So war das .......
In Erinnerung gerufen:
Jugendjahre in Hamm vor dem II.
Weltkrieg
Rudolf Marciniak
Das Haus Kampstraße 2 grenzte mit der
Rückseite an die Marienstraße. Gegenüber lag die Sakristei der großen
Josefs Kirche. Es war ein etwas älteres Fachwerkhaus. Bei den
Luftangriffen auf die Stadt mit ihrem riesigen Güter- und Verschiebebahnhof
und den Bombeneinschlägen rund herum schwankte es hin und her. Jedes mal
waren das Dach abgedeckt, die Fenster und Türen rausgeflogen, der Putz von
Wänden und Decken abgeplatzt. Nur mit großer Mühe konnte es
zwischen durch immer wieder bewohnbar gemacht werden.
Die Kampstraße war eine kleine Nebenstraße,
die zwischen dem Hutgeschäft Krahe und dem Hotel Luhmann von der
Wilhelmstraße abzweigte, nach einem Knick nach rechts fast parallel zur
Wilhelmstraße verlief und am Ende nach einem Knick nach links in die
Viktoriastraße gegenüber dem alten Walzwerk der Westfälischen Union
einmündete. Vorn stand auf der linken Seite eine Reihe alter
Fachwerkshäusern mit je einen kleinen Vorhof. Es gab einem Durchgang zum
Strickers-Platz. Das war ein kleiner Platz, der vor der Steinstraße endete
und von der Marienstraße abgegrenzt wurde. Ein riesiger alter Kastanienbaum
war sein Schmuckstück und die Kinder vieler Generationen erfreuten sich
daran, wenn im Herbst die so herrlich, schönen, rostbraunen Kastanien von
ihnen eingesammelt wurde.
Eine Reihe von Backsteinbauten lagen den
Fachwerkhäusern gegenüber. Im weiteren Verlauf der Kampstraße lag dann links
das Lager der Klempner- und Installationsfirma Stricker, dem gegenüber der
große Saal der Gastwirtschaft Grotendiek und eine Reihe von flachen
Not-Wohnungen. Daran schloss sich ein großer Wohnblock mit Werkswohnungen
der Westfälischen Drahtindustrie an. Gegenüber lag die Rückseite des
Lagerplatzes einer Baufirma und vor der Einmündung in die Viktoriastraße
lagen dann rechts der Hof und die Saalrückseite der Gaststätte Wieck und die
Lagerräume einer Ford-Vertretung.
Die Bewohner der Kapstrasse waren
Fabrikarbeiter, Bauarbeiter, Bergleute und einige Invaliden.
Wir wohnten
gleich im ersten Haus, Kampstraße Nr. 2. Wir, dass waren meine Mutter, die
Witwe war, meine drei Geschwister, Heinz, Thea, Marga und ich. 1931
besuchten wir unsere Großeltern, Onkeln und Tanten in Nordfrankreich in
Dechy nahe bei Lille/Douai. Es war gerade in dieser Zeit für meine Mutter
nicht leicht, uns Trabanten groß zu ziehen. Vor unsern Haus war vorn
zwischen den beiden Fenstern unten mit einem mächtigen gusseisernen Arm eine
große Gaslaterne angebracht, die ihren Lichtschein in den späten
Abendstunden auch in die Wohnung warf. In den meisten Häusern gab es kein
elektrisches Licht und die Petroleumlampe war damals so etwas wie der
Standard.
In den Fachwerkhäusern gab es gerade mal
einen Spülstein mit fließenden kaltem Wasser. In einem Anbau ein
Plumsklosett und getrennt davon eine Waschküche, die von den Bewohnern des
Nachbarhauses mitbenutzt wurde. In der Waschküche fand an den Samstagen
immer das große Kinderwaschen in den Zinkbadewannen statt. In den Wohnungen
war es trotz eines Küchenherdes im Winter immer recht kalt. Am frühen
Morgen waren dann herrliche Eisblumen in den Fenster.. Es gab auch in den
Wintermonaten oft recht viel Schnee, manchmal fast 50 cm hoch.
Schneeballschlachten, Schlittenfahrten und der Bau von Schneemänner und
Schnee-Iglus waren für uns Kinder immer eine tolle Winterfreude.
In den Sommermonaten, den Schulferien und
der Erntezeit, war bei schönem Wetter mit hohen Temperaturen für uns das
Germania-Bad ein willkommenes Badeziel. Es lag im Hammer Westen in einen
Park und war ein Natur-Bad mit so etwas wie einen kleinen Sandstrand für
kleine Kinder, einem hölzernen Dock für Nichtschwimmer und einem Badesee mit
Sprungbretter von 1 Meter, 3 Meter und einem 5 Meterturm. Ab und zu ging es
mit Mutter und Schwestern auch in den Hammer Osten zum Freischwimm-Bad mit
seinem gemauerten und betonierten beide großen Schwimmbecken. Dort hatten
mich meine Schwestern einmal nach einen kühnen Sprung schnell noch aus dem
Wasser herausgezogen und gerettet.
Die Rückseite unserer Wohnung grenzte an die
Marienstraße. Auf der anderen Seite lag die Josefskirche mit ihren mächtigen
Kirchturm. Um die Kirche herum konnte man gut spielen und aus dem Garten des
Pastorats wurden von uns im Herbst selbstverständlich Äpfel und Birnen von
den Bäumen geklaut, aber der Pastor Berendes durfte uns dabei nicht
erwischen. Irgendwann hatten die Nazis den Pastor auch in der Mache. Wir
Jungen wusste aber nicht warum. Uns erzählte man, er habe einen Pimpf in
Uniform geohrfeigt und das war ja damals schon fast ein
Verbrechen.
