilina nach tragischen Motiven gestaltet hat. Oberflächlich
betrachtet geht Catilina einen tragischen Weg. Nach anfänglichen Erfolgen
seines Planes scheitert er schließlich und nimmt ein drastisches Ende.
Demgegenüber ist es aber fraglich, inwieweit dieser Entwicklung eine tragische
Gestaltungsabsicht mit affektiver Wirkung zugrunde liegt oder ob nicht vielmehr
für Sallust in der Konzeption des Catilina soziale, an realen Erkenntnissen
ausgerichtete geschichtsphilosophische Gestaltungsmerkmale im Vordergrund stehen.
Die Charakteristik Catilinas (c. 5) orientiert sich an Sallusts Anthropologie
aus dem Proömium und bildet einen Kontrasts zu Sallusts eigenem Lebensweg.
Catilina wird antithetisch als Mensch mit besten Voraussetzungen, aber schlechten
Charaktereigenschaften beschrieben ("L. Catilina, nobili genere natus,
fuit magna ui et animi et corporis, sed ingenio malo prauoque.", c. 5,
1). Sallust zeigt an Catilina nicht die Idealform der von ihm geforderten virtus
des Geistes, sondern genau die seiner moralischen Verfallsgeschichte entsprechenden
Verkehrung der Werte. Während die Gegenüberstellung von Caesar und
Cato einander entgegengesetzte Ausprägungen zeitgenössischer virtus
animi aufzeigt, dient Catilina als Exempel der staatsgefährdenden Bedeutung
von moralischer Dekadenz und daraus folgender politischer Uneinigkeit. Seine
guten sozialen und physischen Voraussetzungen werden von seinem üblen Charakter
korrumpiert, so daß er die schlechtesten Eigenschaften ausbildet und einsetzt
(c. 5, 1-5).
Diese gefährliche Mischung von guten Voraussetzungen und schlechten Eigenschaften
führt bei Catilina zum Streben nach hohen, maßlosen Zielen, die schließlich
von der Herrschaft Sullas inspiriert darin münden, mit allen möglichen
Mitteln die Macht an sich zu reißen (c. 5, 6). Catilina wird also nicht
durch das vorbildliche Verhalten und Beispiel seiner Vorfahren zu neuen, tüchtigen
und ruhmreichen Taten ermutigt, sondern er erliegt dem negativen Beispiel Sullas
und will diesen an seinenen äußeren Attributen, nämlich Macht
und Reichtum, übertreffen, ohne besonderen Wert auf seinen Ruf oder den
moralischen Wert des Zieles oder der Mittel zu legen. Die ganze Entwicklung
von Catilinas Charakter ähnelt mit ihrem Aufstieg, der moralischen Dekadenz
und dem Untergang der Gesamtkonzeption der römischen Geschichte in der
Archäologie. An Catilina manifestiert Sallust die guten Gründungsbedingungen
und den raschen Aufstieg des Staates, schließlich aber auch die zerstörerischen
Auswirkungen moralischer Dekadenz und die drohende Katastrophe durch Selbstzerstörung.
Schließlich charakterisiert Sallust noch die persönlichen Ausprägungen
von Catilinas Lebensführung und Lebensziel, welche ihn aufgrund von Geldschwierigkeiten
und Gewissen mehr und mehr beunruhigten und im sittlichen Tiefstand des Staates
durch "luxuria atque auaritia" (c. 5, 8) ihr Spiegelbild gefunden
hätten (c. 5, 7-8).
Catilina erscheint als rastloser, durchtriebener Mensch, der im Wissen um seine
Verbrechen fieberhaft seinen Zielen nachjagt, um darin eine vermeintliche Erfüllung
zu finden. Diese Konzeption ähnelt der tragischen Exposition des Seneca,
in welcher Helden wie Ödipus oder Medea den Keim der Katastrophe schon
vom düsteren Beginn an in sich tragen, dennoch aber darauf zustreben müssen.
Diese Konzeption ist bei Sallust aber nicht tragisch um des Tragischen willen.
Vielmehr geht es ihm gar nicht um die Entwicklung zur Katastrophe, um das Pathos
oder um das tragische Scheitern des Protagonisten, welches geschichtlich unumstritten
ist. Sallust will nicht einmal persönliche, individuelle oder sogar philosophische
Lehren als eine Art "Moral" weitergeben, sondern nur die widersprüchliche,
scheinbar ausweglose historische Situation des Staates darstellen, allerdings
nicht ohne auf Besinnung oder Verbesserungen in der Zukunft zu hoffen und sein
eigenes Leben anhand der beschriebenen Gesamtsituation und der korrumpierten
Verbrecher zu verteidigen.
