Geb. 20. 3. 43 v. Chr. Sulmo (heute Sulmona, etwa 120 km östlich von Rom);
gest. um 17 n. Chr. Tomi (dem heutigen rumänischen Constanta am Schwarzen
Meer).
Ovid gehörte durch Geburt dem alten italischen Landadel an. Als Sohn wohlhabender Eltern studierte er bei denangesehensten Lehrern der Rhetorik; der ehrgeizige Vater eröffnete ihm den Weg zur Senatorenlaufbahn. Ovid machte aber keinen Gebrauch davon, er gehörte nur einem nicht näher bekannten Dreimännerkollegium an, war ferner wegen seiner guten juristischen Kenntnisse Mitglied des Centumviralgerichtshofs und Einzelrichter in Zivilsachen; seine Abkehr von der Politik begründete er schließlich mit schwacher Gesundheit und Unfähigkeit zu angestrengter Arbeit - er verkehrte lieber in Dichterkreisen, war mit Sextus Propertius befreundet, veröffentlichte seine ersten Gedichte, »als er noch kaum ein- oder zweimal rasiert ist«. Sein großes Thema ist die Liebe.
Im Jahre 8 n. Chr. wird er plötzlich durch kaiserliches Edikt ohne Gerichtsverhandlung ans Schwarze Meer, in die tiefste Provinz verbannt; über die Gründe der Verbannung gibt es nur Vermutungen. Hier entstehen Klagelieder, Poesie der Sehnsucht nach Rom, er besingt den nördlichen Winter und die Liebenswürdigkeit der Barbaren. Aber auch ein Lobgedicht auf Augustus und Tiberius brachte ihm keine Begnadigung, er starb im Exil.
P. Ovidius Naso (Naso = Gesichtszinken, Gurke, Riechorgan) wurde am 2o. 3. 43 v.Chr. in Sulmo im Päligner-Land östlich von Rom geboren. Er entstammte einer begüterten Ritterfamilie, wurde in Rom erzogen und sollte nach seines Vaters Wunsch Jurist werden, weshalb er eine rhetorische Ausbildung erhielt. Aber seine Neigung trieb ihn mit aller Macht zur Dichtkunst hin (angeblich konnte er überhaupt nichts in Prosa schreiben, alles geriet ihm nach eigener Aussage sofort zum Vers. Er reiste nach Kleinasien und Sizilien, studierte dann in Athen und bekleidete später die niedrigen Ämter der römischen Laufbahn (cursus honorum).
Seine erste Dichtung machte ihn schon in früher Jugend ziemlich berühmt, sehr zum Leidwesen des inzwischen (seit 27 v.Chr.) zu Augustus gewordenen Oktavian, dessen einzige Tochter Julia die Liebesgedichte Ovids höchst genüsslich zu verschlingen pflegte.
Ovid war dreimal verheiratet, zweimal von kurzer Dauer, seine dritte Frau hingegen hielt ihm sogar während seines Exils die Treue, und besaß aus der 3. Ehe eine Tochter. Im Jahre 8 n.Chr. wurde er aus nicht mehr exakt rekonstruierbaren Gründen von Augustus in die Verbannung geschickt, und zwar nach Tomi am Schwarzen Meer (heute rumänische Küste), was für einen stadtgewohnten Römer gleichbedeutend war mit dem Ende der Welt - er selbst nennt dafür ein Gedicht und einen begangenen Fehler (s.o. Julia!) als Ursache. Bis dahin war er befreundet gewesen mit Horaz und Properz. Auf den Tod des ersten großen Elegikers Tibull hatte er eine ergreifende Elegie geschrieben. Mehreren Versuchen, mit Hilfe von Gnadengesuchen eine Aufhebung seiner Verbannung zu bewirken, blieben zu Lebzeiten des Augustus (gestorben 14 n.Chr.) erfolglos, erst recht unter dessen Nachfolger Tiberius (14-37 n.Chr.)), der Dichter als besseres Fischfutter zu bezeichnen pflegte. Ovid starb im Jahre 18 in Tomi. Sein Werk ist ziemlich umfangreich, seine Nachwirkungen auf die abendländische Kultur sind in Dichtung, bildender Kunst und v.a. in der Musik kaum zu überschätzen.