Soldaten- und Kriegspielen, das war was
für uns Jungen. Ein alter Helm aus Wilhelms Zeiten mit einer abgebrochenen
Pickelhaube und einem hölzernen RAD-Dolch machten mich bald zum Anführer
unserer Bande.
Jeden Morgen kam der Milchmann. Wenn er
bimmelte, kamen alle Frauen, um für ihre Familien lose Milch in ihren
Milchkannen einzukaufen. Im Sommer gab es auch bei dem Milchmann leckere
gekühlte Buttermilch. Zweimal in der Woche kam an frühen Nachmittag ein
Bäcker mit Pferd und Wagen, verkaufte frisches Brot, Brötchen und
verschiedenen Kuchen. Vor allen der Bienenstich erfreute sich bei uns
Kindern großer Beliebtheit. Am Freitag kam auch ein Fischhändler in die
Straße. Neben Brat- und Kochfisch wurden gern Salzheringe gekauft und nach
alten Methoden von den Frauen eingelegt. Pellkartoffeln mit Hering war ein
beliebtes Essen, nicht nur bei den Familien in der Kampstraße. Im Herbst
wurde von einigen Frauen auch mehrere Kohlköpfe eingekauft, geschnitten und
dann selbst zu Sauerkraut verarbeitet in einen Holzfass eingestampft, darauf
ein Holzdeckel und ein schwerer Pflasterstein. Sauerkraut mit
Stampf-Kartoffeln und Pfötchen oder Eisbein, im Winter kam Grünkohl mit
einem Stück durchwachsenden Speck oder geräucherten Mettwürstchen
Regelmäßíg bei allen Familien auf den Mittagstisch.
Rechtzeitig bevor der Winter begann war der
Zeit der Einkellerung.. Die Kartoffeln wurden je nach der Zahl der
Familienmitglieder zentnerweise eingekauft und in Säcke in die Keller
angeliefert und in ein Kartoffelschoss aufbewahrt.. Mit den Kohlen war das
ebenso. Die wurden allerdings vor die Kellerfenster gekippt und man musste
sehen wie man die in den Keller bekam.. Die Bergarbeiterfamilien bekamen
Deputatkohlen; eine bestimmte Anzahl an Zentnern waren frei, aber auch die
wurden vor den Kellerfenstern gekippt und mussten eingeschippt werden.
Neben dem Hotel Luhmann an der Wilhelmstraße
gab es an der Ecke zur Marienstraße den kleinen Laden von Frau Besing und
dahinter die Gastwirtschaft Thiemann, Wilhelnstra0e 28. Frau Besing
verkaufte Gebäck, Brötchen und Süßwaren.
Für 5 Rpf gab es dort 2 Brötchen. Hänsken
Büscher hatte mal die Idee, bei der Metzgerei Niggemann, etwas weiter auf
der Wilhelnstrasse, für 10 Rpf Wurstabschnitte „für unsern Hund“ zu kaufen.
Auf den geschwungenen Treppenstufen vor der Gastwirtschaft Thiemann haben
wir dann gesessen und die Wurstenden verputzt. Hänsken seine Mutter war das
gar nicht recht und sie schimpfte uns tüchtig aus. Sein Vater war Bergmann
auf der Zeche Radbod und der lief jeder Tag zu Fuß den weiten Weg bis zu der
Schachtanlage. Er war im ersten Weltkrieg Soldat in Frankreich gewesen und
erzählte oft von seinen Erlebnissen in der Schlacht an der „Somme“ oder den
Kämpfen am „Argonner Wald“ wie sie den Franzmann fertig gemacht hatten und
dann sang er auch mal alte Soldatenlieder aus der Zeit des Ersten
Weltkrieges.
Am Anfang der Josefstraße befand sich das
Lebensmittelgeschäft Eilers, in dem auch von uns immer einkauft wurde. Die
meiste Ware war damals unverpackt, lose in große Schiebladen verstaut, wurde
beim Verkauf in Tüten auf einer Wage abgewogen. Marmelade gab es aus großen
Blecheimern, Käse und Wurst wurden mit eine Handschneidemaschine
geschnitten. Der Preis wurde bei viele Kunden aus Arbeiterfamilien in ein
kleines Heft eingetragen und am Freitag, wenn es Geld gab, wurde dann von
der Hausfrau bezahlt.
Auf der Wilhelmstraße waren zwei
Schienenpaare eingebaut für die Straßenbahn. In westlicher Richtung fuhr
eine Linie nach Pelkum, die andere nach Herrimgen. Mit den ersten Wagen am
frühen Morgen gegen 5 Uhr machten sich die Bergleute aus dem Hammer Westen
bereits auf den Weg zu den Schachtanlegen „Heinrich-Robert“ in Pelkum und
von „de Wendel - Schacht Franz“ in Herringen. In östlicher Richtung von uns
aus führte eine Linie durch das Bahnhofsviertel mit der Innenstadt und den
zahlreichen Einkaufsgeschäften bis Bad Hamm. Von der Nordstraße aus führte
eine Linie über Hamm-Norden bis Bockum-Hövel. und vom Bahnhof eine Linie in
den Hammer-Süden.. Alle 10 Minuten fuhr eine Bahn.. Unsere Haltestellen
waren vor dem Hotel Luhmann und gegenüber an der Ecke Hobreckerstraße. Die
Wagen waren mit einem Fahrer und einem Schaffner besetzt.