Nach der großen Archäologie schildert Sallust in den Kapiteln 14-17
Catilinas Anhängerschaft, seine Motive und die Sammlung der Gleichgesinnten
im Jahre 64 v. Chr. An Catilina manifestiert sich hier der seit der Zerstörung
Karthagos wütende "böse Geist" der Geschichte, welcher in
dem moralisch verfallenen Klima in Rom leichtes Spiel hat, alle möglichen
Verbrecher, gescheiterte Existenzen und leichtsinnige Jugendliche zu korrumpieren
und auf seine Seite zu ziehen, indem er jedem seine individuellen Wünsche
erfüllt oder ihn zu den ersten Verbrechen verführt (c. 14). Catilinas
Leben selbst wird als von Jugend an unmoralisch und verbrecherisch dargestellt,
da er mit verschiedenen Frauen Unzucht getrieben (c. 15, 1) und seinen eigenen
Sohn ermordet habe, um die von Sallust nicht sehr geschätzte Aurelia Orestilla
heiraten zu können (c. 15, 2-3). Als Fazit dieser Verbrechen charakterisiert
Sallust den Catilina als sowohl äußerlich als auch innerlich völlig
ruhelosen, zerrütteten und wahnsinnigen Menschen ohne moralischen Halt.
Diese Charakterisierung und ihre Bedeutung für die folgenden Ereignisse
besitzt insofern tragische Elemente, als Catilina durch sein verbrecherisches
Wesen, seine Rastlosigkeit und seinen zunehmenden Wahnsinn den Schlüssel
für sein weiteres Schicksal bereits in sich trägt. Dennoch aber ist
damit nicht bereits sein späteres Scheitern und sein Untergang vorbestimmt.
Zuerst hätten diese inneren Voraussetzungen und die äußere sichere
und ruhige, dennoch aber instabile Lage (c. 16, 4-5), dazu geführt, im
Vertrauen auf seine Anhängerschaft gegen den Staat zu agieren. Dafür
habe er sich um das Konsulat beworben und Anhänger innerhalb der Oberschichten
gewonnen, die sich aus einer Verschwörung persönliche Vorteile erhofft
hätten (c. 17).
Nach Darstellung einer früheren Verschwörung aus dem Jahr 66 v. Chr.,
an der Catilina schon teilgenommen haben soll (c. 18-19), erhält Catilina
selbst das Wort und wendet sich in seinem eigenen Haus an die ihm sozial am
nächsten stehende Gruppe der Verschwörer aus Senatoren- und Ritterstand,
um ihnen seine Pläne mitzuteilen und ihre Loyalität, ihren Mut und
ihre Entschlossenheit zu stärken (c. 20). Er zeigt sich in dieser von Sallust
konzipierten Rede als polarisierender Demagoge, der sich und seine Anhänger
als leidende Opfer einer Senatsoligarchie darstellt, welche die Freiheit der
anderen unterdrücke und Macht und Reichtum kumuliere.
Catilina beruft sich auf anerkannte römische Werte wie Freiheit, Ehre,
Geltung und Reichtum ("omnis gratia potentia honos diuitiae", c. 20,
8), verkehrt sie jedoch zu äußeren, ausgehöhlten Attributen
und verlangt für sich und seine Anhänger genau diejenigen Vorteile,
Machtbefugnisse und Attribute ("tabulas nouas, proscriptionem locupletium,
magistratus sacerdotia rapinas, alia omnia quae bellum atque lubido uictorum
fert.", c. 21, 2), die er den derzeitigen Machthabern vorwirft ("nisi
forte me animus fallit et uos seruire magis quam imperare parati estis.",
c. 20, 17). Damit entlarvt Sallust die demagogischen Agitationen neuer Volksführer
oder angeblicher Reformer, die in Wirklichkeit nur ihren eigenen Vorteil und
ihren eigenen Machtgewinn verfolgten und auch die bestehende Senatsherrschaft,
welche durch ihre Uneinsichtigkeit mitverantwortlich am Erfolg dieser Leute
sei und durch den unerbittlichen Parteienkampf den Staat an den Rand des Untergangs
führe.
Nach den verschiedenen gewaltlosen und gewaltsamen Aktionen der Verschwörer,
die mit dem Wechsel von gesetzlichen Bemühungen und Terroraktionen an die
nationalsozialistischen Agitationen in den Zwanziger- und Dreißigerjahren
des 20. Jahrhundert erinnern und nach dem Scheitern der Verschwörung in
Rom nach Catilinas Flucht , kommt es in den Kapiteln 56-61 zum großen
Entscheidungskampf in Etrurien zwischen Catilinas Heer und einem regulären
römischen Heer unter dem Legaten Marcus Petreius.
Nach Leemans Interpretation nimmt Catilina ein tragisches und heldenhaftes Ende
, indem er seinen aussichtslosen Existenzkampf bis zur vollkommenen Niederlage
mutig aufrechterhalte und nicht aufgebe. Tatsächlich zeigt Catilina nach
dem Scheitern der Verschwörung in Rom und der Erkenntnis der aussichtslosen
militärischen Lage in der Ansprache an seine letzten verbliebenen Getreuen
sowie in der abschließenden Schlacht mit den überlegenen römischen
Legionen außerordentlichen Mut und Entschlossenheit (c. 58-60). Abgesehen
von den historischen Tatsachen, daß Catilina wahrscheinlich vor der letzten
Schlacht eine Ansprache gehalten hat und sein Heer letztendlich von den römischen
Legionen besiegt worden ist, verdient die Darstellung des Sallust im Hinblick
auf Gestaltungsschwerpunkte und Intention eine nähere Betrachtung.