Von den erhaltenen Werken sind mit einer Ausnahme alle im Versmaß des elegischen Distichons geschrieben (vgl. mit Properz!):
Die ursprünglich fünf Bücher Liebesgedichte hat Ovid später
in drei Bücher zusammengezogen (15 + 19 + 15) zu insgesamt 49 Elegien -
alle sind einer gewissen Dame der römischen Halbwelt gewidmet, die unter
dem Decknamen Corinna die weibliche Hauptrolle spielt.Zusammengefasst ist zu
den Amores noch zu sagen: alles geht viel spielerischer und leichter vor sich
als bei Properz und dessen Cynthia, Distichon ist Satz- und Sinneinheit, die
Themenvielfalt ist enorm, aber vieles wirkt dafür auch mehr gekünstelt,
weil man oft spürt,
dass der Aussage nicht unbedingt auch ein wahres Erlebnis zugrundeliegt - immer
im Vergleich mit Properz.
Der Dichter wird, ermutigt durch den Erfolg seiner Amores, zum Lehrmeister in allen Liebeslagen.
Auch das muß sein, wie kämen sonst einige von ihren Kletten los?
Ein Leitfaden für antike Kosmetik des Weiblichen Teints: auch heute noch in Einzelfällen sehr empfehlenswert
Briefe verlassener Heroinen an ihre Auf-und-Davons, z.B. der Ariadne an Theseus, der Dido an Aeneas, etc.
Eine Beschreibung von Ursprung und Ablauf römischer Feste nach dem römischen Kalender. Vollendetsind nur die Monate Januar bis Juni.
In Hexametern verfasstes Epos von 15 Büchern voller Verwandlungssagen - die Mythologie Iässt schön grüßen!
Diese beiden Werke wurden in der Verbannung verfasst. Besonders aufschlussreich ist Ovids Autobiographie Tristien IV,1o
"ergo etiam cum me supremus adederit ignis,/ uiuam, parsque mei multa
su-perstes erit" Dieses letzte Distichon faßt die Gesamtaussage des
letzten Ge-dichtes von Buch 1 der Amores hervorragend zusammen. In diesem Pro-grammgedicht
antwortet Ovid auf die öffentliche Kritik an seinem Dichterle-ben, gibt
Begründungen für seinen eigenen Lebensstil, reiht sich durch Darstel-lung
eines Kataloges der großen griechischen und römischen Dichter in
diese Reihe ein und untermauert damit seinen Anspruch auf ewigen Ruhm des Dich-ters
durch sein fortbestehendes Werk.
Ovid kontrastiert in Gedicht 1, 15 nicht nur zwischen dem politisch aktiven
Leben der römischen Oberschicht in der augusteischen Ära und der literarischen,
politischen Zurückgezogenheit des elegischen Dichterideals, sondern bewertet
auch durch zahlreiche Beispiele die Lebensleistung eines literarisch tätigen
Mannes höher als politische und militärische Leistungen.
Die Amores des Ovid sind über einen langen Zeitraum hinweg entstanden.
Die frühesten Gedichte gehen in die Jugendzeit des Dichters zurück,
nach seinen eigenen Angaben in die Zeit, in der ihm gerade erst der Bart gestutzt
worden war, also im Alter von ca. 18 Jahren im Jahr 25 v. Chr. Die Publikation
der ersten Fassung in 5 Büchern erstreckte sich bis ins Jahr 15 v. Chr.
Der ursprüngliche Aufbau und die Zusammensetzung dieser ersten Auflage
der Amo-res ist aber nicht überliefert, sondern nur die, wie vom Autor
selbst im Vorwort zur 2. Auflage ca. im Jahr 1 n. Chr. angegeben, aus Geschmacksgründen
auf 3 Bücher gekürzte Fassung.
Das vorliegende Gedicht muß wohl zeitlich zwischen den Jahren 19 bis 15
v. Chr. liegen, weil in dem Dichterkatalog die bereits verstorbenen Gallus (ca.
26 v. Chr.), Vergil (ca. 19 v. Chr.) und Tibull (ca. 19 v. Chr.), noch nicht
aber der erst 15 v. Chr. verstorbene Properz erwähnt sind.