„Die Stadt“ begann für uns hinter der großen
Bahnunterführung. Auf der rechten Seite lag nach einem Hotel ein Kino, das
„Gloria Theater“. Sonntagsvormittags gab es dort immer Kinder-vorstellungen
mit einen großen Andrang. Gezeigt wurden u.a. Indianerfilme wie „Am Fuß der
blauen Berge“, Kinderfilme mit „Shirley Temple“, „Dick und Doof“, „Ali Baba
und die 40 Räuber“, „Sindbad der Seefahrer“ und Filme mit „Micky Maus“. Aber
auch im UFA – Palast, in einem imposanter Bau am Westentor, gab es extra
Kindervorstellungen. Der riesige elegante Kinosaal war ganz mit roten
Stoffen ausgeschlagen und hatte einige hundert Plätze.. .
Unter dem UFA – Palast war das großes
Einkaufsgeschäft EHAPE, das viele Sachen zu günstigen Preisen anbot,
darunter auch Kinderspielzeug. Bei einem Einkauf bekam ich einmal eine
kleine, gut lackierte Kanone ais Blech, mit der man Knallplättchen
abschießen konnte.
Die Kampstraße zwischen der Westfälischen
Union und der Westfälischen Drahtindustrie gehörte zu den dortigen
Arbeiterviertel. Zu Beginn des „Dritten Reiches“ wurden von der SA und der
Polizei öfter mal Kommunisten abgeholt, wenn die wieder Nachts Flugblätter
verteilt hatten. Neumann, der neben uns wohnte,
kam zur „Umerziehung“ in ein Lager
nach Bergkamen und die Männer der Familie Fister wurden nach
Hausdurchsuchungen in der „Blauen Minna“ abgeholt. Später waren die einfach
nicht mehr da. Aber auch die Familien von Sozialdemokraten waren der
Überwachung ausgesetzt und die Männer wurde ein paar Mal von den Nazis
abgeholt.
Mein Bruder Heinz gehörte damals der
katholischen Jugend an, die auf dem Grundstück Steinstraße – Ecke
Vorheiderweg ein Jugendheim hatte. Als er mich einmal nach dort mitnahm, war
dort eingebrochen worden, die Einrichtung zerschlagen, alles kaputt und
verwüstet. Es hieß. die Zerstörungen wären Nachts von der SA und der
Hitlerjugend gemacht worden.
Später machte mein Bruder bei den
Altennachmittagen der Josefs-Kirche, die im Josefshaus an der Josefstraße
stattfanden, Vorführungen als Zauberkünstler und Feuerspucker. Außerdem
haben wir mit selbst gefertigten Kasperpuppen im Waisenhaus Vosterhausen für
die Kinder Kasperletheater gespielt.
Zum 1. April 1935 wurde ich in die
katholische Westschule I. eingeschult, als I-Männeken in die alte
Josefschule II. Das erste Halbjahr-Zeugnis lautete „Rudolf hat einen
guten Anfang gemacht“. Aber später gab es auch ein Halbjahres-Zeugnis in
dem stand „Die Versetzung ist gefährdet“. Bald ging es da schon los mit der
Einwirkung der Nationalsozialisten auf den Unterricht. Wenn der Lehrer das
Klassenzimmer betrat, mussten wir alle neben den Schulbänken stramm stehen.
Der Lehrer grüßte: „Guten Morgen Kinder“ und wir hatten zu antworten.
„Guten Morgen Herr Lehrer“. Dann kam das Kommando „Setzen“. Später hieß es
aber: „Heil Hitler Kinder.“ und „Heil Hitler Herr Lehrer“. Zu den
Schulferien gab es immer eine Flaggenparade. Alle Schüler hatten auf dem
Schulhof am Flaggenmast anzutreten. Der Rektor hielt eine kleine Ansprache
und dann wurde das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied gesungen. Dann
wurde die Hakenkreuzfahne – die sonst immer am Mast flatterte – für die
Dauer der Ferien eingeholt.
Wir gingen alle einmal in der Woche zum
Schulgottesdienst in die gegenüber liegende Josefs-kirche vor Schulbeginn
und auch alle zur ersten heiligen Kommunion. In der Schule gab es aber auch
verschiedene Anlässe zum feiern nationalsozialistischer Gedenktage, wie z,
B. der Tag der Machtübernahme, Führers Geburtstag, der Tag der Arbeit am 1.
Mai oder zum Erntedankfest. An diesen Volksfeiertagen wurden überall
Flaggenschmuck befohlen. Selbst in den einfachen Wohnhäusern mussten alle
Mieter aus ihren Wohnungsfenster Hakenkreuzfahnen heraus hängen.
Zu Weihnachten 1935 bekam ich eine
Eisenbahn, eine Lokomotive mit mehreren Waggons und einen Kreis Schienen.
Bescherung war immer am ersten Weihnachtstag nach der Frühmesse. Alles war
von unserer Mutter schon vorbereitet und mit einem großen Tischtuch vor
unseren neu-gierigen Blicken abgedeckt. Über uns wohnte eine Familie
Stichternaht und wenn der Mann mit seiner senioren Stimme am Heiligen Abend
das Lied anstimmte „Auf Christen singt festliche Lieder“, dann wussten wir,
oben gibt es jetzt die Bescherung.
Später, nach der
Versetzung an die Ackerschule, ging es mit dem strammen Unterricht so
weiter. Da hieß es aber schon: „Heil Hitler Herr Lehrer“ und Heil Hitler
Jungens“. In der Filmstunde gab es Filme über die Olympiade 1936
mit den großen deutschen Siegen
und der Verleihung der Goldmedaillen. All das hatten ja die Nazis
erst möglich gemacht – so haben die uns dass natürlich erzählt.
Aber es gab auch
andere Filme, auch vom Krieg, über erfolgreiche Einsätze deutscher U-Boote
oder von der großen „Seeschlacht am Skagerak 1916“. Bei einem
Schülerwettbewerb „Seefahrt ist Not“ hatte mir mein Bruder geholfen ein
deutsches U-Boot zu bauen. Dafür erhielt ich von allen Schulen in der Stadt
den 3. Preis, ein Buch „U 9“ über einen U-Boots-Angriff auf den englischen
Flottenstützpunkt Scapa Flow.