Sallust läßt an der Gesamtsituation vor der Ansprache keinen Zweifel.
Er betont, daß sie ausweglos sei und Catilina und seinen Anhängern
nur der offene Kampf oder die Kapitulation bliebe, welche nach den Ereignissen
in Rom die Todesstrafe möglich erscheinen läßt. Schon diese
Umstände relativieren das Verhalten Catilinas, da er in jedem Fall den
sicheren Tod vor Augen haben mußte. Anstatt nun aber nach moderneren moralischen
Vorstellungen für seine Gefolgsleute beim Gegner Strafmilderung zu erwirken,
stachelt er diese zum entschlossenen Kampf an und stellt ihnen sogar noch die
längst unrealistisch gewordenen Ziele wie Reichtum, Ehre, Ruhm und Freiheit
vor Augen (c. 58, 8-10), nicht ohne allerdings auf die existentielle Bedeutung
der Schlacht und einer Niederlage hinzuweisen. Catilina wähnt sich selbst
und seine Anhänger gegenüber den Legionen im Vorteil, weil sie um
Vaterland, Freiheit und das eigene Leben, also um die ganze Existenz kämpften,
während ihre Gegner für die Macht anderer ihr Leben aufs Spiel setzen
müßten (c. 58, 11-12). Catilinas Logik ist einfach: es gebe keinen
Weg mehr zurück und nur im Kampf könnten sich seine Anhänger,
die sich durch Geist, Lebensalter und virtus auszeichneten (c. 58, 19), den
Sieg oder eine ruhmvolle und den Feinden schädliche Niederlage verdienen
(c. 58, 12-21).
Catilina zeigt sich am Ende seiner Verschwörung gegenüber dem Anfang
unverändert. Zwar bezeugt Sallust ihm im Entscheidungskampf großen
Mut und Tapferkeit und läßt ihn wie in der Ansprache gefordert viele
Feinde töten , dennoch erscheint Catilinas Reden und Handeln sowie sein
Erscheinungsbild nach dem Tod uneinsichtig und beinahe wahnsinnig. An ihm verkörpert
Sallust einmal mehr die fatale Wirkung von falschem römischen Denken und
falscher, egoistischer Interpretation römischer virtus, die in ihrer egoistischen,
zerstörerischen Ausrichtung nur die Existenz des Staates in Gefahr bringt,
Leben und Wohlstand vieler Menschen bedroht und letztendlich ein katastrophales
Ende nehmen muß.
Auch wenn die Charakteristik (c.5) dem Catilina größtes verbrecherisches
Potential und sogar Wahnsinn (c. 15, 5) bescheinigt , gab es für diesen
immer wieder freie Entscheidungsmöglichkeiten. Er ist nicht der tragische
Held, der von den äußeren Umständen und einer schweren persönlichen
Schuld getrieben in die voraussehbare Katastrophe getrieben wird. Sogar vor
der Entscheidungsschlacht steht ihm eine zweifellos unsichere Kapitulation offen.
Vielmehr ist sein eigener zerstörerischer Wille die treibende Kraft, die
trotz aller Rückschläge ihre Ziele ohne Rücksicht vorantreibt
und damit am Ende selbstverantwortlich nach Ausnutzung aller möglichen
Mittel verdient scheitert.
Sallust nutzt das Ende Catilinas auch, um die scheinbare Tapferkeit vermeintlich
großer und mutiger Krieger als uneinsichtige Beschränktheit und falsche,
verkehrte römische virtus zu entlarven. Nach Sallust sollen nicht die scheinbar
großen Kriegstaten, sondern die moralischen Inhalte der virtus, etwa in
sinnvoller Politik oder nützlicher Geschichtsschreibung gerühmt werden,
weil sie selbstlosen Einsatz für den Staat über die eigenen Vorteile
stellten. Letztendlich erscheint Catilina wieder als Gegenbild zu Sallusts eigenem
Leben, der sich vielleicht die Voraussetzungen Catilinas gewünscht hätte,
um sein Leben von Anfang an anders zu gestalten.
In Kontrast zu der annalistischen römischen Geschichtsschreibung arbeitet
Leeman für die Monographien Sallusts mit Hilfe römischer und hellenistischer
Theorien über die Form der historischen Monographie eine dramatische Gesamtkonzeption
heraus. Er zitiert die von Cicero genannten hellenistischen Aspekte der Monographie,
die eine Art Drama mit einem Hauptdarsteller bilden solle, dessen Schicksalswechsel
beim Leser Spannung, Mitleid und Furcht erzeugen sollten. Diese Form der historischen
Monographie sei damit eher auf emotionale Wirkung und nicht auf Information
oder Belehrung ausgerichtet.
Im folgenden tastet Leeman zuerst die Art ab, wie Sallust seine Personen zeichnet,
zweitens untersucht er die Gruppierung und Strukturierung der geschilderten
Ereignisse und drittens prüft er Sallusts Interpretation des menschlichen
Daseins auf dramatische Elemente.
Für die Protagonisten findet Leeman als Ähnlichkeiten zur Tragödie
die geringe Anzahl von Protagonisten, den hohe Anteil der oratio recta, die
übermenschliche Zeichnung von Caesar, Cato und des Wahnsinns von Catilina
und Iugurtha, welcher deren, bei Sallust tragisch und sogar heldenhaft konzipierten,
Fall mitverursacht habe.