Im Aufbau sind die Amores mit den Büchern 1-3 der Elegiensammlung des Properz
vergleichbar, Ovid umrahmt mit den kürzeren Büchern 1 und 3 (je-weils
15 Gedichte ähnlich wie Properz (24 bzw. 25 Gedichte) das längere
Buch 2, das bei Ovid 19, bei Properz ca. 40 Gedichte umfaßt. Trotz inhaltlicher
Pa-rallelen ist bei Ovid allerdings eine innere Abkehr und Modifizierung des
tradi-tionellen elegischen Dichtungs- und Lebensprogrammes festzustellen, die
ihn zu einem spielerischen Umgang mit den traditionellen elegischen Themen ge-führt
haben.
Die Interpretation von Gedicht 1, 15 kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen.
Durch eine Einordnung in das Gesamtwerk kann die besondere Funktion dieses Gedichtes
am Ende von Buch 1 untersucht werden. Eine Gliederung des Gedichtes wird die
inhaltlichen Schwerpunkte Auseinandersetzung mit Kritik, besonders mit Augustus
selbst, Verteidigung des eigenen Lebensstils, Suche nach ewigem Ruhm, Einordnung
unter die berühmtesten Dichter durch den Katalog und die zusammenfassende
Lebenseinstellung herausarbeiten, von der ausgehend dann die einzelnen sprachlichen
Phänomene und Besonderheiten im in-haltlichen Bezug erläutert und
interpretiert werden können.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Interpretation soll dabei in der Intention
O-vids liegen, wobei besonders seine Einstellung zur öffentlichen Kritik
an seiner Lebensweisheit und die Komposition des Dichterkataloges im Vordergrund
stehen sollen, um davon ausgehend genau herausfiltern zu können, wie Ovid
Ruhm definiert und bewertet und auf welche Art und Weise er ihn anstrebt.
Als wichtige Stützen für die Untersuchung des Gedichtes dienten dabei
die Kommentare von Brandt , Barsby und McKeown , wobei der Kommentar von Brandt
als ältester fast nur Namen- und Sacherklärungen gibt, während
die beiden englischsprachigen sehr ausführlich Parallelstellen und inhaltliche
Be-züge angeben.
Als Hilfen für die inhaltliche Interpretation standen dazu noch die Monographien
von Niklas Holzberg zur römischen Liebeselegie und zu Ovids Leben und Dichtung
und Walter Wimmel zum Stil der kallimacheischen Apologetik in Rom sowie die
Aufsätze von Stoessl und Vessey zu Ovids Ruhmeskonzeption in Gedicht Amores
1, 15 zur Verfügung.
Das vorliegende Gedicht amores 1, 15 ist mehr als eine einfache Siegelung des
ersten Buches der amores. Neben der Auseinandersetzung mit der öffentlichen
Kritik an seinem Rückzug aus dem politischen Leben und der Forderung nach
Unsterblichkeit der eigenen Dichtung setzt sich Ovid auch mit politischen Fra-gen
der augusteischen Zeit auseinander und sucht sich einen Platz unter den großen
Dichtern der Geschichte.
Durch Modifikation des apologetischen Programmes des Kallimachos, dessen Inhalt
er auf den Kampf der Dichtung gegen äußere Gegner allgemein bei Bei-behaltung
des Formengefüges verschiebt, verteidigt er nicht nur seine eigene Lebensentscheidung
in Kontrast mit den öffentlichen Vorstellungen über die virtus romana,
sondern greift direkt seinen vormaligen Förderer Augustus an. Stoessl meint
an zahlreichen Stellen Spitzen und direkte Angriffe gegen Au-gustus erkennen
zu können, so z. B. in den Anspielungen auf Cicero, auf die prekäre
politische Situation in Spanien, die Triumphe des Augustus und vor allem durch
die überraschende, hervorgehobene Nennung des in Ungnade ge-fallenen Gallus.
Aus dem ovidischen Neologismus "Liuor" (Vers 1 und 39) könnte
man nach Stoessl sogar direkt den Caesar Augustus heraushören. Anhand der
Zurückweisung und Betonung der Vergänglichkeit und langfristi-gen
Machtlosigkeit von Politik, Wirtschaft und Militär gegenüber der emotio-nalen
Macht und Unsterblichkeit der Dichtung entwickelt sich Gedicht 1, 15 von der
Verteidigung der persönlichen Lebensentscheidung Ovids zu einer Kampfansage
an Augustus, den wohl schärfsten Kritiker dieser Entscheidung.
