Auszüge aus der Festschrift
Geschichte der
Arbeiterwohlfahrt
in der
Stadt Rheine von
1923 bis 1933
Vorbemerkung
Als die
Arbeiterwohlfahrt - Ortsverein Rheine - an 25. Mai 1996 in einer Feierstunde
ihr 50-jähriges Jubiläum feiert, ging man von der Gründung nach dem II.
Weltkrieg 1945 aus. Ältere Mitglieder hatten damals berichtet, dass es vor
1933 zwar einige Aktivitäten in Rheine gegeben habe, dass aber
offensichtliche ein Ortsverein der AWO in Rheine nicht bestanden hätte. Der
Historiker Dr. Lothar Kurz hatte bei seinen Arbeiten heraus gefunden, dass
es in der Zeitung "Volkswille" doch Artikel und Berichte über die
Arbeiterwohlfahrt in der Zeit von 1923 bis 1933 gibt. Davon sind nun 38
kleinere und größere Zeitungsausschnitte bekannt.
Die Zeitung "Volkswille"
war eine sozialdemokratische Zeitung, die in der Stadt Münster bis 1933
erschien und die, zwar lückenhaft, noch im Stadtarchiv Münster vorhanden
ist. Auch außerhalb von Münster wurde die Zeitung vertrieben und in Rheine
ebenfalls gelesen. Sie berichtet u.a. auch aus der Stadt Rheine. Die hohen
Portokosten veranlasst edie SPD in Rheine an Stelle von verschickten
Einladungen ihre Bekanntmachungen und Einladungen nur noch in der Zeitung
"Volkswille" zu veröffentlichen. Dennoch erscheint das Material lückenhaft.
Auch weiteres Material und einige alte Zeitzeugen wurde ausfindig gemacht
und standen nun für die neue Festschrift zur Verfügung.
Demnach hat es in Rheine
in der Weimaer Republik, zahlreiche, vor allen von Frauen durchgeführte
Aktivitäten für Arbeiterfrauen, Gewerkschaftskolleginnen und
Sozialdemokratinnengegeben, wie z.B. Versammlungen, Frauennach mittage,
Nähabende, Ferienausflüge für Schulkinder und Hilfen für kinderreiche
Familien.
Das nun vorhandene
Material und einige bisher nicht bekannte weiteren Informationen sollen in
einer kleinen Dokumentation festgehalten werden. Der Dank der
Arbeiterwohlfahrt für die Hilfen bei der Materialzusammenstellung gilt
besonders Herrn Dr. Lothar Kurz und dem Stadtarchiv Rheine.
Rheine, im Januar
2003
Der Vorstand
Einleitung
Rudolf Marciniak
Der Tod hatte im 1.
Weltkrieg nicht nur auf den Schlachtfeldern seine große Ernte gehalten.
Durch die schlechte Versorgung forderte das Hungerjahr 1916 auch viele Opfer
bei der Bevölkerung. In der vier Jahren des Krieges starben infolge von
Hunger und Krankheiten über 750.000 Menschen. Auch nach dem Endes des
Krieges herrschten in Deutschland Hunger und Not. Dies galt besonders für
die Arbeiter und ihren Familien, für die Frauen und Kinder, deren Männer und
Väter als Soldaten den Tod gefunden hatten. Eine Hungerkatastrophe schien
unvermeid- bar. Den zunehmenden sozialen Konflikten in der politischen
Wirren der ersten Nachkriegsjahre war die öffentliche Wohlfahrtpflege nicht
gewachsen. In der Arbeiterbewegung, bei den Gewerkschaften und in der
Sozialdemokratie kam man deshalb immer stärker zu der Überzeugung, eine
eigene Einrichtung bzw. Organisation hierfür zu schaffen.