Bei der Gliederung des Catilina fällt Leeman eine Aufteilung in zwei große
Hälften auf, die um einen zentralen Exkurs (c. 36-28) nach der Flucht Catilinas
zu seinem Heer nach Etrurien als Peripetie gruppiert seien. Dieser Exkurs über
die Geschichte Roms finde wiederum selbst einen tragischen Wendepunkt in der
Eroberung Karthagos durch die Römer, durch die der vorherige innen- und
außenpolitische Aufstieg seinen Höhepunkt, aber auch den Umschlag
des Geschicks erreicht habe, welcher zu Niedergang und Verfall geführt
habe, an dessen Ende der Untergang Roms stehen könnte. Die Beschreibung
dieser einzelnen Phasen sei jeweils nach ihren politischen Bedingungen, nach
der psychologischen Reaktion und dem daraus sich ergebenden moralischen Klima
aufgeteilt.
Als Menschenbild des Sallust erkennt Leeman in den Prologen die Vorstellung
eines Doppelwesens, welches zugleich gut und schlecht sei. Dieselben Triebe
des Menschen könnten demnach sowohl zur virtus als auch zum Gegenteil führen.
Die unterschiedlichen, zum Teil sogar gegensätzlichen Ausprägungen
hoher virtus würden in der Synkrisis zwischen Caesar und Cato und dem damit
verdeutlichten Zwiespalt zwischen Moral und politischem Erfolg deutlich. Leeman
nennt dieses eine tragische Spaltung innerhalb der virtus, welche wesentlich
für Sallusts Menschenbild sei und spricht Sallust einen prinzipiellen Optimismus
oder Pessimismus ab. Vielmehr sei die Teilung des Menschen in animus und corpus,
der Kampf mit der äußeren fortuna und dem schlechten Selbst um die
Existenz und die virtus eine tragische Konzeption, welche ihre Wurzeln in den
unsicheren und ungewissen Lebensumständen zur Zeit Caesars habe. Mitleid
und Furcht errege Sallust nicht aus Pathos oder leerem Moralismus, sondern um
einer Reinigung und Läuterung der Leser willen, welche ihnen den Weg in
die Freiheit zeigen könnten.
Aus der vorangegangenen Einordnung Sallusts in die antike Historiographie und
der Analyse seiner historischen Gestaltungsmerkmale wird aber deutlich, daß
der Ansatz Leemans nicht ausreicht, die Geschichtskonzeption Sallusts hinreichend
zu verstehen und zu erklären. Auf der Basis der bereits erworbenen Beobachtungen
und Erkenntnisse soll deshalb im folgenden ein eigenes Verständnis von
Sallusts Geschichtsbild und Geschichtskonzeption entwickelt und in ihren literarischen
Kontext eingeordnet werden.
Die Grundlagen für Sallusts historisches Verständnis liegen sowohl
in der historiographischen Tradition als auch im soziokulturellen Kontext und
der persönlichen Lebenssituation des Autors. Anhand des Aufbaus und der
Entwicklung seiner Geschichtsschreibung können vor diesem Hintergrund Ansätze
gefunden werden, welche nicht nur das Geschichtsverständnis Sallusts, sondern
auch die Rezeption der eigenen Umwelt eines antiken Menschen erkennbar werden
lassen. Dazu gehören neben der Wahrnehmung historischer Entwicklung und
deren Ursachen der literarische Aufbau der Handlung und die Konzeption der Personen.
Aus den Darstellungsschwerpunkten und den historiographischen Umstellungen und
Auslassungen Sallusts ist abzuleiten, daß dieser seine Geschichtswerke
sowohl stilistisch als auch inhaltlich nach eigenen Vorstellungen und Intentionen
strukturiert und konzipiert und sich damit wie Thukydides von einfachen Geschichtensammlern
wie Herodot abhebt. Der Leser des Sallust soll nicht nur die Ereignisse der
Vergangenheit kennenlernen, sondern auch ihre Zusammenhänge und Auswirkungen
auf die eigene Gegenwart und das eigene Denken erfahren.
Sallust nimmt die römische Geschichte als moralische und politische Dekadenz
wahr, in deren Verlauf die altrömischen Sitten durch die gewonnene Macht
und Sicherheit und den darauf folgenden allgemeinen Luxus verblaßt sind
und die politischen Eliten gegeneinander auf Kosten der Stabilität des
Staates um die innere Vormachtstellung kämpfen. Diese Zerrüttung des
Staates und der moralischen Normen hat Sallust selbst am eigenen Leib erfahren.
Es ist dabei nur von sekundärem Interesse, ob der Historiker Sallust während
seiner historiographischen Tätigkeit von seinen eigenen jugendlichen Verfehlungen,
welche er an seiner Umgebung anprangert, geläutert ist. Er ist jedenfalls
in der Lage, die destruktiven Symptome seiner Zeit und ihre historischen Ursachen
zu erkennen und sie mit geschichtlichen Zusammenhängen, Ereignissen und
Personen zu verknüpfen.
