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Kinderlandverschickung

 

 

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Thomas Gießmann, Rudolf Marciniak

"Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg"

Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung aus Rheine 1941–1945

 

Thomas Gießmann / Rudolf Marciniak: „Fast alle Kinder sind jetzt weg“.

Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung aus Rheine  1942 – 1945. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann 2001. (Aus Vergangenheit  und Gegenwart. Quellen und Forschung zur Geschichte der Stadt Rheine und ihrer Umgebung, Band 4)  (180 S. , ISBN 3-89326-1030-4; EURO 19,80)

Eine ganze Generation von Schülern war während des Zweiten Weltkriegs von der "Kinderlandverschickung" betroffen. In einer Zeit, als Massentourismus noch unbekannt war, wurden unter nationalsozialistischer Regie Millionen deutscher Kinder in ländliche Regionen evakuiert. Für die meisten war dies die erste größere Reise ihres Lebens, und in der Gruppe Gleichaltriger machten die Mädchen und Jungen trotz des Krieges viele gute wie auch schlechte Erfahrungen.

"Kinderlandverschickung" war von der NS-Führung bewusst als verharmlosender Begriff eingeführt worden, der die Evakuierungsaktion als Erholungsmaßnahme beschönigt. Außer dem Ziel der Evakuierung verfolgten die Nationalsozialisten mit der Zusammenführung von Schulkindern in Lagern auch das erziehungspolitische Ziel, die Jugend fern des Einflusses von Eltern, Schule oder Kirche besser in ihrem Sinne formen zu können.

"Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg", dieses schreckliche Bild einer Stadt ohne Kinder beschwört der Lehrer Hermann Rosenstengel in seiner Chronik am 6. Februar 1944 herauf. Rheine war zu dieser Zeit eine von Bombenangriffen gezeichnete Stadt. Ihre Bewohner wurden von ständigen Luftalarmen zermürbt und die meisten Schulen mussten geschlossen werden, weil die Gebäude entweder zerstört waren oder als Ausweichquartiere für andere Institutionen gebraucht wurden. Dies ist ein stadtgeschichtlicher Aspekt, unter dem die Kinderlandverschickung zu betrachten ist.

Fast sechzig Zeitzeugen aus Rheine berichteten für dieses Buch über ihre Erlebnisse, über ihre Ängste und Sorgen während der Kinderlandverschickung und stellten zahlreiche Fotos und private Aufzeichnungen zur Verfügung. Berichte und Quellen aus der Kinderlandverschickung und über den Kriegsalltag in Rheine wurden von Dr. Thomas Gießmann, Leiter des Stadtarchivs Rheine, und von Rudolf Marciniak, Gewerkschaftssekretär a.D. und selbst als Kind Teilnehmer der Kinderlandverschickung, gesammelt und zu diesem Lesebuch zusammengestellt.

« Auswahl der Abbildungen hervorzuheben [...], deren Auswahl und Eingliederung in den Text als sehr gelungen zu bezeichnen ist. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Index der Ort- und Personennamen runden schließlich den durchweg positiven Gesamteindruck der Publikation ab.
Aus: Archivpflege in Westfalen-Lippe. 55/2001, S. 50f.

Ein knappes Literaturverzeichnis und ein Index der Orts- und Personennamen runden den Band ab, der nicht nur für Rheiner Stadtgeschichte eine Lücke schließt.
Aus: Osnabrücker Mitteilungen, Bd. 106 (2001), S. 390.

Insbesondere in der Materialauswahl ist der Band ein Beispiel für den Nutzen stadt- und regionalgeschichtlicher Untersuchungen. Zugleich wird mit diesem Band auf ein Desiderat hingewiesen: die Erforschung der faktischen Zustände der Schule in den Jahren des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Klaus-Peter Horn in: Erziehungswissenschaftliche Revue 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 22.5.2002), www.klinkhardt.de/ewr/893251030.htm

Resümierend bleibt festzustellen, das die Veröffentlichung ein gelungenes Beispiel bildet, wie Stadtarchivare und engagierte Bürger städtische Alltagsgeschichte dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen können.
Friedrich Wilhelm Hemann in: Der Archivar.
56. Jg. H. 1, 2003. S. 78f.