Bis zum Umfallen
mussten wir „Die Glocke“ von Schiller pauken und wenn man die
auswendig gelernten Strophen nicht richtig aufsagen konnte, musste man zur
Strafe abschreiben. Das waren insgesamt 10 Seiten im Lesebuch. Später, wenn
ich Ende 1944 – Anfang 1945 durch unsere zerstörte Stadt ging, haben ich
bei den Trümmer in den Straßen oft daran gedacht: „...aus den
öden Fensterhöhlen schaut das Grauen,
und des Himmels Wolken schauen tief
hinein.“
(Aus der Presse)
Heilpflanzensammlung im Juni
Heilkräuter sind Rohstoffe für Arzneimittel. Der
Bedarf ist groß für die Wehrmacht und die Bevölkerung. Die Gesamt-Beschaffung
dieser kriegswichtigen Rohstoffe geschieht durch das Sammeln der Jugend und
Anleitung der Erzieherschaft. Die Mindestmenge beträgt monatlich für jeden
Jungen und für jedes Mädel ein Kilo Blätter und Stengelpfanzen
oder ½ Kilo Blüten. Im Juni
werden gesammelt: Brennesselblüten und Brennesselkraut, etwa 30 cm lang;
Birken-Blätter abgestreift; Besenginster, Blüten und Kraut; Erdbeerblätter aus
Garten und Wald; Gänseblümchen, Blüten ohne Stiel; Himbeerblätter aus Garten und
Wald; Hirtentäschelkraut, blühendes Kraut ohne Wurzeln; Holunderblätter;
Huflattichblätter, etwa handgroß; Linden-Blätter; Löwenzahnkraut, ganze Rosetten
ohne Blüten und Wurzeln; Schlüsselblumenblüten, nur die gelben Blüten ohne
Kelch; Spitzwe-gerichblätter, nicht drücken oder knüllen; Stiefmütterchenkraut,
wild-wachsend, blau und gelbblühend, ganzes Kraut ohne Wurzeln; Taubnesselblüten
weiß, ohne Kelch; Waldmeisterkraut,
ganzes Kraut ohne Wurzeln, frisch und getrocknet, Weißdornblüten.
Von uns wurde
Altmaterial und während des Naturkundeunterrichtes Heilkräuter gesammelt.
Zur Teilnahme an der Heilkräutersammlung waren alle Schüler von allen
Schulen verpflichtet. In Begleitung und unter Aufsicht von Lehrern ging es
dann während des Schulunterrichtes an den Stadtrand oder ans Kanalufer
hinter der Schleuse. Gesammelt wurde u. a. Kamille, Huflattich, Taubnessel,
Schachtelhalm und Schafgabe. Die gesammelten Heilkräuter wurden dann auf
großen Papierbogen zum trocknen in eine, Klassenraum ausgelegt.
Die Schulausflüge
fanden meistens mit der Ruhr-Lippe-Eisenbahn statt. Begehrtes Ziel war oft
die Möhntalsperre. Morgens in der Frühe ging es mit dem „Pengel-Anton“ – so
nannten wir die Kleinbahn – vom Schwarzen Weg hinter der Bahnunterführung
los. Mehrere Klassen von verschiedene Schulen fanden sich dort ein. Der Zug
war dann immer rappelvoll. Wenn sich der Zug dann irgend einer Straße
näherte, ertönte kurz vorher die große Glocke auf der Lokomotive „Peng-Peng-Peng“.
Von diesem Geläute hatte die Kleinbahn ihren Namen.
Nach dem Ausbruch des
Krieges wurde jeden Morgen in der ersten Unterrichtsstunde immer die Erfolge
der Deutschen Wehrmacht besprochen und an Landkarten erläutert. Der
Heeresbericht des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht bildete dazu die
Grundlage. Das galt vor allen bei dem Krieg im Westen ab dem 10. Mai 1940
mit dem Angriff auf Holland, Belgien, Luxemburg und Frankreich, den Kämpfen,
dem Vormarsch und den Siegen der deutschen Truppen. Zu der Zeit hatten wir
Unterricht durch den Rektor der Schule Max Lipinsky. Der hatte im ersten
Weltkrieg ein Bein verloren und war (so wie er uns erzählte) 1923 Mitglied
in der NSDAP geworden. Bei jeder Gelegenheit stiefelte er in einer
hellbraunen Uniform herum, einen großen Orden an der Brust. Das sei der
Blutorden erzählte er bei jeder Gelegenheit. Im Geschichtsunterricht konnte
er stundenlang über die Germanen reden. Kasper Gerke war ein älterer
Lehrer, bei dem wir Unterricht in Musik hatten. Er spielte uns auf seiner
Geige auch mal etwas vor, dass aber weniger Interesse fand und ein paar
Ruhestörer den Rohrstock zu spüren bekamen. Dafür waren wir beim Singen
richtig dabei. Wir lernten zahlreiche Volkslieder, aber auch so was wie ein
Chor „Deutschland, heiliges Wort, ...“. Unser Klassenlehrer war später Herr
Brauckmann, der sich alle Mühe gab uns etwas Vernünftiges bei zu bringen.
Als die deutschen
Truppen in Paris einmarschierten wurde
wieder einmal groß geflaggt, nicht nur an öffentlichen Gebäuden,
sondern auch alle Wohnhäuser hatten in ihren Fenster die Hakenkreuzfahnen zu
hissen und als dann Frankreich kapitulierte läuteten alle Kirchenglocken und
die gesamte Bevölkerung jubelte über den große deutschen Sieg unserer
„tapferen Soldaten“ über unsere Feinde.