Der Dichterkatalog dient dabei nicht nur als Beweis der Unvergänglichkeit
von Dichtung und für Anspielungen auf Augustus unliebsame Personen oder
The-men, sondern wird von Ovid auch zur eigenen Werbung eingesetzt. Auch Bars-by
hält den Anspruch auf ewigen Ruhm und die Assoziation mit den großen,
bereits berühmten Dichtern für den zur Zeit der Entstehung von 1,
15 noch sehr jungen Ovid für kühn , aber genau dieser Anspruch muß
ein wesentlicher Teil von Ovids Anliegen gewesen sein.
Vessey hingegen versteht das Gedicht auch als Imitation der Ode 3, 30 von Horaz.
Obwohl er den bitteren, ernsthaften Ton an einigen Stellen nicht leug-net, sieht
er in der Häufung von Ewigkeitssymbolen und Gemeinplätzen ironi-sche
Elemente, die den Leser auffordern sollen, althergebrachte Ideen und die Vergänglichkeit
oder Unvergänglichkeit aller menschlichen Beschäftigungen angesichts
der Ewigkeit zu hinterfragen.
Obwohl die Intentionen Ovids letztendlich nur schwierig zu erraten sind, läßt
sich dennoch abschließend feststellen, daß sich der junge Dichter
mit diesem Gedicht für seine persönliche Lebensentscheidung für
die Dichtung und gegen die staatliche Karriere rechtfertigt und sich in den
Kreis großer und berühmter Dichter einreihen will. Dabei spart er
nicht mit Angriffen gegen althergebrach-te politische Ansichten oder sogar direkt
gegen Augustus und hebt dagegen ganz besonders den Wert und die Macht der Dichtung
hervor, die er vermehrt mit menschlichen Attributen versieht. Dichter und ihre
Gedichte würden so lange berühmt sein und gelesen werden, solange
sie das menschliche Leben betreffen und solange die darin behandelten Themen,
Menschen und Orte exis-tierten und ihren Ort im Leben fänden. Nur durch
diese zeitlose, für die Men-schen und ihre Gefühle immer aktuelle
Thematik der Dichtung sei ein ewiges Interesse an Dichtung gewährleistet,
während andere Leistungen menschliche Gefühle nur beschränkt
ansprächen und bald vergessen würden.
Ein für alle Mal ist's Orpheus, wenn es singt.
Mit diesem letzten Vers seiner Sonette an Orpheus subsummiert Rilke pointiert
das, was den griechischen Heroen zu einem der faszinierendsten in der antiken
Mythologie gemacht hat.
Doch es ist nicht allein die Sangeskunst, die über Jahrhunderte hinweg
Künstler, Dichter und Komponisten dazu bewegt hat, in bildender Kunst,
Literatur oder Musik die Geschichten, die sich um den thrakischen Sänger
ranken, zu verarbeiten, da wohl kein anderer Name aus der griechischen Mythologie
so viele Bilder herauf beschwört wie der des Orpheus; denn als Sänger,
Liebender und besonders als Bezwinger des Todes stellt er eine der facettenreichsten
Figuren innerhalb der antiken Heroenerzählungen dar.
Konzentrierten sich die erste bildliche Darstellungen auf Vasen und Reliefen
im homerischen Griechenland und auch die ersten literarischen Überlieferungen
des Mythos noch allein auf die Macht seiner Musik, mit der Orpheus sich sowohl
die belebte als auch die unbelebte Natur Untertan machen konnte, hat der Mythos
von der Antike an kontinuierlich Erweiterungen und Wandlungen erfahren, bis
es schließlich zu der Fassung kam, die in der römischen Literatur
bei Vergil erstmalig vollständig in seiner Georgica erscheint und die uns
auch heute noch am geläufigsten ist:
Geboren als Sohn eines thrakischen Flussgottes und der Muse Kalliope, vermag
Orpheus kraft seiner Musik die Natur bezähmen, so dass Bäume, Tiere
und Steine dem Klang seiner Laute folgen und sich in Eintracht um den Sänger
versammeln. Als seine Frau Eurydike kurz nach der Hochzeit durch einen Schlangenbiss
stirbt, zögert Orpheus nicht, den Gang in die Unterwelt zu wagen, vor Pluto
und Proserpina, die Herrscher der Unterwelt, zu treten und mit seinem Gesang
um die Rückgabe seiner Frau zu bitten. Selbst die Regenten des Tartarus
vermögen sich nicht der betörenden Gewalt seiner Musik zu entziehen
und geben der Bitte statt, wenn auch mit einer kleinen Einschränkung.