Im Kaiserreich galt. wer
durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit in Not geraten war und Hilfe brauchte,
für den bestand keineswegs ein rechtlicher Anspruch darauf. Zu den Aufgaben
des Staatesgehörte nicht der gesamte Bereich der Fürsorge und der
Armenpflege. Wer eine Unterstützung erhielt, hatte diese zurückzuzahlen,
sobald er wieder in Arbeit war. Bei längerem Bezug für betroffene Familien
konnte so trotz der geringen Höhe der Unterstützung eine dauerhafte
Verschuldung eintreten. *)
Darüber hinaus war der
Erhalt einer kommunalen Unterstützung meist mit den Verlust der bürgerlichen
und politischen Rechte und dem Entzug des Wahlrechts verbunden. Die
Gemeinden versuchten häufig Bedürftige abzuschieben. Der Almosencharakter
der öffentliche Fürsorge wurde als ein Teil des ausbeuterischen
kapitalistischen Gesellschaftssystems betrachtet.
Anfang der 20ziger Jahre
herrschten wirtschaftlich schwierige Zeiten für die Arbeiter auch in der
Stadt Rheine. Um kinderreiche und durch Arbeitslosigkeit betroffene Familien
Beihilfe zu gewähren, wurde auf Abtrag der Gewerkschaften eine
Wohlfahrtskommission gebildet. Die wechselnde Beschäftigungslage in der
Textilindustrie wird besonders deutlich als 1926im Münsterland 115 Betriebe
ihre Produktion einstellten und der Textil-Gewerkschaftsverband wöchentlich
198.000 Mark Erwerbslosenunterstützung zu zahlen hatte. **)
1927 verbesserte sich
vorübergehend die Konjunktur und die Beschäftigungssituation , um aber mit
der Weltwirtschaftskrise erneut in Schwierigkeiten zu geraten. Auch die
Betriebe der Metallwirtschaft, (darunter besonders die Windhoff AG 1931/32)
waren betroffen. Am 31,03.1933 gab es im Arbeitsamtsbezirk Rheine 7.192
Arbeitslose. Ein gro0er Teil waren Arbeiter in der Stadt Rheine mit ihren
Familien.
*)Die
Arbeitslosenunterstützung wurde erst 1927 eingeführt.**) GEWERKSCHAFT
TEXTIL-BEKLEIDUNG VST Rheine 75 Jahre
Die AWO - eine Selbsthilfeorganisation der Arbeiter:
Friedrich Ebert, der
erste Reichspräsident der Weimaer Republik, bezeichnete die neu ins Leben
gerufene Arbeiterwohlfahrt als eine "soziale Hilfseinrichtung der Arbeiter".
Sie sollte die entwürdige - weil willkürliche - Armenpflege jener Zeit
überwinden. Während das bürgerlich/caritative Fürsorgeverständnis noch immer
von persönlicher Minderwertigkeit und Schuld als Ursache seiner Not und
Hilfsbedürftigkeit ausging, lebten die Initiatoren der Arbeiterwohlfahrt in
der tiefen Überzeugung, dass soziale Fürsorge eine grundsätzliche Aufgabe
des Staates und der Gesellschaft sei. Nicht Almosen gewähren, sondern Rechte
sichern für die Menschen, die unverschuldet in Not geraten waren und Hilfe
brauchten. Das war der Kern der gesellschaftspolitischen Forderung der
Frauen und Männer in der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und der
Freien Gewerkschaften. Diese Auffassung sollte nun über einen
Modernisierungsprozess der damaligen kommunalen Wohlfahrtspflege Eingang
finden in eine neue all-gemeine Sozialgesetzgebung. Not und Armut sollten
überwunden und die unwürdige Armenpflege dadurch über- flüssig gemacht
werden. Getragen wurde diese sozialpolitische Version also von der
Arbeiterbewegung die an die Botschaft der Französischen Revolution
anknüpfte: "Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit". Dies sollte eingehen in
die Gestaltung einer neuen menschenwürdigende Ordnung sozialen Staates.
Seine obersten Werte sollten Mitsorge, Hilfe und Solidarität sein mit den
Menschen, die in unserer Gesellschaft in Not und Armut lebten.