Als die siegreichen Truppen in ihre
Garnisonen nach Deutschland zurück kehrten, wurden sie in den Straßen der
Städte mit Blumen überschüttet. So auch in Hamm.
Ab 1941 wurde dann auch in Hamm die
Kinderlandverschickung eingeführt. Von Anfang Mai bis Ende September kam ich
zu einem Bauer Namens Kümmel-Bau in Schüllar bei Bad Berleburg im
Wittgensteiner Land. Wir Kinder gingen dort auch im Nachbardorf in die
Schule, mußten aber auch auf dem Hof helfen, Kühe hüten oder auf die Weide
treiben, Heu machen und einfahren und auch bei den Erntearbeiten. Als ein
Schwein geschlachtet wurde, durfte ich zusehen. Im Dorf gab es auch ein
eigenes Backhaus in dem die Bäuerinnen immer an mehreren Tagen selber das
Brot gebacken haben.
An einem Sonntag, der 22. Juni, hieß es am
Morgen der Krieg mit der Sowjet-Union sei ausgebrochen und die deutschen
Truppen hätten mit eine Angriff begonnen. Erst eine Woche später gab es eine
Sondermeldung nach der anderen über die eroberten feindlichen Städte, der
Bombardierung militärischer Anlagen und Truppenverbänden durch die deutsche
Luftwaffe und den tausenden von Gefangenen, die gemacht worden waren.
Als mir meine Mutter schrieb, dass mein
Schwager Remi Lebenstadt bereits am zweiten Tag des Russlandkrieges gefallen
sei, war ich doch sehr traurig und niedergeschlagen. Irgend ein Mann in
einer Naziuniform besuchte mich und erzählte mir etwas über den nicht
vergeblichen Heldentod fürs deutsche Vaterland.
Im
Sommer 1942 kann ich mit der Kinderlandverschickung für 6 Wochen nach
Neheim-Hüsten in ein Jugendheim am Stadtrand. Andere Mitschüler waren weiter
weg. Einige sogar in die Hohe Tatra in der Tschechei. Alles war ja auf eine
nationalsozialistische Erziehung ausgerichtet: Für Führer, Volk und
Vaterland mit Schule, Jungvolk und Hitlerjugend.
Volksempfänger
und
Nazipropaganda.
Die Nazis hatten schon sehr frühzeitig den
Rundfunk als eine große Möglichkeit der Meinungsbeeinflussung von Menschen
erkannt. Rundfunk und Presse waren „gleichgeschaltet“ und unterlagen den
Weisungen des damaligen „Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda“
Dr. Joseph Goebbels. Der stellte dann auch die Reichsrundfunkausstellung
1936 unter das Motto: „Der Rundfunk formt den Menschen im Geiste des Führers
Adolf Hitler“.
Wir hatten zu Hause ein altes Grammophon,
daß war ein viereckiger Holzkasten mit einer Kurbel zum aufziehen und einen
Plattenteller. Dazu gehörte ein runder Tonkopf mit einer Nadel die auf die
Schallplatte angesetzt wurde und ein riesiger Tontrichter. Es war für uns
Kinder immer interessant wenn darauf gespielt wurde, auch Kinderlieder wie
z. B. „Weißt Du wie viel Sternlein stehen....“ oder „Schlafe mein Prinzlein,
schlaf ein...“ oder „Wer will unter die Soldaten...“.
Mein Bruder hatte sich aus mehreren Spulen,
Röhren und anderen Teilen einen Radioapparat gebastelt. Mit einem Kopfhörer
konnte man verschiedene Sendungen abhören. In vielen Familien gab es aber
schon bald einen so genannten Volksempfänger. Das war ein damals billiger,
einfacher Radioapparat, ausgestattet mit einer ganz guten Leistung und einem
Bakalitgehäuse.
1933
Beginn der Produktion des „Volksempfängers“. Er kostet die
Hälfte anderer Radios, fehlender Kurzwellenbereich erschwerte den Empfang
ausländischer Sender. Irgendwann hatten wir auch so einen Apparat der uns
bis an das Kriegsende begleitete. Es gab Nachrichtensendungen – immer
politisch eingefärbt – und Musik- und Sportsendungen, aber auch eine Sendung
„Kamerad wo bist Du ?“ in der Soldaten aus dem 1. Weltkrieg alte
Kriegskameraden suchten. Die Sendung begann immer mit Kanonendonner, heulen
des Trommelfeuer und den Geknatter von Maschinengewehrsalven. Dann folgte
Namen und Dienstgrad von ehemaligen Soldaten, ihre Regiments- und
Kompanieeinheiten sowie der Frontabschnitt.
Als junger Bursche hörte ich aber auch gern
eine Sendung der Kirche in der einmal in der Woche Mönche pastorale Choräle
sangen und das klang immer so feierlich. Für die Übertragung des Boxkampfes
von Max Schmeling gegen John Luis im Juni 1938 aus Amerika um 5.oo Uhr in
der Früh waren wir extra aufgestanden. Ehe wir richtig wussten was los war,
war mit dem KO von Max Schmeling schon in der ersten Runde alles vorbei. Wir
waren natürlich sehr enttäuscht, denn natürlich war Max Schmeling ja für uns
Jungen ein großes Idol. und er war ja schließlich auch Weltmeister im
Schwergewicht gewesen. Es wurde auch spekuliert ob wohl alles mit rechten
Dingen zugegangen sei.
Aber es gab auch Sendungen mit Volksmusik,
Operettenmelodien oder Gesangsvorträgen von großen Sängern der damaligen
Zeit. Abends, wenn wir Kinder schon zu Bett waren, gab es auch spannende
Hörspiele oder Vorlesungen von irgendwelchen Geistesgrößen.