Aus diesen Umständen sind Geschichtswerke entstanden, die über ihr
historisches Thema und ihren eigenen Zeitabschnitt weit hinausgehen. Sie dienen
als Spiegelbilder der eigenen Gegenwart und zeigen in den Personendarstellungen
mögliche Muster für menschliches Verhalten in Krisensituationen. Die
politische Bewertungsgrundlage des Sallust ist nicht so sehr in den popular-parteilichen
Zielen Caesars zu suchen wie in einer gemäßigten, konservativ-altmodischen
Moral aus den Zeiten der frühen Republik. Die Ablehnung der für ihn
abstoßenden Tagespolitik und die Betonung geistiger Werte gegenüber
körperlichen Trieben resultieren aus der geringeren sozialen Herkunft und
dem eigenen politischen Scheitern. Wie viele andere Jugendliche des Landadels
ist Sallust nach Rom gekommen, um dort seine Ausbildung zu erhalten, sich einem
einflußreichen Parteimann anzuschließen und in dessen Fahrwasser
den eigenen politischen Aufstieg und die persönliche Bereicherung zu suchen.
Der Unterschied Sallusts zu allen anderen mehr oder weniger Namenlosen besteht
aber darin, daß seine politischen Ideale mit Caesars Diktatur und dessen
Ermordung gescheitert sind, daß Sallust danach weder kriminell gegen den
römischen Staat geworden ist noch daß er nach seinem politischen
Scheitern auch persönlich gefährdet ist. In seinem otium hat er nicht
nur die Zeit, die finanzielle und politische Unabhängigkeit, sondern auch
ein ausreichendes Maß an Selbstreflektion, um über die Umstände
seines Lebens und dessen historische Rahmenbedingungen nachzudenken und daraus
ein eigenes Geschichtsbild und einen eigenen historiographischen Stil zu entwickeln.
Sallust steht in seinem literarischen Schaffen nicht allein. Er ist ganz selbstverständlich
beeinflußt von seinem literarischen Kontext, insbesondere den historiographischen
Vorgängern und der zeitgenössischen Literatur, sowie seinem eigenen
historischen Lebensumständen.
Schon seit der Antike ist es eine allgemein akzeptierte These, daß Sallust
als römischer Thukydides gesehen werden kann. Diese Einschätzung kann
sich aber nur auf äußere Gestaltungsmerkmale und einige Aspekte der
historiographischen Methode beziehen. Ähnlich wie Thukydides baut Sallust
in seine Haupthandlung historische und geographische Exkurse, Personencharakterisierungen
und Reden ein, um die Dichte seiner Erzählung zu erweitern und die Bedeutung
des historischen Gegenstandes zu betonen.
Während Thukydides aber im Sinne der Glaubwürdigkeit seiner Ereignisgeschichte
offensichtlich größten Wert auf die Authentizität und die faktischen
Ursachen der Ereignisse legt , steht bei Sallust vor der Geschichtsrezeption
die Formung seines eigenen Geschichtsbildes. Er scheut sich nicht davor, Ereignisse
umzugruppieren oder historische Charaktere wie Caesar und Cato zu typisieren.
Neben Umdatierungen von historischen Ereignissen und der Politisierung der Zusammenhänge
nimmt Sallust einige historische Einzelheiten und Personen aus ihrem historischen
Kontext heraus und verleiht ihnen durch Verbindung mit ihrer späteren Bedeutung
und ihren Auswirkungen eine geschichtsübergreifende Bedeutung und Wahrheit.
Sowohl Thukydides als auch Sallust streben bei ihren Lesern einen aufklärenden
Erkenntnisgewinn für die Zukunft an. Die Leser des Thukydides sollen und
können aber aus der Geschichte lernen, weil sich nach ihm der Grundcharakter
des Menschen nicht ändert und auch menschliche Zusammenhänge gleich
bleiben. Sallusts Intention ist dagegen politischer und direkter. Er gestaltet
die von ihm konzipierte römische Geschichte nach dem Dekadenzmodell des
Poseidonios als eine absteigende Linie , auf deren Tiefstand sich der zeitgenössische
römische Leser wiederfinden und daraus im Sinne altrömischer Moral
und Ethik Konsequenzen für das politische Handeln in der eigenen Gegenwart
ziehen soll. Aufgrund der inhaltlichen Differenzen zwischen Sallust und Thukydides
ist es also nur bedingt zutreffend, Sallust als römischen Thukydides zu
bezeichnen.
Gattungstypische Voraussetzungen bieten zahlreiche Ansatzpunkte, Ähnlichkeiten
zwischen Sallust und ihm vorausgegangenen Historikern zu finden. Neben Thukydides
wird Sallust auch Manierismus gegenüber Poseidonios, Polybios sowie den
tragischen bzw. rhetorischen Historikern Theophrast, Duris, Phylarchos und Theopomp
nachgewiesen. Obwohl es aufgrund seiner gesellschaftlichen Herkunft und des
sich daran anschließenden politisch-militärischen Lebens als unsicher
gelten kann, daß Sallust sich intensiv mit allen Werken dieser Historiker
auseinandersetzen konnte, so ist es in jedem Fall eindeutig, daß er nicht
unreflektiert einem großen Vorbild wie etwa Thukydides folgt, sondern
aus literarischen Tradition die für ihn entscheidenden Gestaltungsmerkmale,
Geschichtstheorien und die philosophischen Überlegungen selektiert, die
seinem eigenen Leben, seiner historischen Erfahrung und seiner politischen Intention
am besten entsprechen.