Thomas Gießmann / Rudolf Marciniak: "Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg". Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung aus Rheine 1942 - 1945. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann 2001. (Aus Vergangenheit und Gegenwart. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Rheine und ihrer Umgebung, Band 4)
(180 S., ISBN 3-89325-1030-4; EUR 29,80)

Die "Erweiterte Kinderlandverschickung" (KLV) in der Zeit des Zweiten Weltkrieges hat in den letzten Jahren beträchtliche Forschungsaufmerksamkeit auf sich gezogen. Dies mag u.a. daran liegen, dass diejenigen, die ab 1940 als Kinder und Jugendliche aus den Luftkriegsgefährdeten Gebieten Deutschlands in ländliche und vermeintlich sicherer Gegenden verschickt wurden, jetzt noch zu befragen sind. 

Vor einigen Jahren wurde eine Studie vorgelegt, die in Anspruch nehmen kann, den Stand der Forschung zur KLV in übersichtlicher und treffender Weise dargestellt zu haben (vgl. Gerhard Kock: "Der Führer sorgt für unsere Kinder ...". Die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg. Paderborn: Schöningh 1997). Vor diesem Hintergrund können nunmehr regional- und stadtgeschichtliche Beiträge zur weiteren Differenzierung beitragen, indem sie einen Überblick über die Schulsituation einer Region oder Stadt und zur Durchsetzung der KLV in den Jahren des Zweiten Weltkrieges bieten können. 

Genau dies leistet der vorliegende Band für die westfälische Stadt Rheine. Nach einer allgemeinen Einleitung zur Geschichte und Organisation der KLV werden in 12 Abschnitten zunächst die einzelnen Schulen kurz vorgestellt, sodann anhand von Schulchroniken bzw. offiziellen Briefen und Akten der Schulen - soweit vorhanden - die offizielle Seite sowie anhand von Zeitzeugenberichten und Dokumenten (Briefen an die Eltern, Lagerbüchern und Fotos) die subjektive Seite der KLV beleuchtet. 

Hervorzuheben sind bei diesem Vorgehen mehrere Aspekte. Zum einen ist der Blick hinter die Kulissen der KLV-Organisation auf die einzelnen Schulen sehr aufschlussreich, kommen doch hier in den Chroniken sowohl positive (wahrscheinlich zeitgenössische) als auch negative (wahrscheinlich nach dem Krieg ergänzte) Stimmen zu Wort. Zweitens bietet die Einbeziehung sämtlicher Rheiner Schulen einen Überblick über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Umsetzung der KLV in den Volksschulen und Gymnasien. 

Darüber hinaus wird gezeigt, dass die konfessionelle Gliederung der Schulen Auswirkungen auf die KLV-Akzeptanz und die Gestaltung des Lageralltages hatte. So stieß die KLV bei katholischen Eltern auf größere Vorbehalte. Von den katholischen Schülerinnen und Schülern wird zudem öfter berichtet, dass der Kirchgang selbstverständlich war, auch wenn die Lagermannschaftsführer bzw. Lagermädelschaftsführerinnen sich dagegen aussprachen. 

Im Hinblick auf das Geschlecht scheint es bei den Mädchen zu weniger Drill und militärähnlichen Formen gekommen zu sein als bei den Jungen, was eine Zeitzeugin zu dem Schluss brachte, dass die Mädchenlager wohl nicht so ernst genommen worden seien (S. 143). 

Für alle Gruppen scheint aber zuzutreffen, dass die KLV "zu ihren besten Erinnerungen" zu zählen ist, wie es in einem propagandistischen "Elternbrief" 1942 formuliert wurde (S. 109). Kritik an den Zuständen der KLV-Lager, am Drill u.a. wird in den Zeitzeugenberichten nur selten geübt und betrifft dann meist die Verpflegung. Im Gegenteil wurde angesichts schlechter Bedingungen die Kameradschaft und Gemeinschaft am intensivsten erfahren, so dass das Urteil, "Ich möchte die KLV-Zeit nicht missen" (S. 153) wohl von vielen, wenn nicht den meisten Zeitzeugen bestätigt worden wäre. Und dies, obwohl fast übereinstimmend immer wieder hervorgehoben wird, dass man froh gewesen sei, wieder nach Hause zu kommen. 