Sie untersagen Orpheus, sich auf dem Rückweg zur Oberwelt auch nur ein
einziges Mal nach Eurydike umsehen, da sie ihm sonst unwiederbringlich wieder
genommen werde. Doch die Sorge um seine Geliebte zwingt den Sänger, an
der Schwelle zur Welt der Lebenden nach seiner Frau zu sehen, die daraufhin
unwiderruflich in den Tartarus zurückgezogen wird.
Nach diesem erneuten Verlust zieht Orpheus sich in die Wälder Thrakiens
zurück, in denen er fortan voller Gram zusammen mit der Natur um seine
Geliebte trauert. Da er sämtlichen Versuchen thrakischer Frauen widersteht,
die ihn zu einer erneuten Heirat überreden wollen, zerfleischen diese ihn
schließlich in ihrem bacchantischen Zorn. Sein Kopf aber mitsamt seiner
Laute fließt den Fluss Hebrus hinab, über die Ägäis bis
hin zur Insel Lesbos. Dort weissagt das Haupt und singt von seiner unsterblichen
Liebe zu Eurydike, bis Apoll diesem Einhalt gebietet. 
Dieser Variante des Stoffes haben sich sowohl in Antike und Neuzeit die meisten
Künstler bedient. Deutlich geworden ist dabei aber auch, dass sich das
Bild vom kitharaspielenden Orpheus, der durch seine Musik gleichsam paradiesische
Naturzustände herstellen vermag, zu dem des leidenschaftlichen Liebenden
gewandelt hat, der selbst den Gang in die Unterwelt nicht scheut, um seine Frau
aus der düsteren Totenwelt zu befreien. Natürlich spielt seine Musik
auch hier eine bedeutende Rolle, sie ist jedoch nicht mehr das alleinige Kriterium,
aufgrund dessen er im Kreis der antiken Sagenwelt einen besonderen Platz einnimmt.
Vielmehr tritt ein weiterer faszinierender Aspekt zur Ursprungsfassung hinzu,
nämlich der Abstieg des Sängers in die Unterwelt und die unbeschadete
Rückkehr in die Welt der Lebenden.
Woher rührt diese Modifikation des Mythos, die sich zum ersten Mal etwa
im fünften vorchristlichen Jahrhundert in der Literatur wiederfindet und
seitdem ihren festen Platz in der antiken Dichtung besitzt?
Sicherlich ist ein Grund darin zu sehen, dass die Sehnsucht des Menschen, Kunde
von dem zu vernehmen, was ihn nach dem Tod erwartet, eine der ursprünglichsten
überhaupt ist. Die vielen Mutmaßungen, die nicht nur in der Antike
über das Leben im Jenseits verbreitet waren, rufen immer wieder nach einer
Person, die das, was den Lebenden für immer verschlossen bleiben wird,
zu sehen vermag und von den Eindrücken berichtet, so wie Orpheus es tat.
Somit kommt seiner Person neben seiner Rolle als Sänger und Liebendem noch
eine weitere zu, nämlich die eines Propheten oder Sehers, die in schließlich
zum Begründer der orphischen Religionslehre macht.
Fasst man also die hier nur in groben Zügen umrissenen Facetten des Orpheusmythos
zusammen, ist die Feststellung sicherlich gerechtfertigt, dass sich die Faszination
an seiner Gestalt in ihrer Vielschichtigkeit begründet. Daneben steht dann
die berechtigte Frage, wann und aus welchen Gründen sich diese Variationen
entwickelt haben, die unweigerlich auch eine Verlagerung des eigentlichen Mythosschwerpunktes
nach sich gezogen haben.
Am Beginn dieser Arbeit sollen einführende Betrachtungen über den
thrakischen Sänger und die Vielschichtigkeit seines Mythos innerhalb der
griechischen und römischen Literatur ein klares Bild des Kitharoden zeichnen.
Denn auch wenn die bereits skizzierte Version vom Leben des Orpheus auch heute
noch die unangetastete und gängige ist, sind sowohl über seine Existenz
als historische Person, sein Alter, seine Herkunft, die einzelnen Stationen
seines Lebens und seinen Tod zahlreiche unterschiedliche Überlieferungen
vorhanden. Auch seiner Frau Eurydike und deren Schicksal muss dabei besondere
Aufmerksamkeit zukommen, da diese in den ersten Testaten der Orpheuserzählung
keine Erwähnung findet.