Die Verbreitung des Volksempfängers wurde
von des Nazis nicht nur gern gesehen, sondern gefördert und unterstützt. So
hatte denn auch ab 1937/1938 fast jeder Haushalt und jede Familie einen
Radioapparat bzw.
Volksempfänger.
Zu allen möglichen Anlässen ertönte
Marschmusik. Die Reden „an das deutsche Volk“ von Josph Goebbels, Adolf
Hitler und anderer Nazi-Parteigrößen wurden übertragen und wenn der Führer
sprach, hockten alle vor ihrem Volksempfänger. Ganz Deutschland hörte den
Führer. In den Fabriken, Büros, Behörden, Verwaltungen und in den Schulen
wurden Gemeinschaftempfänge organisiert.
Unsere Turnhalle in der Ackerschule wurde
dann immer besonders geschmückt. An den langen Kletter-Leitern hingen die
große Hakenkreuzfahnen und eine Hitlerbüste stand in der Mitte dazwischen.
Alle Schüler und Lehrer – von denen fast alle Mitglieder der NSDAP waren -
hörten der Übertragung zu. Wenn der Badenweiler Marsch erklang, wusste jeder
– nun kommt der Führer.
So war es auch am 1. September 1939. Wir
hatten noch Schulferien. An diesem Freitagmorgen war eine Rede von Adolf
Hitler angekündigt und an diesem Morgen fielen die bekannten Sätze: „Ich
habe mich nun entschlossen, das Schicksal des deutschen Volkes wieder in die
Hände seiner Soldaten zu legen.“ „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurück
geschossen und von nun an wird Bombe mit Bombe vergolten.“ Am Ende dieser
Rede ertönte aus dem Lautsprecher das Deutschland- und das
Horst-Wessel-Lied.
Am Sonntagmorgen den 3. September kam kurz
vor Mittag die Meldung aus dem Rundfunk, daß England und Frankreich den
sofortigen Rückzug der deutschen Truppen aus Polen forderten. Das Ultimatum
war bei Nichterfüllung ihrer Forderung mit der Erklärung des Kriegszustandes
verbunden. So begann der Zweite Weltkrieg.
Es waren bereits Verdunkelung angeordnet
und Lebensmittelkarten ausgegeben worden. Die Turnhalle der Ackerschule
wurde Anfang Oktober für die Einlagerung der Getreideernte benutzt . .
Es gab keine Begeisterung bei uns in der
Bevölkerung und soweit ich mich erinnere, war die Stimmung im Hammer Westen
und in unserem Arbeiterviertel irgendwie bedrückt. Nun war also doch Krieg,
obwohl alles vorher immer von den Nazis als zum Schutzes und zur Sicherung
des Friedens bezeichnet wurde. In den Sondermeldungen und Übertragungen des
„Großdeutschen Rundfunks“ war schon 1938 mit großem Jubel der Einmarsch in
Österreich gefeiert. Da hieß es überall „Ein Volk. Ein Reich. Ein Führer“.
Über die Verhandlungen von München, dem Einmarsch in das Sudetenland und
schließlich die Besetzung der Tschechoslowakei im März 1939 gab auch immer
Berichten aus dem Volksempfängern.
Während des Krieges wurden so genannte
Wunschkonzerte für die Soldaten an der Front übertragen. Die mit
Fanfarenstößen angekündigten Sondermeldungen wurden mit zackigen
Soldatenliedern begleitet, wie z. B. im Mai 1940 „.....über die Maas, über
Schelde und Rhein, marschieren wir siegreich nach Frankreich hinein.“ oder
im September 1940 „....Bomben, Bomben, Bomben auf Engeland“ oder 1941
„........Panzer rollen in Afrika vor.“ oder „.....nun brausen nach Osten die
Heere, ins russischen Land hinein.“ Oder ganz zackig sogar „...Führer
befiehl. Wir folgen Dir.“ Später waren solche Lieder nicht mehr zu hören.
Später konnte man über den Volksempfänger
den so genannten Drahtfunk empfangen und dadurch den Anflug feindlicher
Bomberverbände verfolgen. Das Abhören von „Feindsendern“ war streng
verboten. Wer dabei erwischt oder angeschwärzt wurde, musste mit schwerer
Bestrafung bis zum Todesurteil rechnen. Trotzdem gab es auch einige Männer
in der Kampstraße die heimlich BBC London abhörten. Aber im Herbst 1944 war
es mit unserem Volksempfänger vorbei. Nach einem schweren Luftangriff auf
die Stadt Hamm, bei dem auch zahlreiche Bomben im Hammer Westen fielen,
hatte er seine Seele aufgegeben. Er war vom Luftdruck der in der Nähe
eingeschlagenen Bomben durch unsere Wohnung geflogen und lag zerdeppert in
einer Ecke.
Mit 10 Jahren ins Jungvolk.
Im Mai 1939 mussten wir uns nach Abschluss
der 4. Klasse zum Jungvolk melden. Alle früheren Jugendorganisationen und
Jugendverbände waren von der Hitlerjugend übernommen und eingegliedert
worden. Das Jungvolk war die Vorstufe der Hitlerjugend für die 10 bis
14jährigen Jungen. Für die Mädchen gab es den Bund Deutscher Mädel – BDM.
Die Vorstufe für die 10 bis 14jährigen Mädchen waren die Jungmädel.
Die Jungs wurden als Pimpfe bezeichnet. Sie
trugen eine kurze schwarze Hose mit Koppel und Schulterriemen, ein
Braunhemd mit schwarzem Dreieckstuch mit einen Lederknoten.
Zweimal in der Woche war immer Dienst, zu
dem wir antreten mussten. Außerdem zu Feiern, Aufmärschen und Umzügen.