Nicht nur als Dokument über die mehrheitlich positiv beschriebene KLV-Erfahrung ist der Band von Interesse, sondern auch als Dokument der Verweigerung der Teilnahme an der KLV durch die Eltern. In der stark katholisch geprägten Region wurden viele Kinder von den Eltern an andere Schulen umgemeldet, wobei auch schulischer Abstieg in Kauf genommen wurde, damit die Kinder nicht an der KLV teilnehmen mussten. 

Alles in allem bietet der Band zwar keine grundlegenden Neuheiten zur KLV, aber in der Konzentration auf eine Stadt doch einen Einblick in die KLV-Geschichte und -Organisation jenseits der großen Aktionen. Insbesondere in der Materialauswahl ist der Band ein Beispiel für den Nutzen stadt- und regionalgeschichtlicher Untersuchungen. Zugleich wird mit diesem Band auf ein Desiderat hingewiesen: die Erforschung der faktischen Zustände der Schule in den Jahren des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Neben den Schülerinnen und Schülern waren schließlich auch nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer verschickt worden, und aus manchen Lagern kamen sowohl SchülerInnen und LehrerInnen teilweise erst Ende 1945 oder gar 1946 zurückgekommen. Dieser Teil der Schulgeschichte muss erst noch intensiver bearbeitet werden. Hier scheint Material zur Verfügung zu stehen, das bislang noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wurde. 

Klaus-Peter Horn (Berlin/Dortmund) 

  

Zur Zitierweise der Rezension:
Klaus-Peter Horn: Rezension von: Thomas Gießmann / Rudolf Marciniak: "Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg". Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung aus Rheine 1942 - 1945. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann 2001 

Kinderlandverschickung aus Rheine

Eingeladen von den Buchautoren Dr. Thomas Gießmann und Rudolf Marciniak

Fotos Jörg Marciniak

 

Grußwort

Kinderlandverschickung aus Rheine

- Treffen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen -

Am Mittwoch, 21. Januar 2009, 15.00 Uhr,

Rathaus Großer Veranstaltungsraum, Kulturetage, 2. OG

 

Bürgermeisterin Dr. Angelika Kordfelder

 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Gießmann,

sehr geehrter Herr Marciniak,

meine Damen und Herren,

Ganz herzlich begrüße ich Sie zu diesem Treffen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Kinderlandverschickung. Ich freue mich sehr, dass Sie sich hierher auf den Weg gemacht haben und uns an Ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Nach der Präsentation des Buches „Fast alle Kinder sind jetzt weg“ im Jahr 2001, das diese Thematik in Bezug auf Rheine dokumentiert und aufarbeitet, ist die heutige Veranstaltung ein deutliches Zeichen, dass die Bearbeitung weitergeht.

 

Ein herzliches Willkommen sage ich darüber hinaus Ihnen, Herr Füller, aus Warendorf. Ich begrüße es sehr, dass Sie nach Ihrem Buch über die Kinderlandverschickung in Münster nun eines über den Raum Westfalen in Arbeit haben. Schön, dass Sie da sind! Ein freundliches „Hallo!“ gilt ebenso der Schülerin Alina Hille und dem Schüler Gerrit Hugendiek, die sich in ihrer Facharbeit mit diesem Thema auseinander setzen. Herzlich Willkommen!

Meine Damen und Herren,

ein besonderer Anlass liegt dem heutigen Treffen zugrunde. Denn auf den Tag genau vor 65 Jahren startete ein großer Sonderzug mit Schülerinnen und Schüler der Volksschulen, der Oberschulen, der Emslandschule und des Gymnasiums Dionysianum. So blieben nach den Kohleferien 1944 die Schulen in Rheine geschlossen. Die ersten Transporte aus unserer Stadt gab es bereits 1941.

Die Kinderlandverschickung ist ein tiefgehendes Erlebnis, das eine ganze Generation geprägt hat und von dem in den Familien immer wieder erzählt wird. Auch in meiner Familie ist das so. Denn meine Mutter war in Württemberg, wo es ihr sehr gut gefallen hat. Ich frage mich aber heute: wie war das für ihre Eltern, für meine Großeltern? Sicherlich nicht einfach, das Kind gehen zu lassen.

Und was bedeutete die Kinderlandverschickung für eine Stadt wie Rheine?