Danach steht, ausgehend von den hellenistischen Vorbildern, die detaillierte
Betrachtung der beiden bekanntesten Orpheuserzählungen des Vergil und Ovid
im Mittelpunkt dieser Arbeit, die bis in das zweite Jahrtausend hinein die Grundlage
für jede Verarbeitung geliefert haben.
Auch wenn das Lied des Orpheus für viele römische Autoren aller Epochen
ein attraktiver Stoff war, so sind die Darstellungen im vierten Buch der Georgica
Vergils und im zehnten Buch der ovidischen Metamorphosen zunächst einmal
die ausführlichsten innerhalb der lateinischen Literatur. Daneben kommt
der vergilischen Fassung durch die erstmalige schriftliche Fixierung der Eurydikeerzählung,
innerhalb der Orpheus seine Gattin ein zweites Mal an die Unterwelt verliert,
besondere Bedeutung zu. Denn entgegen den griechischen erhaltenen Quellen steht
am Ende seiner Erzählung nicht die glückliche Heimkehr der Gattin,
sondern der durch menschliches Fehlverhalten herbeigeführte endgültige
Triumph des Todes. Auch muss sich das Augenmerk auf die Einbettung in die Georgica
überhaupt und in das vierte Buch im speziellen richten, da der Inhalt dieses
Lehrgedichts, das von der Landbebauung und der Bienenzucht erzählt, zunächst
keine offensichtliche Verbindung zur griechischen Mythologie vermuten lässt.
Die Orpheuserzählung Ovids erfordert aus anderen Gründen eine aufmerksame
Betrachtung, die mit einem direkten Vergleich der vergilischen Vorlage einhergeht.
Denn auch wenn Vergil als Begründer der epischen Tradition und als das
literarische Vorbild für seine Nachfolger gilt , soll ein Vergleich der
beiden Erzählungen diskutieren, ob Ovid als der letzte Dichter augusteischer
Zeit seinem Vorgänger lediglich nacheifert oder ob die Schilderung des
Metamorphosen-dichters eigene Elemente enthält, durch die er sich mit der
vergilischen Tradition auseinandersetzt und von ihr abweicht.
Abschließend soll das literarische Fortleben des Mythos einerseits aufzeigen,
welche Rolle dem Sänger Orpheus entsprechend dem jeweiligen Zeitgeist zusätzlich
zugeschrieben wird und andererseits erneut verdeutlichen, welche Faszination
diese Gestalt der griechischen Mythologie auch noch nach über zweitausend
Jahren besitzt.
Es bereitet große Schwierigkeiten, die Figur des antiken Kitharoden zeitlich
in den Katalog der griechischen Heroen einzuordnen. Die ersten Spuren des thrakischen
Sängers, die Anhaltspunkte bieten, sind Fragmente von Ibykos und Pindar.
Diese Testimonien aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus berichten übereinstimmend
von der gewaltigen Sangeskunst des Thrakers und nennen die Muse Kalliope als
seine Mutter. Gleichzeitig lassen Abbildungen auf Vasen und Reliefen zu, in
Orpheus einen Zeitgenossen des Jason zu sehen und ihn somit zu der Heldengeneration
vor der des Trojanischen Krieg zu rechnen.
Gesichertes Material über den Sänger ist erst ab dem fünften
vorchristlichen Jahrhundert greifbar, welches auch in Aussage detaillierter
ist. Die Tragödie Alcestis des Euripides aus dem Jahre 438 v. Chr. berichtet
zum ersten Mal von einer Katabasis des Sängers. In der Rede des Admetos
klingt auch an, daß Orpheus zu den Schatten der Unterwelt hinabgestiegen
sei, um seine Frau wieder auf die Oberwelt zurückzuholen, ein Indiz, welches
Platons Symposion bestätigt. Dennoch ist die Sage von der Katabasis im
antiken Griechenland ein sekundäres Moment, eine Frau namens Eurydike wird
an keiner Stelle in der Literatur erwähnt. Orpheus ist allein durch seine
Sangeskunst ein bedeutender Heroe, der aufgrund seiner übermenschlichen
Fähigkeiten als Kulturbringer für die Menschen und als Begründer
einer religiösen Gemeinschaft, der Orphiker, gefeiert wird.