Dienst mit exerzieren waren in der Schule bzw. auf dem Schulhof. Das
Kommando hatte ein „Scharführer“, die politische Schulung wurde von einem
„Fähnleinführer“, der schon 18 Jahre alt war, durchgeführt. Jedes Fähnlein
hatte etwa 60 bis 80 Jungen. Es wurde auch Geländespiele, Lagerabende mit
tollen Lagerfeuern und Sonnenwendfeiern veranstaltet.
Es gab auch einen Fanfarenzug mit großen
Landknechtstrommeln. Bei den Aufmärschen lockte der natürlich die
Bevölkerung an die Strasse. Die Zuschauer und die Straßenpassanten hatten
die mitgeführte Hakenkreuzfahne mit dem Hitlergruß zu grüssen.
Marschieren – antreten, marschieren und
singen.
Beim Jungvolk (JV), der Hitlerjugend (HJ),
bei den Jungmädel (JM) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM) gehörte das
Antreten, Marschieren und lautes Singen zum Dienst. Alle Lieder waren
selbstverständlich nationalsozialistisch eingefärbt.
Aber wen kümmert das schon, wenn die Jungen
und Mädchen in ihren Uniformen mit ihrer Fahne durch die Strassen der Stadt
marschierten und aus voller Kehle laut ihre Lieder sangen, ohne selber deren
Bedeutung richtig zu kennen.
Laut und mit viel Begeisterung hieß es da z.
B.:
Es
zittern die morschen Knochen
der Welt
vor dem großen Krieg.
Wir haben
die Knechtschaft gebrochen,
für uns
war`s ein großer Sieg.
Wir
werden weiter marschieren
wenn
alles in Scherben fällt,
denn heute gehört uns Deutschland
und
morgen die ganze Welt.
oder
Vorwärts, vorwärts
schmettern die hellen Fanfaren.
Vorwärts,
vorwärts Jugend kennt keine Gefahren.
Ist das
Ziel auch noch so hoch
Jugend
zwingt es doch.
Unsere
Fahne flattert uns voran.
In die
Zukunft zieh´n wir Mann für Mann.
Wir
marschieren für Hitler durch Nacht und durch Not
mit der
Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.
Unsere
Fahne ist die neue Zeit.
Unsere
Fahne führt uns in die Ewigkeit,
ja die
Fahne ist mehr als der Tod.
Vielen Liedern hatte man auch noch einen
Vers über die Juden beigefügt. Der harmloseste lautete:
Und die
Juden zieh`n dahinter her.
Sie
zieh`n durch Rote Meer.
Die
Wellen schlagen zu.
Die Welt
hat Ruh`.
Straßensammlungen, Winterhilfswerk,
Eintopfsonntage.
Häufig wurde Straßensammlungen mit dem
Verkauf von Plaketten durchgeführt. Daran hatte sich auch das Jungvolk zu
beteiligen. Zum Erntedankfest wurden z. B. kleine künstliche Kornblumen und
roter Klatschmohn verkauft. Später – im Krieg - kleine Panzer, Flugzeuge und
Kriegsschiffe aus Kunststoff. Alle Straßenpassanten, die noch nicht so was
an ihrer Kleidung deutlich sichtbar trugen, wurden mit der Sammelbüchse
angegangen,. Vor den Kinos, dem Bahnhof, an den Straßenbahnhaltestellen,
aber auch in Lokalen wurden die Anstecknadeln für 20 Pfennige von uns
verkauft
Es gab dabei mit viel Eifer so was wie ein
Wettbewerb. Jeder war ganz stolz, wenn er zu den ersten gehörte, die eine
volle Sammelbüchse abgaben. Es gab dann eine neue Büchse.
Im Winter wurde für das Winterhilfswerk
(WHW) gesammelt. Wofür die gesammelten Beträge verwandt wurden, blieb
weitgehend unbekannt. Nach der Nazipropaganda sollten im Winter Mitglieder
der Volksgemeinschaft mit einem niedrigen Einkommen und großen Familien bei
der Beschaffung von Winterbekleidung, der Einkellerung von Kartoffeln und
Kohlen geholfen werden. Im ganzen Reich wurden im Herbst und Winter
Eintopfsonntage durchgeführt.
Alle Familien mussten einmal im Monat an
einem Sonntag ein Eintopfessen verzehren. Erbsensuppe, Bohnensuppe,
Kartoffelsuppe oder ein Gemüsedurcheinander wurden überall gekocht und
gegessen. Es konnte passieren, daß irgend ein Mann in einer Parteiuniform
scheinheilig am Sonntagvormittag in der Wohnung erschien und mit der
wohlwollenden Bemerkung, es dufte ja so schön, in den Kochtopf der Hausfrau
sah. Er sammelte auch, denn das durch den Eintopf gesparte Geld, sollte für
das Winterhilfswerk oder für andere Zwecke gespendet werden. Kaum jemand
konnte sich dem entziehen.
Bei der Marine –
HJ in Hamm.
Mit 14 Jahren wurden wir
vom Jungvolk in die Hitlerjugend übernommen. Ein Schulfreund hatte mich
überredet, dass ich mich zur Marine – HJ meldete. Am Lippeseitenkanal,
zwischen der Schleuse und der Nordenbrücke in der Höhe des
Wasserschifffahrtamtes, hatte die Marine – HJ ein großes Heim mit einem
freistehenden Schiffsmast mit eine Rahe und Strickleitern. Der Mast wurde
auch für Signalflaggen benutzt.
Außer mehren Ruderbooten hatte die Marine –
HJ auch drei große Kutter, mit denen regelmäßig auf dem Kanal gerudert
wurde. Unter der Leitung eines Kutterführes legten sich dann zehn Jung's
kräftig in die Riemen. An den Wochenenden sahen von der Brücke immer
zahlreiche Zuschauer dem Wettkampf der drei Kutter auf dem Kanal zu.