Für viele, die Rheine heute als lebendige Stadt mit einer ganzen Reihe von Aktionen und ehrenamtlichem Engagement für Kinder erleben, ist eine solche Situation kaum vorstellbar. Eine Stadt fast ohne Kinder – das ist nahezu undenkbar! Die Familien wussten ihre Kinder zwar gut versorgt, dennoch galt es, die Trennung zu verkraften und angesichts des Kriegsgeschehens blieb die Sorge um das Wohlergehen. Auch für die Kinder selber war eine solche Trennung eine einschneidende Situation. Denn Urlaubsreisen wie heute waren damals noch nicht üblich. Für Sie, meine Damen und Herren, die Sie für diese Kinder stehen, war es die erste Reise ohne Familie und dazu über eine so weite Strecke nach Bayern oder Österreich und das zudem unter Kriegsbedingungen.

Ich denke aber auch an ein Stück innerer Zerrissenheit: Auf der einen Seite standen sowohl die Freude und der Spaß, die neue Umgebung zu erfahren, und die Erlebnisse mit den anderen Kindern als auch die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln. Auf der anderen Seite waren es die Gefühl wie Heimweh und die Sorge um die Daheimgebliebenen und die Folgen der Luftangriffe. Das Buch „Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg“ und die Dokumentationen im Stadtarchiv dokumentieren diese Erlebnisse und Erfahrungen eindrucksvoll.

Meine Damen und Herren,

ich danke Ihnen, dass Sie durch Ihre Mitarbeit, durch Ihr Erzählen, Ihre Fotos, Briefe und weitere Zeitdokumente und die heutige Veranstaltung dazu beitragen, diese Zeit für die Menschen in Rheine heute und morgen lebendig und vorstellbar zu machen und damit zur Aufarbeitung dieser Zeit beitragen.

Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute und einen angenehmen Nachmittag mit weiteren Informationen und guten Gesprächen. Viel Freude dabei!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einleitung

durch Zeitzeugen und Buchautor

Rudolf Marciniak

 

Rudi Marciniak bei der Einleitung

 

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Frau Dr. Kordfelder.

Lieber Herr Dr. Thomas Gießmann.

Meine Sehr geehrten Damen uns Herren,

liebe Freundinnen und Freunde.

 

Zunächst ist es ja wohl richtig Ihnen Frau Bürgermeisterin, auch für die Teilnehmer, zu danken für die freundliche Aufnahme unseres Treffen in den Räumen der Stadt Rheine, aber auch für die netten Worte die Sie zur Begrüßung an uns gerichtet haben und die Zeit die Sie sich genommen haben an diesem Treffen teilzunehmen.

Ich freue mich natürlich auch so viele Teilnehmer und Zeitzeugen hier heute wieder zu sehen. Mit fast allen habe ich ja bei der Erarbeitung der Themensammlung  für das Buch interessante Gespräche geführt und Fotos, Briefe, Berichte, persönliche Aufzeichnungen und Tagebücher erhalten.. Ohne Ihre Mithilfe hätten wir diese Sammlung zur Kinderlandverschickung aus der Stadt Rheine und das Buch nicht erstellen Können. Alles begann mit einer Pressemeldung mit einem Leserbrief und der Bitte an die Teilnehmer sich zu melden und Gespräche zu führen

Bei meinem Dankeschön will ich aber auch die Sachbearbeiterin des Stadtarchivs, Frau Varel, nicht vergessen die mit großem Eifer die Bearbeitung unterstützt und eine gro0e Anzahl an Telefongesprächen angenommen und geführt hat.

Bereit am 21. Januar 1941 ging von der Stadt Rheine ein erster großer Transport in die Kinderlandverschickung in den süddeutschen Raum und ihren aufnehmenden NS-Gauen. Die damals von den Nazis gleichgeschaltete Presse berichte darüber mit einer großen Schlagzeile: Frohen und glücklichen Tagen entgegen. 225 Kinder aus Rheine fuhren zur Erholung ins „Kinderland“. Eine dicke Lokomotive schnauft und qualmte  als sie mit den Jungen und Mädchen davon dampfte.

Als dann am 21. Januar ein Transport mit über 1.000 Kindern aus allen Schulen die Stadt Rheine verließ, schrieb Hermann Rosenstengel in seine Aufzeichnungen: Fast alle Kinder sind jetzt weg“.

Unser Stadtarchivar Dr. Gießmann und ich wählen diese Formulierung als Titel für das Buch über die Kinderlandverschickung in Rheine weil fast zur gleichen Zeit Schulen in Rheine geschlossen wurde und die zurück gebliebenen Kinder auf anderer Weise auch die Stadt verlassen mussten.