Erst im dritten Jahrhundert v. Chr. tritt Eurydike an die Seite des Kitharoden,
deren Geschichte allerdings erst in der römischen Literatur in aller Vollständigkeit
erzählt wird. In den griechischen Testimonien endet die Katabasis des Orpheus,
die er nicht grundsätzlich zur Heimholung seiner Frau unternimmt, immer
mit einer glücklichen Wiederkehr der beiden.
Aufgrund der Tatsache, daß es zu der Zeit, in der Vergil in seinen Georgica
zum ersten Mal von dem unglückseligen Blick zurück spricht, der Eurydike
für immer in den Tartarus zurückzieht, liegt die Vermutung nahe, daß
es in Griechenland mehrere Versionen des Orpheusmythos gegeben haben müsse,
die der augusteische Dichter zusammenfügt. Dabei ist es wahrscheinlich,
daß die Erzählung von der gescheiterten Katabasis späteren Datums
ist und diese Version verloren gegangen ist. Ebenso kann man Vergil jedoch die
Kreativität zusprechen, diese Facette des Mythos selbst eingebracht zu
haben.
Seine Erzählung von Orpheus findet ihren Platz im vierten Buch der Georgica
und ist eingebettet in die Geschichte von Aristaeus. Auf den ersten Blick wirkt
dieses Ende des Lehrgedichts ein wenig ungewöhnlich, doch ist das Kompositionsprinzip
des letzten Buches so fein gesponnen, daß der Vorwurf einer späteren
inhaltlichen Nachbesserung nicht ohne weiteres aufrecht erhalten werden kann.
Vergil konzentriert sich in seiner Darstellung besonders auf die Klagen des
Orpheus. Nachdem Eurydike durch die Nachstellungen des Aristaeus dem tödlichen
Schlangenbiß zum Opfer gefallen ist, versucht Orpheus, durch seinen Gesang
die Trauer zu verarbeiten. Vergil läßt die Natur am Schmerz ihres
Sängers teilnehmen, doch vermag weder sie noch der Gesang ihn zu trösten,
so daß er schließlich als letzten Ausweg in die Unterwelt hinabsteigt.
Auffällig ist, daß der eigentliche Auftritt vor Pluto und Proserpina
nicht erwähnt wird, sondern allein das Ergebnis sichtbar ist.
Vergil konzentriert sich vielmehr auf die tragische Szene, in der Orpheus und
Eurydike endgültig getrennt werden. Mit einer letzten klagenden Rede entschwindet
die Gattin für immer. Klage und Verzweiflung prägen auch die letzten
Verse der Erzählung. Orpheus ist kopflos, sein Trauergesang gleicht der
einer Nachtigall, die ihre Jungen verloren hat. Der thrakische Sänger verliert
sich in seinem Schmerz und wehrt sich dagegen, zu einem normalen Leben zurückzukehren.
Schließlich findet er durch die ciconischen Frauen den Tod. Selbst als
sein Haupt den Hebrus hinunterfließt, klagt es immer noch um seine Eurydike.
Der vergilische Orpheus ist ein klagender, die Erzählung von hohem Pathos
geprägt. Die Liebe verliert gegen die Macht des Todes und diese Niederlage
macht den Sänger handlungsunfähig.
Anders verhält sich der ovidische Orpheus, dessen Mythos im zehnten und
elften Buch der Metamorphosen erzählt wird. Ovid konzentriert sich auf
zwei Ereignisse innerhalb der Erzählung, alle weiteren Elemente läßt
er durch einen nüchternen Erzählstil zu einer Nebensache geraten.
Seine große eigenständige Leistung ist die Rede des Sängers
vor den Unterweltregenten. Dabei bemüht sich Orpheus, die Regeln der Rhetorik
zu befolgen, doch aufgrund seiner Emotionen, die ihn im Laufe seines Plädoyers
überwältigen, weicht er an manchen Stellen von diesen ab.
Die Trennung des Paares wird in wenigen Versen geschildert, Eurydike klagt nicht
an, da sie erkennt, daß Orpheus sich allein aus Liebe nach ihr umgeschaut
hat, welches jeglichen Vorwurfs entbehrt.
Der ovidische Sänger kehrt nach einer Zeit der Trauer wieder in ein normales
Leben zurück, doch auch er verschmäht die Frauen und wendet sich der
Knabenliebe zu. Dieses erregt den Zorn der Mänaden, die ihn schließlich
töten.