Die schönen blauen Uniformen der Marine – HJ
glichen denen der Matrosen der Kriegsmarine. Nur eine HJ – Armbinde gehörte
dazu. Eine ideologische Schulung gab es nicht. In den Heimabenden, beim
Dienst und in Kursen wurden Schifffahrtskunde und Signaldienst für eine
„Seemännische Ausbildung“ vermittelt. Dazu gehörte Funken, Morsen, Blinken,
Signalkunde, Flaggensignalen, Seezeichen, Schiffsbau und Bootsbau. Alles
diente der Vermittlung von Kenntnissen für den späteren Dienst bei der
Kriegsmarine.
Seesportschule Heißternest.
Zur gesonderten vormilitärischen Ausbildung
der Hitlerjugend wurden vierwöchige Lehrgänge in so genannten
Wehrertüchtigungslager durchgeführt und alle Jungen hatten nach
entsprechender Einberufung daran teilzunehmen. Für die Angehörigen der
Marine – HJ hießen diese Lager (standesgemäß ?) Seesportschulen.
Im Sommer 1944 (?) musste ich zur
Seesportschule Heisternest. Sie lag etwa in der Mitte der Halbinsel Hela vor
der Danziger Bucht. Ich war fast zwei Tage mit der Bahn unterwegs, über
Hannover und Stendal kam ich mitten in der Nacht in Berlin an. In einigen
Straßen brannte es noch in Hausruinen von einem Bombenangriff, wohl noch von
Vortag. Aber ohne Fliegeralarm konnte ich zur Weiterfahrt zu Fuß nach einen
anderen Bahnhof gehen und umsteigen.
In den frühen Morgenstunden ging es dann
weiter nach Schneidemühl. Der Zug war rappelvoll mit Soldaten, die von ihren
Fronturlaub wieder zu ihrer Truppe an die Ostfront fuhren. Nach umsteigen
ging es weiter über Dirschau, Danzig und Gotenhafen. Dort nach noch einmal
umsteigen erreichte ich Neustadt vor der Halbinsel Hela.
Mit einigen anderen Jungen ging es dann mit
einer kleinen Inselbahn weiter bis nach Heisternest. Das war ein kleinerer
Ort.. Die Seesportschule war ein ehemaliges großes polnisches Seglerheim und
lag direkt an einen kleine Hafen zur Danziger Bucht hin. Dort waren auch
einige Torpedo-Fangboote der Deutschen Kriegsmarine stationiert, welche die
von deutschen Flugzeuge abgeworfene Übungstorpedos aus der Danziger Bucht
wieder einholten.
In den vier Wochen an der Seesportschule
wurde eine weitere Ausbildung in der Schifffahrtskunde, Signalkunde, Morsen
und Funken, Blinken und Winken u. a. m. durchgeführt. Zum Abschluss wurden
die seemännischen Prüfungen „B“ und „C“ abgelegt. Während der ganzen Zeit
hatten wir da oben herrliches Wetter und besonders der Kutterdienst mit dem
Rausrudern in das klare Wasser der Danziger Bucht war eine tolle Sache. Es
wurde auch Kutterregatten durchgeführt und dabei wurde mit viel Ehrgeiz um
den Sieg gepullt (gerudert).
Die Heimreise ging über Neustadt durch
Pommern nach Stettin, dass wir in den frühen Morgenstunden erreichten. Die
Stadt brannte an zahlreichen Stellen. Offensichtlich war noch vor kurzer
Zeit einen Bombenangriff erfolgt. Über Berlin und Hannover ging es dann
endlich nach Hamm zurück.
Zu Hause ging es allerdings nicht mehr lange
so weiter mit dem Dienst bei der Marine-HJ. Bei den ständig zunehmenden
Bombenangriffen auf Hamm und die anderen Städte des Ruhrgebiets wurden
Einsatztrupps der Hitlerjugend abgeordnet zu Hilfs- und Aufräumungsarbeiten
für die Zivilbevölkerung.
Von Hamm aus erfolgte auch der Einsatz in
Dortmund, Bochum, Essen, Wuppertal, Unna und Bergkamen – wo die
Hydrieranlagen (zur Herstellung von Benzin aus Kohle) mit mehreren
Bombenangriffen belegt wurden.
Im Winter 1944/1945 und bis zum Ende des
Krieges gab es dann auch keinen Dienst mehr bei der Hitlerjugend. Die
älteren waren ja bereits auch eingezogen und Soldaten geworden. An der
Oberschule für Jungen (Gymnasium) wurde ein vorgezogene Abituras gemacht.
(Inoffiziell hieß das „Notabitur“) Die Jahrgänge 1927 und 1928 waren fast
alle „zu den Waffen gerufen worden.“ Bei den von der deutschen Wehrmacht
angesetzten Musterungen hieß es – nur mit wenigen Ausnahmen – immer KV
(kriegsverwendungsfähig) Ersatzreserve I. Dem folgte dann auch bald der
Stellungsbefehl.
Viele Hitlerjungen sind bei ihren Einsätzen
gegen die inzwischen bis an die Grenze des Deutschen Reiches vorgedrungenen
alliierten Truppen und in der Endphase des Krieges bei den erbitterten
Kämpfen noch sinnlos geopfert worden. Zum Schluss erhielt auch in Hamm noch
der Jahrgang 1929 einen Stellungsbefehl zum „Grünen Donnersteg“ - drei Tage
vor Ostern 1945 – und mehrere Hundert Jungen wurde zum Dienstantritt nach
Rhynern am RAD – Lager einberufen.