 

Mädchen in den Fenstern des Transportzuges

 

Bei der Abfahrt des Zuges ahnten sie nicht dass viele von ihnen erst nach dem Ende des Krieges im August/September 1945 wieder nach Rheine zurückkehren werden.

Heute denken viel Zeitzeugen gern an diese Zeit zurück. Sie haben ja auch nicht die Ziele der national - sozialistischen Erziehung gekannt. In deren Mittelpunkt der „soldatische Mensch“ stand. Die Jungen sollten „tapfere Soldaten“ werden und die Mädchen mit vielen Kindern mit zu den Wurzeln der deutschen „Volksgemeinschaft“ gehören

Um die Jahreswende 1944/45 tauchten denn auch in den Jungenlagern die Werber der Waffen-SS auf um die Jungen mit mehr oder weniger Druck zu überreden in diese „großartigen und modernen ausgerüsteten Streitmacht Dienst“ zu tun.. Das Ende war für viele auch der letzte Einsatz zum Kriegsende mit Tod oder Gefangenschaft.

Bei dem jetzt folgenden Lichtbildervortrag von Dr. Gießmann wird er auch mündliche Erläuterungen zu den einzelnen Bildern geben. Wir bitten aber auch  um Wortmeldungen um damit persönliche Ergänzungen vornehmen zu können. Scheuen Sie sich nicht. Wir sind für alle Erklärungen offen und dankbar.

Unser Dank geht heute auch an die örtliche Presse, die uns bei unserer Arbeit immer eifrig mit einer umfangreichen Berichterstattung begleitet hat.

Im Anschluss wird Frau Theresia Seegers noch einmal einen Kurzen Bericht über ihre Erlebnisse zur Rückkehr aus der Kinderlandverschickung geben. Und zum Abschluss ist noch Zeit für eine Diskussion und für persönliche Gespräche eingeplant.

Und nun wünsche ich der Veranstaltung einen guten Verlauf.

 

Bildervortrag zur Kinderlandverschickung aus Rheine

Vom Stadtarchivar  Dr. Thomas Gießmann

Meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich darf ihnen nun eine gute Auswahl der Bilder Kinderlandverschickung aus Rheine vorführen. Sicher sind ein großer Teil davon in diesem Kreis bekannt, denn sie gehören fast alle zu dem Material, dass wir für unsere Sammlung und das Buch bekommen haben. Von den Nazis wurde 1940/41 der Beginn der Kinderlandverschickung natürlich auch mit viel Propaganda begleitet. Mein Vortrag beginnt mit den Bildern von Herrn Leufker von der Abfahrt des großen Transports vom   21. Januar 1944 am Bahnhof Rheine. 

 

 

 

 

Kinderlandverschickung aus Rheine

- Treffen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen -

Am Mittwoch, 21. Januar 2009

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Buchvorstellung „Fast alle Kinder sind jetzt weg“.

Donnerstag, dem 5. April 2001 – 16.30 Uhr Falkenhof Rheine.

Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung

aus Rheine 1941 bis 1945.

 

                Ursula Kleine-Frauns

                                                                                            Stellvertretende Bürgermeisterin

                                                                                                                der Stadt Rheine

 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

ein besonderer Anlaß führt uns heute hier zusammen. Ich begrüße Sie herzlich zur Buchvorstellung und ich freue mich sehr über diese Veranstaltung. Denn es kommt nicht oft vor, dass wir ein ganzes Buch zu einem Thema der Stadtgeschichte von Rheine präsentieren können. Und dabei ist dieses Buch aus verschiedenen Gründen eben etwas ganz besonderes.

 

Kinderlandverschickung während des Zweiten Weltkrieges ist – das behaupte ich jetzt – ein Thema, mit dem jede und jeder hier im Bürgersaal, ob jung oder alt, etwas verbindet. Und das Interesse daran geht weit über den hier versammelten Kreis hinaus. Eine ganze Generation von Schülerinnen und Schüler mit ihren Eltern und Lehrern war von der Kinderlandverschickung betroffen – direkt oder indirekt.