Die Arbeiterwohlfahrt
der ersten Jahre nach ihrer Gründung war fest in den Hände
sozialdemokratischer Frauen. Die meisten - bis auf wenige Ausnahmen - waren
ehrenamtlich aktiv. Ohne ihre Bereitschaft wäre die Arbeiterwohlfahrt nur
eine Idee geblieben.
Historisch betrachtet
zählt das Engagement der Frauen zu ihrem Kampf um ihre rechtliche
Gleichstellung
Die Arbeiterwohlfahrt in Rheine nimmt ihre Arbeit auf:
Es waren die Frauen von
Sozialdemokraten, Arbeiterinnen und Gewerkschaftskolleginnen die vor Ort mit
viel ehrenamtlichen Einsatz für die Arbeiterwohlfahrt ihre Tätigkeit
aufnahmen. Überall bildeten sich" Ortsausschüsse", die heute auch in der
Organisation als Ortsvereine bezeichnet werden. Während der Kriegsjahre war
die Versorgung der Bevölkerung in großen Schwierigkeiten geraten. In den
Städten waren Lebensmittel nicht mehr in erforderlichen Maße zu erhalten.
Besonders im Jahre 1916 hielt der Hunger in vielen Familien Einzug. Vor
allen die Frauen und Kinder der kriegsdienstleistenden Männer waren davon
betroffen. Im Münsterland hatte eine große Zahl von Textilbetrieben ihre
Produktion eingestellt. Der Kriegsdienst und der Einsatz der Arbeiter bei
Notstandsarbeiten, Wege- und Straßenbauüberdeckte die Arbeitslosigkeit. In
der Stadt Rheine gaben die "vereinigten Arbeiterausschüsse" der königlichen
Eisenbahn, der Firmen Johann Eicksens, Wilhelm Jackson, F. Tacke und
Windhoff am 28. Juli 1918 eine "Aufklärung über die Lebensmittel-, Kleider-
und Heizmittelversorgung" ab. Das Ende des Krieges verschlechterte die
Versorgung mit Lebensmittel noch zusätzlich. Die heimkehrenden Soldaten,
viele Kriegsversehrte waren in ihren Familien auf Hilfe angewiesen. Die
Auflösung der Kriegsversorgungsämterverlangte einen zusätzlichen Einsatz der
Wohlfahrtspflege bei den kommunalen Verwaltungen.
In Rheine bildete die
Stadt auf Verlangen der Gewerkschaften im Oktober 1921 eine
Wohlfahrtskommission, die u.a. zuständig war für die Bewilligung von
Beihilfen an kinderreiche und minderbemittelte Familien. Aber die Notlage
verbesserte sich nicht und hielt bis über das Inflationsjahr 1923 an. Die
Währungsreform und die Einführung der Rentenmark im November 1923 führten
zunächst zu keiner Verbesserung. Die Zahl der Arbeitslosen stieg auch in
Rheine weiter an. Dies galt nicht nur für die Situation in der
Textilindustrie, auch die Metallindustrie und das Baugewerbe waren davon
betroffen. Im Juli und August 1924 bitten die Gewerkschaften wegen des
Abbaus der Arbeitszeiten im 50% in den hiesigen Betrieben das "wohllöbliche
Stadtverordneten- Kollegium" um die Bereitstellung von Mitteln für die am
schlimmsten betroffene Familien. Es wird Abstand genommen von einem
geplanten Gewerkschaftsfest, weil "die Textilarbeiterschaft in schlechten
wirtschaftlichen Verhältnissen lebe und am Hungertuche nagen müsse".
Die Rheiner
Sozialdemokraten führten am 16. April des Jahres 1923 für die Arbeiterfrauen
und Gewerkschafterinnen im Volks- haus an der Rosenstraße eine erste
Versammlung durch. Der Parteisekretär Genosse Pohlmeier sprach dort über das
Thema "Frauenfragen und Arbeiterwohlfahrt". Diese Versammlung war nach den
heutigen Erkenntnissen die Gründung der Arbeiterwohlfahrt in Rheine. In
einem Schreiben *) des Ortsausschusses der Arbeiterwohlfahrt an die Stadt im
Jahre 1928 wird darauf hingewiesen, dass der "hiesige Ortsausschuss" in
Rheine seit nunmehr 5 Jahre besteht.