In den Monographien Sallusts können besonders im Rahmen der politischen
und historischen Exkurse Elemente der Historien des Poseidonios und des Polybios
erkannt werden. Hier finden sich die politischen Interpretationsmodelle des
Polybios, der die römische Mischverfassung als Ursache und Grundlage des
politischen und militärischen Aufstiegs Roms erkennt. Ebenso zieht sich
das von Poseidonios entwickelte Prinzip der politischen und moralischen Dekadenz
wie ein roter Faden durch die sallustische Geschichtsdarstellung. Aufgrund seiner
Lebenserfahrung nimmt Sallust die römische Geschichte als Verfallsgeschichte
wahr, und er sieht in der eigenen Gegenwart den Höhepunkt dieser Entwicklung,
welche den römischen Staat von seinen prägenden Wurzeln weggeführt
und im Innern eine existenzbedrohende Krise verursacht hat.
Als wissenschaftlicher Historiker ist Sallust verpflichtet, seinen Forschungsschwerpunkt
und seine historischen Erkenntnisse mit den für ihn am besten geeigneten
Mitteln zu untersuchen und darzustellen. Sicherlich hat er einen ungewöhnlichen
Weg gewählt, seine politische Zeitgeschichte in der Form von Monographien
zu konzipieren, die von ihrer Anlage her auf einen kurzen Zeitabschnitt und
nur wenige Personen begrenzt sind. Diese Geschichtskonzeption aber erlaubt es
dem Autor, ungezwungener als in der Annalistik seine persönlich erlebten
Erfahrungen in Form von ausgefeilten Exkursen und Reden in dem potentiellen
Leser bekannte und emotional ansprechende historische Rahmenhandlungen einzuarbeiten.
Obwohl die historische Bedeutung und Realität des iugurthinischen Krieges
und der catilinarischen Verschwörung von Sallust nicht mißachtet
werden, bilden beide historischen Ereignisse nur den Rahmen für die Vermittlung
von Sallusts politischen Erkenntnissen und deren historischen Entwicklung sowie
eine Einführung in die Art von Sallusts historischer Forschung und seiner
Rezeption menschlichen Handelns und menschlicher Geschichte.
Neben der historischen und politischen Gelehrsamkeit bieten die Monographien
durch ihr thematische Abgeschlossenheit und ihre teilweise dramatische Zuspitzung
auf die Haupthandlung, besonders in Zusammenhang mit Sallusts außerordentlichem
Stil, unterhaltende Elemente, die mit Sicherheit die gewünschte Breitenwirkung
ermöglichten. Wenige äußerliche Merkmale der Tragödie,
wie etwa die Beschränkung auf wenige Charaktere, die unvermeidliche Entwicklung
und Katastrophe des tragischen Helden sowie der hohe Anteil an Reden, reichen
nicht aus, um Sallusts Monographien dieser Gattung zuordnen zu können.
Obwohl Reitzenstein den Aufbau von Sallusts Monographien auf dramatische Gestaltungsabsichten
zurückführt, muß auch er zugestehen, daß diese formalen
Elemente nicht ausreichen, um Pathos zu erregen und damit die Monographien zu
Dramen zu machen. Vielmehr stellt Reitzenstein fest, daß bei Sallust das,
"was nach Komposition und Einzeltechnik Dichtwerk ist, [...] innere Wahrheit
haben und Geschichte' sein [soll]". Nicht einmal zur klassischen
tragischen Geschichtsschreibung lassen sich bei Sallust nennenswerte Analogien
finden. Man sucht bei ihm vergeblich überzeichnete Charaktere, grauenhafte
Gewaltdarstellungen oder melodramatisch ausgefeilte Einzelszenen.
Es ist daher viel wahrscheinlicher, daß Leemans Erkenntnisse so allgemeiner
Natur sind, daß sie bei vielen Schriftstellern und Historikern zu beobachten
wären und zum einen eine wichtige Grundlage historischer Erzählung,
zum anderen eine elementare Komponente des menschlichen Lebens und menschlicher
Lebenswahrnehmung selbst darstellen. Dazu kommt abschließend noch hinzu,
daß die äußere Gestaltung und die Rahmenhandlungen der Monographien
Sallusts in erster Linie dem Zweck dienen, die allgemeinen politischen und historischen
Erkenntnisse und deren zeitunabhängige, von einem bestimmten Ereignis losgelöste
Bedeutung zu transportieren. Sallust verbindet damit die ursprünglichen
Postulate der Belehrung und der Unterhaltung und behauptet damit seinen Platz
neben den bedeutendsten Vertretern der antiken Historiographie. Im Gegensatz
zu den viel umfangreicheren im Stile des Hesiod berichtenden Werken des Livius
finden sich bei Sallust zugespitzte Formulierungen und Inhalte, die den Wechsel
der Zeitumstände zwischen beiden Historikern verdeutlichen. Während
Sallust noch in einer Phase politischer Unsicherheit schreibt, in welcher jeder
Römer sich noch als ein am Gemeinwesen beteiligter Bürger fühlt,
spiegeln die Werke des Livius die kaiserzeitliche Sicherheit und das beginnende
politische Desinteresse an der Gegenwart wieder.