 

Es handelt sich um all diejenigen, die während des Krieges zur Schule gingen oder mit Schülern zu tun hatten. Entweder haben die Betroffenen selbst an der Kinderlandverschickung teilgenommen und sind aus luftkriegsgefährdeten Städten zusammen mit Gleichaltrigen aufs Land verschickt worden, oder – wenn sie auf dem Lande lebten – hatten Betroffene plötzlich Stadtkinder zu Gast in der Familie oder als Mitschülerinnen und Mitschüler in der Dorfschule.

 

Das Erlebnis der Kinderlandverschickung war so einschneidend, das die meisten Betroffenen ihren Kindern und Enkelkinder davon erzählt haben – und aus solchen Erzählungen weiß ich zum Beispiel davon.

 

Wir müssen dabei auch bedenken, dass Tourismus und selbstverständlich unter-nommene Urlaubsreisen wie wir das heute kennen, vor sechzig Jahren noch nicht üblich und auch gar nicht möglich waren. Viele der in der Landver-schickung gereisten Kinder sind damals zum erstenmal von zu Hause weg gewesen, und das unter den Bedingungen des Krieges.

 

Wenn eine Maßnahme wie diese so bedeutend für eine ganze Generation von Menschen ist, dann ist das auch ein Thema für die Geschichtsschreibung. Ich habe gehört, daß erst sehr wenige Untersuchungen darüber vorliegen und deshalb freut es mich besonders, daß Rheine nach Hagen die zweite Stadt in Westfalen ist, die ein Buch über die Kinderlandverschickung aus den Schulen der Stadt vorweisen kann.

 

„Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg“, dieses Zitat aus der Chronik des Lehrers Hermann Rosenstengel haben die Autoren als Titel des Buches ausgesucht. Sehr treffend beschwört dieser kurze Satz das schreckliche Bild einer Stadt ohne Kinder herauf, der Stadt Rheine im vorletzten Jahr des Krieges als die Schulen geschlossen und die Kinder aufs Land verschickt waren.

Kinderlandverschickung ist ein verharmlosender Begriff, mit dem  die National-sozialisten die wegen des Luftkrieges notwendige Evakuierung von Millionen von Kindern als Erholungsmaßnahme beschönigen wollten.

 

Auf der einen Seite waren die Kinder auf dem Lande wirklich sicherer unterge-bracht. Sie wurden besser ernährt als in der Stadt und hatten obendrein viele schöne und neue Erlebnisse. In der Biographie vieler Kinder bedeutet dies eine durchaus schöne Zeit und die Erinnerung daran soll auch niemanden genommen werden.

 

Auf der anderen Seite ist in Briefen und Zeitdokumenten aber auch von Heimweh und großer Angst die Rede, Angst, die sich die Kinder um die Familie oder um die zum Kriegsdienst eingezogenen Väter oder Brüder machten.

Zu erwähnen ist auch, daß die Nationalsozialisten die Kinderverschickungslager dazu benutzten, fern von den Eltern großen Einfluß auf die Jugend zu gewinnen. Auch wenn manche Betroffenen sich an diese negativen Aspekte nicht so gerne erinnern, dürfen sie nicht verschwiegen werden.

 

Eine Besonderheit diese Buches, meine Damen und Herren, ist die Art seiner Entstehung – Sechzig Zeitzeugen haben mit ihren Auskünften in Form von mündlichen oder schriftlichen Berichten mit Fotos, Briefen und Lagerbüchern aus der Kinderlandverschickung, Poesiealben und ähnlichen Erinnerungsstücken die Zusammenstellung eines Buches überhaupt erst möglich gemacht. Fast alle Zeitzeugen sind heute hier versammelt.

 

Wir bedauern sehr, daß Frau Margot Wösting, geborene Brede, am 1. März ver-storben ist und die Vorstellung des Buches nicht mehr miterleben kann. Frau Wösting hatte die Kreuzschule in Rheine besucht – Im Alter von neun Jahren fuhr sie im Sommer 1943 mit einer Gruppe von 25 Mädchen aus Rheine nach Schweidnitz (heute Swidnica) im Warthegau in Niederschlesien.