*) Stadtarchiv Rheine
Hilfe leistete dann auch
die über die Grenze des Münsterlandes Hinaus bekannt gewordene Jeanette Wolf
*) aus Bocholt. Sie hat mit ihren Vortrag am 9. Mai 1923 in Rheine bei einer
Frauenveranstaltung den Aufbau der AWO Rheine mit unterstützt.
*) Jeanette Wolf
war eine der führenden sozialdemokratischen Frauen, die sich im Münsterland
mit großem Einsatz für die Rechte der Arbeiterfrauen einsetzte. Bei den
ersten Kommunalwahlen nach dem I. Weltkrieg am 2. Mai 1919 wurde die bereits
für die SPD in den Rat der Stadt Bocholt gewählt. in dem sie auch bei den
Wahlen am 4. Mai 1924 uns am 17. November 1929 wieder gewählt wurde.
Hermine Walterbach.
war schon nach den Ende des II. Weltkrieges Mitglied der SPD geworden. Sie
war die Vorsitzende der AWO-Rheine bis 1933. Helene Thesing, die Ehefrau der
SPD-Vorsitzenden, war ihre beste Hilfe bei der Arbeit in Rheine. Zu einer
Veranstaltung im Rahmen des Wahlkampfes für die Kommunal- und
Reichstagswahlen am 4. Mai kam Marie Juchacz nach Rheine. Sie war die
Gründerin und Vorsitzende des Reichsausschuss für die Arbeiterwohlfahrt,
Reichstagsabgeordnete und gehörten dem Reichsvorstand der SPD an. Zu der
Veranstaltung im Saale Elpers waren 500 bis 600 Personen erschienen.
Darunter auch zahlreiche Kommunisten die sich mit zahlreichen Störungen und
Beschimpfungen hervor taten.
Die
Beschäftigungssituation für die Arbeiterschaft in Rheine hatte sich im
Sommer des Jahres 1924 weiter verschlechtert. Diese Entwicklung war
Gegenstand der Beratung in einer Sitzung des ADGB - Ortsausschusses am 1.
August 1924. Darüber berichtetet die Zeitung "Volkswille" in einem Artikel:
.
Rheine -
Der Ortsausschuss des
Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes hat in seiner Sitzung am
Freitag, dem 1. August 1924 beschlossen, in diesem Jahr von einer
Ausrichtung eines Gewerkschaftsfestes Anstand zu nehmen, weil die
wirtschaftlichen Verhältnisse der Arbeiter in Rheine derart sind, dass sie
festliche Veranstaltungen nicht gestatten. Die Rheiner Textil-Arbeiterschaft
nagt schon seit langem am Hungertuche, während andere Kreise der hiesigen
Einwohnerschaft von der großen Not scheinbar nicht wissen, sonst würden sie
nicht sonntäglich der hiesigen Arbeiterschaft vor demonstrieren, wie man das
satte Leben mit fetten Vermögen in harmonischen Einklang bringt.
Bereits einige Tage
vorher berichtete der Sekretär des Zentralverbandes christlicher
Textilarbeiter Artkötter in einem Schreiben an das
Stadtverordneten-Kollegium der Stadt Rheine über die missliche
wirtschaftlichen Verhältnisse der Textilarbeiterschaft, da die hiesigen
Firmen die Arbeitszeit um 30% bis 50% gekürzt hatten, was sich katastrophal
auf die Einkommensverhältnisse auswirkte. Diese Situation bestehe schon seit
Jahresbeginn. Da es keine Kurzarbeiterunterstützung gebe, forderte Arkötter
von der Stadt die Bereitstellung von Mitteln zur Unterstützung für die
allernotwendigsten bedürftigen Familien. Infolge der schlechten
Beschäftigungssituation war die Zahl der Arbeitslosen - nicht nur in der
Textil-Industrie - beachtlich gestiegen.