Sallust stellt sich in seinen Monographien als Historiker dar, der trotz seiner
persönlichen Beteiligung an der römischen Geschichte und der beschriebenen
Zeitumstände große Analysefähigkeit und historisches Verständnis
beweist. Die Beteuerung, daß er alles so wahrheitsgemäß wie
möglich berichten wolle, bietet den Schlüssel zum Verständnis
seiner Geschichtsschreibung. Diese ist sehr persönlich, politisch und moralisch
konzipiert und frei von tragischen oder tendenziösen Intentionen. Vielmehr
zeigt Sallust sich als ein Mann, der Rückschau auf sein Leben hält,
nach Erklärungen sucht und in seinen Werken darstellt, wie er die Gegenwart
versteht und einordnet. Ausgehend von seinem eigenen politischen Scheitern,
den wahrscheinlich begründeten öffentlichen Beschwerden über
den Gegensatz zwischen seinen moralischen Forderungen und seiner eigenen Lebensweise
sowie schließlich der Enttäuschung über Caesar sucht er in der
Geschichtsschreibung einen Ausweg aus einem "schlechten Gewissen"
und einen Weg für die Verwirklichung seiner eigenen virtus. Sallusts Geschichtswerke
sind demnach nicht einmal unbedingt als historiographische Tradition, sondern
sogar als persönliche Vergangenheitsbewältigung zu bezeichnen, auch
wenn Sallust selbst sie als Garantie seines öffentlichen Ruhmes verstanden
hat. Sie geben in erster Linie nicht nur einen historischen Überblick über
den sachlichen Ablauf des iugurthinischen Krieges oder der Verschwörung
des Catilina, sondern sind vielmehr Zeugnisse römischen Denkens und römischer
Lebensrezeption in einer Zeit des politischen und ethischen Umbruchs in Rom,
in der sich der äußerlich zum Weltreich expandierte römische
Stadtstaat im Inneren an diese außergewöhnliche Situation anpassen
mußte.
Sallusts fast schon verzweifeltes Festhalten an altrömischen Werten äußert
in ihrer Nostalgie den inneren Wunsch nach einfacheren, strukturierten und übersichtlicheren
Verhältnissen, die im ersten Jahrhundert vor Christus doch schon unwiederbringlich
verloren sind. Sein mehrfach hervortretendes zyklisches Geschichtsverständnis
begründet seine Sorge um die äußere Existenz des Staates, der
in der äußeren Expansion an seine Grenzen gestoßen ist, ohne
daß die innere kulturelle Entwicklung damit Schritt halten konnte.
Sallusts Geschichtswahrnehmung ist deutlich stärker von den großen
griechischen Geschichtsschreibern Thukydides, Polybios und auch Poseidonios
als von den einzelnen hellenistischen Gattungen, wie etwa der tragischen oder
rhetorischen Geschichtsschreibung oder gar der Tragödie geprägt. Von
Thukydides hat Sallust Elemente der historischen Methode und literarischen Technik
übernommen, von Polybios Theorien der Verfassungsgeschichte und von Poseidonios
das historische Dekadenzmodell. Vor allem an diese griechischen Vorbilder und
auch die davon abgeleitete Form der historischen Monographie des Coelius Antipater
ist der Aufbau von Sallusts Monographien angelehnt, dennoch werden zu Recht
inhaltliche, sprachliche und äußere Gestaltungsmerkmale bei Sallust
gefunden, die der tragischen Geschichtsschreibung oder darüber hinaus der
klassischen Tragödie und dem historischen Roman entstammen. Diese Merkmale
sind aber eher sekundär und bilden nicht die Quintessenz der Geschichtswahrnehmung
und Geschichtskonzeption Sallusts. Vielmehr stellen diese Phänomene natürliche
Aspekte des menschlichen Lebens und menschlicher Lebensanschauung dar, deren
literarische Verwertung alltäglich und natürlich ist. Anhand seiner
geschichtstheoretischen Betrachtungen in den Proömien, dem in den Exkursen
entwickelten historischen Modell, den ethischen, politischen und historischen
Gestaltungsmerkmalen sowie schließlich an der exemplarischen Personenkonzeption
ist zu erkennen, daß das literarische Schaffen Sallusts in erster Linie
an historiographischen Intentionen gebunden ist. Es ist methodisch orientiert
an der politischen Geschichte des Thukydides, theoretisch an dem Dekadenzmodell
des Poseidonios und sprachlich an der moralischen Geschichtsschreibung des älteren
Cato.