Der Tod des Kitharoden ist das zweite große Element in der Erzählung
Ovids. Dadurch, daß er das Schicksal und den Tod eines Künstlers
an das Ende jeder Bücherpentade stellt und die Vorausdeutung auf sein eigenes
Sterben das letzte Buch der Metamorphosen beschließt, soll sich der Leser
mit dem Schicksal und Nachleben des Dichters auseinandersetzen. Orpheus stirbt
zwar, doch seine Kithara singt weiter und verschafft ihm unsterblichen Ruhm.
Gleiches erhofft sich Ovid durch seine Dichtkunst. Auch ist sein Ausgang der
Erzählung tröstlich, denn endlich trifft Orpheus seine Eurydike in
der Unterwelt wieder und beide sind glücklich vereint. Der Tod kann hier
die Liebe nicht beenden sondern wird vielmehr durch ihn gestärkt.
Vergleicht man die beiden Fassungen der augusteischen Dichter miteinander, läuft
man schnell Gefahr, hinter dem heitereren Sprachduktus Ovids eine Parodierung
des hohen epischen vergilischen Stils zu sehen. Doch eine Gegenüberstellung
auf diese Aussage zu beschränken, wäre das Resultat einer einseitigen
Beleuchtung. Es ist die Verständnis von der Macht der Liebe, die die jeweilige
Fassung regiert.
Für Vergil ist sie der Gegenspieler des Todes, dem sie schließlich
unterliegt. Die einzig mögliche Reaktion auf den Verlust der Liebe sind
Klage und Trauer und in letzter Instanz der eigene Tod.
Für Ovid, den Dichter der Liebe, ist diese Macht die stärkste. Aufgrund
dieser Einstellung ist sein Erzählstil heiterer und leichter, selbst die
Unterweltregenten Pluto und Proserpina sind einst Amor erlegen. Diese Zuversicht
auf den Sieg der Liebe und seine Hoffnung auf ein Weiterleben des Dichters nach
seinem Tod macht seine Weltsicht weniger fatalistisch und absolut. Bei Vergil
ist die kosmische Weltordnung bestimmend, die Gesetze des Todes können
nicht außer Kraft gesetzt werden. Dadurch, daß sein Orpheus sich
weigert, diese Absolutheit zu akzeptieren, erleidet er in der Konsequenz den
Tod. Die Götter bei Ovid jedoch folgen keinem strengen Handlungskonzept.
Wie die Episoden zeigen, die er um den Orpheusmythos positioniert, handeln die
olympischen Mächte nach eigenem Gutdünken. So gibt es für den
Kitharoden keinen Anlaß, in tiefer Verzweiflung zu versinken, da er sich
eines Wiedersehens mit Eurydike im Hades gewiß sein kann.
Das Weiterleben des Sängers über die Jahrhunderte hinweg wird zunehmend
von der Liebesgeschichte zwischen ihm und Eurydike bestimmt. Ob in Prosa, Dichtung,
Oper oder Film, seine Sangeskunst, die ihn in der Antike unsterblich gemacht
hat, verliert sich besonders in den Fassungen des zwanzigsten Jahrhunderts nahezu
gänzlich. Von den drei großen Themen Kunst, Liebe und Tod, die der
Mythos des antiken Orpheus in sich vereinigt hat, und die ihn zu einer der komplexesten
Figuren in der Mythologie gemacht habe, sind nur Liebe und Tod geblieben. Doch
selbst die Kraft Amors tritt beinahe hinter dem beherrschenden Thema Tod zurück.
Die Macht des Thanatos jedoch wird nicht durch das physische Ausscheiden aus
der Welt symbolisiert, sondern spiegelt sich in der Inhaltslosigkeit und Bedeutungslosigkeit
des Lebens wieder, der die jeweiligen Protagonisten nicht zuletzt durch Flucht
in den Tod zu entrinnen versuchen.
Orpheus, der mächtige Sänger der Antike, der Natur und Menschen verzaubert,
die Unterwelt bezwungen und in der Kunst seine Erfüllung gefunden hat,
wird in der Neuzeit zu einem drittklassigen Hobbymusiker, der der Leere seines
Lebens zu entkommen versucht, doch in nichts einen Halt findet und selber nur
in den Tod fliehen kann. Aus dieser Entwicklung heraus kann man mit großem
Interesse der Orpheusgestalt des 21. Jahrhunderts entgegenblicken.