Viele Arbeiterfamilien
waren von langer Arbeitslosigkeit betroffen. "Für die Kinder unserer
Bewegung", Schulkinder aus Arbeiterfamilien und aus kinderreichen Familien
führte die Arbeiterwohlfahrt in Rheine in den Sommermonaten 1924 ihre ersten
Ferienausflüge in die näher Umgebung der Stadt durch. Sie sollte den Kindern
etwas Freude und Abwechselung im ihren einfachen Alltag bringen. Die Anzahl
der teilnehmenden Kinder beachtlich. Der letzte Ferienausflug 1924 fand am
4. September statt. Die guten Erfahrungen führten schließlich dazu, dass in
den folgenden Jahren immer wieder diese Ferienausflüge geplant und
durchgeführt wurden. Damit wurden sie so etwas wie eine ständige Einrichtung
für Arbeiterkinder in Rheine. Über diese Ferienausflüge liegen auch einige
Pressemeldungen mit Ankündigungen und Berichten vor.
Die in den Jahren 1924
und 1925 durchgeführten Ferienausflüge wurden ausschließlich selbst
finanziert. 1927 gab es aus öffentlichen Mitteln erstmalig einen Zuschuss
von 130,-- Mk. Am 14. Juli 1928 wurde für die Arbeit der Arbeit der
Arbeiterwohlfahrt durch ihren Ortsausschuss Mittel bei der Stadt Rheine
beantragt. Darunter auch für Ferienausflüge von Schulkindern. Die
Stadtverordnetenversammlung bewilligte in ihrer Sitzung vom 15. Juli einen
Gesamtbetrag von 500 Mk. In den geforderten Nachweis der Ausgaben wurden
Ferienausflüge im Jahre 1928 mit einem betrag von 170,28 Mk ausgewiesen.
Der Antrag und der Nachweiß waren jeweils von Frau Walterbach als
Vorsitzende und Frau Thesing für die Arbeiterwohlfahrt
unterschrieben.
Quelle: Stadtarchiv
Rheine/Neues Archiv 585
In der Presse wird am
13. August 1929 der nächste Ferienausflug angekündigt. Am 27. August wird
berichtet, dass ein Antrag für eine Beihilfe der Stadt von 200 Mk für
Ferienausflüge abgelehnt wurde. Es wird in der Presse am 6. September dann
über den letzten Ferienausflug der Schulkinder im Jahre 1929 zum
Ausflugslokal "Zum Frieden" mit über 100 Kinder und einer Ansprache des
Genossen Paulsen berichtet. Im Jahre 1930 wurden wieder 3 Ferienausflüge
durch geführt. Am 8. September berichtete die Presse über den letzten
Ferienausflug 1930 an dem 120 Kinder teilnahmen. Die letzten Angaben über
drei Ferienausflüge der Schulkinder mit der Arbeiterwohlfahrt in Rheine
liegen aus dem Jahre 1931 vor. Interessant ist dass die Presse u.a.
berichtet: "Gerade in der jetzigen Zeit, wo die Arbeiterschaft durch Not und
Elend am meisten heimgesucht ist, macht es sich die Arbeiterwohlfahrt zur
Pflicht, den Kindern der Ärmstem einige frohe Stunden in der Woche zu
bereiten. Die Partei und die Gewerkschaftsfreunde mögen deshalb ruhig ihre
Kinder schicken. Auch die Beteiligung der Genossen wird erwartet."
Die Vorbereitung und
Durchführung der Ferienausflüge lag in den Händen bei den Frauen der
Arbeiterwohlfahrt, allen voran bei Hermine Walterbach und Theresa Thesing.