Im Gegensatz zu Seneca, in dessen Zeit die innenpolitischen Verhältnisse
zumindest geordnet und sicher sind, vermittelt Sallust gerade nicht den persönlichen,
stoischen Rückzug aus der äußeren Welt, sondern zeigt auch in
seinem otium Betätigungsfelder auf, die Wirkungen zeitigen können
und praktischen Sinn haben. Während für Seneca das leidende Individuum
keine Betätigungsfelder und Verbesserungsmöglichkeiten mehr sehen
kann, verlangt Sallust von seinem Publikum Einsicht in die besondere historische
Situation seiner Zeit, Lernen aus der Geschichte und das Umsetzen dieser Erkenntnisse
in eine vernünftige Neuordnung der Verhältnisse. Konkrete Lösungsvorschläge
kann er aber nicht geben, er tendiert politisch sichtlich zwischen Diktatur
und zunehmender Machtbeschneidung der Senatsparteien hin und her. Ethisch verlangt
er aber von seinen Mitmenschen zunehmende Reflexion über ihr Denken und
Handeln.
Wenn also die Triebfeder seines Schreibens sehr persönlich-biographisch
ist, so sind Sallusts Intentionen und der Kern seiner Darstellung hochaktuell
und in vielerlei Hinsicht nützlich. Trotz einiger historischer Ungenauigkeiten
und Schwächen in einzelnen Details verdient Sallust aufgrund seiner prägnanten
Kürze und exemplarischen Darstellungsweise einen Platz unter den hervorragendsten
antiken Historikern. Obwohl sein etwas nachlässiger Umgang mit realen Daten
und Quellen in der modernen Geschichtswissenschaft unvorstellbar wäre und
auch schon in der Antike seit Thukydides überholt ist, ist Sallusts exemplarische
Methodik der an einem persönlichen Geschichtsbild ausgerichteten, prägnanten
Geschichtsdarstellung sehr wirksam, um dem Leser den Verlauf der Geschichte
über den einfachen politisch-militärischen Ablauf hinausgehend faßbar
zu machen. Sallust ist es gelungen, mit nur zwei Monographien eine fast einhundertjährige
Entwicklung des römischen Staatswesens zu veranschaulichen und zu hinterfragen.
Eine besondere Beachtung verdienen dabei die Personencharakterisierungen, weil
Sallust mit Charakterisierung derjenigen Personen, die für ihn die Träger
der Geschichte sind, exemplarisch soziale Entwicklungen im 1. Jahrhundert vor
Christus verdeutlicht.
Neben den hervorragenden Vergleichen zwischen Cicero, Caesar und Cato sowie
zwischen Metellus, Marius und Sulla und deren Parallelität verdienen besonders
Iugurtha und Catilina als Hauptpersonen besondere Beachtung. Die Entwicklung,
die Sallust dem Catilina zuschreibt, ähnelt so deutlich der in der großen
Archäologie geschilderten römischen Geschichte (Cat. 6-13), daß
es als gesichert gelten kann, daß Sallust anhand des Catilina die Ursachen,
den Verlauf und das drohende Ende der moralischen Dekadenz der Römer illustrieren
will. Eine ähnliche Parallele wird im bellum Iugurthinum deutlich. Der
von seiner Abstammung her benachteiligte Iugurtha ähnelt in seinem Streben
nach Anerkennung als numidischer Thronfolger und in seinem mit allen Mitteln
geführten Kampf gegen die übermächtigen Römer der römischen
Plebs und ihren im Parteienexkurs (Iug. 41f.) analysierten Auseinandersetzungen
mit der römischen Nobilität. Wie schon bei Catilina zentriert sich
in der Person des Iugurtha das Gesamtthema der Monographie. Während Catilina
durch sein Beispiel die negativen Auswirkungen moralischer Dekadenz verdeutlicht,
zeigt Iugurtha dem Leser die psychologischen Ursachen sowie die politischen
und sozialen Hintergründe des römischen Parteienkonflikts auf. Trotz
der noch offenen Fragen bezüglich Sallusts persönlicher Einstellung
zur römischen Geschichte und seiner Zukunftsaussichten ist es Sallusts
Verdienst, anhand ausgewählter Aspekte der römischen Geschichte und
deren Transformation auf wenige Hauptcharaktere die Krise der Römischen
Republik und deren Übergang zum Prinzipat mit ihren Ursachen, Hintergründen
und möglichen Auswirkungen erfahrbar gemacht zu haben.
Aufgrund dieser Leistung gebührt Sallust zu Recht das Lob zweier späterer
Literaten, zuerst des Rhetors Quintilian, der Sallusts historiographische Leistung
über das doch viel umfangreichere Werk des Livius stellt:
"[Sallustius] historiae maior est auctor quam Liuius".
Schließlich soll auch die Meinung des Tacitus nicht ausgelassen werden,
für den Sallust das große Vorbild seines eigenen literarischen Schaffens
darstellt und der Sallust schließlich etwas übertrieben als den glänzendsten,
auf höchster Stufe stehenden Schriftsteller römischer Geschichte bezeichnet:
"C. Sallustius rerum Romanarum florentissimus auctor".
Versicherung:
"Ich versichere, daß ich die schriftliche Hausarbeit einschließlich
evtl. beigefügter Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen selbständig
angefertigt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt
habe.
Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen
sind, habe ich in jedem einzelnen Falle unter genauer Angabe der Quelle deutlich
als Entlehnung kenntlich gemacht."
Bielefeld, den 19. Juni 2000