 

Wie alle Kinder unter zehn Jahren wurde sie in einer Familie untergebracht, der Familie des Küsters und Organisten, wo sie sehr freundlich aufgenommen wurde. Ihre Mutter holte sie aus der Kinderlandverschickung ab, um mit ihre vier Kindern bis zum Kriegsende in Mauren bei Donauwörth zu bleiben. „Als sie im Sommer 1945 endlich wieder nach Rheine zurückkamen ,“ erzählte Margot Wösting,  „war viel zerstört in unserer Heimatstadt. Auch wir waren ausgebombt.“

 

Weiter Beispiele aus dem neuen Buch werden uns die beide Autoren und der Schüler Henrik Püth vorstellen. Vorher, meine Damen und Herren, habe ich noch die angenehme Aufgabe, allen die an der Entstehung dieses Buches über die Kinderlandverschickung aus Rheine beteiligten Personen im Namen der Rates, der Verwaltung und der Bürgerinnen und Bürger der Stadt meine herzlichen Dank auszusprechen.

An erster Stelle möchte ich Herrn Rudolf Marciniak danken, der selbst als Junge aus seiner Elternstadt Hamm an der Kinderlandverschickung gefahren war und der auf Grund seiner eigenen Erfahrungen zu der Idee kam, dieses Thema im Hinblick auf Rheine näher zu untersuchen. Als er im Stadtarchiv Bücher und andere Unterlagen durchforstete, wurde ihm schnell deutlich, daß für eine richtige Dokumentation  mehr Informationen als die bereits vorhandenen nötig waren. Von vielen Schulen der Stadt war kaum bekannt, ob Schüler und Lehrer an der Landverschickung teilgenommen haben und wie es ihnen dort ergangen ist.

 

Zwei Aufrufe nach Zeitzeugen in der lokalen Presse hatten eine überwältigenden Erfolg, Insgesamt sechzig Frauen und Männer meldeten sich, die bereit waren, über ihre eigenen Erlebnisse während der Kinderlandverschickung Auskünfte zu geben. Die meisten Gespräche mit diesem Zeitzeugen hat Rudolf Marciniak geführt. Er hat die Ergebnisse der Befragungen schriftlich festgehalten und Fotos und Unterlagen gesammelt, die ihm die Zeitzeugen zur Verfügung gestellt haben. All dies waren  ebenso zeitintensive wie lohnende Aufgaben. Ohne den großen Einsatz von Rudolf Marciniak wäre eine so umfassende Dokumentation der Kinderlandverschickung aus Rheine nicht möglich gewesen!

 

Herr Dr. Thomas Gießmann, der Leiter unseres Stadtarchivs, hat die Arbeit von Rudolf Marciniak zunächst mit der Bereitstellung von Büchern und Dokumen-ten aus den Stadtarchiv sowie mit Anregungen und Tips zum Vorgehen unterstützt. Als der Zeitzeugenaufruf in der Presse ein so großes Echo fand, wurde ihm gleich die Chance bewußt, hier genauere Informationen über die Kinderlandverschickung aus verschiedenen Schulen und über die Schicksale und Erlebnisse einzelner Kinder aus Rheine während des Krieges zu gewinnen.

 

Das dies Informationen dann zu einem Buch verarbeitet worden sind, war seine Idee und ist sein Verdienst. Dafür gilt auch ihm ein herzliches Dankeschön. Herr Dr. Gießmann hat dem Buch einen allgemeinen Überblick über die Organisation der Kinderlandverschickung als Maßnahme der Evakuierung von Schulkindern aus luftkriegsgefährdeten Städten voran gestellt. Aus den Chroniken der Rheiner Schulen wurden von ihm wichtige Informationen über den Schulalltag im Zweiten Weltkrieg zusammen getragen.

 

Die beiden Autoren, die das Buch gemeinsam erstellt haben und den sechzig Zeitzeugen, die Material und Informationen dazu geliefert haben, sei hiermit herzlich gedankt.

 

Dank gebührt auch allen anderen, die zum Gelingen beigetragen haben, etwa durch Schreiben von Texten, durch Korrekturlesen oder anderen Hilfen. Frau Dr. Ursula Heckel vom Waxmann - Verlag Münster hat das Buch in das Programm ihres Verlages aufgenommen und in dieser ansprechenden Form heraus gebracht. Dafür sei ihr ebenfalls herzlich gedankt.

 

Meine Damen und Herren, Schülerinnen und Schüler sind wir alle einmal gewesen. Was aber bedeutet, Kindheit  und Schule unter den negativen Bedingungen des Krieges und der NS-Herrschaft zu verbringen. Darüber können sie sich aus diesem Buch „Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg“ bestens informieren.

 

Ich empfehle Ihnen eine beeindruckende Lektüre und wünsche dem Buch viele aufmerksame Leser.