Alle damit verbundenen uns zeitaufwendigen Arbeiten wurden
selbstverständlich ehrenamtlich durchgeführt. Wenn auch die Angaben über
Teilnehmerzahlen an den Veranstaltungen schwankten, so wurden doch die
Ausflüge der Schulkinder gern angenommen und waren für sie ein frohes
Erlebnis. Immer wurden diese Ausflüge aber auch von einigen Frauen und
Müttern begleitet. Über den Besuch einer Gruppe der Kinderfreunde aus
Hervest-Dorsten und Holsterhausen in den Sommerferien 1931 liegt eine
interessante Pressemeldung vor. Am 6. und 14. August und am 1. September
wurden wieder für die Schulkinder 3 Ferienausflüge durchgeführt. Es ging
diesmal nach Sr. Arnold. Mit diesen Pressemeldungen endet die
Berichterstattung über die Ausflüge. Ob 1932 noch Ausflüge stattfanden war
nicht mehr zu klären.
Familienhilfe
und Nähabende
Zu der umfangreichen
Arbeit des Ortsausschuss der Arbeiterwohlfahrt in Rheine gehörte aber auch
vor allen , Rat und Hilfe zu geben für Menschen und Familien die in Not
geraten waren. Die Hilfe war nicht an konfessionellen oder politischen
Gesichtspunkten gebunden. So konnten 1928 ca. 75 Familien, in ihrer Not
geholfen werden. Auch in der Wöchnerinnenpflege war man besonders tätig.
Gerade die Frauen, die in die Fabrik gehen mussten um den notwendigen
Lebensunterhalt für ihre Familie mitzubestreiten, bedurften bei eine
Niederkunft Hilfe und Unterstützung im Haushalt besonders wenn noch andere
Kinder dem Haushalt angehörten. so wurden im selben Jahr 23 Wöchnerinnen
durch Gestellung von Pflegerinnen gute Hilfe geleistet.
Bereit im Oktober 1926
wurden zum erstenmal zu einer Zusammenkunft verbunden mit einem Nähabend im
Hause Thesing eingeladen. Diese Nähabenden wurden bald zu eine ständigen
Einrichtung, vor allen zu Beginn des Winters. Es wurden für Familien und
besonders für Kinder benötigte Kleidungsstücke genäht. Dabei tauschten die
Frauen untereinander auch ihre Erfahrungen bei Herstellung von
Kleidungsstücken aus. Darüber berichtet auch die Zeitung "Volkswille" in
einen besonderen Artikel.
Frauennachmittage im
Gewerkschaftshaus
Die Arbeiterwohlfahrt
bemühte sich auch ständig Frauen und Mädchen zur Mitarbeit zu gewinnen. Dazu
gehörte seit 1926 auch die Durchführung von besonderen
Informationsveranstaltungen an Nachmittagen über die Arbeit der
Arbeiterwohlfahrt, der Freien Gewerkschaft, der Partei und des Konsumwesen.
Dabei gab es Kaffee und Kuchen und ein lustiges Programm mit Vorträgen von
lustigen Geschichten und Lieder gehörten dazu. Die Veranstaltungen fanden im
Gewerkschaftshaus an der Rosenstraße statt und erfreuten sich eines regen
Zuspruchs. Häufig waren über 100 Frauen und Mädchen anwesend. Die
offensichtlich letzte dieser Veranstaltung im Gewerkschaftshaus war am 22.
Februar 1933 ein solcher Frauenabend.Das Gewerkschaftshaus war überfüllt.
"Ich kann mich noch gut
erinnern."
Interview mit der
Zeitzeugin Anne W. am 08.10.2002 in der AWO-Begegnungsstätte Rheine..
Anni W. wurde am 10.
März 1919 9n Rheine geboren Mit ihren Eltern und vier Geschwistern wohnte
sie in der Ludwigstraße. Mit 6 Jahren ging sie in die Antonius-Schule. Ihre
Eltern waren beide Mitglied der SPD in Rheine. Nebenan wohnte ein Kommunist.
Sonst waren alle streng katholisch und natürlich "Zentrum".
"Ich habe das alles als
Schulmädchen noch miterlebt". erzählt Anni W. "Meine Mutter war immer mit
Frau Walterbach zusammen. Die war damals Vorsitzende von der
Arbeiterwohlfahrt in Rheine. Die haben immer etwas für uns Kinder aus den
Arbeiterfamilien gemacht. Wanderungen und Ausflüge in den Schulferien. Da
trafen wir Kinder uns immer am Heiligen-Geist-Platz, immer Mittwochs um 2
Uhr. Das war immer ein großes Hallo bei so vielen Kindern. In den großen
Schulferien, die ja 6 Wochen dauerten, wurden jedes mal mehrere Ausflüge
gemacht. Meine Mutter, Frau Thesing und Frau Paulsen haben dann immer Frau
Walterbach als Begleiterinnen geholfen. Von zu Haus hatte man etwas zu
futtern mit bekommen.
Am Ziel der Ausflüge gab
es Limonade oder Kakao zu trinken und auch ein Stück Kuchen, den die Frauen
selbst gebacken hatte. Es wurden lustige Spiele gemacht, rumgetobt, getanzt
und viele gesungen. Von Paulsen nahmen Raimund und Irma immer teil, die
Catos-Kinder und die Hermanns-Kinder. Ich weiß noch dass es einmal zum
Gasthof "Frieden" ging mit Pausen bei "Delsen" oder dem Solbad "Gottesgabe"
, ein anderes mal ging es zum Kanalhafen oder zur dritten Schleuse. Ich
glaube da war auch immer von der SPD dabei wenn diese Ausflüge organisiert
wurden.
In einem Jahr wurde zum
Abschlu0 der Ferien-Ausflüge eine Sonderfahrt mit einem Schiff auf der Ems
gemacht. Das war mit dem "Motorboot Heimat" und weil da nicht genug Platz
drauf war, Es hatte ja nur etwa 30 Plätze für Erwachsene, wurde eine "Pünte"
dahinter gehangen, damit die vielen Kinder alle mit kamen. Die Fahrt ging zu
der Gartenwirtschaft "Högesche". Da wurden Spiele gemacht uns wir Kinder
tobten richtig herum. Es gab aber auch Limonade und ein Stück Kuchen".
"Meine Mutter trug die
Zeitung "Volkswille" aus, um ein paar Groschen zu verdienen und als ich 10
Jahre alt war,half ich tüchtig dabei mit:
Volkswille
Sozialdemokratische
Tageszeitung für Münster und das Münsterland Publikationsorgan der Freien
Gewerkschaften
Ein Herr Merz holte die
Zeitungen für Rheine von Münster und um 14.15 Uhr trafen sie sich mit
anderen am Bahnhof. Das waren ein Herr Rehbock und Opa Wever, die ebenfalls
die Zeitung austrugen. Jeder hatte einen Bezirk. Anni und ihre Mutter hatten
Lindenburg und Gellendorf, wobei Anni in der Augustastraße und der
Sophienstraße verteilte und wegen einer einzigen Zeitung bis zur Dünenstraße
musste. Es fuhr zwar ein Bus nach Gellendorf, aber die 15 Pfennige Fahrgeld
waren einfach nicht über. Alles wurde zu Fuß gemacht."
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Vorwärts und nicht vergessen
so lautet das Solidaritätslied von Berthold
Brecht. Das erfordert Mut zur Besinnung und ermuntert dazu, sich der Zukunft
selbstbewusst zu stellen und fordert gleichzeitig zum Brückenschlag in die
Vergangenheit auf. Dies sollte auch für die kleine Dokumentation über die
Geschichte und die Arbeit der Arbeiterwohlfahrt in der Stadt Rheine in der
Zeit von 1923 bis 1933 gelten.
Rudolf Marciniak
* * * * *
Zahlreiche Bilder,
Dokumente, Protokolle und Unterlagen, Presseberichte aus der Zeit von 1923
bis 1933, die Kurzbiographien von Hermine Walterbach und Jeanette Wolff, die
zu dieser Festschrift gehören, sind hier nicht mit aufgeführt.